Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich nicht mich selbst.
Denn die Person dort ist eine andere, als die, die in mir schlummert. Einfach alles fühlt sich falsch an, wenn ich mich selbst ansehen muss. Ich bin ein Junge, den niemand sieht, da er sich hinter dem Gesicht eines Mädchens versteckt. Auch akzeptiert niemand diesen Jungen, da alle nur das glauben, was sie sehen.
Doch wer ist schon das, was er nach außen hin zu sein scheint? Nur weil ich einen weiblichen Namen trage, weiblich aussehe und vermutlich auch so spreche, muss ich mich noch lange nicht als Mädchen fühlen. Wer auch immer jemals festgelegt hat, wie jedes Geschlecht zu sein hat, hat meiner Meinung nach sowieso auf ganzer Linie versagt ...
Wie ich wohl auf Leute wirken muss, die nicht genauso empfinden wie ich? Finden sie mich abstoßend? Verstehen sie überhaupt, wie sehr sie mir wehtun, wenn sie immer wieder vergessen, wer ich eigentlich bin? Denken sie schlechter von mir, sobald sie wissen, dass ich eben einfach nicht „normal“ bin?
Ich bin das, was viele Leute einfach nur verachten und mitunter sogar als Untermensch bezeichnen. Ich bin transsexuell - auch wenn ich mit diesem Wort eigentlich nicht einverstanden bin. Denn ich gehe nirgendwo hinüber, wie es doch impliziert wird. Ich bin einfach ich selbst und verändere dabei einen Körper, der erst dann wirklich mir gehören kann. Weil er vorher einfach ein Lügner ist, der anderen Dinge erzählt, die einfach nicht stimmen.
Doch wie fühlt man sich eigentlich, wenn man mit dem falschen Geschlecht geboren wird?
Natürlich kann ich nur für mich sprechen, aber ich persönlich fühle mich grauenvoll. Schließlich kann ich nie ich selbst sein, wenn ich unter Menschen bin. Ich spiele eine Rolle, die mir von meinem Umfeld antrainiert worden ist. Ich stecke fest zwischen zwei Welten, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Tag für Tag fühle ich mich, als würde ich am Abgrund stehen, den ich überspringen muss, um endlich Zuhause ankommen zu können, während ich Angst haben muss, nicht weit genug springen zu können und einfach endlos in die Tiefe zu fallen.
Dazu kommen eben die Gedanken, die ich mir mache, wenn ich darüber nachdenke, mich vollständig zu outen. Ich habe Angst, die Menschen um mich herum zu enttäuschen und sie mit meinen ... Neigungen zu verscheuchen, gerade weil ich weiß, dass viele nicht verstehen können, wie man nur so fühlen kann, wie ich es tagtäglich tue. Was wäre, wenn ich aufgrund meiner Sexualität plötzlich ohne Familie und ohne Freunde dastehen würde? Würden sich meine Eltern für mich schämen, wenn sie wüssten, dass ich weder den Namen tragen will, den sie mir gegeben haben noch so sein will, wie sie mich erzogen haben? Schließlich bin ich das Vorzeigekind dieser Familie - wie kann ich es da wagen, sie so zu hintergehen?
Diese Angst vor dem, was sein könnte, ist erdrückend und lässt mich müde werden. Ich kämpfe gegen mich selbst, wo ich doch zum einen einfach nur ich selbst, und zum anderen genau das sein will, was mein Umfeld von mir erwartet. Ich würde lieber sterben, als die Menschen, die eigentlich immer an meiner Seite sind, auf diese Weise zu verraten. Wiederum ertrage ich mich selbst kaum noch, so falsch wie ich im Moment bin.
Ich komme mir vor wie ein Verbrecher - so abgrundtief schlecht und so, als würde ich jedem in meinem Umfeld wehtun, allein weil ich hier bin und weder ein noch aus weiß. Es fühlt sich an, als wäre ich schuld daran, dass ich von der Norm abweiche, obwohl ich selbst weiß, dass das eben nicht wahr ist. Schließlich habe ich mir diese Gedanken nicht ausgesucht, auch wenn man mir das einfach vorwerfen könnte. Schließlich steckt niemand sonst in meinem Kopf und kann somit nicht nachvollziehen, was ich denke und fühle. Und Worte reichen eben oft nicht aus, um zu verstehen, was in einem Menschen vorgeht.
Doch wie findet man eigentlich heraus, dass man dem anderen Geschlecht, zumindest erst mal geistig, angehört?
