Mit langen Schritten ging sie den Gang entlang. Die schulterlangen blonden Haare wippten mit jeder Bewegung vor und zurück. Das Armband, welches sie trug, klimperte rhythmisch dazu. Ihre Augen hatte sei leicht zusammengekniffen, denn das grelle Licht der Neonröhren blendete sie. Es wurde von jedem Fleck in diesem kalten, weiß gestrichenen Gang, dessen Boden von ebenso weißen Fließen in gleich große Vierecke geteilt wurde, reflektiert. Erst als sie sich der Tür näherte, die ihr wie ein Portal aus diesem langweiligen, immer gleichen Erscheinungsbild vorkam, hoben sich ihre Schultern etwas. Sie hatte es schon lange aufgegeben, an diesem Ort ihr allseits bekanntes, falsches Lächeln aufzusetzen. Denn es war nicht nötig und auch wenn sie es nicht wusste, nahm es ihr eine unheimlich große Last von den Schultern.
Warum sie zu spät gekommen sei, fragte er sie. Doch eine Antwort konnte er von der schweigenden Schönheit nicht erwarten. Das tat er auch nicht, denn er kannte sie. Während er also noch seine Standpauke hielt, konnte sie nur über dieses Verhalten schmunzeln. Es war ihr klar, dass es ihm nicht gefiel, wenn sie zu spät kam. Manchmal kam sie gar nicht, nur um ihn zur Weißglut zu bringen. ´Wieso auch nicht?´, dachte sie sich. Denn es gab schlicht und einfach wichtigeres in ihrem Leben als die begrenzte Zeit auf dieser Erde damit zu verbringen, ihm dabei zuzusehen wie er klägliche Versuche unternahm, sie zum reden zu bringen.
Sollte er seine Zeit lieber mit ihrem besten Freund verbringen, der war ein wirklicher Härtefall! Und wenn sie ganz ehrlich war, dann hatte sie keine Lust sich alle drei Wochen einen Neuen zu suchen, weil der Alte mit einem Leichentransport zurück nach Hause geschickt wurde. Allerdings gab es auch keine andere Möglichkeit diesen Ort zu verlassen. Tot oder gar nicht. Vielleicht als Geheilter, aber solche Leute waren ein Mythos.
Wie jeden Tag bot dieser bester Freund ihr auch heute seinen Pudding an. Eigentlich war es verboten, sein Essen zu verschenken, aber das war ihm egal. Er mochte keinen Pudding und sie aß ihn gerne. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, wenn sie ohne die Mundwinkel zu verziehen lächelte, gefiel ihm. So etwas hatte er noch nie gesehen. Auch für sie war er etwas Neues. Jemand der nicht erwartete, dass sie ihre Geschichte erzählte. Der ihr Schweigen akzeptierte. Das gab ihr ein Gefühl von Sicherheit, trotzdem war er ein Mann und würde niemals ihr volles Vertrauen genießen.
Wieder ging sie diesen einen Gang entlang. Er war wie das letzte Kapitel ihres Lebens. Kalt, verloren und einsam. Doch hinter dieser Tür kam das Wohnhaus. Und für sie begann hier ein neues Leben. Hier, an diesem Ort, wo sich verlorene Seelen sammelten.