Wie üblich erwachten die Jungs gegen sechs Uhr und damit weit vor ihren Schulkameraden. Beide lächelten sich an, nachdem sie die schweren, grünen Samtvorhänge zurückgeschoben hatten. Draco und Harry huschten durch das Bad und schlüpften in ihre funkelnagelneuen Schuluniformen. Stolz banden sie sich die obligatorischen Slytherinkrawatten um. Dann stellten beide fest, dass sie bis zum Frühstück und vor allem zum Unterrichtsbeginn noch ziemlich viel Zeit hatten. Sie kümmerten sich um ihre Tiere und vereinbarten, dass jeder immer eine Woche für beide Tiere sorgen sollte. Diese Entscheidung führte zu Konsequenzen, die keiner von ihnen je erwartet hätte.
Ihr Stundenplan begann an diesem Morgen mit einer Doppelstunde Zaubertränke gemeinsam mit Gryffindor. Im Anschluss folgte Zauberkunst bei Professor Flitwick. Eine Doppelstunde Verwandlung wiederum zusammen mit Gryffindor sollte den Schultag beenden. „Ziemlich kurzer Tag.“, meinte Draco lächelnd. Harry zuckte mit den Schultern: „Dann können wir direkt Hausaufgaben machen und mit den Zusatzaufgaben von Mr. Eleven anfangen.“ Sie saßen im Gemeinschaftraum und blätterten durch ihre Bücher. „Ihr würdet auch prima Ravenclaws abgeben.“, frotzelte Marcus freundlich. Er konnte das Trollblut in seinen Adern nicht verleugnen, hatte aber einen recht gutmütigen Charakter. „Ravenclaw ist gar nicht so schlecht.“, wandte Draco ein. „Hauptsache nicht Gryffindor…“, stimmte Harry zu. Zu dritt gingen sie zum Frühstück, wobei ihnen Marcus versprach, sie direkt danach zum Klassenraum für den Zaubertrankunterricht zu bringen. Sein Unterricht begann erst zur zweiten Stunde.
In der Großen Halle kamen sie ziemlich früh, vor allen anderen Schülern, an. Albus Dumbledore frühstückte an seinem Platz am Lehrertisch. Nun erst nahm Harry den alten Mann wirklich wahr. Dumbledores Bart hing schneeweiß und beeindruckend lang vom Kinn bis zur Brust. Seine türkisfarbenen Augen blickten freundlich durch die Halbmondgläser der Brille. Die Malfoybrüder grüßten höflich, auch wenn sie Albus nicht unvoreingenommen gegenüberstanden. Harry wusste, dass dieser Mann sich wiederholt dagegen ausgesprochen hatte, dass er von seinen Verwandten fort konnte. Mr. Myers hatte es dem Jungen in Vorbereitung auf den Sorgerechtsprozess erzählt.
Kurz bevor sie mit dem Frühstück fertig waren, trudelte Friedrich, die Familieneule der Malfoys, am Slytherintisch ein. Sie brachte einen sehr stolzen Brief von Narzissa und Lucius und ein Päckchen mit Kleinigkeiten mit. Draco bemerkte beim Auspacken des Päckchens einen neidischen Blick von Ronald Weasley, der inzwischen am Gryffindortisch Cerealien mampfte. Es blieb unklar, ob der Neid dem Päckchen oder der mächtigen Adlereule galt. Vermutlich beides, dachte Draco. Ihm fiel auf, dass das Mädchen, mit dem Harry gestern gesprochen hatte, etwas abseits der anderen Gryffindors saß.
Die drei Slytherins machten sich rechtzeitig auf den Weg zum Zaubertränkeunterricht. „Vielleicht können wir uns noch kurz mit Severus unterhalten, bevor die anderen kommen.“, hoffte Harry. Diese Aussicht beflügelte alle drei. Marcus bedauerte stumm, dass er kein Erstklässler mehr war. Mit Draco und Harry zusammen wären die letzten Jahre besser verlaufen.
Tatsächlich bereitete Severus Snape bereits seinen Unterricht vor, als die Jungs ankamen. „Sehr gut, dass Du die jüngeren Schüler unseres Hauses hierher begleitet hast, Marcus.“ Zum ersten Mal seit seiner Einschulung in Hogwarts bekam Marcus Flint ein Lob für etwas anderes als Quidditch. Er wurde rot. Auch weil Severus die Gelegenheit nutzte und 2 Punkte, mehr konnte er dafür beim besten Willen nicht geben, für Kameradschaft an Slytherin vergab.
Draco und Harry durften sich in die erste Reihe nebeneinander setzen und packten ihre Sachen aus. Der dritte Platz in der ersten Reihe blieb frei. Nach und nach trudelten die anderen Slytherins ein. Theodore und Blaise teilten sich eine Bank genauso wie Pansy und Millicent. Auch die meisten Gryffindors erschienen gut gelaunt und pünktlich. Hermine wirkte etwas unschlüssig, wohin sie sich setzen sollte. Ein spontanes Lächeln von Harry brachte sie dazu, sich auf dem freien Platz rechts von ihm auszubreiten.
Severus Snape begann die Stunde mit dem gewohnten, strengen Einführungsteil. Soeben fragte er die Klasse: „Wer weiß, was ein Bezoarstein ist und wozu man ihn verwendet?“ In der ersten Reihe erhoben sich drei Hände, während der Rest der Klasse angestrengt Löcher in die Luft starrte. „Mr. Potter, bitte.“, forderte Professor Snape Harry zum Reden auf. Er war etwas neugierig, inwieweit Harry sich bereits mit dem Thema auseinander gesetzt hatte. „Bezoar leitet von persisch bazahr, „Gegengift“ ab.“, begann Harry ruhig. „Es ist eine Verklumpung, die aus verschluckten unverdaulichen Materialien wie Haaren im Magen von Greifvögeln oder Katzen nach dem Verschlingen von Beutetieren gebildet wird. Die unverdaulichen Fell-/Haar-Reste werden nach einiger Zeit hochgewürgt und ausgeworfen. Ist die Bezoar-Kugel durch ihren langen Aufenthalt in Magen oder Darm von einer harten Kruste überzogen, so nennt man sie Bezoarstein*. Man verwendet ihn bei der Herstellung von sehr potenten Gegengiften oder seine Asche zur Destillation von Stärkungstränken. Außerdem benötigt man einen Bezoarstein für die Pflege von sehr jungen Drachen…“
Harry hätte noch weitergesprochen, wenn nicht in diesem Moment Ronald Weasley und Neville Longbottom eingetreten wären. „Danke, Mr. Potter. Sehr gut. Das sind 5 Punkte für Slytherin für gutes Wissen. Erfreulich, dass die Herrn aus Gryffindor sich auch schon einfinden. 10 Punkte Abzug für Gryffindor wegen Zuspätkommens.“ Severus Stimme wechselte von freundlich anerkennend zu eisig schneidend. Ron machte den Fehler sich für die Verspätung zu rechtfertigen: „Nevilles Kröte war weg. Wir mussten sie wiederfinden.“ Diese Aussage kostete Gryffindor weitere 5 Punkte und brachte Ron gleich am ersten Schultag eine Strafarbeit ein. Die Slytherins begannen, den Unterricht bei ihren Hauslehrer wirklich zu mögen.