Der Codex Voluptas
Kapitel 1 - Das alte Buch
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Eine Horror-Erotik Story von Megan Core
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Eingentlich sah es mir überhaupt nicht ähnlich, meine Arbeit so einfach im Labor liegen zu lassen, nur um mich mit einer flüchtigen Bekanntschaft zum Kaffee zu verabreden. In diesem speziellen Fall war ich jedoch gewillt eine Ausnahme zu machen, vor allem da es sich um ein Treffen mit Amanda Allington handelte. Wir waren uns seit der Highschool nicht mehr begegnet, und schon damals hatten wir nie besonders viel miteinander zu tun gehabt. Ich war gelinde gesagt ziemlich überrascht, als sie mich an jenem Nachmittag vollkommen unvermittelt anrief und mich mit fast schon flehender Stimme um ein Treffen noch heute Abend bat. Leider bekam ich am Telefon nicht viel mehr aus ihr heraus, als dass sie mich unbedingt heute noch sehen müsse und dass es ungeheuer wichtig sei. Es interessierte mich brennend, weshalb Amanda es nach all den Jahren plötzlich so eilig hatte mich zu sehen, warum sie am Telefon so verängstigt klang und wo in aller Welt sie eigentlich meine Nummer aufgetrieben hatte. Die letzten Nächte hatte ich aufgrund meiner Forschungen im Labor kaum geschlafen und auch hatte ich bei weitem Wichtigeres und vor allem Interessanteres zu tun, als Kaffee zu trinken und über alte Zeiten zu plaudern. Dennoch suchte ich - schon aus reiner Neugierde - an jenem Abend das alte Café Vermont am Ende der Patton Street auf.
Ich brauchte nicht lange Ausschau zu halten, denn sowie ich das Café betrat, winkte mich aus der hintersten Ecke, fernab allen Geschehens, eine Frau zu sich, welche ich - wäre ich ihr auf der Straße begegnet - nichtmal im Ansatz mit meiner alten Komilitonin verwechselt hätte. Schwarze Strähnen fettiger, ungekämmter Haare klebten in einem viel zu blassen Gesicht, das karg, ausgezehrt und von einer unnatürlichen Furcht gezeichnet zu sein schien. Die spröden Lippen zitterten unaufhörlich und unter den Augen zeichneten sich tiefe Falten ab - zu viele für jemanden ihres Alters. Noch nie in meinem Leben habe ich eine dermaßen erbärmliche Gestalt gesehen. Und doch musste sie es sein. Irgendwo vergraben in den Gesichtszügen dieses menschlichen Wracks erkannte ich die junge Frau, welche es damals fast zur Ballkönigin geschafft hätte. Nur ein Blick in diese Augen - diese smaragdgrünen, blutunterlaufen Augen - und ich war mir sicher.
»Hallo Adam, danke dass du gekommen bist«, krächzte sie und reichte mir eine verschwitzte Hand mit rußgeschwärzten Fingernägeln. Ich bemühte mich höflich zu bleiben, schüttelte etwas widerwillig ihre Hand und setzte mich zu ihr.
Amanda umfasste mit beiden Händen ihren Kaffee und versuchte die Tasse zum Mund zu führen, jedoch zitterte sie dabei so stark, dass sie auf halber Strecke aufgeben und die Tasse zurückstellen musste. »Danke dass du so schnell gekommen bist«, sagte sie, »Ich brauche wirklich dringend Hilfe«
»Ja das sehe ich«, antwortete ich. »Nur frage ich mich, was ausgerechnet ich für dich tun kann. Hast du denn keine Freunde oder Verwandte, die dir aushelfen können? Falls du Geld brauchst wirst du von mir jedenfalls keines kriegen. Nimm’s bitte nicht persönlich, aber was immer du gerade nimmst, ich habe nicht vor das zu unterstützen«
Amanda lächelte gequält. »Ich nehme keine Drogen, Adam. Und Geldsorgen habe ich ganz sicher nicht«
Ich hätte ihr wohl kaum geglaubt und wäre auch sofort aufgestanden um zu gehen, wenn da nicht diese unverkennbare Klarheit in ihren Augen gewesen wäre.
Amanda stand offenbar tatsächlich nicht unter dem Einfluss irgendwelcher Substanzen und sie war wohl auch nicht verrückt geworden. Trotz ihrer heruntergekommenen Erscheinung schien sie hellwach zu sein, und in ihrem Blick erkannte ich noch immer den scharfen Verstand, den ich früher so an ihr geschätzt hatte.
