Hallo zusammen,
Dies ist ein Projekt, das über die Weihnachtstage entstanden ist - tatsächlich ist es (und das mag jetzt etwas seltsam klingen) eine von Grund auf überarbeitete Version einer Star Wars FF, die ich mir vor bestimmt inzwischen zehn Jahren zusammen mit einer Freundin ausgedacht habe. Da es, bis auf die Raumschiffe, Lichtschwerter und ein, zwei Namen, am Ende rein gar nichts mehr mit Star Wars zu tun hatte (und in vielerlei Hinsicht ein wenig abstrus war), ich die Geschichte jedoch trotzdem sehr ins Herz geschlossen habe, habe ich mich dazu entschlossen, sie in ein anderes Setting zu packen und von Grund aus zu überarbeiten (auch wenn ich die Handlung und die Charakterpersönlichkeiten vom Prinzip her gerne behalten möchte).
Nun, hier ist sie! :) Das Setting ist in Zügen an die 1920er Jahre angelehnt, die Handlung spielt in derselben Welt wie meine "Der Verlorene Stern"-Reihe (die man nicht gelesen haben muss).
Und nun viel Spaß beim Lesen! :D
Eure,
Shiho
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Mehr aus Langweile denn aus wirklichem Interesse griff Rheyá nach der fleckigen, zerlesenen Zeitung, die am Tresen auslag, schlug sie mit spitzen Fingern auf. Während sie rasch die Überschriften der einzelnen Artikel überflog – und sie mindestens genauso schnell als relativ belanglos befand – fischte sie die hübsch geschnitzte Zigarettenschatulle, die sie vor Jahren auf dem Markt ersteigert hatte, aus ihrer Manteltasche hervor, schob den Deckel beiseite und nahm sich eine der schlanken Glimmstängel.
Der Barmann, ein brünetter, eher schmächtiger Mann Anfang zwanzig, der sich seine Arbeitszeit mit Vorliebe damit vertrieb, das Geschirr und Besteck akribisch nach Form und Größe zu sortieren, sah auf, entzündete ein Streichholz und bot Rheyá das Feuer an.
„Eigentlich dachte ich, dass Sie mit dem Rauchen aufhören wollten“, bemerkte er mit einer gewissen Belustigung.
Rheyá nahm den ersten Zug ihrer nun glimmenden Zigarette, zuckte dann mit den Schultern.
„Und ich dachte, dass du diese Arbeit hier nur übergangsweise machen wolltest – nun bist du schon seit gut zwei Jahren hier und es ist noch immer kein Ende in Sicht! Die Dinge laufen eben nicht immer, wie wir es gerne hätten, nicht wahr?“
Der junge Mann verzog betroffen das Gesicht.
„...Vielen Dank für die freundliche Erinnerung, Fräulein Aurica. Ich weiß, ich habe es schon oft gesagt, aber dieses Mal wird es mit meiner Bewerbung klappen und ich werde diese schäbige, langweilige Stadt endlich hinter mir lassen können.“
„Aber bis es soweit ist, kannst du mir gerne nochmals etwas zu trinken bringen, Chiràn – ein Schnaps wäre nicht schlecht.“
Chiràn seufzte, tat jedoch, wie geheißen. Rheyá beobachtete ihn dabei, wie er eine Flasche Hailùrn , einen Apfelschnaps, den sie sehr gerne hatte, aus dem Wandschränkchen hinter der Bar hervor holte, aufschraubte und in ein kleines Glas umfüllte.
„Was führt Sie eigentlich hierher, Fräulein Aurica? Normalerweise sieht man Sie unter der Woche nicht hier...“
„Heute mache ich eine Ausnahme“, antwortete sie und nahm Chiràn das Getränk ab. „Ein alter Freund hält sich derzeit in der Stadt auf. Da wir uns schon seit Längerem nicht mehr gesehen haben, wollten wir uns heute Abend hier treffen.“
„Nichts für ungut, aber für Verabredungen gibt es wirklich schönere Orte...“
Mit dieser Bemerkung hatte Chiràn gewiss nicht Unrecht; das Lokal mochte zwar nicht schmuddelig oder ungepflegt sein, aber man konnte ihm sein Alter deutlich ansehen. Das Mobiliar war abgenutzt und schäbig, der Gestank von altem Tabak hing in den Polstern, der Gastraum wirkte nicht zuletzt aufgrund der mit dunklem Holz verkleideten Wände und den kleinen, schmalen Fenstern äußerst düster. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen wohnte dieser Bar ein ganz besonderer Charme inne. Rheyá für ihren Teil zählte sich zu den Stammgästen. Sie verbrachte ihre freien Abenden gerne hier, beobachtete mit Vorliebe die anderen Barbesucher.
