Der Traumlostrank schmeckte ein wenig nach dem ekligen Teebaumöl, das sich Tante Petunia immer ins Gesicht schmierte, um hübscher zu werden. Dudley hatte mal etwas von diesem Zeug in Harrys Zahnputzbecher gekippt - auch so eine Sache, an die Harry lieber nicht dachte. Er trank das Medikament ohne abzusetzen oder auch nur eine Miene zu verziehen. „Sehr gut, Harry. Severus wird sehr stolz auf Dich sein, weil Du nicht jammerst.“, sagte Lucius und meinte es tatsächlich so. Der Junge hatte eine Menge Willenskraft und Kampfgeist. Seine Eltern warteten bei ihm der Traumlostrank wirkte. Selbstverständlich hatten sie Harry versprochen, abends wiederzukommen, wenn er wieder wach wäre. Er schlief ruhig unter der Narkose und spürte die Zauber, die alten Brüche wiederöffneten nicht. Heiler Summer wusste sehr genau, was er tat und tat es gut. Er fixierte den Jungen, damit er sich nicht unabsichtlich beim Aufwachen verletzte. Den Skelewachs musste er im wachen Zustand verabreicht bekommen und erst dann würden die Knochen heilen. Zum Glück dauerte es in der Regel nicht lange, bis die Dinge in Ordnung kamen.
Damit der Junge beim Aufwachen nicht allein wäre, schob die Krankenschwester Mrs. Skyes das kleine Bett zu dem einzigen anderen Patienten, den sie hatten. Es handelte sich um einen sehr netten rothaarigen Jungen, der wegen eines Unfalls bei Quidditch hier war. Seine Eltern hatten ihn zu Heiler Summer gebracht, weil die St. Mungo Kinderstation wegen eines Ausbruchs von Feenhusten überfüllt war. Eigentlich behandelte Heiler Summer nur Privatpatienten, aber er hatte noch nie ein Kind abgewiesen, das Hilfe brauchte.
Harry wachte gegen sechs Uhr abends auf und hatte einen schweren Kopf. Die Überwachungszauber von Summer funktionierten tadellos. Er sah direkt nach seinem kleinen Patienten. „Hallo Harry, wie fühlst Du Dich?“, fragte er bereits beim Eintreten. „Gut, Sir. Mir tut aber alles weh.“ Das war die reine Wahrheit. Insgesamt mussten Harry das linke Handgelenk, der rechte Oberschenkel und Unterarm, die dritte Rippe von unten rechts und das Schlüsselbein gebrochen werden.
Mr. Summer setzte sich zu dem Jungen. „Normalerweise können Heiler Knochenbrüche mit einem einfachen Zauber wiederzusammen wachsen lassen. Weil Deine Knochen aber schief zusammengewachsen waren und sie nun zweimal gebrochen sind, müssen wir Skele- Wachs verwenden. Er richtet auch die Verkrümmungen, dann wirst Du noch besser beim Quidditch. Dein Dad hat mir erzählt, dass Du viel Talent dafür mitbringst. Du musst diesen Trank jetzt austrinken.“ Harry richtete sich vorsichtig auf und der Heiler hielt ihm einen Becher mit dem überriechenden Saft an Lippen. Der Junge trank ohne Zittern oder Beschweren den Becher leer. Er bekam noch etwas Pfefferminztee hinterher, damit der üble Geschmack nachließ.
Jetzt erst bemerkte Harry, dass er nicht allein im Zimmer war. Direkt ihm gegenüber lag ein anderer Junge in seinem Alter. Er hatte leuchtendrotes Haar, ein paar Sommersprossen direkt auf der Nase und wirkte sehr nett. „He, cool Du bist endlich wach. Ach übrigens ich bin Ron.“ Die sympathische und freundliche Art mochte Harry sofort. „Hi, ich bin Harry. Warum bist Du hier?“, fragte er also. „Heute Mittag habe ich Quidditch mit meinem ältesten Bruder gespielt. Da bin ich vom Besen gefallen und ziemlich blöd gelandet. Vierfacher Splitterbruch – deshalb reichte ein Zauber nicht aus und ich muss Skelewachs – trinken. Den hast Du ja auch schon probiert.“ Dieser Ron grinste nett.
