Harry bemerkte sofort, dass Lucius über irgendetwas unzufrieden war. Sein Vater nahm Draco und ihn zwar in den Arm, schien aber bei der Gratulation abgelenkt. War es falsch gewesen, den Schnatz mit dem Mund zu fangen? Er sollte doch gewinnen, oder? „Was ist da oben passiert, Harry?“, fragte Severus ohne sich darum zu scheren, ob es gerade passte. Der Junge löste sich aus der Umarmung und wandte sich direkt an ihn. „Ich weiß es nicht genau. Der Besen hat mir nicht richtig gehorcht. Vielleicht ist das ein Produktionsfehler?“
Den Ausdruck hatte er mal von Vernon Dursley gehört, der mit einer Bohrmaschine seines Unternehmens vergeblich versuchte, ein Loch zu bohren. Dursley hatte die Elektroleitung getroffen und die Familie hatte drei Tage keinen Strom. Natürlich wollte Vernon das nicht zu geben und hatte daher von einem Produktionsfehler der Bohrmaschine gesprochen.
„Produktionsfehler – sicher nicht“, merkte Narzissa sachlich an. Sie hatte den Besen bereits einer ersten Überprüfung unterzogen. „Ein Stolperfluch war auf jeden Fall dabei. Man kann hier an der Beschichtung sichtbar machen, wo er aufgekommen ist.“ Ihre offensichtliche Fachkenntnis beeindruckte Sirius sehr. Er deckte zwei weitere Manipulationen an dem fabrikneuen Besen auf und stellte dann schockiert fest: „Jemand wollte Harry umbringen!“ Severus konnte auch in dieser Situation nicht an sich halten. Sein Hass auf Black loderte noch immer hell leuchtend: „ Wie schön, dass Dir dieses Detail jetzt auch schon bewusst wird, Black. Noch besser wäre es gewesen, Du hättest Lucius und mich dabei unterstützt den Besen heil auf die Erde zu bringen. Aber Deine Aufmerksamkeit lag wohl eher bei N…“ Er unterbrach sich selbst, weil er die Äußerung vor den Kindern für unpassend hielt. „Lag wohl eher auf anderen Dingen.“, schloss er den Satz süffisant.
„Ich schlage vor, die Jungs nehmen erst mal eine Dusche. Dann treffen wir uns wieder um zum Essen zu gehen.“, wechselte Lucius energisch das Thema. Er hatte durchaus verstanden, was Severus ursprünglich hatte sagen wollen. Nämlich, dass Sirius Black seine Augen bei Narzissa gehabt hatte.
In der Slytherinumkleide brandete spontaner Jubel auf, als die Malfoybrüder eintraten. Marcus strahlte glücklich. Er hatte ehrliche Sorge gehabt, dass sie verlieren könnten. Schließlich hatte er gegen großen Widerstand gleich zwei Erstklässler in die Mannschaft geholt. „Du bist spitze, Potter.“, sagte Bletchley lässig. Die anderen klatschten und johlten. Aus irgendeinem dämlichen Grund, den Draco vergessen hatte, nannten sich die Mitglieder der Hausmannschaft ständig beim Nachnamen. Er persönlich ärgerte sich darüber, weil dann immer sofort auffiel, dass sein Bruder und er verschiedene Familiennamen hatte. Harry wusste selbst nicht genau, weshalb er den Familienname Potter behalten hatte. Es fühlte sich einfach richtig an. Lucius hatte diese Entscheidung problemlos akzeptiert, machte sie doch vieles leichter.
Aber feierten sie erst mal ihren Sieg, wenn auch nur kurz. Denn die Familie wartete schließlich auf die Brüder, was alle andere gutverstanden. Die meisten Slytherins hatten enge Familienbande und legten Wert darauf sie zu pflegen. Harry mochte diese Tatsache, wie so vieles andere im Haus der Schlangen. Seine neue Familie bedeutete ihm ebenfalls viel. Fast alles in Slytherin passte super gut zu ihm.
Pünktlich auf die Minute waren die Jungs fertig für das gemeinsame Familienessen. Sie sahen in ihren Sonntagsroben mit Krawatten aus wie perfekte kleine Gentlemen, dachte Sirius. Er verbiss sich seine aufsteigende Übelkeit bei dem Gedanken. Lily und James hätten sicher nicht gewollt, dass ihr Sohn so aufwuchs. Andererseits dieses Umfeld war für Harry auf jeden Fall besser, als in einer Mülltonne nach Essen zu suchen. Harry hatte den Platz direkt neben Sirius bekommen und blickte immer wieder zu Severus, der angestrengt in die Karte des eleganten Restaurants am Ortsausgang von Hogsmeade sah.
Das Restaurant Parfait war eine französische Oase im Herzen Groß Britanniens. Es verfügte nur über knapp 50 Plätze und war im Bistrostil gehalten. Leichte französische Chansons lagen in der Luft und verbreitete savoir-vivre. Man saß in einem kleinen Separee und schwieg konzentriert. Severus war selbstverständlich mit zum Essen eingeladen worden und wartete nun gespannt, wie das Gespräch verlaufen würde.
Es war das erste Mal, dass Harry in einem so feinen Restaurant aß. Die Atmosphäre verwirrte ihn sehr, denn noch immer war er der Ansicht, nichts wert zu sein. Er sah sich diskret um. Die Tischdekoration bestand aus Lavendel, weißen Rosen und zartem Schleierkraut. Die schneeweißen Tischdecken durchzogen echtsilberne Fäden, die scheinbar elbische Motive bildeten. Die kleine, elfenbeinfarbene Karte enthielt eine charmante Auswahl von exzellenten Gerichten der gehobenen Küche, deren Namen Harry nicht aussprechen konnte. Da er ohnehin nicht verstand, was es geben würde, entschloss er sich kurzer Hand, dasselbe wie Draco zu nehmen. Diese Strategie, einfach zu tun, was sein Bruder tat, hatte sich schon in anderen Situationen bewährt.
Draco saß neben seinem Paten. Er wusste schon, was er essen wollte. Lucius und Narzissa präsentierten ihre Söhne gerne der Öffentlichkeit. Die Kinder zeigten gute Manieren, was den Malfoys wirklich wichtig war. Lucius begann das Gespräch, während Harry sich weiter umsah. „Sirius möchte sicher etwas von Deinem Leben bisher erfahren. Vielleicht mag er hören, welche Fächer Du am liebsten hast? Oder wie es Dir in Slytherin gefällt? Erzähl ein bisschen was von Dir.“ Da sein Vater ihn so direkt aufgefordert hatte, blieb Harry nichts übrig. Also begann er: „Am liebsten mag ich Zaubertränke bei Severus. Alle arbeiten bei ihm ziemlich konzentriert, außer den Gryffindors…naja. Er zeigt mir immer sehr viele Zusatztricks und gibt tolle Tipps.“ Severus unterdrückte den triumphalen Ausdruck gekonnt. Sirius wirkte etwas verkrampft, während James Sohn sehr ausführlich über den Zaubertränkeunterricht erzählte. Er wechselte das Thema zum Quidditch und redete dann über James: „Er war ein sehr guter Jäger und es hat bis zum Kapitän der Hausmannschaft gebracht.“ Zum ersten Mal hörte Harry bewusst etwas Positives über seinen leiblichen Vater. Doch dann fiel ihm wieder ein, wie Severus gesagt hatte, dass James von seinen Freunden immer überschätzt wurde. Zum Glück wurde nun serviert, sodass es eine kleine Ablenkung gab.