Die junge Frau lebte nun schon seit gut drei Jahren in der Stadt Dorhàr . An sich war der Ort wahrlich nichts Besonderes – er war nicht gerade klein, aber gewiss auch keine Großstadt, die Küstenlandschaft, die sich um ihn herum erstreckte, war nett anzusehen, doch zugleich nicht großartig genug, um Besucherscharen anzulocken. Im Großen und Ganzen war das Leben in Dorhàr nicht schlecht, wenngleich es öfters als nicht ziemlich ereignislos war.
Aber ereignislos war gut, mehr als gut.
„Aber keinen, der sowohl im Rahmen meines Budgets liegt, als auch eine gute Getränkekarte hat“, erwiderte sie, nachdem sie genüsslich an ihrer Zigarette gesogen hatte. „Das Dolhès können sich ja wahrlich nur reiche Touristen leisten. Im Minasèt mag es zwar günstig sein, aber die Getränke schmecken wie altes Rasierwasser. Da zahle ich dann auch lieber ein klein wenig mehr, verstehst du?“
Chiràn lächelte verlegen.
„Nun, wenn nur alle Gäste so wie Sie denken würden… Woher stammt Ihr Freund denn eigentlich, wenn ich fragen darf?“
Rheyá schwenkte ihr Glas, beobachtete, wie die goldgelbe Flüssigkeit aufgewirbelt wurde, einen kleinen Strudel bildete.
„Aus meiner alten Heimat“, gab sie dann abwesend zur Antwort.
„Das war eine der nördlicheren Provinzen, nicht wahr? Sie haben es einmal erwähnt, aber genau kann ich mich auch nicht mehr daran erinnern...“
„Das ist auch nicht so wichtig. Dort oben gibt es nichts, außer Wälder, schäbige Dörfer und ein paar Hügel.“
„Sie nennen das Hügel, aber für uns hier sind das Berge! Meine Mutter hat vor Jahren einmal Urlaub im Norden gemacht – nach dem, was sie uns erzählt hat, muss es dort oben wohl wunderschön sein!“
Rheyá zuckte mit den Schultern; eigentlich hatte sie keine sonderliche Lust darauf, dieses Thema noch weiter zu besprechen. Stattdessen nahm sie einen großen Schluck aus ihrem Glas, ließ währenddessen ihren Blick aufmerksam durch den Raum schweifen.
Er war wirklich spät dran. Wenn sie doch nur wüsste, wen genau sie zu erwarten hatte… Der Brief, den sie heute morgen in ihrem Briefkasten vorgefunden hatte, war äußerst knapp gehalten. Von wem auch immer er stammen mochte, diese Person schien Rheyá relativ gut zu kennen oder sich zumindest die Mühe gemacht haben, sie aufmerksam zu beobachten – oder beobachten zu lassen. Woher sonst hätte er oder sie gewusst, dass dies hier ihre Stammbar war, welche Arbeitszeiten sie hatte oder welches Haus sie überhaupt bewohnte? Ihr Name stand weder auf Briefkasten noch auf dem Klingelschild, als von dem her… Selbstverständlich hatte sie bereits ihre Theorien, mit wem sie es hier wohl zu tun haben könnte.
Rheyá stellte ihr Glas ab, hoffte, dass Chiràn ihr ihre schlechte Laune nicht ansah. Sie war damals nach Dorhà gekommen, weil sie darauf gehofft hatte, hier in Ruhe und Frieden leben zu können, doch so, wie es aussah, gab es kein Entkommen vor der Vergangenheit. Wie frustrierend das doch war.
Als Rheyá Zigarette zu einem kleinen Stummel heruntergebrannt war und sie gerade Anstalten machte, eine weitere anzuzünden, kündigte das helle Läuten der Türglocke einen weiteren Gast an. Chiràn sah auf, warf Rheyá einen fragenden Blick zu, doch diese machte keine Anstalten, sich zu dem Neuankömmling umzudrehen.
