Das große, hässliche Gebäude aus Beton und Stahl, in dem das Rekrutierungszentrum ansässig war, befand sich im tadellosen Zustand. Auf dem Dach prangte in großen, hellen Leuchtbuchstaben der Slogan: "Power and Honor" Allerdings blinkte das erste "O" ein bisschen hysterisch. Eigentlich müsste man es ersetzen, aber so wie der Krieg gerade lief, kam das nicht in Frage. Die Ressourcen für Instandhaltung von Gebäuden wurden aktuell anderweitig gebraucht. Dennoch standen Elias, Tim und Ralph ehrfürchtig vor dem großen Portal mit der mächtigen Soldatenfigur aus Bronze, die der Künstler mit einem echten, ausrangierten Maschinengewehr ausgerüstet hatte. "Protector of the Free States" hieß das Kunstwerk, wie eine kleine Tafel unter der fast vier Meter hohen Figur verriet.
Die drei Schüler blickten die Figur bewundernd an, der sie jeder aus ganz eigenen Gründe gleichen wollten. Was sie verband war eine kindliche Vorstellung von Heldentaten, wie sie in den „Power and Honor“ Sendungen für Kinder vermittelt wurde.
Vor dem Gebäude waren nur wenige Menschen unterwegs und auch der Besucherparkplatz für potentielle Rekruten war vollkommen leer gefegt, wenn man von dem einen verirrten, leeren Einkaufswagen absah, der wie auch immer dorthin gekommen war. Irgendwie hatte Elias erwartet, dass es vor dem Rekrutierungszentrum viel lebhafter zu gehen würde, wegen all der Patrioten, die es nicht mehr erwarten konnten, den Free States in dieser schweren Stunde beizustehen. Aber wahrscheinlich waren die echten Patrioten bereits am frühen Morgen hier erschienen.
Elias ging als erster durch die schmierigen Glastüren hindurch, die offenbar seit Wochen nicht geputzt worden waren. Es erinnerte ihn an zu Hause, wo der Küchentisch auch schon länger nicht richtig sauber gemacht worden war, nach dem das letzte Baby geboren worden war. Die Blackwoods waren 6 Geschwister von 4 verschiedenen Vätern, die alle nichts taugten. Es war sehr verwunderlich, dass obwohl Mrs. Blackwood also bereits 60.000 Punkte für ihre Kinder bekommen hatte (plus einen Bonus für das dritte und sechste Kind von jeweils 15.000 Punkte aus dem Familienförderungsprogramm) die Familie in Kategorie 0 lebte. Kannte man Mrs. Blackwood und ihre Revolverschnauze wiederum näher, wunderte man sich nicht darüber.
Dies Jungs hatten vor Aufregung rote Wangen, als sie an die Anmeldung gingen. Von den zwölf Schaltern waren aktuell nur drei besetzt, von dem einer gerade geschlossen wurde. Die hübsche, junge Frau mit den orangefarbenen, langen Haaren am zweiten Schalter polierte ihre Fingernägel konzentriert und blätterte währenddessen gelegentlich eine Seite in ihrem Reader weiter. Also wählte Elias den dritten Schalter aus. Denn eine Dame bei der Nagelpflege zu stören, erschien ihm für ihr Anliegen nicht hilfreich. Sie hatte bestimmt einen sehr harten Tag gehabt, vermutete er. Seine Mutter hatte auch immer harte Tage, weshalb er sich nach der Schule meistens um seine Geschwister kümmerte.
Hinter dem dritten Schalter saß ein dicklicher Mann mittleren, der irgendwie schon sehr behördenmäßig wirkte. Er hatte eine Glatze mit einem Muttermal darauf und keine gute Laune, aber er setzte sich aufrecht hin, als Elias ihn ansprach. Das Namensschild wies den Herrn, als Mr. Michael Gorbatschow aus. "Power and honor," grüßte er die Jungs deutlich motiviert, was sie zu einem Lächeln ermutigte. "Was kann ich für Euch tun? Möchtet Ihr Euch über die Karrieremöglichkeiten in den Streitkräften informieren oder lieber eine Runde im Simulator machen?", fragte er gewinnend. Die hübsche Dame nebenan legte die Feile weg, stellte Timothy fest. "Power and honor," erwiderte Elias mit einem entschlossenen Blick. "Nein, Sir. Wir möchten den Test für Offiziersbewerber absolvieren und uns verpflichten," antwortete der zwölfjährige Junge, den Mr. Gorbatschow aufmerksam musterte.
Der Empfangsmitarbeiter war sich über das Alter der Kandidaten nicht sicher, aber es gab im Moment viele. Genau genommen waren die drei heute die ersten Interessenten. Wenn sie hier im Zentrum ihre Zahlen bis zum nächsten Quartal nicht schafften, wurde diese Außenstelle geschlossen. Er würde seinen Job verlieren. Man verlor sehr leicht nach dem Jobverlust auch die Kategorien. Und, so entschied sich Gorbatschow, die Prüfung der angegebenen Daten oblag dem Rekruter. Es war nicht die Aufgabe des Empfangs, erinnerte er sich nicht minder entschlossen. "Herzlich Willkommen und schön, dass Ihr den Free States dienen wollt. Setzt Euch da drüben auf die Sessel und nehmt Euch ruhig ein paar von den Süßigkeiten. Mr. Gordon holt Euch gleich zum Test ab. Ich drücke Euch die Daumen. Ihr schafft das schon." Ralph mochte diesen Typen nicht, aber das war ja nicht wichtig. Es zählte nur, dass sie ins Offiziersprogramm aufgenommen werden würde. Echte Männer dienten in den Streitkräften der Free States und die besten von ihnen wurden Offiziere - genauso wie sein Vater.
Sie warteten aufgeregt und tuschelnd auf diesen Gordon, der in ihrer Phantasie zu einem unglaublich erhabenen Offizier und Repräsentanten der Free States wurde. Es dauerte eine Weile, während nach und nach die Kategorie 10 Schokoladentäfelchen geteilt wurden. Nach 15 Minuten fragte Ralph entnervt:“ Kommt der noch?“ Sein Bruder hatte definitiv mehr Geduld und antwortete gelassen. „Der kommt.“ Elias erwähnte optimistisch:“ Der hat bestimmt super viel zu tun, wegen der ganzen Bewerber am Vormittag.“ Lange Zeit kam niemand. So warteten sie eben auf Gordon.