Albus Dumbledore liebte es von Herzen Schulleiter von Hogwarts zu sein. Jungen Hexen und Zaubereren das Rüstzeug für ein gutes Leben mit auf den Weg zugeben war seine persönliche Erfüllung. Leider war auch an einer Zauberschule ein gewisses Maß an Bürokratie unabdingbar. Er erledigte sie immer zuerst, damit er es hinter sich hatte. Zu dieser Bürokratie gehörte unter anderem das Versenden von Einladungen für die Erstklässler. Er arbeitete sich langsam durch die Liste magisch geborener Kinder von Hannah Abbot bis zum Blaise Zabini. Natürlich schrieb er zuerst die Anreden auf die Briefe. Danach machte er sich an die Adressen. Er las noch einmal den Namen Harry James Potter und schrieb die Adresse, die er komplett auswendig kannte, auf den Umschlag:
Mr H. Potter
Im Schrank unter der Treppe
Ligusterweg 4
Little Whinging
Surrey
Er versiegelte den Brief und tippte mit seinem Zauberstab darauf. Dann passierte etwas Unerwartetes: die Anschrift änderte sich von selbst.
Mr. H. Potter
Harrys Suite
Erster Stock Südflügel
Malfoy Manor
Yorkshire
Albus rieb sich überrascht die Augen. Welche Illusion oder Vision begegnete ihm? Er nahm einen seiner geliebten Schokofrösche, packte ihn aus und sah wieder auf den Umschlag. Dort stand noch immer
Mr. H. Potter
Harrys Suite
Erster Stock Südflügel
Malfoy Manor
Yorkshire
Hatte er einen Fehler gemacht? War es eine Täuschung? Er nahm den Umschlag und steckte ihn nachdenklich ein. Die Magie irrte nie, dachte er. Vielleicht sollte er herausfinden, was das bedeutete. Er sollte auf jeden Fall herausfinden, wie Harry Potter nach Malfoy Manor kam. Lucius Malfoy kochte sein eigenes Süppchen. Nur welches? Er beschloss einen spontanen Besuch im Ligusterweg zu unternehmen.
Harry erwachte gegen sechs Uhr. Er kuschelte sich noch einmal tief unter seine Decke. Das Himmelbett duftete nach Pfefferminz und Zitronenmelisse. Beides waren Zutaten aus seinem Zaubertränkekasten. Im Haus herrschte noch Stille. Hier in Malfoy Manor benahm man sich ruhig und sehr fein. Er würde viel üben müssen, um sich so fein zu benehmen. Am Besten fing er gleich damit an. Schließlich musste er sehr viel aufholen. Zum Glück wusste Lucius nicht, dass Harry kein sehr guter Schüler war. Vermutlich hätte er ihn dann gar nicht mitgenommen, sondern sich ein anderes Kind gesucht. Jemand, der so reich und liebevoll wie die Malfoys war, konnte sich bestimmt auch ein besonderes Waisenkind aussuchen. Er war ja nur Harry. Nun ja. Vielleicht durfte er hierbleiben, wenn er sich richtig anstrengte.
Der Junge hüpfte unter die Dusche in seinem Badezimmer. Die Kacheln hier waren aus einem grünen Stein gefertigt. Draco hatte ihm erzählt, dass es sich um Malachit handelte. Überhaupt gab es hier sehr viele Dinge in Grün oder Schwarz oder Silber. Das warme Wasser lief über seinen Körper. Er schäumte sich gründlich ein. Auch das Duschgel roch nach Zitronenmelisse und Pfefferminz. Er dachte darüber nach, das Grün eine sehr schöne Farbe war. Seine Augen waren auch grün, vielleicht bedeutete es etwas Gutes grüne Augen zu haben. Er kuschelte sich in einen weichen, großen Bademantel. Lucius hatte sich gestern Abend noch um die passende Größe gekümmert. Lucius Malfoy – sein Vater.
Lucius hatte gestern gesagt, was er sich wünschte. Harry sollte sehr fleißig arbeiten. Leider hatte der Junge keine richtige Idee. Sein kleiner Bauch knurrte, also hatte er Hunger. Unentschlossen schaute er sich im Zimmer um. Um diese Zeit durfte man bestimmt niemanden wecken und bestimmt durfte man auch nicht in Küche schlüpfen, um etwas zu stibitzen. Diese Hauselfen würden vielleicht petzen, dann wären Narcissa und Lucius sicherlich enttäuscht. Ein bisschen Hunger machte doch nichts aus. Er war ihn ja gewöhnt und außerdem hatte es ein tolles Abendessen gegeben. Jedenfalls würde er genau hierbleiben bis es sieben Uhr wäre. Narcissa hatte gestern erklärt, dass es das Frühstück immer um sieben gab. Er blieb unruhig im Bademantel mit nackten Füssen vor dem Bücherregal stehen. Er sollte Magie lernen, das hatte er zumindest verstanden. Also wählte er ein hübsches Buch mit dem Titel: „Abrakadabra – kleine magische Übungen für Anfänger“ und begann es zu lesen.
