Der Dogenpalast verbarg eine magische Barriere zur Zauberseite von Venedig. Nach einem fast einstündigen Vortrag über die Geschichte Italiens bummelten sie gemütlich durch die magischen, venezianischen Einkaufsviertel. Eine Gondel brachte sie von Geschäft zu Geschäft, da der magische Teil der Stadt komplett im Wasser lag. Die Gebäude hatte man auf Pfählen erbaut, und Wassermenschen schwammen an den Gondeln entlang. Harry bewunderte die Geschöpfe, die an ihnen vorbeizogen.
Sie lebten friedlich neben den Zauberern und Hexen Venedigs. Für Draco waren sie nichts Besonderes. Er freute sich auf die interessanten Geschäfte, die so anders waren als die in der Winkelgasse. Sie besuchten einen Laden für Quidditchausrüstung. Markus konnte die Vor – und Nachteile jedes einzelnen Rennbesens genau benennen. Endlich gab es ein Thema, von dem er etwas verstand. Lucius hörte ihm interessiert zu und ließ sich geduldig die Schwächen der Schulbesen erklären. Dann notierte er etwas in dem schwarzen Notizbuch, dass er ständig mit sich führte. Marcus war überrascht, dass ihm ein Erwachsener so viel Aufmerksamkeit schenkte. Er genoss diese Aufmerksamkeit wirklich und erzählte daher mehr über Spielzüge und Spieltheorie. Narcissa überraschte das plötzliche Interesse ihres schöngeistigen Mannes an Quidditch, aber sie schwieg dazu.
Severus langweilte sich nicht lange, weil Harry ihn nach dem Leben der Wassermenschen fragte. Der Professor bemerkte, dass er selbst nicht besonders viel über diese merkwürdigen Geschöpfe wusste und lenkte das Gespräch bald auf Alchemie zurück. „Ich habe ganz viele interessante Sachen in dem Kompendium gefunden.“, erzählte ihm Harry. „Was hat Dich am meisten beeindruckt?“, fragte der Professor, beruhigt darüber, das Thema Wassermenschen hinter sich gelassen zu haben. „Mir gefällt am besten, wie unterschiedlich die Dinge sind, die man mit Tränken, Pasten und Salben machen kann. Toll fand ich das Sonderkapitel über die Theorie vom Stein der Weisen. Geht das wirklich? Kann man einen solchen Stein herstellen?“ Severus Antwort fiel verhalten aus: „Seit Jahrhunderten suchten Muggel und Zauberer nach dem Stein der Weisen. Einigen sehr wenigen gelang die überaus komplizierte Herstellung. Sie benötigt unzählige Arbeitsschritte und Destillationsvorgänge, bei denen man außergewöhnlich genau arbeiten muss. Viele nützliche Dinge wurden bei der Suche nach dem Stein der Weisen gefunden, zum Beispiel das Porzellan oder Phosphor.“ Die weiteren, langwierigen Erläuterungen gefielen dem Jungen. „Wenn wir dann in Hogwarts sind, “ fragte das Kind, „dürfen wir Dich dann besuchen?“ Severus nickte zustimmend. Er mochte das freundliche, zurückhaltende Wesen von Harry. Der Junge unterschied sich wohltuend von seinem leiblichen Vater.
Sie versanken ins Gespräch und merkten kaum, wie sie durch die Kanäle glitten. Das Plätschern des Wassers und der anderen Gespräche drang kaum zu ihnen. Harry hatte tausend Fragen, die Severus geduldig beantwortete. Der Professor fragte sich, was wohl passierte, wenn Harry nicht nach Slytherin käme. Er verdrängte den Gedanken, der ihm Unwohlsein bereitete.
Abends badeten die Jungs wieder im Pool. Besonders Draco liebte das warme Wasser und die beeindruckenden Skulpturen. Die ruhige Atmosphäre dieses italienischen Sommers färbte auf die Jungs ab. Sie redeten leise miteinander und plantschten.
Marcus gewann etwas Zuversicht für das kommende Schuljahr. Er schwamm schnell und exakt, um seine Fitness weiter auszubauen. Endlich hatte er Freunde, die sich nicht heimlich über ihn lustig machten. Vielleicht konnte er sogar mit einem von ihnen Schachspielen. Er spielte es gerne, weil ihm der analytische Ansatz, der dem taktischen Spiel Quidditch nicht unähnlich war, gut lag. Allerdings spielte niemand mit ihm Zauberschach, weil ihn die meisten für zu dumm hielten. Dabei war er ein guter Spieler. Er zog eine letzte Bahn im Pool und stieg aus dem Wasser. „Draco, spielst Du Zauberschach?“, wollte er wissen. Draco bestätigte ein wenig schläfrig auf der weichen Liege. Er hatte sich in ein riesiges Handtuch gekuschelt und trank Kürbissaft. „Wir können morgen spielen. Ich habe ein Kreuzschach – ein Vierer-Brett. Dann können wir drei mit Mum spielen. Das ist allerdings ziemlich schwierig. Sie spielt richtig gut.“ Harry staunte nicht schlecht: „Man kann zu viert Schach spielen?“ Marcus erklärte die ziemlich komplizierten Regeln. Sein jüngerer Freund begriff sie nicht, aber die Jungs waren sich einig, das Spiel zusammen mit Narcissa zu probieren.
Draco dachte im Halbschlaf an seine bisherige Kindheit, in der er sich oft allein gefühlt hatte. Seitdem Harry da war, hatte er diese Einsamkeit verloren. Er träumte ein bisschen vor sich hin vom Fliegen mit seinem Bruder. Sie flogen hoch oben durch die Quidditchringe und jagten dabei in den Himmel. Der Himmel jedoch verdunkelte sich plötzlich. In den Wolken zeichnete sich ein grausames Gesicht ab, dominiert von bösen, kalten, roten Augen, die sich tief in seine Seele fressen wollten. Draco erschrak und erwachte ängstlich. Noch immer lag er in dem weichen Handtuch. Sein Atem ging heftig und sein Herz schlug bis zum Halse. Erst sein Blick auf seinen Bruder beruhigte ihn etwas. Er ärgerte sich, dass er sich erschreckt hatte und nahm einen tiefen Zug Kürbissaft zu Beruhigung.