"Es sind wirklich alle gekommen", meinte Feranth, der sich auf dem großen Platz vor Ahnenschimmer umsah. Er konnte Langkrallen, Spitzzähne, Silberschuppen und Rotaugen sehen. Sie waren alle hier, um zu erfahren, was es mit der mysteriösen Botschaft auf sich hatte. Die riesige heilige Weide Ahnenschimmer erhellte mit ihrer selbstleuchtenden Rinde fast den gesamten Platz und der Vollmond, der hoch am Himmel stand, erledigte den Rest. Langsam kehrte Ruhe ein und alle warteten gebannt. Niemand wusste, was jetzt passieren würde. Eine Weile lang war es still, doch dann geschah es. Zwei Augen erschienen wie aus dem Nichts und mit einem Mal wurde ein riesiger goldener Drache sichtbar, viel größer, als der Schwarze, der ihr Dorf aufgesucht hatte. "Er kann die Farbe seiner Schuppen verändern", flüsterte Sorth ehrfürchtig. "Das muss der legendäre Drache Ignis sein." Der Drache ließ seinen Blick über die Menge schweifen. "Seid gegrüßt. Eine Versammlung wie diese hat es noch nie zuvor gegeben. Lord Omnix wird nun zu euch sprechen!", verkündete er und trat zur Seite, so dass ein umgestürzter Baumstamm sichtbar wurde, der mindestens so groß war, wie der Schweif des Drachen. Auf dem Baumstamm stand eine leuchtende Gestalt mit vier Hörnern. Ein weiteres Paar wuchs aus seinen Schultern und in seinem Körper spiegelten sich die unzähligen Sterne des Nachthimmels wider. Anstelle eines Gesichtes hatte es ein einzelnes leuchtendes Auge, welches so aussah, als würde es direkt in ihre Herzen blicken können. "Das ist also Omnix", murmelte Sorth und Feranth nickte. Neben dem Wesen standen ein Werbiest und ein Erzengel. "Seid gegrüßt Echsenmenschen! Ich bin Omnix, der Oberste der alten Götter und ich komme heute aus nur einem Grund zu euch! Ich habe euch lange beobachtet. Ich habe gesehen, wie ihr gegeneinander gekämpft habt, um mehr Land für euch zu gewinnen. Doch nun sind die Zeiten des Zwiespalts vorüber! Es ist Zeit, ein einziger Stamm zu werden!" Ein Raunen ging durch die Menge. "Ich war lange weg, doch nun bin ich zurückgekehrt, um die Welt in eine bessere Zukunft zu führen." Feranth schnaubte. "Und wer garantiert uns, dass Ihr auch derjenige seid, für den ich Euch ausgebt?", fragte er laut und stand auf. "Bist du verrückt Bruder?", zischte Sorth, doch die braune Echse fuhr unbeirrt fort. Er durfte nicht zulassen, dass die Echsenmenschen von einem falschen Gott in die Irre geführt werden würden. "Du wagst es…", begann das Werbiest und zeigte ihre Zähne, doch Omnix legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. "Es ist in Ordnung Marilyn", meinte er sanft und das Mädchen beruhigte sich. "Deine Bedenken sind berechtigt. Was also soll ich tun, damit du, dem die Meinung der Menschen, Drachen und Erzengel zusammen nicht ausreicht, überzeugt bist, Feranth, Häuptling der Stumpfschwänze?", fragte er und Feranth sah das Wesen überrascht an. Er hätte nicht erwartet, dass Omnix so ruhig auf seine Provokation reagieren würde. In seinem Kopf begann sich eine Idee zu formen und er beschloss, zu sehen, ob das Wesen wirklich zu allem bereit war. "Es gibt einen Kristall, der sich im Besitz meines Stammes befindet. Jeder Krieger, der ihn bisher angefasst hat, ist gestorben, weil niemand der Energiekonzentration darin standhalten konnte. Selbst derjenige, der ihn in die goldene Truhe in meinem Zelt gelegt hat, ist