Severus hatte von vornherein nicht vorgehabt, Lucius und Narzissa über diese Banalität zu informieren. Kleinere Raufereien zwischen Slytherin und Gryffindor gehörten einfach zum Alltag in Hogwarts. Dass man in Gryffindor mittlerweile die eigenen Hausangehörigen triezte, überraschte ihn nicht. Er hatte seine eigenen Erfahrungen mit Gryffindors gesammelt, namentlich mit Leuten wie James Potter. Einen Moment kämpfte der Lehrer mit dem Bedürfnis Harry zu zustimmen. Die Vernunft gewann letztlich: „Harry, dieses Mal werde ich Lucius und Narzissa nicht informieren. Du gehst heute Abend mit Mr. Weasley zur Strafarbeit. Zusätzlich wirst Du Morgen einen achtseitigen Aufsatz zum Thema: „Angemessenes Auftreten in der Zaubergemeinschaft“ schreiben. Du gibst ihn Montag vor dem Unterricht bei mir ab. Außerdem erwarte ich von Dir, dass Du derartigen Unsinn in Zukunft unterlässt.“
Am liebsten hätte Harry jubiliert vor Erleichterung. Er konnte gar nicht fassen, wie mild die Bestrafung ausfiel - nur zur Strafarbeit gehen und einen Aufsatz schreiben. Er dachte an die Strafen, die er kannte und kam wieder zu der Erkenntnis, welches Glück er gehabt hatte, zu den Malfoys zu kommen. Trotzdem fragte er vorsichtshalber nach: „Sie schlagen mich nicht, Sir?“ Diese von kindlicher Angst geprägte Frage zerriss Severus Herz geradezu. Der Lehrer hätte nicht erwartet, dass er selbst so viel Mitleid empfinden konnte. „Ich verspreche Dir, Harry, dass ich Dich niemals misshandeln oder unnötig quälen werde.“
Da war es auf einmal. In dem weichen Gesicht des Kindes erschien dieses unglaubliche vertrauensvolle Lily-Evans-Lächeln - ein warmer Sonnenstrahl der Severus Herz endgültig eroberte. Harry könnte mein Sohn sein, dachte er weich und er entschloss sich ihn genauso zu erziehen, wie er es mit einem Kind von Lily und ihm getan hätte.
Dann aber wendete er sich einer wichtigen Frage zu: „Ihr konntet beide die Ratte nicht verfärben? Du hattest diese Verzauberungen geübt, oder irre ich mich da?“ Harry nickte zustimmend und erzählte von seinen Erfolgen. Severus hörte ihm genau zu und schickte den Jungen dann weg. Unmittelbar danach suchte er die Hauslehrerin von Gryffindor auf. Er fand sie in ein Gespräch mit Albus Dumbledore vertieft. „Wirklich schade, dass sich Mr. Potter und Mr. Weasley überhaupt nicht verstehen. Sie hätten unter anderen Vorzeichen die besten Freunde werden können.“, sagte Minerva nachdenklich. „Die Vorzeichen sind, wie sie eben sind. Zumindest hat Mr. Potter jetzt ein liebevolles Zuhause gefunden. Außerdem wird er nicht länger wie ein Sklave gehalten“, merkte Severus kühl an.
Albus blickte ihn prüfend an. Der Tränkemeister machte in den letzten Monaten eine deutliche Wandlung durch. Er schien noch autonomer zu werden und verbrachte sehr viel Zeit mit den Malfoys. Albus beunruhigte die Tatsache, dass er Zusehens die Kontrolle über seinen wichtigsten Agenten verlor. „Ah, Severus. Was verschafft uns die Freude Deines Besuches?“ Auch Minerva beherrschte das ironische Spiel meisterhaft. „Eine ungewöhnliche Ratte, die man nicht verfärben kann und sich stets in Gesellschaft der Familie Weasley aufhält. Ich schlage vor, wir sehen uns dieses Tierchen einmal gemeinsam an.“ Albus wirkte überrascht: „Ein Haustier, das sich nicht verfärben lässt, sollten wir uns in der Tat gemeinsam ansehen. Es könnte sich um einen ungebetenen Gast handeln.“ Minerva ärgerte sich darüber, dass sie die Schülerrauferei nicht ernster genommen hatte. Es konnte sich tatsächlich um eine wichtige Angelegenheit handeln.
Ron war etwas mulmig, seit sein älterer Bruder Percy ihm ausgerichtet hatte, er solle mitsamt Krätze zum Schulleiter persönlich kommen. Diese erste Schulwoche lief katastrophal für ihn. Die zweite Strafarbeit wegen der Prügelei mit Potter, eine schlechte mündliche Note bei Binns und die schlechte Stimmung in seinem Schlafsaal nervten ihn kolossal. Er hatte sich Hogwarts so toll vorgestellt. Jeder in seiner Familie hatte diese Schule besucht und geliebt. Sie alle mochten Albus Dumbledore von Herzen gerne. Krätze fiepte auf dem Weg zum Schulleiterbüro ärgerlich und biß Ron kräftig in die Finger. Der Junge hielt das Tier energisch fest und ließ es nicht entkommen.
Ehrfürchtig ging er die Wendeltreppe ins Schulleiterbüro hinauf. Er sah sich ein wenig um, dabei entdeckte er ein aufmunterndes Lächeln in den Augen des Schulleiters. Die versammelten Lehrer steigerten seine Beklommenheit, aber zumindest schien Professor Dumbledore guten Mutes zu sein. „Hallo Mr. Weasley. Ich sehe schon, Sie haben Ihr Haustier mitgebracht. Bitte setzen Sie sich erst mal.“ Er nahm auf dem gemütlichen Sofa Platz und kraulte Krätze nervös hinter den Ohren. „Diese Ratte hat es schon zu einiger Berühmtheit in den letzten Tagen gebracht. Aus diesem Grund wollten wir uns ein eigenes Bild von ihr machen. Setzen Sie das Tierchen einfach mal auf den Boden. Mögen Sie einen Zitronendrops?“, sprach der Schulleiter ruhig weiter. Dankbar nahm der Gryffindor das Bonbon, nachdem er Krätze losgelassen hatte.
Blitzschnell wollte die Ratte unter einem Schrank verschwinden, dann traf sie bereits ein Zauberspruch aus Minervas Zauberstab: „Zeige Dich!“ Die Magie enthüllte einen Totgeglaubten „Pettigrew?!?“, rief Severus und lähmte den Zauberer mit einem „Stupor!“, bevor dieser verschwinden konnte.
„Mr. Weasley, wie Sie sehen, werden wir ihr Haustier erst einmal hier behalten müssen.“, sagte Albus Dumbledore heiter. „Wenn Sie möchten, können Sie erst einmal gehen. Professor McGonagall kommt später zu Ihnen.“ Erleichtert und verwirrt verschwand der Junge aus dem Büro. Als Letztes sah er wie Severus Snape den Animagus, den er Pettigrew genannt hatte, magisch fesselte.