„Du spielst auch Quidditch?“, fragte Harry ziemlich begeistert. Dann biß er die Zähne zusammen, weil das Knochenheilmittel zu wirken begann. Es tat scheußlich weh, vor allem die Rippe. „Ja. Sehr gerne. Wenn meine Brüder in den Ferien aus Hogwarts zurückkommen, spielen wir allen zusammen mit unserem Dad.“ Harry konnte nicht vorstellen, dass Lucius Quidditch spielen würde und auch Severus sicher nicht. „Ich spiele mit meinem Bruder Draco.“ Es war das erste Mal, dass Harry von Draco als seinem Bruder sprach, fiel ihm auf. Ein tiefes, warmes Gefühl überschwemmte ihn in diesem Moment. Wie jeder andere Junge hatte er eine Familie und ein Zuhause. Sein Zuhause war Malfoy Manor.
„Hattest Du auch einen Unfall beim Quidditch?“, fragte Ron ehrlich interessiert. Wahrheitsgemäß verneinte Harry ohne näher darauf einzugehen, weshalb er tatsächlich hier behandelt werden musste. Die zusammenwachsenden Knochen verursachten Schmerzen, aber er verzog keine Miene. Severus sollte stolz auf ihn sein. Er fachsimpelte etwas unsicher mit Ron über Quidditch. Zum Glück hatte ihm Draco schon vieles über Mannschaften und Spielzüge erzählt.
Eine ganze Weile später trudelten die Malfoys endlich ein. Lucius warf nur einen kurzen Blick auf den schlanken Jungen im Bett gegenüber: „Harry, ich bin gleich wieder da. Ich möchte nur kurz noch einmal mit Mr. Summer sprechen.“, sagte er ohne erkennbare Regung. Narcissa hatte ihm eine Menge Süßigkeiten mitgebracht, obwohl sie zu viel Süßigkeiten nicht gut fand. Da er sein Handgelenk nicht benutzen sollte und auch so still liegen musste, tat sie dasselbe, was sie an Dracos Krankenbett getan hatte. Sie nahm das Buch „Legenden über Merlin, den Zauberer“ und las eine Geschichte daraus vor. Ihre Stimme klang klar und weich. Man merkte ihr ihre Jahre zurückliegende Gesangsausbildung an. Die drei Jungs im Zimmer schwiegen ehrfurchtsvoll. Obwohl Draco die Geschichte beinahe auswendig konnte, hörte er seiner Mutter gerne zu.
Ron war ein wenig neidisch, weil er selten so viel Aufmerksamkeit von seinen Eltern bekam. Seine Eltern liebten ihn sehr, hatten aber mit allen ihren Kindern immer viel zu tun. Sie waren sieben Geschwister – eine richtige, herzliche Großfamilie. Die Eltern dieses Jungen mussten sehr reich sein, dass sah man an ihrer Kleidung. Allein der Gehstock des Vaters mit dem Schlangenkopf musste ein Vermögen gekostet haben. Trotzdem war Harry richtig nett und überhaupt nicht arrogant. Der Mann, der sein Vater sein musste, wirkte aber sehr unangenehm.
Nachdem die Geschichte zu Ende war, kam Lucius wieder herein. Er unterhielt sich mit Harry, sodass dieser nur am Rande mitbekam, wie der andere Junge in ein anderes Zimmer verlegt wurde. „Heiler Summer hat mir erzählt, wie toll Du Dich gehalten hast. Gut gemacht. Wenn alles erwartungsgemäß abheilt, können wir Dich morgen schon wieder mitnehmen. Diesen Junge eben mochtest Du ihn?“, fragte Lucius beiläufig. „Er heißt Ron und hatte einen Quidditchunfall.“, antwortete Harry nicht direkt. Narcissa deutete den Blick ihres Mannes vollkommen korrekt. „Er ist ein Weasley. Ich habe Mr. Summer gebeten, ihn zu verlegen, damit Du Deine Ruhe hast. Später wollte ihn seine gesamte Familie besuchen. Das fand ich ein bisschen viel.“ Irgendwie schade das, ein so netter Junge ein Weasley war, dachte Harry.