»Wobei kann ich dir dann behilflich sein?«
Amanda warf einen verstohlenen Blick zum Fenster. »Du… du sprichst doch noch Latein? Soweit ich mich erinnere, hattest du das als Freifach.«
»Latein?« Verwundert runzelte ich die Stirn. Spätestens jetzt war ich wirklich neugierig geworden, worum es hier eigentlich ging. Als ich Amanda schließlich versicherte, der lateinischen Sprache durchaus mächtig zu sein, schien sie zutiefst erleichtert. Sie sah sich noch ein paar Mal hektisch um, so als befürchtete sie, jemand würde uns beobachten. Dann griff sie nach ihrer Tasche, zog ein schweres, in Leder gebundenes Buch hervor und legte es vorsichtig auf den Tisch.
»Was ist das für ein Buch?«, fragte ich und blätterte die ersten Seiten durch.
Dem Stil und der Art der Verarbeitung nach schien es sehr alt zu sein, und doch zeigten sich an ihm keinerlei Abnutzungserscheinungen. Die Seiten schienen aus einer Art Pergament zu bestehen, und waren mit sonderbaren Schriftzeichen in blutroter Tinte befüllt, welche ich nicht zu deuten vermochte.
Ich blickte hoch zu Amanda, die an ihren verrußten Fingernägeln kaute. »Latein ist das jedenfalls keines, Amanda. Das sind noch nichtmal lateinische Buchstaben. Diese Schrift muss wesentlich älter sein. Möglicherweise ist es Sumerisch... oder Hethithisch... jedenfalls etwas sehr, sehr altes.«
»Die Übersetzungen sind zum Teil in Latein verfasst«, sagte Amanda. »Zum Teil auch Persisch, Althochdeutsch… manche sogar in sehr altem Englisch…«
»Übersetzungen?«, fragte ich und blätterte rasch weiter. Tatsächlich fand ich, eingeklemmt zwischen den Seiten des Buches, unzählige Dokumente verschiedenster Beschaffenheit. Da waren alte vergilbte Schriftstücke die kaum noch zu lesen waren, verblasste Notizen in alt-englischer Handschrift und sogar etwas neuere, bereits mit der Schreibmaschine verfasst Texte. Es war als wäre dieses Buch schon seit Jahrhunderten auf Wanderschaft und die Übersetzter vergangerer Epochen hätten sich darin verewigt.
Auf den vielen Seiten des Buches befanden sich neben den unlesbaren Texten auch Holzschnitte, welche mich unwillkürlich an die berühmten Höllenbilder von Hieronymus Bosch und anderen berühmten Malern erinnerten. Sie waren mit der selben roten Tinte gefertigt wie die Schrift, und sie alle stellten bizarre, stark sexualisierende Bilder dämonischer Wesenheiten dar, die man meistens dabei sah, wie sie Menschen - Männer wie auch Frauen - in eine abartige Hölle verschleppten um dort über sie herzufallen.
»Ich kann nicht sagen, woher genau das Buch stammt, und wer oder was es geschrieben hat«, erklärte Amanda. »Aber soviel ich weiß nannten die alten Römer es den Codex Voluptas«
»Codex Voluptas?« Ich musste lächeln »Amanda. "Voluptas" bedeutet soviel wie "Lust", wenn ich mich recht entsinne. Was soll dieses Buch genau darstellen? Etwa so eine Art lateinisches Kamasutra?«
»Nein«, antwortete Amanda mit ernstem Tonfall, »Es ist ein Almanach voll schwarzer Magie. Darin befinden sich Rituale und Beschwörungsformeln aus längst vergessenen Zeiten«
Ich schmunzelte und blätterte weiter. Die bloße Existenz dieses Buches warf für mich etliche Fragen auf. Es war in zu gutem Zustand um wirklich so alt zu sein wie Amanda behauptete, und doch schien es keine Fälschung zu sein. Diese fremdartigen Schriftzeichen, wenngleich ich sie nicht zu deuten vermochte, schienen zumindest echte Worte in einer koherenten Sprache zu bilden. Die in diesem Buch enthaltenen Kunstwerke waren zu raffiniert und zu aufwendig, als dass es sich bei dem Buch lediglich um einen dummen Streich hätte handeln können, doch waren sie auch so einzigartig und kunstfertig, dass ich mir nicht vorstellen konnte, noch nie von ihnen gehört zu haben, sollte es sich um die Nachbildung echter Werke handeln. Und dann waren da noch diese uralten Pergamentfetzen, welche angeblich die althergebrachten Übersetzungen für manche Seiten enthielten… Ich wagte es kaum sie auch nur anzufassen, da sie - sollten sie sich als echt herausstellen - ein wahres Vermögen wert sein mussten. Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen.
