Der Text musste irgendwie raus, um meinen Frust abzubauen. Natürlich mit den üblichen Übertreibungen, so wie es Autoren manchmal an sich haben.
Und sicher auch mit einigen Fehlern und unpassenden Wörtern, so wie es auch im nachfolgenden Text thematisiert wird…
Begeistert hopste unser kleiner Schreiberling – hier ganz frech Autor genannt – gleich einem Gummiball hin und her.
„Der Text ist einfach geil, so großartig, die ganze Nacht habe ich daran geschrieben, war richtig im Flow. Ausdrucken will ich ihn, wie Luther möchte ich ihn verkünden. Als seien es seine Thesen, so will ich die Seiten anschlagen an das große Brett.“
So sprach denn der kleine Mann und begann begeistert sein Werk. Eifrig holte er Hammer und Nagel aus seiner kleinen Hütte, und befestigte seine Blätter zwar nicht an ein großes Tor, dafür aber an eine große Anschlagtafel, die weit und breit zu sehen war.
Höchst zufrieden mit seinem Werk, erschöpft aber glücklich, schlief er ein.
Am nächsten Tage, es war bereits abends, machte er sich auf, den Platz erneut aufzusuchen. Wie hatten die Leute reagiert? Gefiel ihnen seine Arbeit? Fanden sich überhaupt noch Reste seines Werkes am Brett, oder hatte das Volk das Papier weggenommen, um seine Worte ihren Kindern vorzulesen und ihn so ein Stück weit unsterblich zu machen?
Voller Erwartung marschierte er los. Sein Herz pochte aufgeregt in seiner Brust, als er endlich sein Ziel erreichte.
Doch was war das? Statt freundlicher Gesichter standen finstere Gestalten um die Tafel herum und starrten ihn böse an.
„Guten Abend, meine Herrschaften“, begann er zögerlich und täuschte gute Laune vor. „Kann ich behilflich sein?“
„Sind Sie der Verfasser dieses Textes?“, fragte die Gruppe wie aus einem Mund und zeigten auf seine Ausdrucke.
„Aber ja, das bin ich“, antwortete unser Autor, der sich mit einem Mal sehr klein vorkam. Eingeschüchtert piepste er: „Stimmt etwas damit nicht?“
„Wir sind deine inneren Kritiker“, erklärte der Chor mit emotionsloser Stimme. „Wir kennen kein Erbarmen und werden dir schonungslos zeigen, wie schlecht du getan hast.“
Ehe er reagieren konnte, kam einer der Personen näher. Eine Frau, mit dunklen kurzen Haaren und kalten Augen.
„Ich bin die Scham. - Wie konntest du dieses Gekritzel veröffentlichen, ohne nochmals darüber zu lesen? So viele Rechtschreibfehler, die Leute werden dich für dumm halten.“
„Aber ich habe doch zwei Mal …“, stammelte der Schriftsteller leise.
„Das war nicht genug. Glaubst du wirklich, die Leute werden jemals wieder einen deiner Texte lesen, wenn sie DAS gesehen haben? Schäm dich. Sie werden schlecht von dir denken.“
Der Autor wurde nun noch kleiner.
Nun kam ein kleines Mädchen aus der Menge und trat neben ihn. Es unterschied sich sehr von den anderen Leuten. Es hatte ein freundliches Gesicht und lächelte unseren Schriftsteller ermunternd zu. „Das kann jedem passieren“, verteidige sie ihn. „Er war eben so begeistert von seinem Text. Und er kann ja seine Fehler noch korrigieren.“
Ein kleiner Hoffnungsschimmer überkam unseren Protagonisten. Vielleicht war ja doch alles nicht so schlimm?
Aber oh weh, oh Graus, da kam noch jemand dazu. Ankläger Nummer zwei.
Diesmal war es ein Mann, klein, untersetzt, mit Glatze und Hornbrille. Ein etwas altmodisches Modell, mit dicken Gläsern, so dass seine Augen unnatürlich wirkten. Sein Blick war stechend, als er sich neben die Frau stellte.
„Ich bin der Perfektionist. Ich geselle mich oft zur Scham.“ Kurz wechselte dieser Zwerg einen Blick zu seiner Nachbarin, ehe er fortfuhr: „Wie kommt es zu den vielen Wortwiederholungen? Und oft wäre ein anderer Begriff passender gewesen. Und immer wieder diese Sätze, die nicht optimal formuliert sind. Wie kann man so etwas öffentlich machen, diese unausgegorenen Gedanken eines umnebelten Geistes?“
„Bitte, bitte“, winselte der Autor. „Ich habe‘ doch nichts Schlimmes getan.“
Das Mädchen rückte nun noch etwas näher zu dem armen Schreiber und blickte ihn mitleidig an.
Zu dem Perfektionisten jedoch sprach sie mit fester Stimme: „Er ist ein Mensch und nicht perfekt. Er kann es nicht sein. Weshalb verlangst du es also von ihm? Nicht der fehlerlose, da jedes Wort genaustens ausgefeilt, stundenlang am Reißbrett entworfene Text gebührt ein Lob, denn er hat kein Herz. Nein, diese Worte, die da aus dem Bauch heraus kamen und ohne Nachzudenken auf das Papier flossen, ihnen gehört die Welt.“
Die Kritiker schüttelten unwillig den Kopf. Dieses junge Fräulein erschien ihnen doch zu jung, fehlte es ihr doch an Reife und Ernsthaftigkeit, um dies beurteilen zu können.