Nein, sie würde gewiss keine Schwäche zeigen. Sie schob ihr Glas vor, bedeutete Chiràn, nochmal Hailùrn nachzugießen, während sie selbst sich nochmals ihrer Zigarette widmete.
„Früher hast du nie geraucht; wie ich sehe, hat sich auch für dich einiges geändert“, bemerkte eine amüsierte Stimme, die Rheyá wohlbekannt war.
Ihr Magen zog sich zusammen; warum hatten sie ausgerechnet ihn schicken müssen? Sie setzte eine ruhige, betont gelangweilte Miene auf, zuckte mit den Schultern.
„Nun, wir alle brauchen unsere Zerstreuungen, nicht wahr?“
„In der Tat.“
Er nahm auf dem freien Hocker neben Rheyá Platz, bedeutete Chiràn, näher zu kommen. Dieser warf der jungen Frau nochmal einen fragenden Blick zu, der jedoch mit Missachtung gestraft wurde, ehe er sich dann dem neuen Gast zuwandte.
„Was kann ich Ihnen bringen, junger Herr?“
„Bitte dasselbe, wie die Dame hat.“
„ Hailùrn , also. Aber ich muss sie warnen, er ist wirklich stark!“
„Dieses Risiko nehme ich auf mich.“
Chiràn nickte, drehte sich zum Alkoholschränkchen hin, um noch eine Flasche Schnaps herauszuholen – und stellte fest, dass sie bereits leer war. Er seufzte.
„Dann muss ich wohl im Lager schauen… Kleinen Moment, bitte.“
„Nehmen Sie sich alle Zeit der Welt.“
Chiràn nahm die leere Flasche, verschwand in der schmalen Tür hinter dem Tresen. Rheyá wartete einige Momente ab, lange genug, um sich sicher sein zu können, dass der Barmann außer Hörweite war, ehe sie ihren Nebensitzer zum ersten Mal eines Blickes würdigte. Es handelte sich um einen jungen Mann ihres Alters, mit hellemsandbraunem Haar und blauen Augen. Er trug einen Anzug, der ihn wie einen wohlhabenderen Reisenden, vielleicht einen Geschäftsmann, wirken ließ. Er lächelte Rheyá freundlich an, doch der kühle, kalkulierende Blick offenbarte es sofort als Fassade.
„Lange nicht gesehen, Erìnn “, begrüßte sie ihn eisig.
Dieser lächelte unbeeindruckt weiter.
„Freut mich ebenfalls, dich zu sehen! Oh, und ich habe mich unter dem Namen Seovheen Chéragh eingemietet, als nenne mich auch bitte so, ja?“
„Meinetwegen. Also, was willst du von mir? Ich war eigentlich der Ansicht, dass wir alles geklärt haben, was es zu klären gibt...“
Erìnns Lächeln gefror ein, sein Blick wurde ebenfalls um einige Grade kälter.
„Hm, das dachtest du wohl. Du kannst doch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass wir jemanden wie dich einfach so ziehen lassen würden, oder? Wir haben dir drei Jahre deinen Spaß gelassen, nun ist es für dich an der Zeit, deine eigentliche Arbeit wiederaufzunehmen.“
Rheyá ballte ihre linke Hand zur Faust, schüttelte energisch den Kopf.
„Nein, das werde ich ganz gewiss nicht. Ihr könnt tun was ihr wollt, meine Entscheidung steht. Oh, und denk‘ gar nicht erst daran, mich erpressen zu wollen – das funktioniert nicht.“
Erìnn starrte sie einige Momente lang stumm, durchdringend an, ehe er dann die Arme verschränkte, den Kopf mit übertrieben nachdenklicher Miene in den Nacken legte.
„Offenbar hast du bereits vergessen, wem du das Leben, das du hier führen darfst, zu verdanken hast. Ohne uns wärst du bereits tot, aber das scheint für dich ja nicht allzu viel zu zählen. Oh, aber da fällt mir was ein: Wie wäre es, wenn wir den Behörden eine kleine Empfehlung geben, dich bei Gelegenheit etwas genauer unter die Lupe zu nehmen? Was denkst du, würde dann geschehen?“
Rheyá wurde eiskalt, als sie das hörte. Sie mahlte ihre Zähne aufeinander, umschloss ihr Schnapsglas fest mit ihren Händen.
„Das würdet ihr nicht wagen“, gab sie mit mühsam kontrolliert, ruhiger Stimme zurück.