Harry lag vollkommen vertieft in das Buch auf dem Bett und wiederholte die Sätze der Zaubersprüche. Im Prinzip waren diese Formeln nicht viel anders, als die Formeln in seinen früheren Büchern. Er konnte schon immer gut auswendig lernen, also würden die Formeln kein Problem darstellen. Das Bauchgrummeln ignorierte er ganz gut. Ein leises Klopfen unterbrach seine Konzentration. „Herein.“, sagte er ohne hochzuschauen. Diese Seite war einfach zu spannend.
„Master Potter, wünschen Sie Pfannkuchen oder lieber Eier zum Frühstück, Sir? Vielleicht Orangensaft oder Kakao? Mistreß Malfoy sagte, Dobby soll den jungen Master fragen, was er frühstücken möchte.“ Harry blickte sich fassungslos, nach dem Frager um. Der kleine Hauself redete ihn mit Master an. Natürlich hatten die Hauselfen gestern die Malfoys mit Master und Mistreß angeredet, aber er war doch nur Harry. Ratlos kratzte er sich am Ohr. „Sie sind Dobby?“, fragte er um das Schweigen zu überbrücken. „Ja, Sir.“, beschied ihn der Elf skeptisch, wobei er seinen großen Kopf schief legte. „Hmmm. Ich möchte am liebsten einen Pfannkuchen mit Marmelade, wenn es keine Umstände macht und Kakao.“ Jetzt kratzte sich der Hauself ratlos am Ohr. Was sollte es bedeuten: wenn es keine Umstände machte. Er entschloss sich besser noch einmal zu fragen: „Master Potter, Sie möchten Pfannkuchen mit Marmelade und Kakao, Sir?“ Harry lächelte ihn freundlich und vergrößerte die Verwirrung dann: „Ja, aber nur wenn es Ihnen keine Arbeit macht.“ Dobby wurde natürlich nie gesiezt und es interessierte niemanden, wie viel er zu tun hatte. Offensichtlich war Master Potter ein ungewöhnlich freundlicher Herr. Dobby würde sich viel Mühe geben, damit er den jungen Master nicht enttäuschte. „Dobby erledigt es sofort. Das Frühstück ist dann gleich fertig, Sir.“ Harry strahlte wieder einmal und sagte etwas Unvorstellbares: „Danke, Dobby. Sie sind toll.“ Mit einem Singen im Herzen apparierte Dobby in die Küchen. Harry zog sich die Sachen vom gestrigen Abend an und lief die Treppe mit dem Buch in der Hand hinunter.
Lucius fing ihn ab und nahm ihn in den Arm. „Guten Morgen, Harry. Ausgeschlafen? Was liest Du denn Schönes?“ Stolz zeigte Harry ihm das Buch. Natürlich lobte ihn Lucius auch sofort, aber dann sagte er etwas, dass Harrys Herz stehenbleiben ließ: „Zum einem richtigen Zauberer fehlt Dir allerdings noch etwas…“ Alle Farbe verschwand aus dem Kindergesicht. „Ein Zauberstab.“, sagte sein Vater lächelnd. „Aber den kaufen wir Dir schon heute, auch wenn Du ihn erst in der Schule benutzen darfst. Hast Du Dich erschreckt, Schatz? Oh. Das wollte ich nicht.“ Nach diesen ganz kurzen Schrecken schmeckten die Pfannkuchen mit Erdbeermarmelade noch mal so gut. Harry verspeiste gleich zwei.
Narcissa betrachtete Harry eingehend. Er hatte tatsächlich slytheringrüne Augen, wie Lucius es im Bett erwähnt hatte. Die Brille hatte denselben unsagbaren Zustand, wie seine Kleidung. So würde sie sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen. „Gibst Du mir bitte mal Deine Brille“, bat sie nachdrücklich. Harry reicht sie hinüber. Nur ein kleiner Tipp mit dem Zauberstab und ein deutliches „Reparo!“ reparierten den Pflaster geflickten Bügel und passten die Sehstärke an. Noch immer missbilligend stellte Narcissa fest: „Du brauchst eine passende Brille. Wir bestellen heute eine beim Optiker.“ Die Selbstverständlichkeit mit der Narcissa und Lucius bereit waren, ihm Dinge zu kaufen, überwältigte ihn immer wieder.