So standen sie sich gegenüber. Diese Parteien, gleich an der Zahl, unversöhnlich wie es schien.
Es ging jedoch nicht lange, und ein dritter – wieder männlichen Geschlechts – löste sich von der Menschenmenge. Groß, hager, blondes langes Haar mit Vollbart. Er gesellte sich zu dem Perfektionisten und der Scham.
„Ich bin der Zweifler. Und ich frage hiermit - weshalb hängen am Brett hier noch so viele Seiten?“ Ein gehässiges Lachen. „Man muss nicht lange schauen, um zu sehen, dass die anderen Texte wesentlich beliebter sind. Also ist die Geschichte dieses Autors schlecht. Welchen Beweis brauchen Sie noch? Er ist absolut unfähig“
Nun fiel der Autor auf die Knie und versteckte sein Gesicht, indem er beide Hände davor presste. Ein leises Schluchzen kam hervor.
Das Mädchen legte ihm sanft ihre kleine Hand auf die Schulter, ehe sie sich mutig dem Angreifer stellte: „Das ist so nicht wahr. Dass weniger sein Werk lesen, heißt nicht, dass er schlecht ist. Vielleicht hat er einfach ein Thema, was wenige interessiert? Oder das Publikum möchte lieber Gedichte? Oder es einfach Zufall? Das beweist gar nichts.“
„Oh, kleines dummes Mädchen, was verstehst du denn schon davon?“
„Ich bin nicht dumm!“ Wütend stampfte sie auf. „Aber ihr seid es.“
Die drei lachten laut auf. „Schau dir doch diesen mickrigen Schreiberling an. Er weiß, dass wir recht haben. Und selbst wenn wir jetzt gehen, so werden wir immer da sein.“
So sprachen sie, drehten sich um und gingen.
Mit ihm auch die vielen anderen Menschen, eine stumme Masse, die ihn zwar nicht angeklagt, aber gefühlt auch auf deren Seite gestanden hatten.
Davon bekam der kleine Schriftsteller jedoch gar nichts mit.
Immer noch kauerte er dort, weinte vor sich hin, voller Zweifel an sich selbst.
„Hey, kleiner Autor?“, wandte sich das Mädchen wieder an ihn. „Komm, steh auf. Sie sind fort.“
„Aber sie haben recht. Ich mache viele Fehler, meine Texte sind doof und keiner liest sie!“, kam es leise hervor.
„Das stimmt nicht“, widersprach die Kleine und wartete geduldig.
Er beruhigte sich jedoch nicht.
Sein Schluchzen wurde leiser. Stattdessen begann sich zunehmend etwas anderes einzuschleichen – ein Gefühl der Wut – auf sich selbst und auf seine Arbeit.
Plötzlich sprang er hastig auf und ging auf die Tafel zu.
Herunterreißen wollte er sie, all seine Blätter und Seiten. Er würde sie zerreißen, zerknüllen und ins nächste Feuer werden.
„Was hast du denn vor?“
„Diesen Müll vernichten!“, rief er laut
„Warte!“. Ihre zwei kleinen Hände streckten sich nach oben und umfassten seinen rechten Arm. „Überstürze nichts.“
„Aber es ist doch so!“
„Nein! Schau doch genau hin.“, beschwor sie sanft.
„Was meinst du?“. Immerhin hielt er nun doch inne.
„Wie viele Seiten hattest du hier angenagelt?“
Er musste nicht lange überlegen. „Fünfzehn, wieso?“
„Ich sehe nur zwölf. Also haben drei Gefallen an deiner Geschichte gefunden.“
„Drei“, knurrte er abfällig. „Schau doch die anderen hier an. Dort – fünf Seiten die fehlen. Und bei denen hier sogar acht und zehn.“
„Hör auf dich mit anderen zu vergleichen“, flüsterte sie. „Du hast drei, die deinen Text mögen. Das ist doch nicht ‚nichts‘.“
„Drei“, knurrte er abfällig. Viel weniger.“
„Es gibt auch andere Texte, da hängen noch alle Seiten“, widersprach das Mädchen. „Also entehre nicht die drei, die dich und deine Ideen mögen.“
„Das hilft mir jetzt aber nicht weiter.“
Leise seufzte sie. „Der Stachel, den diese drei gelegt haben, wird noch eine Weile wirken. Und immer wieder. Aber man kann etwas dagegen tun.“
Zum ersten Male betrachtete der Schriftsteller die Kleine genauer.
Sie war natürlich kleiner als er – schließlich war es ja noch ein Kind – aber sonst ähnelte es ihm doch sehr. Ja, wäre er ein kleines Mädchen gewesen, würde er wohl tatsächlich so aussehen. Genau so.
Er musste mehrmals schlucken, bevor er weiterreden konnte. Allerdings war seine Stimme nun erstaunlich ruhig und gefasst: „Was rätst du mir?“
„Schau nicht ständig auf die Tafel. Denke an die drei. Das sind deine Leser. Schreibe für dich. Und für sie. Nicht für die anderen fünf, acht oder zehn.“
„Und wenn es doch sinnlos ist?“, zweifelte er erneut.
„Ist es nicht. Ist es nie. Und nun komm – nach Hause.“