Unruhe beschlich Severus schon seit längerem jedes Mal, wenn er seinen Kollegen Quirrel sah. Er konnte diese aufkommende Nervosität in Gegenwart des Lehrers für Verteidigung gegen die Dunklen Künste nicht näher fassen, deshalb behielt er sie für sich und den seltsamen Mann im Auge. Er schlief schlecht in dieser Nacht und träumte von drohenden roten Augen. Dann änderte sich der Traum. Harry flog waghalsige Manöver über dem Quidditchfeld. Plötzlich bockte sein Besen und das Kind fiel und fiel. Es kam dem Rasen verdammt schnell näher und…
Schweißgebadet wachte er auf. Irgendetwas Böses ging vor, dem musste er nachgehen. Es fühlte sich genauso echt an, wie damals als er vom Tod seiner Mutter geträumt hatte. Oder wie er im Alptraum, Lily schreien hörte, bevor sie starb. Er duschte eiskalt, um einen klaren Kopf zu bekommen und bereitete sich einen schlichten, schwarzen Kaffee zu. Kaffeetrinken war eine seiner wenigen echten Leidenschaften. Die unterschiedlichen Spielarten der Bitternis empfand er als Abbild seines Lebens ohne Liebe. Er zelebrierte sie mit der Hingabe der Japaner für guten Tee.
Heute stand jedoch das erste Quidditchspiel der Saison und eine nette Überraschung für das Team seiner Hausmannschaft auf dem Plan. Beim Gedanken an das Quidditchspiel lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Außerdem sollte das Kennenlernen zwischen Sirius Black und Harry stattfinden, ein Umstand, den Severus genauso herbeisehnte wie Griselkrätze.
Draco frühstückte entgegen seiner Gewohnheit Eier, gebackene Bohnen und kräftig gebratenen Schinken. Er mochte normalerweise eher Toast mit Orangenmarmelade oder Schokoladenaufstrich, den er nur wegen Harry probiert hatte. Bei den Malfoys hätte es dieses Muggelzeug nie gegeben. Hier in Hogwarts bekamen sie allerdings auch keine superfrischen Pfannkuchen mit Obstsalat. Genau genommen ein Skandal. Bei seinem ersten offiziellen Quidditchmatch brauchte er auf jeden Fall Energie. Die samstägliche Sonne kitzelte seine Nase. Glücklicherweise hielt sich der Feenschnupfen seit 2 Tagen in Grenzen.
Harrys Laune hielt sich ebenfalls in Grenzen. Natürlich freute er sich auf das Spiel. Zudem hatte sein Vater angekündigt, dass er mit Narzissa, aber eben auch mit Sirius Black kommen würde. Widerwillig kaute Harry auf seinem Tomatensandwich herum. Sein erstes offizielles Match machte ihn nervös, auch wenn Marcus meinte, Slytherin könne gar nicht verlieren. Gryffindor hatte nur ältere und erfahrene Spieler in der Mannschaft: Oliver Wood war Hüter. Er spielte schon seit Jahren ziemlich gut. Fred und George Weasley starteten als Treiber. Sie trainierten auch zu Hause. Die Mädchen Angelina Johnson, Alicia Spinnet und Katie Bell spielten auf der Jägerposition und Cormac McLaggen war der neue Sucher. Einige Slytherins mochten Cormac sogar, aber heute hielten sie zu ihrer Mannschaft.
Slytherin hatte eine starke Mannschaft. Im Tor flog Miles Bletchley. Er spielte schon länger mit Marcus Flint, der Kapitän und Jäger war. Harry selbst würde der Sucher sein. Draco hatte zwar die perfekte Sucherfigur, spielte aber als Jäger. Die Treiber Bole und Derrick hatten schon oft gesiegt. Montague galt lange als echter Favorit für den Kapitän der Hausmannschaft, wenn Marcus nicht mehr spielen würde. Allerdings hatten er und Terence Higgs die Mannschaft wütend verlassen, weil mit Harry und Draco zwei Erstklässler aufgenommen wurden.
Lucius betrat mit Sirius und Narzissa, die sich scheinbar gut verstanden, die Große Halle. Vielleicht verstanden sich seine Frau und ihr Cousin ein bisschen zu gut, dachte Lucius einen Moment und zuckte ein wenig vor der Überlegung zurück.
Albus Dumbledore vermied es, seinen Ärger zu zeigen, weil Malfoy schon wieder in seiner Schule aufkreuzte. Das Pikante an der Situation erschloss sich ihm natürlich. Er konnte Harry unter den gegebenen Umständen nicht verwehren, seinen Paten hier in Hogwarts zu treffen. Allerdings schätzte er die häufigen Besuche von Lucius in Hogwarts nicht, trotzdem dieser in der Rolle des Schulrats natürlich problemlos regelmäßig kommen konnte. Eine zu tiefe Einmischung der Eltern sah man aus pädagogischen Gründen nicht so gerne.
Harry und Draco standen vom Slytherintisch auf und liefen ihren Eltern entgegen. Sirius Black hatte sich in den letzten zwei Wochen deutlich verändert. Er spürte Harrys prüfenden Blick auf sich und übersah dabei Severus Snape, der sich gemächlich vom Lehrertisch erhob. Der Junge war tatsächlich das vollkommene Abbild seiner leiblichen Eltern. Sirius fühlte einen tiefen Stich in seinem Herzen, denn Harry schloss Lucius in seine Arme: „Daddy, toll das Ihr hier seid.“ Der Sohn von James Potter nannte Lucius Malfoy seinen Daddy. Es tat unglaublich weh, auch wenn Sirius über die Situation informiert gewesen war. Draco lächelte seine Mutter an, zu der er schon immer ein inniges Verhältnis gehabt hatte. Der junge Malfoy deutete vor dem fremden Begleiter seiner Eltern eine leichte Verbeugung an und Harry, der sich aus der Umarmung gelöst hatte, tat es ihm gleich. Diese Geste exklusiver Kühle, die Sirius im Hause Black stets gehasst hatte, versetzte ihm einen weiteren Stich. Harry lächelte dann doch höflich: „Sie sind Mr. Black? Mein Pate?“ Severus Snape hatte die Szene mit einer gewissen Genugtuung aus der Ferne betrachtet.