John sah sich beeindruckt um. Die Bäume hier waren wirklich gigantisch. Sie als Mammutbäume zu bezeichnen war tatsächlich keine Übertreibung. "Als ich noch hier lebte bin ich oft in den Wald gegangen und auf die Bäume geklettert", erzählte Marilyn. "Von den Größten hat man einen überwältigenden Blick über den Wald." John lächelte. "Willst du es wieder mal tun?", fragte er und sie nickte. "Dann tu dir keinen Zwang an", meinte der Junge und machte eine einladende Handbewegung. Marilyn lachte und sprang auf den nächsten Baum. Wie ein Eichhörnchen kletterte sie hinauf, bis die anderen am Boden wie Ameisen aussahen. Oben angekommen durchbrach sie das Blätterdach und genoss den Wind, der hier wehte und der ansonsten nicht bis zum Waldboden durchdringen konnte. Neben ihr tauchte Johns Kopf aus dem Blättermeer auf. Der Junge hatte seine Flugfähigkeit genutzt, um ihr zu folgen und sah nun mit ihr gemeinsam über die Baumkronen. "Es ist wirklich wunderschön", meinte er und sie stimmte ihm zu. "Ja, das ist es allerdings. Was ist mit Tammy und Ben?", fragte sie. "Was soll mit ihnen sein? Sie warten unten, was denn sonst?", fragte John zurück. "Ich weiß nicht…ich habe nur ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Lass uns besser wieder runtergehen", meinte das Mädchen. Gemeinsam kehrten sie zurück auf den Waldboden, doch dort war keine Spur von den beiden Menschen. "Wo könnten sie denn hin sein?", überlegte John und sah sich aufmerksam um. "Pst", zischte da Marilyn und er sah sie gespannt an. "Ich höre etwas. Es klingt, als würde eine kleine Gruppe durch das Unterholz gehen." Ihre Ohren zuckten, als sie genauer hinhörte. "Es kommt aus dieser Richtung", stellte sie fest und zeigte in Richtung Westen. Mit einem einzigen Sprung sprang sie an den nächsten Baum, schlug ihre Krallen in eben jenen und hängte sich an dem Stamm. Ihre Augen wurden groß, als sie die Gegend abscannte. "Ich sehe zwar nichts, aber aus dieser Richtung riecht es auch nach Rauch", meinte sie. "Das reicht mir. Wir gehen dorthin", beschloss John. "Es könnte auch die falsche Fährte sein", meinte Marilyn, als sie wieder zu ihm hinunter sprang. "Ist sie nicht. Ich vertraue dir", widersprach der Junge und sie sah ihn erfreut an. "Gut, dann folge mir."
Nach kurzer Zeit hatten sie ihr Ziel erreicht. Es war ein kleines Dorf, welches anders als das vorherige von einer soliden Holzmauer umgeben war. Von dem Ast, auf dem sie saßen, konnten die beiden Tammy und Ben sehen, die in der Mitte des Dorfplatzes von einigen Werbiestern umringt wurden. "Na großartig, da lässt man sie mal für drei Minuten alleine und was passiert?", fragte John etwas genervt. "Du willst doch immer Action. Da hast du sie", kicherte Marilyn. "Ich bezweifle, dass auch nur einer von diesen Werbiestern eine besondere Herausforderung für mich sein wird", seufzte der Junge. "Aber eine Konfrontation ist wohl unausweichlich, also gehen wir." So zog sich Marilyn ihre Kapuze über und die beiden machten sich auf den Weg. Wie erwartet wurden sie beim Tor aufgehalten. "Halt, was wollt ihr hier Fremdlinge?", fragte die Wache am Tor. "Wir würden gerne unsere Freunde zurückhaben und euch eine Nachricht überbringen", sprach John und die Augen der Wache wurden groß. "Ihr seid also Freunde der beiden Eindringlinge. Nun gut, dann kommt mit. Vielleicht wird unser Ältester euch anhören." Die beiden nickten und folgten der Wache. "Ältester, diese zwei Fremdlinge hier behaupten, Freunde der beiden Eindringlinge zu sein", stellte die Wache sie vor und ein älterer Mann mit langen Steinbockhörnern musterte sie. "Was habt ihr in diesem Teil des Waldes verloren?", fragte er mit krächzender Stimme. "Wir sind nur hier, um euch eine Nachricht zu überbringen", antwortete John und der Älteste schnaubte. "Wir mögen hier keine Fremdlinge", meinte er und John grinste. "Hätte ich nie erraten. Euren Namen könntet Ihr mir aber dennoch verraten." "Ich bin Capricornus", stellte sich der Mann vor. "Freut mich. Mein Name ist O- äh ich meine John", tat der Junge es ihm gleich. "Ich bitte höflichst darum, dass Ihr meine Freunde wieder freilasst." "Du denkst tatsächlich, dass wir