tot. Wenn Ihr diesen Kristall anfassen könnt, ohne zu sterben, dann werde ich Euch als alten Gott anerkennen." "Du meinst diesen Kristall?", fragte Omnix und die Echsenmenschen rissen die Augen auf, als sie sahen, dass er den besagten Kristall in seiner Hand wog. "U-unmöglich", keuchte Feranth. "Woher habt Ihr den?" Selbst das Mädchen, welches er Marilyn genannt hatte und der Erzengel sahen ihn überrascht an. "Du hast mir doch selbst gesagt, wo er sich befindet, oder? Du hast es mir in allen Einzelheiten erklärt. Aber mir wurde ziemlich langweilig, während deinem letzten Satz, also beschloss ich, ihn schon mal zu holen", meinte Omnix und die Echse riss die Augen auf. Was für eine Geschwindigkeit musste dieses Wesen besitzen, um in Sekundenbruchteilen zu ihrem Dorf zu reisen, den Kristall zu holen und wieder zurückzukehren? Niemand hatte überhaupt bemerkt, dass er weg gewesen war. Mal abgesehen davon hielt er den Kristall felsenfest in der Hand, als ob er ein normaler Stein wäre. "Ihr…Ihr seid wirklich ein alter Gott", hauchte Feranth und Omnix‘ Auge leuchtete belustigt auf. "Interessant, nicht wahr? Hier, du kannst ihn zurückhaben." Mit diesen Worten steckte er den Kristall in einen Jutesack und warf ihn ihm zu. Der Häuptling fing ihn auf und blickte auf das Leuchten, welches sogar durch den Sack zu sehen war. Das war zweifelsohne der richtige Kristall aus seiner Kiste. "Jetzt tritt vor, Feranth, Häuptling der Stumpfschwänze!" Feranth ging leise und mit gesenktem Haupt zu dem Baumstamm nach vorne. Er war bereit, für jede Art von Strafe. Omnix betrachtete ihn eine Weile, dann fing er an zu lachen. "Erhebe dein Haupt, Feranth, König der Echsenmenschen!", rief er und die braune Echse sah ihn ungläubig an. "Warum?", fragte er verwirrt. "Du warst der Einzige, der hinterfragt hat! So jemand muss an eurer Spitze stehen. Denn auch wenn ihr Langkrallen, Spitzzähne, Silberschuppen, Stumpfschwänze und Rotaugen sein mögt, so seid ihr doch alle Brüder! Also hört auf euch wegen Territorien zu streiten, sondern vereint euch unter einem gemeinsamen Banner! Was sagt ihr?" Die Menge jubelte Zustimmung und Omnix sah sie zufrieden an. "Dann ernenne ich dich hiermit, Kraft meiner Stellung als Oberster der alten Götter, zu König Feranth dem Hinterfragenden! Ein Name der deine Weisheit kundgibt. Führe dein Volk in eine fruchtbare Zukunft!" Feranth neigte seinen Kopf. "Ich schwöre, dass ich die Stämme vereinen werde. Nie wieder soll es Kämpfe geben. Wir werden uns den Sumpf teilen in Zeiten des Friedens." Ignis trat auf Omnix‘ Zeichen hin vor und berührte den Kopf der Echse mit einer seiner Krallen. "Ich gebe Euch hiermit den Segen der Drachen, junger König. Herrscht weise und gerecht", sprach der goldene Drache. "Dies ist der Grund, warum ihr kommen solltet! Ich wollte einen auswählen, der mutig genug ist, um mir die Stirn zu bieten! Alles weitere liegt nun bei euch, denn ein alter Gott mischt sich nicht unnötig ein, er bringt wichtige Dinge nur ins Rollen! Lebt wohl Echsenmenschen und denkt daran, dass die Sümpfe und Steppen ab sofort unter meinem Schutz stehen werden!" Mit diesen Worten lösten sich Omnix und seine Begleiter plötzlich in Luft auf und ließen die Echsenmenschen alleine zurück. Und diejenigen, die dabei gewesen waren, erzählten, dass Ahnenschimmer in jener Nacht besonders hell geleuchtet hat.