Hedwig kuschelte ihr Köpfchen an Harrys Hals und knabberte an seinem Ohr. Beide mochten die Schmusestunden sehr. Die Jungs hatten ihr aus der Küche vor dem Abendessen ein paar rohe Geflügelstreifen besorgt und für Rudi seine geliebten Zirbelnüsse. Ohne Marcus Hilfe hätten sie die Küche natürlich nicht gefunden. Auch wenn die Hauselfen in Hogwarts nicht perfekt erzogen waren, wie Draco meinte, stellten sie das Gewünschte sofort zusammen. „Vielen Dank“, sagte Harry beim Abschied und beschloss seinen Eltern und auch Dobby morgen vor dem Frühstück zu schreiben. Bisher hatte er sich noch nicht für Dobbys Geschenk bedankt, fiel ihm siedend heiß ein. Nachdem nun die beiden Haustiere versorgt und geschmust worden waren, ließen die Jungs Hedwig in die Nacht hinaus. Rudi blieb in seiner Voliere und zwitscherte lieblich.
Im Slytheringemeinschaftsraum erwarteten Blaise und Marcus die Brüder. „Wann fängt das Training an“, fragte Draco beiläufig. Marcus errötete heftig. Seine Angst, die Malfoys würden nun doch nicht in Mannschaft wollen, stellte sich als völlig unbegründet heraus. Zwar hatte er seinem Team bereits gesagt, das er den Sucher und einen Jäger neu besetzen würde. Es gäbe für beide Positionen bereits festgelegte Spieler – also kein Auswahlspiel. Aber das Gespräch war sehr schlecht gelaufen. Zum Glück hatte er Madame Hooch zur Unterstützung mitgenommen. Sie kannte seinen Vater sehr gut. Mr. Flints Urteil zum Talent von Quidditchspielern konnte man blind vertrauen. Außerdem vermutete sie, wie es Marcus zu Hause erging.
„Professor Snape und Mr. Flint haben gemeinsam entschieden, das die beiden Plätze entsprechend vergeben werden. Darüber gibt es nichts zu diskutieren.“, verkündete sie energisch. Den Nachmittag über konnte Marcus an nichts anderes denken. Wenn Draco und Harry jetzt nicht mehr gewollt hätten, würde ihn Slytherin hassen. „Wir fangen Samstag offiziell an. Am Sonntag treffen wir drei von 07:00 bis 12:30 zum Trainieren. Nach dem Mittag machen wir bis 16:00 Uhr weiter. Dann habt ihr leider nicht viel Freizeit am Sonntag. Aber mit Eurem Zusatzstundenplan geht es nicht anders, hat Professor Snape gesagt. Das Feld hat Madame Hooch uns reserviert. Ihr beide müsst aber am Samstag noch zu Madame Hooch. Sie will selbst sehen, wie gut ihr fliegt, damit nichts schief geht.“ Harry lächelte verständnisvoll: „Quidditch ist doch einfach Spaß. Kein Problem.“
Die älteren Slytherins gratulierten ihren berühmten Neuzugang beim Abendessen zu den ersten Punkten für den Hauspokal. „Wir gewinnen beides“, meinte Theodore Nott cool: „Den Hauspokal und die Hausmeisterschaft.“ Man war sich darüber einig. Harry aß gutgelaunt Hühnchen mit Gemüse und sah dabei zum Gryffindortisch hinüber. Ronald Weasley saß neben diesem eigenartigen Neville und bei zwei Jungs, mit denen er offensichtlich verwandt war. Er erinnerte sich nicht mehr, an die genauen Verwandtschaftsverhältnisse der Weasleys. Die Tatsache, dass er sie von seinem Vater erklärt bekommen hatte, sich jedoch nicht mehr erinnerte, ärgerte ihn kolossal. Harry versuchte sich an die Namen zu erinnern. Diese Zwillinge, wie hießen sie gleich? Es fiel ihm nicht ein. Dann entdeckte Draco Hermine, die sich mit einem blonden Mädchen an ihrem Tisch stritt. „Was haben die Gryffindors denn?“, fragte er. Man zuckte mit den Schultern. Letztlich verloren sie die Angelegenheit aus den Augen. „Wir müssen los, Draco. Professor Snape wartet auf uns.“ Zeitgleich mit ihnen standen Ronald Weasley, der noch zum Nachsitzen musste, und Hermine Granger auf. Bevor die Slytherins jedoch losgehen konnten, fing Blaise sie ab. „Wir spielen nachher Schach. Kommt Ihr dazu, wenn ihr fertig seid?“ „Unser Unterricht geht bis 21:30. Wenn Ihr dann noch Lust habt – gerne.“ Draco spielte ziemlich gut Schach. Er hatte das Talent seiner Mutter geerbt.
Hermine ärgerte sich, dass Ron merkte, dass sie ebenfalls auf dem Weg zum Tränkelabor war. Prompt sprach der rothaarige Junge sie an: „Was machst Du denn hier?“ Sie hob trotzig ihren Kopf. „Ich bin hier verabredet.“, beschied sie ihn kühl. Dann kamen die Malfoybrüder um die Ecke. „Habt Ihr Musterschüler jetzt auch ein Nachsitzen?“, wollte Ron wissen. Harry ignorierte ihn und war froh, dass er nicht in die Familie Weasley gekommen war. Sein Bruder bekam zumindest keine Strafarbeiten auf. Er klopfte an die Tür zum Labor. Severus öffnete und blickte irritiert auf das Gryffindormädchen mit dem Wuschelkopf. „Miss Granger, was machen Sie hier?“ Draco schenkte ihm sein bestes Lächeln: „Hermine möchte mit uns am Zusatzunterricht teilnehmen. Sie findet Zaubertränke super interessant.“
Dieses Anliegen überraschte Severus. Gryffindors nahmen in der Regel keinen freiwilligen Zusatzunterricht – in keinem Fach. Bei Ravenclaws oder Hufflepuufs kam soetwas gelegentlich vor. Slytherins nahmen Förderstunden nur vor den Prüfungen. Er überlegte kurz, was Lucius dazu sagen würde. Eine Muggelgeborene, die zusammen mit seinen Söhnen lernte, könnte Lucius Interessen zu widerlaufen. Andererseits schienen beide Jungs von der jungen Dame beflügelt zu werden. Außerdem war sie blitzgescheit. „Miss Granger, wenn Sie wirklich konsequent mitarbeiten und dem Lerntempo gewachsen sind, können Sie teilnehmen. Sollten Sie uns jedoch behindern, werde ich Sie ausschließen.“ Hermines Augen leuchteten glücklich: „Danke, Professor. Sie sind sehr liebenswürdig.“ Noch nie – in all den Jahren als Lehrer in Hogwarts hatte ein Gryffindor Severus liebenswürdig genannt. Obwohl seine Miene unbewegt blieb, berührte ihn dieser Satz. „Nun wir haben genug getrödelt. Fangen wir an!“
Die drei Freiwilligen nahmen ihre Plätze in der ersten Reihe ein und bauten die bereits an der Tafel notieren Zutaten vor sich auf. „Mr. Weasley, Sie stauben die Phiolen und die Regale ohne Magie ab. Wenn Sie damit fertig sind, sortieren Sie diese Materialen dort drüben.“, wies der Professor Ron an. Der seufzte etwas theatralisch, blieb aber ansonsten still. Insgeheim bedachte er die drei Streber mit leisem Mitleid. Er musste nur an einem Abend hier sein – sie hatten jetzt jede Woche abends Unterricht.