Dracos Erschöpfung machte sich langsam bemerkbar. Training, Schule, Hausaufgaben und Zusatzunterricht, Harfe und Klavier üben strengten ihn immer mehr an. Die zwischenzeitlichen Exkursionen hatte Severus wieder gegen normalen Unterricht getauscht. Nach dem Zwischenfall bei Quidditchspiel wollte er kein Risiko eingehen und mit den Kindern allein Ausflüge unternehmen. Oft fielen dem blonden Malfoy die Augen zu oder er klagte über Kopfschmerzen. Ohne Harry gäbe er längst auf, aber sein Bruder unterstützte ihn in jeder Hinsicht. Auch Harry kannte heftige Kopfschmerzen, klagte aber nie. Vor allem in Verteidigung gegen die dunklen Künste überkam ihn regelmäßig Migräne. Er vermutete, dass es an dem Klassenraum lag. Denn seine Kopfschmerzen begannen stets pünktlich bei Betreten desselben.
Mittlerweile kümmerte sich Harry jeweils zwei Wochen am Stück um Rudi und Hedwig, danach war Draco für eine Woche dran. Ursprünglich wollten sie jede Woche wechseln. Selbst diese kleine Sache schien dem Jungen nicht mehr machbar. Sie standen keinen Morgen nach fünf Uhr auf und gingen fast nie vor zehn Uhr schlafen. Natürlich waren sie mit diesem Pensum die Allstars aus der ersten Klasse, aber kaum jemand sah, was sie dafür taten. Blaise, Marcus und Hermine kannten die Tagesspläne und versuchten sie ein wenig zu unterstützen. Blaise organisierte immer wieder kleine Fluchten wie ein Kartenspiel oder Schach vor dem Schlafen. Er las abends im Bett auch mal Witze vor, die er sich selbst ausgedacht hatte. Die Qualität war überschaubar, dafür stieg die Stimmung. In Slytherin zeichnete sich ohnehin gute Stimmung ab. Man hatte bereits vor Halloween eine Menge Punkte für das laufende Schuljahr bekommen und das erste Spiel der Saison gewonnen. Die Großen halfen den Kleinen hingebungsvoll beim Schummeln.
Marcus arbeitete mittlerweile ähnlich hart und stand zur Begeisterung seiner Lehrer fast überall auf Annehmbar. In Zaubertränke hatte er sogar Erwartungen übertroffen. Severus Snape mochte den neuen Fleiß seines Quidditchkapitäns. Hermine hatte etwas mehr Zeit, weil sie nicht trainierte und kein Instrument spielte. Häufig besorgte sie die Bücher für die drei Jungs mit aus der Bibliothek.
An diesem Nachmittag wollte Draco nur zehn Minuten die Augen schließen und schlief unmittelbar auf dem Bett ein. Er erwachte brummelnd, als Harry zu Bett ging und ihn fürsorglich zudeckte. „Wie spät ist es?“, fragte er überrascht. „Zehn Uhr. Nachtruhe.“ Er hatte tatsächlich volle sechs Stunden einfach nur geschlafen. „Warum hast Du mich nicht zum Zusatzunterricht geweckt,“ flüsterte er um die anderen nicht zu stören. „Weil Du so müde warst. Schon heute Morgen bei Verwandlung dachte ich, Du schläfst gleich ein. Ich habe Mr. Eleven gesagt, dass Dir ein bisschen schlecht war. Er hat es geglaubt. Die Aufgaben gebe ich Dir morgen früh.“ Draco fühlte sich erleichtert und gut ausgeruht.
Hedwig schimpfte ungewöhnlich laut in die Stille des Schlafsaals hinein. Er hatte sie bereits zwei Tage nicht gefüttert, fiel ihm siedend heiß ein. Außerdem hatte er den Käfig nicht gereinigt und überhaupt. „Hedwig hat kein Futter bekommen und Rudi auch nicht.“, gab er beschämt zu. „Du hast es versprochen, dass Du diese Woche dran bist... Du bist doch kein Muggel. Meine Verwandten haben mich immer wieder hungern lassen. Weißt Du eigentlich wie hungern ist? Ein oder zwei Tage nichts essen und nicht wissen, wann man etwas kriegt. Ich habe sogar Essen aus dem Müll gesucht. “, sagte Harry etwas angesäuert und vor allem enttäuscht. „Wir müssen uns beide um sie kümmern! Zusammen – so ist es verabredet. Ist wenigsten noch Futter da?“ Draco schüttelte den Kopf stumm. Ihm standen die Tränen in den Augen, weil Harry Recht hatte. Viel mehr aber berührte ihn die Tatsache, dass Harry tatsächlich weggeworfenes gegessen.., "Es tut mir wahnsinnig leid.", hauchte er
Für Rudi konnte Harry noch aus seinem Geheimversteck unter dem Bett ein gutes Dutzend Walnüsse und eine Handvoll Zirbelnüsse fischen. Für Hedwig gab es fast nichts mehr, außer ein paar kleinen Streifen Trockenfleisch. Sie verschlang sie gierig, blieb aber unzufrieden.
