Er war schuld. Er allein. Seinetwegen waren Lily und James tot. Er hatte versagt. Nicht genug aufgepasst. Remus hasste ihn zu recht. Andererseits waren sie Freunde gewesen. Warum glaubte ihm Remus nicht? Wie konnte er annehmen, dass Sirius einen derartigen Verrat begangen hatte. Er zählte die Steine an der gegenüberliegenden Wand. Es waren genau 23. Er zählte sie immer wieder, um den Verstand nicht zu verlieren. Eine magische Fackel warf ein kaltes Licht in den Raum. An guten Tagen erlaubte man ihm auf der Erde zu schlafen, an schlechten ließ man ihn hängen.
Lily und James waren tot. Kein Dementor konnte ihn mehr quälen, als er sich selbst marterte. Harry musste ohne seine Eltern aufwachsen. Sirius hatte Peter nicht durchschaut, deshalb waren Lily und James tot. Mit James hatte er sein erstes Motorrad verzaubert. Lily konnte ihn so richtig zusammenstauchen. Er sah sie manchmal in seinen Träumen zum Altar schreiten – Lily in unschuldigem Weiß, die Wangen vor Aufregung gerötet und James hektisch im Frack nach dem Ring suchend. All das war zerstört und er allein trug die Schuld. Warum glaubte ihm niemand? Weshalb hatte man ihm nicht einmal einen Prozess gewährt? Er hatte niemanden mehr, lediglich der Gedanke an Harry hielt ihn am Leben.
Manchmal quälte ihn auch die Erinnerung an den winzigen Harry, der so süß in seiner Babysprache schimpfen konnte. Wie alt Harry jetzt wohl war? Er wusste es nicht genau. Vielleicht war 8 oder 9 oder 11. Er versuchte, sich zu konzentrieren, während er auf den schmutzigen Boden starrte. Hier im Zauberergefängnis spielte Zeit keine Rolle. Wie es ihm erging? Er musste ein wunderbares Kind sein - warmherzig wie Lily und smart wie James. Er spürte die Kälte der Dementoren nicht mehr. Es gab auch keine Hoffnung in ihm, die sie hätten aufsaugen können.
Er hörte seine irre Cousine gegen die Wände brüllen. Sie erreichte ihn nicht. Sie brüllte heute lauter, bemerkte er beiläufig. Dann gewahrte er, dass sie einen Namen brüllte. Einen ziemlich unerwarteten Namen, den sie mit den üblichen Drohungen versah. „LUCIUS MALFOY – DU DRECKSTÜCK!“ Scheinbar hatte sie den letzten Rest Verstand verloren. Immerhin bot ihr Geschrei Abwechslung.
Er hing angekettet, wie ein tollwütiger Hund, an der Wand. Sein eigenwilliger Sinn für Humor erkannte die Ironie dieses Gedanken. Ein Hund. Tatze – ein Name aus einer verlorenen Welt. Er dämmerte weg, während Bellatrix weiter Beschimpfungen brüllte. Die Tür seiner Zelle öffnete sich quietschend. Er blickte desinteressiert hinüber und stockte. Zwei Auroren holten ihn von der Wand. Sie sprachen nicht mit ihm. Sie sprachen nie mit ihm. Alle Auroren hassten ihn, weil er der Verräter war. „Guten Abend, Mr. Black.“, sagte eine sonore Stimme, die er nicht kannte. „Hallo mein Lieber“, grüßte ihn Lucius Malfoy, der arrogante Todesser – Gatte seiner Cousine Narzissa. „Wenn uns die Herren bitte allein lassen würden“, befahl die sonore Stimme den Auroren ruhig. Sie gehorchten, ohne etwas zu sagen. „Bitte setzen Sie sich, Mr. Black“, bat ihn der hochgewachsene Mann, den er erst jetzt sehen konnte. Er wies auf einen Stuhl, den die Auroren zusammen mit zwei weiteren und einem Tisch hereingerufen hatten.
Sirius setzte sich perplex und wartete ab. „Mein Name ist Michael Myers. Ich bin der Anwalt der Familie Malfoy.“, stellte sich der Fremde höflich vor. „Sirius Black – Gefangener in Askaban.“, meinte Sirius nicht ohne Selbstironie. „Was verschafft mir die Ehre?“, fragte er misstrauisch nach. „Mein lieber Sirius“, begann Lucius katzenfreundlich „es gibt einige interessante Neuigkeiten, die es ermöglichen könnten, dass du diesen ungastlichen Ort verlassen kannst. Narzissa und ich möchten dir dabei helfen – unter einigen Bedingungen natürlich.“ Lucius legte zwei verschiedene Bilder von Harry auf den Tisch. Das erste hatte er bereits 1990 im Ligusterweg gemacht. Harry trug schmutzige Kleidung und wühlte in der Mülltonne nach etwas Essbarem. Sirius starrte angewidert darauf: „Was ist das für ein Trick, Lucius? Ist das Harry?“ Lucius nickte bedeutungsvoll: „Harry lebte bei seinen leiblichen Verwandten der Familie Dursley. Sie haben wie einen ungehorsamen Hauselfen behandelt. Sein Onkel vergnügte sich mit ihm.“ Der Gefangene hatte nicht erwartet, dass ihn noch etwas schmerzen könnte. Allerdings wusste er von Lily, dass Petunia alles mit Magie ablehnte. Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln. Dass sie Harry zu Muggeln gebracht hatte, war per se falsch. Aber was diese Menschen getan hatten, machte ihn rasend.