»Wo um alles auf der Welt hast du das her?«, fragte ich. Amanda wagte es nicht einmal, ihren Blick in Richtung des Buches zu werfen. Sie saß nur da, wippte aufgeregt vor und zurück und kaute an ihren Nägeln. Bei jedem noch so kleinen Geräusch wirbelte sie panisch herum, als ob sie nach irgendetwas Ausschau hielt. »Amanda! Woher hast du das?«, fragte ich, diesmal etwas lauter.
Und während ich fasziniert diese alte Buch durchblätterte, begann Amanda mir leise ihre Geschichte zu erzählen. Ich war stets ein Liebhaber solcher Kuriositäten gewesen und durchaus vertraut mit rätselhaften Schriftstücken wie dem Codex Gigas, der legendären Teufelsbibel und ähnlich mysteriösen Werken. Ich hatte sogar noch irgendwo eine verstaubte Kopie des Woynich-Manuskripts in meinem Bücherregal stehen, noch immer in der guten Hoffnung eines Tages der Erste zu sein, der es schaffen sollte dieses wunderliche Grimmoire zu entschlüsseln. Doch was sich mir hier offenbarte, und was Amanda mir mit kaltem Entsetzen in ihrer Stimme schilderte, schien in seiner gesamten Wesenheit anders zu sein, als alles was ich bis dahin kannte.
Sie erzählte mir die Geschichte, wie sie das Buch im Kreise einiger Freunde zum ersten Mal "verwendet" hatte. Wer von ihnen den Codex Voluptas in die Gruppe gebracht hatte, und wie dieser jemand überhaupt erst in dessen Besitz gelangt war, das wusste Amanda beim besten Willen nicht mehr zu sagen. Nach einigem Zögern, und nachdem ich ihr unzählige Male hatte versprechen müssen, sie nicht auszulachen oder einfach wegzugehen, erzählte sie mir schließlich, wie sie die verbotenen Rituale aus dem Buch vollzogen hatten und sie berichtete mir mit zitternder Stimme von schrecklichen Wesen, die aus den Tiefen der Hölle empor gestiegen waren um einen nach dem anderen ihrer Freunde in fremde Dimensionen zu zerren. Nur sie allein, meinte sie, wäre noch übriggeblieben. Sie wäre die letzte, aber diese Geschöpfe würden schon sehr bald zurückkommen um auch sie noch zu holen...
Ich hielt mein Versprechen, denn wahrlich - nach Lachen war mir nicht zumute. Es war traurig mit anzusehen, wie sich eine Frau die ich einst sehr bewundert hatte nun in diesem erbärmlichen Zustand befand. Amanda Allington, die den zweitbesten Notendurchschnitt der Klasse hatte, war nun zu einer vollkommen Wahnsinnigen geworden, die doch allen ernstes glaubte, "Dämonen" würden aus einem Buch steigen um sie mit in die Hölle zu nehmen.
»Du glaubst mir natürlich nicht«, meinte sie schließlich, ohne dass ich etwas auf ihre groteske Geschichte hätte antworten müssen. »Ich bin nicht verrückt, Adam. Deshalb weiß ich auch, dass mir niemand glauben wird. Nur eine Idiotin würde so etwas erzählen, und anschließend erwarten, dass man sie noch ernst nimmt«
»Wenn du das weißt, weshalb erzählst du es mir dann?«, fragte ich.
»Ich kann es beweisen«, antwortete sie und holte ein Feuerzeug aus ihrer Tasche. »Das ist eine der Kräfte die das Buch mir gegeben hat«, flüsterte sie und entzündete das Feuerzeug unter ihrer linken Hand. »Ich brenne nicht, Adam.«
Ohne eine Mine zu verziehen ließ sie langsam ihre Finger über das Feuer gleiten, führte dann die züngelnden Flammen über ihren ganzen Unterarm, dann zum Hals und schließlich ins Gesicht, direkt zu ihrem Auge - ohne auch nur zu blinzeln.
