Bevor ich wusste, wie mir geschah, fiel ich in ein schwarzes Nichts. Über, unter, neben, um mich herum war nichts außer einer alles Licht um sich herum verschlingende Schwärze. Ich fiel, und fiel, und fiel. Keiner meiner Sinne reagierte auf meine Umgebung, ich konnte nichts riechen, nichts schmecken, nichts sehen, nichts hören, nur einen eigenartig kalten Wind an meinen Klamotten spüren, die durch ihn nach oben flatterten. Was für Klamotten trug ich überhaupt?
Ich konnte mich an nichts mehr erinnern, nicht einmal daran, wer ich war. Wie einen Papierstapel durchsuchte ich mein Gehirn, darauf erpicht, auch nur eine einzige Erinnerung zu finden. Wo fiel ich überhaupt hin?
Ich versuchte mich zu drehen und zu wenden, doch ich spürte nicht die geringste Veränderung. Jeden Moment könnte ich auf einen harten Steinboden auftreffen. Würde ich nicht schon die ganze Zeit fallen, hätte es sich so angefühlt, als würde die Angst davor mir den Boden von den Füßen ziehen. Mein Körper verkrampfte sich unwillkürlich bei der Vorstellung, auf einen Boden aufzukommen und zermatscht zu werden wie ein Käfer. Auch war mir jegliches Gefühl von Zeit abhanden gekommen. Ob Tage oder nur Sekunden vergingen, ich hatte keinen blassen Schimmer. Es fühlte sich an, als wäre ich in einer endlosen Zeitschleife des Fallens stecken geblieben, bis ich plötzlich, ganz plötzlich, etwas roch.
Der Geruch kam mir komischerweise bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Der Wind legte sich, und ich schwebte, so fühlte es sich zumindest an, waagerecht hin und her wie eine Feder. Ich vernahm ein regelmäßiges beruhigendes Rauschen, welches beinahe schon einschläfernd war. Das erste Mal, seit ich bei Bewusstsein war, fühlte ich mich besänftigt; ja, es war sogar eigenartig still in meinem Kopf. Ich hatte keine Sorgen mehr; machte mir um nichts in der Welt Gedanken. Am liebsten würde ich die ganze Zeit so verweilen, nicht einmal die Ungewissheit, wer, was und wo ich war, quälte mich nunmehr.
Ich wünschte, ich könnte für immer in diesem Zustand bleiben, doch auf einmal umhüllte mich etwas kaltes, nasses. Instinktiv, ich wusste nicht weshalb, war mir klar, dass es Wasser war.
Als ich meine Augen aufriss, fingen sie sofort an zu brennen, und ich sah weiterhin nichts außer Schwärze. Wild mit den Armen rudernd versuchte ich, mich irgendwie über Wasser zu halten.
Mein ganzer Körper brannte durch die Eiseskälte, als wäre er eine einzige große Schürfwunde, auf die Salz gestreut wurde. Panisch schnappte ich nach Luft, doch verschluckte mich dabei. Tausende kleiner Splitter sammelten sich in meiner Lunge, die sie bei jedem Atemzug mehr und mehr zerfetzten.
Ich wollte nicht mehr weitermachen. Es erschien mir als die einzige Option, ja, es war sogar leicht, loszulassen. Den Schmerz, ohne dagegen anzukämpfen, auf mich einprasseln zu lassen. Mich ihm zu ergeben, und ihn zu begrüßen. Nach einer Weile durfte ich mich auch schon wieder von ihm verabschieden. Ich trieb regungslos im Wasser und fühlte mich voll und ganz taub, sowohl von innen, als auch von außen. Natürlich wusste ich, dass das kein gutes Zeichen war. Ich hatte eine wage Vorahnung, dass ich mich meinem Ende näherte.
Plötzlich sehnte ich die Schmerzen herbei, um wenigstens etwas zu fühlen, egal was. Wenn ich jetzt nicht kämpfte, würde mein gerade begonnenes Leben enden, das wusste ich instinktiv. Ich wollte um jeden Preis wissen, wer ich war und was das Leben noch für mich bereit hielt. Als ich spürte, dass mein Bewusstsein zu verschwinden begann, fing ich an zu paddeln.
Da ich meine Augen nicht aufmachen konnte, und selbst wenn, nur schwarz sehen würde, musste ich mich auf meinen Orientierungssinn verlassen. Ich musste mich wieder mit meiner Umgebung bekannt machen, um den Weg nach oben zu finden. Abrupt wechselte ich die Richtung, schwamm einige Meter, und spürte, wie sich der Druck auf meinen Kopf verstärkte.
Dadurch wusste ich, dass ich in die falsche Richtung schwamm. Mit allem was ich hatte unterdrückte ich den Drang, Luft zu holen. Mir wurde schwindelig, mein Kopf pochte und meine Lungen waren mit Wasser gefüllt. Wegen der Kälte fiel es mir mit jeder Sekunde schwerer, meine Arme und Beine koordiniert zu bewegen. Doch ich kämpfte und kämpfte, solange ich noch kämpfen konnte. Dann, endlich, spürte ich die Meeresluft um mich herum, und hörte das Kreischen der Möwen. Ich öffnete meine Augen...