Das Coming-Out ist für jeden anders, für jeden unterschiedlich schwer und unterschiedlich wichtig.
Einige sind überaus nervös und zögern den Zeitpunkt für das Coming-Out möglichst weit hinaus, einigen ist es so gänzlich egal und es geschieht spontan eben dann, wenn es geschieht.
Sich outen heißt, ein Stück von sich selber, das anderen Menschen zuvor vielleicht verbogen war, preis zu geben und ihnen anzuvertrauen. Manche erzählen nur den engsten Freunden von der neuen Erkenntnis über sich selbst, andere würden es am liebsten der gesamten Welt erzählen.
Coming-Out Geschichten sind für die Person, die sich outet, oftmals sehr viel und ja, es gibt nicht ein einziges, finales Outing, es geschieht öfter mit anderen Menschen oder mit den gleichen, nur geht es dann, meist um etwas anderes.
Es sind Geschichten, die voller Drama sein können oder absolut unspektakulär – aber das ändert nichts an der Tatsache, das die Person, die sich outet, sich noch Jahre lang perfekt an diese Momente der Anspannung "Wie werden die anderen denn reagieren?" erinnern kann.
In diesem Text, möchte ich von meinem ersten Outing berichten, von diesem Moment, wo ich so sehr um die Freundschaft mit zwei Menschen besorgt war, dass ich selbst heute die Angst noch klar wieder empfinden kann.
Ursprung für diesen Moment und diese Angst lag dabei, bei einer starken Empfindung für eine Person des gleichen Geschlechts.
Zuerst dachte ich nur, dass ich starke, freundschaftliche Zuneigung für die Person empfand. Wir kannten uns vom Internet, genauer gesagt von Wattpad, wo ich angefangen hatte, immer mehr und mehr die Geschichten der Person zu verfolgen und zu kommentieren. Durch die Kommentare kam irgendwann der Kontakt über die privaten Nachrichten und dann das gegenseitige Austauschen von Handynummern.
Zu der Zeit war ich im Krankenhaus gewesen, war wegen des Aufenthalts selber sehr verunsichert und der engere Kontakt kam mir wie ein Segen vor.
Also, fingen wir an viel miteinander zu schreiben. Den Sommer verbrachte ich überwiegend damit, Bilder zu zeichnen oder kleine Comics anzufertigen, inspiriert von Begriffen, die ich von der Person erhielt. Mit der Zeit bestand mein Alltag mit chatten, auf Antworten warten, kommentieren und zeichnen. Es war schön, aber dabei tauchte in mir immer mehr eine Frage auf.
"Bin ich in jemanden des gleichen Geschlechts verliebt?"
Zunächst, wollte ich diese Frage einfach wegschieben, aber sie kam wieder. Also schob ich erneut, aber es wurde alles schlimmer und ich versank im Gefühlschaos.
An viele Details zu der Zeit kann ich mich nicht mehr erinnern, alles scheint irgendwie grau und kalt, es war auch definitiv Herbst, als ich für mich selber die Fragen in Angriff nahm.
Der Prozess selber war irgendwie wirr.
Dabei fing ich mit einer entscheidenden Frage an:
"Kann ich mir vorstellen, mit jemanden des gleichen Geschlechtes eine Beziehung aufzubauen? Mein Leben mit der Person zu verbringen und sie zu umarmen oder zu küssen?"
Die Fragen waren mir damals peinlich, auch, wenn ich sie nur mir selber im Stillen stellte. Rückblickend wirken sie auf mich etwas banal, aber genau diese Fragen haben geholfen. Sie sind klar formuliert und ich dachte über sie nach, hinterfragte und kam immer mehr zu einer klaren Antwort: Ja!
So schön es auch war, endlich diesen Punkt einzusehen, so brachte es leider auch mehr Fragen mit sich...
"Kannst du dich immer noch in Leute des anderen Geschlechtes verlieben?"
"Ist das Geschlecht vielleicht egal?"
"Werden die anderen mich seltsam finden?
"Werde ich Freunde verlieren?"
"Was ist mit meiner Familie? Was werden meine Geschwister sagen und WAS nur meine Eltern?"