einfach der Bitte eines Fremdlings nachkommen?", fragte Capricornus ihn und seine Augen wurden zu engen Schlitzen. "Wenn Ihr sie nicht freiwillig gehen lassen wollt, dann muss ich wohl zum Äußersten greifen", schaltete sich Marilyn plötzlich ein. "Ich beantrage ein Duell. Ein traditionelles Mondduell." Der alte Mann sah sie interessiert an. "Ich weiß zwar nicht, woher du dieses heilige Ritual kennst Kleines, aber du weißt bestimmt auch, dass ein Mondduell nur zwischen zwei Werbiestern abgehalten werden kann", meinte er. Marilyn grinste und entblößte dabei ihre spitzen Reißzähne. Mit einem Ruck nahm sie sich die Kapuze ab, so dass ihre Ohren sichtbar wurden. "Gut, dann bin ich ja wohl überqualifiziert", meinte sie. "Ich fordere Euch heraus! Wählt Euren besten Krieger, ich werde gegen ihn antreten. Wenn ich verliere, dann tut mit uns, was Ihr wollt. Wenn Euer Krieger aber verliert, dann lasst Ihr meine Freunde frei und hört unsere Botschaft an!", rief sie. "In Ordnung! Ich nehme die Bedingungen an!", antwortete Capricornus. "Nehmt dem Magier seinen Stab ab! Er sollte sich unter keinen Umständen einmischen können!" Die Wachen nahmen John seinen Holzstab weg und brachten ihn und Marilyn auf die andere Seite des Kreises, welcher sich inzwischen gebildet hatte. "Taurus!", rief der Älteste und ein riesiger Mann kam unter großem Applaus und Gejubel auf den Platz. "Das ist Taurus, unser stärkster Krieger. Er wird für uns kämpfen", stellte Capricornus den Mann vor. "Marilyn, sei bitte vorsichtig", meinte John und das Mädchen nickte. Sie wollte gerade vortreten, da hielt der Junge sie zurück und gab ihr einen Kuss. "Für Glück", meinte er. "Danke John", flüsterte sie lächelnd, dann drehte sie sich um. "Ich bin soweit!", rief sie und die Menge jubelte. "Lasst das Mondduell beginnen!", rief der Älteste.
"Ich werde nicht schummeln", versprach Taurus. "Und ich werde dich nicht schwer verletzen, nur kampfunfähig machen." Marilyn grinste. "Dann werde ich es genauso machen", meinte sie. Taurus nickte und sprintete auf sie los. Marilyn sprang über ihn hinweg und landete sicher hinter ihm auf dem Boden. Taurus fuhr herum und zog sein Schwert, woraufhin auch Marilyn ihre Doppelschwerter in die Hände nahm. Es folgte ein herber Schlagabtausch, welcher endete, als sich die beiden so heftig gegeneinander stemmten, dass eine Druckwelle von ihnen ausging. John sah den beiden gespannt zu. Er wusste, dass Marilyn gewinnen konnte, aber dieser Mann war dennoch ein sehr beeindruckender Gegner. Naja, zumindest für sie. Die beiden Werbiester erkannten inzwischen, dass sie gleich stark waren und brachten sich mit einem Sprung nach hinten außer Reichweite der gegnerischen Klingen. "Bumerang!", rief Taurus und warf sein Schwert nach dem Mädchen. Marilyn reagierte schnell. "Überschall!", rief sie und beschleunigte binnen Bruchteilen einer Sekunde auf ihre maximale Geschwindigkeit. John lächelte zufrieden. Dieser Skill erlaubte es ihr, die Beschleunigungszeit zu überspringen. Das Mädchen wich dem Schwert mit Leichtigkeit aus und Taurus fing es wieder auf. "Instinkt!", rief er und seine Sinne schärften sich. Doch es war sinnlos. Marilyn bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die er selbst mit seinen animalischen Sinnen nicht mehr verfolgen konnte. "Donnerklauen!", rief das Mädchen und schlug zu. Der Mann schrie auf und schlug wild um sich, doch Marilyn wich seinen Schlägen mit ihrer unglaublichen Geschwindigkeit aus, während sie ihn immer wieder traf. "Bei Euch hat das nicht so viel Wirkung gezeigt, als der Häuptling des letzten Dorfes es getan hat", stellte Tammy fest und John nickte. "Das hat mehrere Gründe. Erstens, Marilyn ist viel schneller und auch stärker, als Lupus. Ihre Schläge hinterlassen viel mehr Schaden. Zweitens, Taurus verfügt nicht über die Regenerationsfähigkeit, die ich habe. Er kann sich nicht davon heilen. Und drittens, Marilyn schlägt nicht blind darauf los, so wie Lupus, sie sucht sich bewusst Schwachstellen aus", erklärte der Junge ihr. Taurus war inzwischen mit den Nerven am Ende. "Erdbeben!", rief er und stampfte auf den Boden. Eine starke Druckwelle ging von