Lucius zeigte ihm das zweite Bild. Harry feierte seinen 11. Geburtstag auf Malfoy Manor. Umgeben von seiner neuen Familie und Severus Snape strahlte er in die Kamera. „Obwohl sich Dumbledore und das Ministerium seit Jahren dagegen gesperrt haben, konnte ich ihn befreien. Narzissa und ich haben Harry von seinen leiblichen Verwandten freigekauft und direkt adoptiert. Wenn wir dich hier herausbringen, erwarte ich einen unbrechbaren Schwur. Du wirst die Adoption niemals anfechten und dich nie gegen die Familie Malfoy stellen.“ Der Anwalt übernahm das Gespräch: „Mr. Black, Harry lebt absolut glücklich bei den Malfoys. Sie können ihn natürlich jederzeit sehen und sich um ihn kümmern und…“ Er machte eine längere Pause: „Pettigrew wird hier hergebracht werden. Wir plädieren auf die Todesstrafe und machen, den Justizskandal öffentlich. Er wird bezahlen. Cornelius Fudge wird damit nicht ungeschoren davonkommen. Sie sind ein Opfer, Mr. Black. Sie sind ein Opfer einer Verschwörung und hatten nie die Chance die Tatsachen darzustellen. Sie könnten Ihre Patenpflichten wahrnehmen und Harry zusammen mit seinen neuen Eltern helfen, seinen rechtmäßigen Platz in der Zauberergemeinschaft zu finden.“ Sirius starrte noch immer auf das Bild des im Müll wühlenden Harry. „Albus hat das gewusst?“ Lucius nickte sanft. „Ich habe es dem Ministerium jedes Jahr geschrieben. Sie haben immer wieder abgelehnt, den Jungen zu retten. Albus faselte stets von Blutschutz. Nachdem Harry dann endlich bei uns lebte, wollte er ihm die neue Familie entreißen. Er ist ein böser, alter Mann. Ich schwöre, dass ich Harry wie meinen leiblichen Sohn Draco, sie sind übrigens unzertrennlich, stelle. Er bekommt die beste Ausbildung und alles was Lily und James für ihn gewollt hätten.“
Der Harry auf dem zweiten Bild lebte scheinbar, wie James selbst aufgewachsen waren. Sorgenfrei und geborgen. Sirius brauste dennoch auf: „Du und deinesgleichen sind Schuld an Lily und James Tod. Wag´ es nicht ihren Namen in den Schmutz zu ziehen, Malfoy. Schniefelus auf der Geburtstagparty von Harry wäre sicher nicht in James Sinne“ Lucius blieb gelassen: „Ich habe Lily und James nicht getötet. Der Verrat war das Werk eines der Euren, Sirius. Denk´ nach. Wenn ich Harry schaden wollte, hätte ich das nicht längst tun können? Warum sollte ich ihn dann nicht einfach bei seinen Blutsverwandten belassen? Im besten Fall hätte mir Dursley den Job abgenommen und den Jungen totgeschlagen.“ Es klang plausibel. Aber Malfoy war ein Todesser gewesen. „Hilf mir, aus Harry den jungen Mann zu machen, auf den seine Eltern stolz gewesen wären“, bat Lucius sanft. „Hilf mir, die zu bestrafen, die Lily, James, Harry und dir das angetan haben. Ich brauche dich dazu.“
Sirius erkannte, dass wenn Lucius die Wahrheit sagte, es seine verdammte Pflicht war, die Malfoys zu unterstützen. Erst allmählich begriff er, dass Albus all das Unheil hatte geschehen lassen. „Bist Du ein Todesser, Lucius?“, fragte er direkt. „Nein. Meine Treue gehört meiner Familie, nicht Voldemort.“ Sirius verlangte einen Schwur, dass Lucius Harry niemals an Voldemort ausliefern würde. Lächelnd schwor Malfoy den unbrechbaren Schwur. Im Gegenzug schwor Sirius Lucius die Treue, solange Harry ihm vertrauen würde.