"Will ich überhaupt es anderen erzählen?! Und wenn ja, WIE?"
An diesem Punkt, war die Person selber, der ich das Chaos in gewisser Weise verdankte, kaum noch präsent mit meinem Leben.
Ich war zu sehr abgelenkt, mit den ganzen Fragen und damit über meine Vergangenheit nachzudenken, wo mir mit rotem Kopf auffiel, dass ich schon in der Grundschule Anzeichen gezeigt hatte.
Aber, bevor ich drohe noch weiter auszuschweifen, es wird Zeit für das eigentliche Coming-Out, also...
Ich hatte bereits mit einem Kumpel geschrieben, wo wir über das Thema LGBT+ geredet hatten. Irgendwo war mein Verhalten dann doch etwas auffällig gewesen und er fragte nur noch:
,,Willst du mir irgendetwas sagen?"
Ab dem Punkt saß ich zittrig vor meinem Handy und wusste für einige Minuten nicht, was ich antworten sollte.
Dann tippte ich: ,,Ja und zwar, ich glaube, ich bin Bi..."
Schließlich schickte ich die Nachricht und legte mich sofort ein Stück auf den Rücken, mit dem Absenden der Nachricht war mir schwindelig geworden. Ob es vor Angst, Nervosität oder Panik gewesen war, konnte ich da nicht sagen.
Im Rückblick würde ich behaupten, es lag an allem und besonders daran, mich unvorbereitet zu outen.
Die Antwort von meinem Kumpel war kurz – er schickte ein großes, rotes Herz.
Darauf folgte ein netter Text, in dem er mir versicherte, dass er sich freute, dass ich es ihm anvertraut hatte und gab mir zu verstehen, dass er selber am überlegen war, ob er nicht auch vielleicht bisexuell war.
Nach dieser ersten positiven Reaktion war ich immens erleichtert und gleichzeitig besorgt, denn das Outing war nur via Text geschehen. Etwas fühlte ich mich schlecht dafür, es kam mir so vor, dass man ein Outing eigentlich von Angesicht zu Angesicht machen sollte. Und genau das hatte ich auch als Nächstes vor.
Mein erstes Outing von Angesicht zu Angesicht sollte mit den beiden für mich damals wichtigsten Menschen geschehen.
Da traf es sich gut, dass wir uns schon für einen Tag verabredet hatten.
Die Zeit bis zu dem Tag schien sich wie Kaugummi zu ziehen.
Aber letzten Endes fuhr ich an einem Sonntag oder Samstag mit dem Bus zum Haus einer Freundin.
Ich werde nicht die echten Namen der beiden nennen, daher nehme ich zwei Spitznamen – Igelchen und Blondi.
Ich fuhr also zum Haus von Blondi, wo bereits Igelchen war, wie immer trudelte ich als Letztes ein. Als ich aus dem Bus ausstieg, war ich froh, dass die beiden mir noch nicht entgegengekommen waren, denn kaum stieg ich aus und stand auf dem kleinen Weg bei vielen Feldern, traf mich die Unruhe.
Mit dem kurzen Spaziergang zum Haus verlor ich etwas von der Unruhe.
Die nette Begrüßung und die Freude meine beiden Freunde zu sehen, wirkten noch mehr der Unruhe entgegen.
Ich weiß, dass wir zuvor alle am Tisch in der Küche noch etwas getrunken hatten, bevor wir hoch in Blondis Zimmer gegangen waren.
Sobald wir in dem Zimmer waren, kam die Unruhe wieder.
Ich wollte es loswerden. Klar, ich hätte bis zum Ende des Tages warten können, aber gleichzeitig wollte ich es einfach hinter mir haben. Letzten Endes, dauerte es noch ein paar Stunden, bis ich mich aufraffte. Zuvor genoss ich die Zeit, einer spielte immer wieder auf Blondis Gitarre, es wurde über Schule diskutiert, über das schlechte Wetter gejammert und als ich einige Flummis entdeckte, war für einen Moment ein höllisches Chaos im Zimmer.
Und dann verstrich die Zeit mit einem Mal zu schnell.