Es ist ein schleichender Prozess für mich gewesen, um an den Punkt zu kommen, an dem ich mich heute befinde. Wirklich bewusst ist es mir erst seit etwa einem halben Jahr, doch wenn ich so zurückdenke, ist es eigentlich schon viel früher offensichtlich gewesen.
Schließlich habe ich es schon immer gehasst, in die pinken, mit Rüschen besetzte Kleider und andere tuffige Klamotten gesteckt zu werden, mit der meine Mutter immer ankam. Ich konnte mich einfach nicht wohlfühlen, so als Prinzessin.
Auch habe ich lieber mit den Jungen in meiner Schule gespielt, weil mir die Mädchen viel zu langweilig waren. Und wenn ich doch versucht habe, mit meinen Mitschülerinnen klar zu kommen, habe ich immer darauf bestanden, einen Jungen spielen zu dürfen, wobei ich mich meist Leo genannt habe. Mit Puppen zum Beispiel habe ich mich auch nie anfreunden können - eher habe ich meinen wenigen Barbies, die ich besessen habe, die Haare so kurz wie möglich geschnitten und sie mit Filzstiften tätowiert, wenn ich ihnen nicht direkt die Beine und Arme ausgerissen haben.
Aus irgendeinem Grund bin ich immer wütend auf diese sterilen Plastikmenschen gewesen. Vermutlich, weil ich schon damals Angst davor hatte, einmal genauso aussehen zu müssen.
Doch das erste Mal, dass ich mich wirklich fremd in meinem eigenen Körper gefühlt habe, war in etwa, als ich zehn Jahre alt war. Ich weiß noch ganz genau, wie ich im Badezimmer stand und einfach nur mein Spiegelbild anstarrte. Ich fand mich so hässlich und wollte nicht mehr ich sein.
Du siehst aus wie ein Junge, ist alles gewesen, was ich in diesem Moment habe denken können. In diesem Moment hat der Gedanke mich eher traurig gemacht, als dass ich so etwas wie Erleichterung gefühlt habe. Wie sollte ich auch, wenn ich damals weder wusste, was da in meinem Kopf schief läuft, noch, dass es Menschen gibt, die sich nicht ihrem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen?
Ab der Pubertät dann ging es immer weiter bergab mit mir, auch wenn ich zum dem Zeitpunkt noch immer nicht begriff, was da mit mir passierte. Es geschah genau das, was ich insgeheim vermutlich immer gefürchtet habe: Ich entwickelte mich langsam zur Frau. Da ich schon immer recht schmächtig war, setzte das bei mir erst recht spät ein, sodass ich zuerst zusah, wie sich meine Mitschülerinnen veränderten, ehe ich selbst an der Reihe war. Plötzlich fühlte ich mich wie ein Eindringling, wenn wir uns beispielsweise in der Umkleide befanden und sich alle umzogen, um sich fertig für den Sportunterricht zu machen.
Der Anblick von Brüsten war fremd und irgendwie ... abstoßend. Vielleicht auch deshalb, weil ich ganz genau gewusst habe, dass ich die Dinger da auch früher oder später bekommen würde. Irgendwann zog ich mich sogar zum Umziehen immer auf die Toilette zurück, da ich mir unendlich schäbig dabei vorkam, die Mädchen um mich herum so zu begaffen, weil sie mich zugleich faszinierten und anwiderten, ohne dass ich was gegen die Personen an sich hatte.
Meine Sicherung brannte jedoch erst durch, als ich selbst dabei war, biologisch gesehen erwachsen zu werden.
Mir gefiel nicht, was da aus mir wurde, nein, ich hasste es sogar. Meine schon immer da gewesene Melancholie wurde plötzlich zu Selbsthass, der mich Tag für Tag zerfraß. Noch nie zuvor bin ich mir so wertlos, abscheulich und einfach hässlich vorgekommen, wie in dieser Zeit. Mein Körper gehörte vielleicht mir, aber ich wollte ihn nicht. Er war nicht das, was ich brauchte, auch wenn ich noch damals vor vier Jahren nicht habe benennen können, was ich mir denn wünschte. Es war alles falsch und ich wollte es um jeden Preis stoppen. Ich verletzte mich selbst (auch wenn das eigentlich nur unterschwellig durch meinen Selbsthass kam - der Hauptgrund liegt woanders) und begann mich runter zu hungern, um einfach wieder diese so störenden weiblichen Attribute zu verlieren.
