Es ist der erste Schneefall dieses Winters. Normalerweise hätte ich mich echt darüber gefreut, denn ich liebe Schnee, Skifahren und einfach den Winter an sich. Aber nicht heute. Den ganzen Tag ist schon so viel schief gelaufen, dass meine schlechte Laune davon auch nicht besser wird. Im Gegenteil, ich bin eher genervt von den ganzen fusseligen Flocken, die mir der winterliche Wind ins Gesicht bläst.
Eigentlich hätte ich schon längst ganz gemütlich zu Hause in meinem warmen Bett mit einem schönen Buch in der einen und einer Tasse Tee in der anderen Hand sitzen können. Aber nein, ich Dussel habe dummerweise meine Noten in der Musikschule liegen lassen und muss sie jetzt noch schnell holen, bevor die letzte Stunde vorbei ist und das Gebäude abgeschlossen wird…
Endlich bin ich bei der Musikschule angekommen und drücke die dicke Tür auf, die ins Innere führt. Sofort schlägt mir von Innen warme, leicht abgestandene Luft entgegen. Ein vertrautes Gefühl, da ich ziemlich oft hier bin.
Noch bevor die Tür hinter mir wieder zuschlägt, höre ich leise Töne aus einem der kleinen Übungsräume kommen. Glück gehabt, dann ist wohl noch jemand da und ich kann meine Noten problemlos holen, freue ich mich, während ich durch den sonst leeren Flur gehe.
Vor dem Raum Nummer 17, in dem ich eher dieses Tages Unterricht hatte, bleibe ich stehen. So wie es aussieht ist es auch ausgerechnet der Raum, in dem jetzt jemand anderes sitzt und Musik macht. Ich selbst hasse es, wenn während meines Spiels wer in den Raum kommt und stört, und will ungern selbst der störende Übertäter sein. Deswegen zögere ich einzutreten und bleibe einen Moment vor der geschlossenen Türe stehen. Das Stück, was gerade erklingt kommt mir nicht bekannt vor. Aber es gefällt mir und ich bleibe noch einen Moment länger als beabsichtigt stehen, um den schönen Melodien zu lauschen. Ich wäre auch noch etwas länger vor der stehen Tür geblieben, hätte ich nicht Angst gehabt, doch noch von wem hier so blöd vor dem Raum vor mich hin träumend erwischt zu werden. Also drücke ich leise die Klinke runter und öffne vorsichtig die Tür.
Ich war aber wohl nicht leise genug, denn die Musik verstummt abrupt und zwei grüne Augen heften sich auf mich, während ich den Raum betrete. Der junge Spieler dreht sich mit einem überrascht fragenden Gesichtsausdruck zu mir um. Etwas verunsichert stammele ich, dass ich meine Noten hier vergessen habe und stürze zum Flügel auf dessen Rand sie liegen, um sie hastig aufzuklauben. Dabei rutscht mir die Hälfte der Noten wieder aus der Hand und die Blätter segeln wie in Zeitlupe auf den Boden. Mit hochrotem Gesicht mache ich mich daran, die heruntergefallenen Noten wieder aufzuheben. Der Junge sitzt weiterhin nur da, sagt kein Wort und schaut mir einfach nur zu. Er hätte mir wenigstens mal helfen können, denke ich leicht verärgert. Ich entschuldige mich murmelnd noch einmal kurz für die Störung und eile mit wehenden Notenblättern aus dem kleinen Raum.
Sobald ich draußen bin und die Tür hinter mir zugefallen ist, lehne ich mich an die Wand und schließe die Augen. Man, war das vielleicht eine peinliche Aktion gewesen! Mich hatte der Blick aus den faszinierend grünen Augen einfach total aus dem Konzept gebracht. Als ich mich auf den Rückweg mache, beginnt der Junge wieder zu spielen und eine magisch klingende Musik erfüllt das Gebäude. Ich drehe mich um und verlasse mit klopfendem Herzen das Gebäude.
Die nächsten Tage schwirren meine Gedanken dauern um das Lied, die Melodien die der Junge gespielt hat, wollten einfach meinen Kopf nicht verlassen. Und ich musste mir eingestehen, dass es nicht nur die Melodien waren. Auch der Junge selbst ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Und obwohl ich mich jetzt noch mehr als sonst in der Musikschule aufhielt, hörte und sah ich einfach nichts mehr von ihm. Auch wenn ich nichts über ihn weiß und die Chance wahrscheinlich ziemlich gering ist, ihn nochmal irgendwo anzutreffen, habe ich trotzdem noch nicht die Hoffnung aufgegeben. Vielleicht werde ich doch ihm oder einer seiner schönen Melodien irgendwann wieder über den Weg laufen.