In, wenn mich meine Erinnerungen nicht trüben, einer halben Stunde, würden Igelchen und ich wieder nach Hause fahren, aber ich hatte immer noch nicht erledigt, was ich für längere Zeit vorhatte – ich wollte mich endlich outen.
Ich kann kaum noch sagen, wie ich das Thema anfing. Da ist das klare Bild von Igelchen und Blondi, wie sie vor dem Bett im Zimmer standen und mich besorgt anschauten. Unsicher hatte ich erst die Arme hinterm Rücken verschränkt, knetete aber dann vor meiner Brust meine zittrigen Hände. Trotz, dass ich sehr nervös gewesen war und mir tausend Gedanken über diesen Moment gemacht hatte, so gingen mir die Worte doch erstaunlich leicht von den Lippen. Die genauen Worte, habe ich längst vergessen, aber es war vermutlich etwas in diese Richtung:
,,Blondi, Igelchen, ich würde euch gerne etwas sagen, und zwar ... Also, ihr könnt euch sicher daran erinnern, wie sehr ich von einer gewissen Person immer erzählt habe. Da sind ... einige Fragen bei mir aufgekommen und nach einiger Zeit bin ich zu einem Entschluss gekommen und... Also, was ich sagen möchte ist, ich glaube, ich bin bisexuell und hoffe, ihr werdet meine Freunde bleiben... oder so."
Mein Blick war immer wieder zum Boden, zum Fenster und wieder zu den beiden vor mir gewandert, letzten Endes blieb er am Boden kleben und nur langsam schaute ich auf.
Da war das Gefühl, versagt zu haben. Ich hatte mir zuvor klar überlegt, wie ich alles formulieren wollte, aber dann hatte ich vor Panik doch alles über Bord geworfen.
Für einen Moment war ich erleichtert, weil endlich die Wort raus waren.
Aber dann war es still im Zimmer, so seltsam still...
Da blickte ich auf und bekam es mit der Angst zu tun. Mir war selber nicht bewusst, was ich eigentlich als Reaktion erwartete, vermutlich etwas ähnliches, wie bei meinem Kumpel. Hauptsache, es kam eine Reaktion, aber die beiden waren einfach still und starrten mich an.
Ich konnte ihnen ansehen, dass sie beide überrascht und überfordert waren. Und genau der Anblick überforderte dann mich.
Im Endeffekt, würde ich sagen, dass mir der Moment viel länger vorkam, als er eigentlich ging.
Igelchen brach als Erstes die Stille und fing unsicher an zusprechen. Ich hatte für Überraschung gesorgt und Igelchen entschuldigte sich auch für die verspätete Reaktion und versicherte mir, dass es nichts ändern würde zwischen uns. Diese Aussage wurde auch mit einer Umarmung verstärkt, doch Blondi hatte sich noch nicht gerührt. Da war weiterhin dieser Blick von Unverständnis und Verwirrung, aber es war nicht böse gemeint, das wusste ich. Als ich nachhakte, was Blondi gerade dachte, kam ein schräges Lächeln mit einer Entschuldigung als Antwort.
Igelchen hatte mir eine nette Reaktion gegeben und mich beruhigt, der Schock kam mit Blondi, denn sie bat um Zeit.
Bei ihren Worten lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, aber ich akzeptierte ihre Antwort sofort.
Es war verständlich, dass sie vielleicht etwas Zeit brauchen würde, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, schließlich beruhigte aber auch sie mich mit einer Umarmung und dann war der Tag auch vorbei. Igelchen und ich wurden abgeholt und an den Rest kann ich mich nicht mehr erinnern ...
Was mir noch in Erinnerung geblieben ist, dass ich für einige Tage unruhig war, besonders in der Nähe von Blondi. Da war das Gefühl, dass ich noch eine finale Antwort von Blondi brauchte – hatte sie sich nun dran gewöhnt? Hatte oder würde sich etwas an unserer Freundschaft ändern?
Die Antwort lautet: Nein.
Es änderte sich nichts, wir blieben Freunde und allgemein, ich verlor niemanden durch ein Outing. Im Gegenteil, es vertiefte die Freundschaft ein Stück mehr. Das merke ich heute noch, wenn hier und da Witze aufkommen und ein süßes Mädchen oder ein süßer Junge vorbeilaufen und ich mir grinsend einen Kommentar nicht verkneifen kann.
