Sie brachten Harry mit einem unregistrierten Portalschlüssel nach Malfoy Manor. Die Planungen hatten verschiedene Möglichkeiten vorgesehen: apparieren, den Portschlüssel oder flohen. Der Portschlüssel konnte nicht schiefgehen. Daher hatte sie sich dafür entschieden. Außerdem waren Portschlüssel ein Hobby von Lucius. Es erwies oft als nützlich, wenn er zwischen den verschiedenen Besitztümern wechselte. Eigentlich hasste er flohen. Man konnte sich so schnell die Kleidung mit Ruß beschmieren.
„Wow, was für ein großes Haus,“ sagte Harry beeindruckt. „Unser Zuhause. Dein neues Zuhause.“, sagte Lucius sanft. Er hockte sich vor den Jungen hin. „Hier ist Dein wahres Zuhause – Malfoy Manor. Du erinnerst Dich doch, an das was ich Dir erzählt habe. Draco, mein Sohn, freut sich schon auf. Sein Zimmer liegt direkt neben Deinem. Siehst Du dort den Balkon, der gehört zu Deinem Zimmer. Im Sommer kannst Du dort in der Sonne sitzen und mit Deinen Freunden spielen.“ Harry war sichtlich verwirrt. Kaum hörbar sagte er: „Ich habe gar keine Freunde, außer Dir.“ Milde lächelnd strich Malfoy dem Jungen über den Kopf. Severus dachte daran, dass er außer Lily, auch nie einen einzigen Freund gehabt hatte. Nur Malfoy war so etwas Ähnliches. „Du wirst bald viele Freunde haben und eine richtige Familie. Es wird genauso, wie ich es Dir versprochen habe.“ Der Junge errötete sanft. Vermutlich fiel es ihm schwer, Malfoy zu glauben.
Es blieb nur eine Frage: konnte Potter die Erwartungen erfüllen? Manor Malfoy empfing sie im zarten Licht der untergehenden Sonne. Das breite Tor öffnete sich vor dem Kind. Die ersten Blumen im Park erblühten. Das Haus hieß Potter also willkommen, dachte Snape. Welch´ eine Ironie Malfoy Manor akzeptierte Harry Potter, dachte Severus Snape, aber wer verstand schon die Magie. Potter würde die Erwartungen erfüllen, plötzlich war sich Snape dessen sicher. Lucius Zug war brillant.
Sie gingen den knirschenden Kiesweg und die majestätische Freitreppe hinauf. Draco begrüßte sie an der breiten Tür mit den schweren Schnitzereien aufgeregt. Der Junge freute sich tatsächlich, ein Geschwisterkind zu bekommen. „Du bist Harry, nicht wahr?“, fragte er charmant. Er hatte schon in diesem Alter jenes Lächeln, für das Menschen später töten würden, für das Harry später töten würde. Aber davon war an jenem Apriltag in Malyfoy Manor nichts zu sehen. „Ja. Bist Du Draco, Lucius Sohn?“, fragte Harry schüchtern. „Genau. Komm mit. Ich zeige Dir Dein Zimmer. Es ist direkt neben meinen.“ Der Malfoyerbe strahlte Glück und Begeisterung aus. Einen so stürmischen Empfang hatte Harry nicht erwartet. Er hatte überhaupt nicht erwartet, dass sich jemand über sein Hiersein freuen würde. Unsicher sah er Lucius an: „Draco ist wirklich wie ich?“ Die Vorstellung, dass es Kinder wie ihn geben könnte, erschien ihm geradezu märchenhaft. „Etwas Geduld, Draco, für Harry ist das alles noch sehr neu. Er hat sein Leben unter Muggeln verbringen müssen.“ Die Abscheu bei dem Wort „Muggel“ war deutlich zu spüren. „Was sind Muggel, Lucius?“, wollte Harry wissen. Von Anfang an wollte er alles richtig machen. „Muggel sind nicht magische Menschen – Mrs. Dursley zum Beispiel.“ Einen Moment fürchtete Harry womöglich zurück nach Little Whinging zu müssen.
„Wir alle hier sind Zauberer und Hexen. Du gehörst zu uns.“, sagte Snape ungewohnt herzlich. Er erinnerte sich an Lily und hielt das Gefühl fest. Damals hatte er ihr Herz mit einem Gänseblümchen erobert. Er zog seinem Zauberstab und berührte einen Blumenkübel, der darauf in leuchtenden Slytheringrün glühte. „Sie sind ein richtiger Zauberer.“ Harrys Herz lag so deutlich in seinem Augen. Der Sohn von James Potter strahlte Severus Snape an. All´ seine Rumtreiberfreunde konnten es nicht mehr verhindern. Harry James Potter bewunderte Severus Snape. Dieses berauschende Gefühl inspirierte den Tränkemeister zu einer großartigen Idee. „Wenn Du Dich hier eingelebt hast, erzähle ich Dir alles von Deiner Mutter. Ich bin Lehrer in Hogwarts. Das ist die Schule, die Du bald mit Draco zusammen besuchen wirst.“ Die Wunder dieses Tages nahmen kein Ende. Noch nie waren Menschen mit Harry so freundlich und herzlich umgegangen.