»Tu mir den Gefallen und verschone mich mit diesen Taschenspielertricks« meinte ich unbeeindruckt. Das konnte nur ein Trick sein, wenngleich ein wirklich guter.
Amanda legte das Feuerzeug auf den Tisch. »Hast du von dem Brand gestern Nacht in dem Apartmenthaus am Broken Hill gehört?«, fragte sie. »Ich war in dem Haus Adam. Es ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt und es gibt keine Überlebenden außer mir«
Wieder runzelte ich die Stirn. In der Tat war dergleichen heute Morgen etwas in den Nachrichten gewesen, und die Situation erschien mir allmählich so verdächtig, dass ich Amanda umgehend wegen mutmaßlicher Brandstiftung bei der Polizei gemeldet hätte, wäre mir die ganze Sache nicht schlichtweg egal gewesen. Ich beschloss diesem unangenehmen Gespräch ein Ende zu setzten und einfach zum Punkt zu kommen. »Kann ich mir das Buch ausleihen um ein paar Kopien zu machen? Oder besser noch, verkaufst du es mir?«
Dieses Buch hatte ein tiefes Interesse in mir geweckt. Zwar hatte ich nie etwas für derlei Aberglauben übrig gehabt und auch glaubte ich keine Sekunde lang an Amandas Geschwafel über Beschwörungen und übersinnliche Phänomene, doch schien mir das Buch ein unschätzbares Fundstück zu sein, welches womöglich einen Blick in vergangene Kulturen eröffnen, oder sogar zur Entdeckung längst vergessener Zivilisationen führen konne. Für dieses ohne jeden Zweifel einmalige Exemplar war ich bereit, tief in meine Taschen zu greifen.
»Deswegen wollte ich dich treffen«, meinte Amanda. »Ich möchte es an dich weitergeben. Bitte nimm es von mir. Bitte…« Sie schien allmählich den Tränen nahe zu kommen.
»Bist du sicher?«, fragte ich. »Du willst es mir einfach überlassen? Du schenkst es mir?«
Amanda schüttelte den Kopf. »Nicht ganz. Damit es funktioniert, musst du eine einzige Sache für mich tun. Du musst eine der Beschwörungen durchführen!«
Ich lächelte, »Im Ernst? Was soll der Unfug?«
»Es reicht nicht das Buch einfach wegzugeben. Ich muss dafür sorgen, dass du eine der Beschwörungen machst. Sonst bleibt der Fluch auf mir haften«
Ich ziehe skeptisch eine Augenbraue hoch. »Was ist das hier? Etwa ein billiger Horrorstreifen?«
»Bitte!«, flehte sie, »Ich überlebe diese Nacht sonst nicht«
»Na gut, dann erklär mir wie es geht - ich verspreche dir es zu tun, sobald ich zuhause bin«
»Nein!«, rief sie viel zu laut und verschüttete beinahe ihren Kaffee über den Tisch. Sie warf einen panischen Blick Richtung Fenster »Die Sonne geht schon unter. Du musst es jetzt machen, hier!«
»Was denn, hier im Café? Vor allen Leuten?«
Amanda schien für einen Augenblick die Realität zu entgleiten.
Sie hielt sich die Ohren zu. Tränen stiegen in ihre Augen und ihre Lider zuckten rhythmisch wie im Takt eines alleine für sie hörbaren Klopfens. Dann kippte sie zur Seite weg, blieb auf der Sitzbank liegen und flehte immerzu, dass es doch aufhören möge. »Hörst du es wirklich nicht?«, brüllte sie wie am Spieß, und alle Gäste des Cafés richteten ihre Blicke auf uns. »Verdammt, wieso könnt ihr das denn alle nicht hören? Die kommen! Die kommen um mich zu holen und keiner von euch wird mir helfen!«
»Schon gut«, rief ich und packte sie am Handgelenk um ihre Hand von ihrem Ohr wegzuziehen. »Ich mach’s, aber hör sofort mit diesem Theater auf«
Amanda wimmerte und rang für einige Momente mit sich selbst. Es kostete sie merklich Kraft, sich wieder zu beruhigen. Mit zittrigem Unterkiefer richtete sie sich schließlich wieder auf und blätterte zurück auf die ersten Seiten des Buches. Hastig erklärte sie mir, dass das Buch in 5 Abschnitte unterteilt wäre, und dass jeder Abteil schlimmer und gefährlicher wäre als der davor. Ich solle eine Beschwörung aus dem ersten Abteil wählen, redete sie immer wieder auf mich ein, aber ich müsse mir wirklich gut überlegen welche.