Es brachte sogar in meinem Freundeskreis etwas ins Rollen. Klar, ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, wie oder wann einige anfingen, bei sich selber ihre sexuelle Orientierung zu hinterfragen, aber nach mir folgten im selben Jahre mehr Leute und die nächsten Jahre über ging es so weiter. Meine Freunde sind locker, was das Thema LGBT+ angeht und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Auch, wenn sich jemand in seiner Empfindung ändert, wird bei uns kein Hehl drum gemacht, sondern man versucht sich neben dem ganzen Schulstoff die neue Information zu merken - so einfach kann es sein.
Was ich hier gerne noch sagen würde: Mittlerweile wissen viele meiner Freunde über mich Bescheid, manchen kann ich es beiläufig sagen, wenn mir einfällt, dass ich vergessen hatte es ihnen gegenüber zu erwähnen und das Thema LGBT+ angesprochen wird. Meine Geschwister wissen Bescheid, meine Eltern aber nicht und das finde ich nicht schlimm.
Am Anfang war da dieser Druck: Hey, ich muss mich meinen Eltern gegenüber outen!
Aber immer mehr verstand ich, dass Bi sein zwar ein Teil von mir ist, mich aber bei weitem nicht nur als Person ausmacht. Wenn ich mich meinen Eltern gegenüber eines Tages mal oute, dann entspannt, ruhig und mit völliger Bereitschaft mir Zeit zu nehmen und ihnen alles zu erklären.
Außerdem, ist es nicht schlimm, wenn man seine Ansichten ändert oder einfach nicht sagen kann, was die eigene Orientierung oder das eigene Geschlecht ist. Dinge ändern sich, Menschen ändern sich. Ich habe lange gebraucht, bis ich akzeptierte, dass ich zwar immer noch Bi bin, aber biromantisch. Man lernt mehr mit der Zeit dazu, aber dennoch sage ich den Leuten, wenn ich mich oute:
,,Hey, ich bin Bi."
Denn es ist leichter für andere zu verstehen und für mich ist es nicht falsch. Man kann ins Detail gehen und versuchen einer anderen Person zu erklären, was die eigene sexuelle Orientierung, romantische Orientierung und Geschlecht ist, aber ob man sich damit bei neuen Bekanntschaften ein Gefallen tut, hängt ganz davon ab.
Wichtig ist, dass man sich selber treu bleibt, auf neue Erkenntnisse einlässt und sich die Zeit nimmt, diese zu verstehen, aber vor allem, dass man sich nicht von anderen einschränken oder bestimmen lässt. Andere müssen es nicht feiern, dass ich Bi bin, dass einzige, was ich mir wünsche, ist akzeptiert und respektiert zu werden und das ist so grundlegend, dass diese beiden Dinge nicht erst bei meiner Orientierung anfangen oder enden sollten, sondern direkt da sein sollten, wenn man mir als anderes Individuum begegnet.
Ob wir dann miteinander klarkommen oder merken, dass wir zu unterschiedliche Charaktere haben, um uns zu verstehen, soll sich dann einfach mit der Zeit zeigen.
Ich hoffe, jeder, der sich diesen Text durchliest, ist nicht zu sehr gelangweilt oder verwirrt, denn beim ganzen Prozess dieses Textes, war ich selber sehr unsicher und verwirrt. Es ist nicht leicht, diese Geschehnisse niederzuschreiben, auch, wenn ich sie als grundlegend gut erinnere.
Gleichzeitig hoffe ich aber auch, dass der Text einigen etwas Mut schenkt und Leuten hilft, sich selber treu zu bleiben und den Mut zu fassen, ins kalte Wasser zu springen, wenn sie es denn wollen.
Von daher danke ich jedem, der es bis hier zu den letzten Zeilen geschafft hat und hoffe, dass meine ersten Erfahrungen mit Pink, Lila und Blau irgendwo und irgendjemanden helfen und, wenn es nur ein Gefühl ist, nicht alleine zu sein – Danke.