Lucius führte seinen Schützling ins Haus und machte ihn mit Narcissa bekannt. Lady Malfoy überwand ihre Skepsis, als sie Harrys freundliches und bescheidenes Auftreten erlebte. „So Kinder, am besten Draco zeigt Harry sein Zimmer und sein Badezimmer. Dann kannst Du ein bisschen frisch machen. Wir haben Dir ein paar Sachen von Draco herausgesucht. Morgen kaufen wir Dir eigene Kleidung. Lucius hatte mir erzählt, dass diese Muggel sich nicht um Dich gekümmert haben. Wenn Du Dich umgezogen hast, essen wir zu Abend.“
Draco rannte mit Harry die breite Treppe hinauf. Er zeigte auf eine breite grüne Tür mit einem silbern verschlungenen Draco. „Das ist mein Zimmer. Du kannst es Dir nachher ansehen.“ Etwas den Flur hinunter war eine zweite Tür. Sie unterschied sich nicht von der ersten bis auf einen Schriftzug Harry. Der Junge fuhr ehrfürchtig über das Relief. „Hier wohnst Du, Harry. Wir können aber auch die Zimmer tauschen, wenn Du lieber das andere möchtest.“
Vorsichtig trat Harry in sein neues Reich und wagte kaum zu atmen. Das Zimmer war eine silbergrüne Suite mit einem Art Spiel– und Wohnzimmer, in dem einige Spielsachen in Regalen aufbewahrt wurden, und einen Schlafbereich geteilt. Malutensilien lagen sorgsam neben Bastelsachen. Es gab im Wohnzimmer einen Schreibtisch mit Federn und Tintenfässer. Eine kleine Bibliothek mit Kinderbüchern vervollständigte den Raum. Im Schlafzimmer stand ein zauberhaftes Himmelbett mit schneeweißer Bettwäsche, in die Harrys Name gestickt war. Es gab Schränke für Kleidung und Schuhe, wie Harry vermutete. Wer konnte so viel Kleidung haben? Er fragte seinen neuen Freund: „Wo ist jetzt mein Zimmer?“ Draco verstand ihn nicht richtig: „Dein Badezimmer liegt hinter dem Schlafzimmer.“ Harry staunte: „Mein Badezimmer? Ich habe ein eigenes Badezimmer?“ Für den jungen Malfoy war diese Frage überraschend. Aber dann erinnerte er sich, was sein Vater über diese Muggel erzählt hatte und zeigte Harry, das alles in diesem Zimmer sein war.
Es hatte länger gedauert, bis Harry geduscht hatte und nun versuchte er sich die etwas zu kleinen Sachen von Draco anzuziehen. Die meisten gefielen ihm wirklich gut, auch wenn der Stil etwas altmodisch war. Hier in diesem eleganten alten Haus wirkten sie richtig. Draco sah darin fabelhaft aus, nicht wie Dudley in seinem teuren Kram. Allerdings passten sie einfach nicht. Er war ratlos. Narcissa hatte klar verlangt, dass er die neuen Sachen anzog. Aber er konnte beim besten Willen nicht hinein. Dudleys abgetragene Kleidung war zu groß gewesen. Er wollte unbedingt gehorchen und nichts falsch machen. Aber er konnte Narcissa auch nicht stören. Also schlüpfte er doch wieder in den ausgeleierten Pullover und die kaputte Jeans. Lucius kam ihm auf der Treppe entgegen: „Gefallen Dir Dracos Sachen nicht?“, fragte er sacht. „Doch sie sind sehr schön, aber zu klein.“, hauchte Harry. „Na dann müssen wir sie wohl vergrößern. Komm ich helfe Dir.“
Zauberer waren viel besser als andere Menschen, dachte Harry. Sie waren freundlich, großzügig und hilfsbereit. Lucius bat ihn sich auszuziehen, damit er die Kleidung magisch anpassen konnte. Die Aufforderung sich auszuziehen löste bei Harry geradezu Panik aus. Doch Malfoy versprach ihm, ihn nicht anzufassen. Er vertraute dem älteren Mann völlig. Mit einigen wenigen Zaubersprüchen passte Malfoy ihm die Hose und das Hemd, das er sich ausgesucht hatte, an. Die grüne Farbe des Hemdes passte perfekt zum Grün seiner Augen. „Lucius, darf ich wirklich hier bleiben?“, fragte er nochmals schüchtern. „Ja. Du gehörst zu uns. Niemand kann uns trennen. Aber jetzt gibt es Abendessen. Severus bleibt noch, weil wir ein kleines Willkommensgeschenk für Dich haben. Es wird Dir sicher gefallen.“ Auf einmal sammelten sich in den schönen, grünen Augen Tränen: „Du hast mir schon soviel geschenkt und ich hab´ gar nichts für Dich.“ Malfoy zog den Jungen sacht an sich: „Wenn Du fleißig lernst und uns stolz machst, reicht es völlig. Versprichst Du mir das? Fleißig zu lernen und immer zu gehorchen?“ Harry nickte und stimmte aus tiefstem Herzen zu.