Schließlich waren sie es doch, die mich so unglücklich machten. Welchen andere Möglichkeit hatte ich also, wenn ich nicht weiter in diesen erdrückenden Gefühlen ertrinken wollte, die man auch schon als Depression hätte bezeichnen können?
Am Ende dieser Phase war ich etwa einen Meter sechzig groß und wog Zweiundvierzig Kilo, und ich weiß, dass ich weitergemacht hätte, hätte ich damals nicht meine Freundin kennengelernt. Sie wollte mir zeigen, dass ich mich nicht für mich selbst schämen muss und mich um mich selbst kümmern sollte.
Doch diese Beziehung hielt auch nur anderthalb Jahre. Schuld an der Trennung war natürlich ich - genauer gesagt meine Transsexualität, die ich zu dem Zeitpunkt das erste Mal wirklich in Worte fassen und damit auch benennen konnte.
Meine Freundin verließ mich, da sie eher Frauen mag und weil sie meinte, dass ich das alles doch nur erfinden würde, um etwas besonderes zu sein. Sie argumentierte immer wieder, dass ich mich doch nur stark fühlen wollte, nicht wüsste was ich da tue und nur ein Junge sein wollte, da meine Mutter mir immer wieder vorgehalten hat, dass sie sich eigentlich einen Sohn gewünscht habe und ich nur einen jüngeren Bruder habe, weil ich eben mit dem „falschen“ Geschlecht geboren worden bin.
Doch auch wenn ich das schon längst gewusst, und gelernt habe, damit umzugehen, dass ich eine Enttäuschung für meine Eltern bin, haben die Worte meiner Freundin so sehr weh getan. Auch hat sie damals immer gemeint, dass ich das nur mache, weil ich unzufrieden mit mir selbst bin und vor mir flüchten will. Doch das will ich nicht. Schließlich müsste ich erst einmal ich selbst sein können, um dann vor mir flüchten.
Jedoch ist meine nun Exfreundin nicht die Erste gewesen, mit der ich über dieses Thema gesprochen habe. Nein, stattdessen habe ich mich einem damals noch Fremden anvertraut, weil ich gehofft habe, dass er mir ein wenig Angst nehmen kann, was mein Outing und dergleichen angeht. Enttäuscht hat er mich nicht, traurigerweise ist er sogar verständnisvoller gewesen, als jede Person aus meinem direkten Umfeld, mit der ich bisher über meine sexuelle Orientierung gesprochen habe.
Jedoch waren die Rückmeldungen bisher, die von den betreffenden Personen kam, sehr positiv, wenn man eben meine Freundin dabei ausklammert. Und für diese Menschen bin ich wirklich dankbar (ich hoffe mal, dass die, die diesen Text lesen und sich angesprochen fühlen, das auch schon vorher gewusst haben).
Denn es ist schon schwer genug, sich selbst mit einer vollkommen neuen Situation arrangieren zu müssen, da kann man nicht noch gebrauchen, dass alle sich genau aus dem Grund von dir abwenden, für den du dich selbst schon genug hasst. Deshalb wird es auch noch dauern, bis ich mich meiner Familie gegenüber oute. Denn auch wenn meine Mutter einmal gemeint hat, dass sie mich auch akzeptieren würde, wenn ich beispielsweise eine Frau lieben würde, bin ich doch skeptisch, dass meine Verwandten einverstanden damit wären, dass ich eben ein Junge sein möchte.
Doch sonst kann ich mich nicht beklagen. Ich habe Freunde, die mich verstehen und mit denen ich jeder Zeit über das reden kann, was mich belastet, ich habe mich mit meiner Exfreundin wieder soweit zusammengerauft, dass wir zumindest Freunde sein können und ich habe einen festen Freund, der sich nicht daran stört, dass ich eben nicht das bin, was ich zu sein scheine.
Mit diesen Menschen an meiner Seite stört es mich nicht einmal mehr, dass ich wegen meiner Transsexualität vom Gesetz her als geisteskrank gelte und mir erst eine Genehmigung von einem Therapeuten holen muss, um dass ich mit der Hormontherapie anfangen darf. Was wäre also, wenn der Therapeut mir am Ende genauso wenig glaubt, wie es meine Exfreundin getan hat? Aber vermutlich sollte ich wirklich aufhören, mir Sorgen wegen Dingen zu machen, die noch nicht passiert sind und versuchen, einfach nach vorn zu schauen.