ihm aus und schleuderte Marilyn zurück. "Beeindruckend, dass er nach dieser Attacke noch steht", murmelte John und rieb sich das Kinn. "Blutrausch!", rief Taurus und sein ganzer Körper leuchtete auf. "Blutrausch?", fragte Ben. "Ein Skill, den alle älteren Werbiester haben. Er verdoppelt ihre Geschwindigkeit, Sinnesschärfe und Stärke", antwortete der Magier ihm. Taurus schoss auf Marilyn zu, die ihm nur knapp entkommen konnte. Sie sprang über ihn hinweg, doch Taurus fuhr blitzschnell herum, schnappte sie am Bein und schleuderte sie gegen das nächste Zelt, welches auf ihr zusammenfiel. Marilyn kam keuchend wieder hervor und ihr Gegner ließ einen Fausthagel auf sie niedergehen, den sie unter größter Anstrengung blockte. Letzten Endes wurden ihr ihre Schwerter in hohem Bogen aus den Händen geschlagen. "Das…das sieht nicht sehr gut aus", meinte Tammy besorgt. "Oh, aber jetzt fängt das Ganze doch erst richtig an", widersprach John grinsend. Marilyn begann plötzlich, blau zu leuchten. "Erinnert ihr euch noch an den Kuss, den wir uns gegeben haben? Ich habe das nicht nur getan, um ihr Glück zu wünschen. Mit diesem Kuss habe ich ihr auch einen Teil meiner Magiepunkte geborgt, welcher sich aktiviert, wenn sie in großem Bedrängnis ist. Diesen Zauber habe ich selbst erfunden, ich nenne ihn ‚Hilfe in der Not‘" "A-aber sie haben Euch doch Euren Stab weggenommen", stotterte Tammy und John lachte. "Ihr denkt, dass meine Kräfte nur in diesem Stab sind?", fragte er. Marilyn hatte inzwischen all die Energie in ihrer Hand angesammelt. "Krallenhieb!", rief sie und verpasste Taurus einen Schlag, der einen Lichtblitz und eine enorme Druckwelle auslöste. Als der Staub sich schließlich wieder legte lag Taurus bewusstlos auf dem Boden. Der Kampf war beendet.
"Ihr habt geschummelt", meinte Capricornus. "Ist dem so? So wie ich das sehe, haben wir gegen keine Regel verstoßen", antwortete John ihm. "Ich sagte, dass Ihr Euch nicht einmischen dürft!" "Sollte", besserte der Junge ihn aus und der Älteste sah ihn verwirrt an. "Erlaubt mir, Euer Gedächtnis etwas aufzufrischen. Ihr sagtet zu Euren Kriegern, dass ich mich nicht einmischen können sollte. Aber verboten habt Ihr es mir persönlich nicht. Außerdem bezog sich das nur auf meinen Stab und den hatte ich nicht bei mir. Wenn jemand Schuld trägt, dann Eure Krieger, weil sie nicht alle Möglichkeiten in Betracht gezogen haben", erklärte er und streckte seine Hand aus. Sein Holzstab begann, sich gegen die Wache zu stemmen, die ihn hielt, bis das Werbiest dem Druck nicht mehr standhalten konnte, woraufhin der Stab aus seinen Händen gerissen wurde und sicher in Johns Hand landete. "Seid Ihr immer so kleinlich?", fragte Capricornus. "Nur wenn es um meinen Vorteil geht", antwortete der Junge grinsend. "Von mir aus. Ihr habt recht mit Eurer Aussage, auch wenn es mir nicht gefällt. Lasst die Gefangenen frei!", rief der Älteste. Taurus rappelte sich inzwischen wieder auf und trat zu Marilyn. "Du hast mich besiegt. Es ist mir eine Ehre, gegen dich gekämpft zu haben", meinte er und neigte leicht den Kopf. "Mir hat es auch Spaß gemacht", erwiderte Marilyn und lächelte ihn an. "Das sollten wir wiederholen." Der Mann nickte grinsend. "Nächstes Mal gewinne ich!", lachte er, dann verabschiedete er sich und ging zurück in sein Zelt, um seine Wunden zu versorgen. "Ein ziemlich beeindruckender Krieger, habe ich recht?", fragte John, der zu ihr getreten war und sie nickte. "Vor allem ist er nicht nachtragend", meinte sie. "Das zeugt von wahrer Größe." Er wuschelte ihr durch die Haare. "Du hast sehr gut gekämpft." „Ach was, ohne deine Hilfe hätte ich am Ende ziemlich alt ausgesehen", widersprach sie. "In der Tat, darum werden wir dein Training auch wieder aufnehmen, sobald wir wieder in Skyfortress sind", meinte John und ein Schauer lief ihr über den Rücken. "Hurra", meinte sie sarkastisch und John lachte. Marilyn sah ihm nach, als er zu den anderen ging und lächelte. Ohne ihn würde ihr Leben jetzt ganz anders aussehen. Er mag vielleicht manchmal etwas seltsam sein, aber er war ihr Freund. Und für das, was er für sie getan hatte, würde sie ihm auf ewig dankbar sein.