Noch immer schimpfte sie sehr beleidigt, so dass die Jungs entschieden sie nicht einfach raus zulassen, sondern ihr noch Filetstreifen aus der Küche zu besorgen. Zum ersten Mal brachen sie die Schulregeln mit Vorsatz. Harry warf den Tarnumhang über sie. Dann stiefelten sie los. Bereits auf dem Hinweg fiel ihnen etwas Seltsames auf. Severus und Professor Quirrel stritten sich offensichtlich halblaut über irgendwas.
Trotz der plötzlich wieder auftretenden Kopfschmerzen wollte Harry unbedingt wissen, worum es ging. Seine Neugierde gehörte zu seinen hervorstechenden Eigenschaften. Severus bedrohte den Professor scheinbar mit dem Zauberstab und preßte ihn an die Wand. Keiner der beiden Jungs hätte ein solches Verhalten erwartet. Langsam tasteten sie sich näher. Mitten in diese Szene hinein quakte eine Kröte vernehmlich. Alle erschreckten sich und Severus blickte sich hektisch um. Er ließ von dem anderen ab und verschwand eilig durch die Gänge. Professor Quirell rannte in die entgegengesetzte Richtung davon. Die beiden Jungs standen etwas ratlos im leeren Korridor.
Die Kröte quakte wieder vernehmlich. Bis zur Küche war es noch ziemlich weit und so kam Draco auf die Idee das Tier zu fangen. „Für Raubtiere ist lebende Beute sowieso besser, sagt Dad, wie neulich im Zoo.“ Natürlich wusste Harry aus seinen Gesprächen mit Schlangen, dass auch sie lebende Beute zu sich nahmen. Irgendwie hielt er es trotzdem für keine wirklich gute Idee. Die Müdigkeit und Faulheit siegten. Mit einem Stupor lähmten sie die Kröte zielsicher und trugen das steife Tier zu Hedwig. Sie machte mit dem Tierchen kurzen Prozess, fraß sie gemütlich auf und war den Jungs wieder gut. Sie lagen schon eine Weile im Bett, da kam Draco noch einmal zu Harry: "Ich bin traurig, weil es Dir früher so schlecht ging und mir immer so gut. Auch wegen Hedwig und Rudi tut es mir leid. Bin ich wirklich wie die Dursleys?" Sein Bedauern war aufrichtig und raubte ihm den Schlaf. Harry sah ihn aus verschlafenen Augen liebevoll an: "Es tut mir leid, dass ich so geschimpft. Du bist nicht wie Muggel sind. Ich wollte Dich nicht beleidigen. Das war gemein von mir." Sie kuschelten sich aneinander und schliefen Arm in Arm ein. Von diesem Tag an vergaß Draco nie wieder sich um die Tiere zu kümmern. Dennoch sah Harry jeden Morgen als aller erstes nach den beiden Süßen.
Am Gryffindortisch gab es am nächsten Morgen den üblichen Aufruhr. „Du musst schon besser auf Deine Dinge achten“, sagte Ron zu Neville. „Ich weiß echt nicht, wo Trevor ist. Du suchst ihn doch ständig. “ Neville verdächtigte die Weasleyjungs seine Kröte versteckt zu haben. Er suchte schon seit dem Vorabend nach dem Tier. Hermine sah die Zwillinge streng an: „Ihr müsst ihn zurückgeben. Es ist nicht lustig seinen Mitschülern das Haustier zu entführen.“ Die beiden Verdächtigen lachten sie einfach aus. Zwar hatten sie Trevor aus dem Gryffindorturm hüpfen lassen, waren aber überzeugt, dass das Tierchen bald wieder auftauchen würde.
In Slytherin bemerkte man nur höhnisch, wie schlecht sich die angeblich so freundlichen und kameradschaftlichen Gryffindors verstanden. Worum es bei dem Streit ging, interessierte die meisten nicht. Gregory schrieb noch beim Frühstück, die Hausaufgaben für die erste Stunde bei Harry ab. Dieser nahm es hin und ärgerte sich nicht besonders darüber. Weswegen man schon wieder gestritten hatte, würde Hermine ihnen sicher früh genug erzählen. Der Unterricht begann mit einer Doppelstunde Zaubertränke. Der Tag begann schlecht für Neville ohne Kröte, aber mit Severus Snape.