Einige Augenblicke lang blätterte ich den Codex durch wie eine Speisekarte und tat Amanda zuliebe so, als ob ich ernsthaft darüber nachdenken würde, was es denn nun sein sollte. »Anima nocturna«, lese ich schließlich von einer der alten lateinischen Übersetzungsseiten vor. »Das heißt dann wohl soviel wie Nachtgespenst. Wirklich gruselig« Amanda sah mich zornig an. Für sie war das Buch zu tödlichem Ernst geworden. Ich zeigte auf eine Stelle im Text und meinte: »Hey, das gefällt mir: "Non dormiamus somenor"…«
Amanda fragte nach, was ich gefunden hatte. Ich grinste. »Wenn ich das richtig verstehe muss der Beschwörer dieser Formel nie wieder schlafen. Ich glaub das nehme ich. Könnte ich wahrlich gut gebrauchen«
Amanda sah mich mit zwiegespaltenem Blick an - zutiefst verärgert darüber, dass ich der Sache so wenig Bedeutung beimaß, und doch über alle Maße erleichtert darüber, dass ich ihr den Fluch gleich abnehmen würde. Sie atmete noch einmal tief durch und flüsterte »Dann mach jetzt die Beschwörung. Ich zeige dir wie!«
Ich ließ meine Hand von Amanda auf das Abbild einer grotesk gezeichneten, dunklen Gestalt im Buch führen und las zögerlich die in lateinischen Buchstaben aufgeschriebenen Silben vor: »Is-un Na-te ul no El-oh-el Ta-me-no Te-oh. Ma-te-ne-no Ma-te ul«
Beim Lesen dieser Laute zog sich mir eine Gänsehaut auf, und ein merkwürdiger kalter Schauer legte sich mir über den Rücken. Ansonsten aber geschah nichts. Weder stiegen Höllendämonen empor, noch verdunkelte sich der Himmel, noch hörte ich Stimmen in meinem Kopf oder drehte durch so wie Amanada es tat. Es passierte schlichtweg nichts. »Hab ich's etwa falsch vorgelesen?«, frage ich, doch Amandas Blick verriet mir die Antwort. Sie sah aus wie jemand der gerade aus einem gräßlichen Albtraum erwachte.
»Es… es hat aufgehört!«, stotterte sie aufgeregt. »Es hat wirklich aufgehört! Ich bin frei. Ich werde leben. Danke! Ich danke dir, Adam!«
Amanda sprang augenblicklich auf und warf sich ihre Tasche über die Schulter.
»Hey! Wo willst du denn hin?«, rief ich ihr nach.
Sie schüttelte nur den Kopf und meinte: »Einfach nur weit weg von dir und diesem gottlosen Buch. Pass auf dich auf und viel Glück!« Mit diesen Worten gab sie mir unvermittelt einen Kuss auf die Wange und rannte auf und davon. Ich seufzte und wischte mir halb verstört und halb zufrieden den Kuss von der Wange.
Mir fiel auf, dass Amanda ihr Feuerzeug dagelassen hatte. »Das mit dem Feuer war ein guter Trick«, flüsterte ich zu mir selbst, griff nach dem vermeintlichen Trickgegenstand und probierte es an mir selbst aus. Doch das Feuerzeug war echt. Natürlich verbrannte ich mir sofort die Finger und ließ es lieber bleiben. Ich lächelte. »Ein wirklich verdammt guter Trick«
Ich packte das Buch und die Notizen in meinen Tornister und bezahlte anschließend Amandas Rechnung. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, mich nach dem Treffen noch für ein oder zwei Stunden auf’s Ohr zu hauen, bevor ich meine Arbeit fortsetzte, doch nun fühlte ich mich zusehens wacher und als ich letztendlich das Café verließ sogar erstaunlich beschwingt. »Schon bemerkenswerkt...«, dachte ich und tätschelte zufrieden das kostbare, alte Buch welches ich in meiner Tasche verbarg, »was so eine Tasse schwarzen Kaffees doch für einen Unterschied machen kann«
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Ende von Kapitel 1
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