„Wieso? Was sollte uns davon abhalten? Meine Liebe, wir wissen, dass auch du so einige Informationen besitzt, doch wer würde dir schon Glaube schenken? Gegen uns bist du machtlos und das weißt auch du ganz genau!“
In diesem Punkt hatte er leider Recht, auch wenn Rheyá selbst es nicht wahrhaben wollte. Ja, es gab nichts, das sie tun konnte, so frustrierend und beängstigend diese Wahrheit auch sein mochte. Ihr Leben lang war sie ein Spielball anderer, der Oberen , gewesen und nun, kaum, dass sie glaubte, endlich selbst über sich bestimmen zu können, wurde ihr alles wieder zunichte gemacht.
Ihr Blick fiel auf ihre kleine Handtasche, die sie auf dem Tresen abgestellt hatte. Selbstverständlich könnte sie sich Erìnn später, nach Einbruch der Dunkelheit, auch entledigen, sich auf diese Weise genügend Zeit verschaffen, erneut unterzutauchen…
...Nein, das war eine dämliche Überlegung, die ihr mehr Probleme bringen würde, als es wert war. Erìnn mochte zwar wahrlich niemand sein, den sie gegen sich haben wollte, doch er war zumindest jemand, mit dem sich verhandeln ließ. Zumindest normalerweise.
„Hör‘ zu, Rheyá“, setzt er erneut an, dieses Mal wieder sichtlich freundlicher, gar beschwichtigend, wenngleich seine Miene ernst blieb. „Wir möchten gar nicht viel von dir verlangen. Lediglich…“
Er brach kurz ab, als schleppende, schwere Schritte Chiràn Rückkehr ankündigte. Rasch setzte er ein künstliches Lächeln auf.
„...Ein kleines Abendessen unter Freunden – vollkommen zwanglos, unverbindlich. Was meinst du dazu?“
Auch Rheyá nahm wieder ihre gleichgültige Fassade an. Sie zuckte mit den Schultern; es war nicht so, als würde ihre eine Alternative bleiben, oder? Wahrscheinlich war es sogar eine gute Idee, denn sie bot ihr nochmals die Gelegenheit, mit Erìnn in Ruhe zu verhandeln. Oh, sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er zu verblendet war, um ihren Standpunkt jemals nachvollziehen zu können, doch ein Versuch war es wert.
„Meinetwegen. Was hast du dir denn vorgestellt?“
„Du bist doch diejenige, die sich hier auskennt – ich verlasse mich voll und ganz auf dein Urteil.“
In diesem Fall zog sie einen belebteren Ort vor, denn auf diese Weise war die Wahrscheinlichkeit, unerwünschten Zuhörern vorzubeugen, geringer – in einer Menschenansammlung ging der einzelne schließlich sehr viel leichter unter, oder etwa nicht?
„Wenn du zahlst, können wir uns morgen Abend gerne im Restaurant Rhioàn treffen“, schlug sie dann, nach kurzen Überlegen, vor, genau in dem Moment, als Chiràn, mit einigen Flaschen beladen, hinter den Tresen zurückkehrte. „Es ist ein ziemlich beliebtes Lokal, weswegen wir reservieren müssen, aber man sagt sich, dass es das beste Speiseangebot der Region hat. Ich könnte es mir von meinem Gehalt zwar niemals leisten, aber du hast dir ja einen ziemlichen Namen als Geschäftsmann gemacht – für dich sollte es also kein Problem sein.“
Für den ungeübten Beobachter verzog Erìnn keine Miene, doch Rheyá konnte erkennen, dass ihm dieser Vorschlag nicht sonderlich gefiel – was sie wiederum äußerst zufrieden stimmte. Erìnn mochte einiges sein, doch sonderlich reich und spendabel war er noch nie gewesen.
„Sollte es in der Tat nicht, nein“, bestätigte er ungerührt. „Aber da bin ich gespannt, wie… nobel dieses Etablissement wohl sein mag…“
„Sehr nobel“, schaltete sich Chiràn ein, der Erìnn das bestellte Getränk reichte; aus irgendeinem Grund wirkte der Barmann mit einem Male ungewöhnlich pikiert.
„Aber das bin ich dir doch wert, nicht wahr?“, gab Rheyá süßlich zurück. „Oh, und Chiràn, sei doch so gut und schenke mir nochmal ein bisschen nach!“