Eisiger Schrecken durchfährt mich und zugleich spüre ich eine gewisse Erleichterung. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und starre Claudia an. Diese umfasst meine Hand fester, als ob sie mich davon abhalten wolle, doch noch zu verschwinden. Der Impuls dazu kommt mir auch kurz, doch dann seufze ich und nehme die Maske ab. «Du bist es tatsächlich!» ruft Claudia und umarmt mich ungläubig. Dann schiebt sie mich wieder ein kleines Stück von sich und umfasst nun meine beiden Hände. «Du siehst wirklich gut aus. Dieses Outfit ist echt sexy. Auch die langen schwarzen Haare und die Henna Symbole auf deiner Haut, gefallen mir sehr. Es scheint wirklich, du hast deine Kraft wiedergefunden und das freut mich ganz besonders.» Einen Augenblick lang, schauen wir einander an. Meine dunklen Augen, verlieren sich ganz in ihren wunderschönen, Grün- blauen, die mich immer irgendwie an einen glasklaren Oasenteich erinnert haben. Und mir wird einmal mehr klar, dass sie eigentlich stets meine Oase gewesen war, die Oase in dieser kargen, lebensfeindlichen Wüste meines Lebens. Ich hätte sie niemals verlassen dürfen, niemals!
Auf einmal steigen mir Tränen in die Augen, ohne dass ich es möchte. «Es… tut mir leid, einfach alles tut mir leid! Ich habe so viele falsche Entscheidungen getroffen, ich… hätte dich niemals wegen diesem Mistkerl Amir verlassen dürfen. Aber… ich hatte solche Angst, auch ganz besonders um dich. Er hat dich mehrmals bedroht, mir gesagt, was er mit dir alles anstellen würde, wenn ich dich nicht verlassen würde. Ich kam einfach noch nicht klar damals, ich war nicht… stark genug. Nun aber bin ich es wieder Claudia! Ich habe tatsächlich meine Stärke wiedergefunden, du hast recht.» Ich berichtete ihr alles, was mir wiederfahren war und sie hörte tief beeindruckt zu. «Seit die Rachegöttin in mein Leben kam…» schloss ich meine Erzählungen, hat sich einfach alles verändert und nun… muss ich darauf achten, dass sie nicht die Überhand in mir gewinnt. Ich hätte Amir gestern fast umgebracht, als ich ihm dein Handy abnehmen wollte. Einerseits hat es mir grosse Befriedigung verschafft, ihm mal eine Abreibung zu verpassen, doch es macht mir auch irgendwie Angst, zu was ich in diesem Zustand fähig bin.»
«Ich kann es verstehen, Amir hat dir so viel angetan…»
Claudia legt liebevoll den Arm um mich und führt mich zum Sofa, wo sie mich auffordert mich zu setzen. «Es wird Zeit, dass du dich endlich von ihm befreien kannst, jedoch auf legalem Wege. Wir sollten ihn vor Gericht bringen. Ich kenne da eine gute Anwältin, welche uns beraten kann.» «Aber ich kann keine Anwältin bezahlen. Zwar habe ich schon ein geregeltes Einkommen, aber es ist nicht sehr viel.» «Ich werde dich unterstützen, wir stehen das zusammen durch, klar? Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich habe die Vermutung, Amir hat schon einiges an krummen Dingern gedreht, du solltest ihn mal eine Weile beobachten, jetzt da du diese… Kräfte hast. Vielleicht finden wir etwas, dass ihn genug belastet, um ihn endlich hinter Gitter zu bringen.»
«Hätte ich ihn doch nur angezeigt, als er mich das letzte Mal so schrecklich verprügelt hat. Stattdessen wurde ich zur Rachegöttin und habe ihn selbst beinahe umgebracht. Ausserdem bin ich dann einfach verschwunden, das unterstützt meine Glaubwürdigkeit nicht unbedingt.» «Wir werden etwas finden. Diese Anwältin, von der ich dir erzählt habe, ist da sehr kompetent. Es muss etwas geben, um Amir vor Gericht zu bringen. Ich bin da für dich! Ich wollte immer für dich da sein.» Sie streichelt liebevoll mein Gesicht und meine Haare und mein Herz klopft erneut heftig. «Hast du denn noch keine neue Partnerin?» frage ich sie unsicher. Sie lächelt ihr wundervolles, warmes Lächeln und sagt. «Nein, bisher noch nicht. Ich glaube ich hänge wohl noch immer viel zu sehr an dir und ehrlich gesagt, habe ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass du eines Tages zu mir zurückkommst, wenn all diese schlimmen Dinge mit Amir endlich ausgestanden sind. Ich glaube jetzt können wir es schaffen. Sieh dich nur an, du bist so stark geworden, so…» sie kann nicht weitersprechen, denn ich verschliesse ihre weichen Lippen, mit einem leidenschaftlichen Kuss. Sogleich erwidert sie den Kuss. Wie wundervoll das ist, erst jetzt wird mir wieder klar, wie schön es immer mit ihr war! Sie hat mich nicht aufgegeben und wir beide lieben uns immer noch. In ihren Armen kann ich all das Schreckliche vergessen, ich kann mich ganz und gar fallen lassen, weil ich ihr voll und ganz vertraue. Und während wir uns nach hinten sinken lassen und uns weiterhin küssen und liebkosen, empfinde ich das erste Mal tiefste Dankbarkeit für all die Dinge, die mir durch meine Begegnung mit der Rachegöttin wiederfahren sind. Ohne sie wäre ich wohl nicht hier und nun ist es an der Zeit, mein Leben wahrlich zu leben! Ich spüre neue Hoffnung und das ist wunderbar!
15. Kapitel
Rechenschaft ablegen
Ich beschliesse ein paar Tage hier bei Claudia zu bleiben, doch ich gehe unter Tags nur selten hinaus und wenn, dann meistens abends oder nachts mit meiner Maske und den dazugehörigen Kleidern. Ich will nicht, dass mich jemand erkennt und ausserdem fühle ich mich viel sicherer so. Ich bin dann auch agiler, selbstbewusster und es fällt mir leichter, mich unbemerkt von einem Ort zum anderen zu bewegen.
Ich spüre die Tigerkraft in mir, während ich durch einige dunklen Gassen und Hinterhöfe schleiche. Meine Schritte verursachen kein einziges Geräusch, wie die weichen Tatzen einer Raubkatze. Ich bewege mich elegant und fliessend vorwärts, nutze die Schatten aus, um darin fast gänzlich zu verschwinden. Mein schwarzer, langer Mantel und meine hohen, ebenfalls schwarzen Stiefel, vereinen sich mit der Dunkelheit, die für mich doch gar nicht so dunkel ist, denn ich sehe nun um einiges besser und viel schärfer. Mein Ziel ist ein heruntergekommenes Gebäude, in dem einige zwielichtigen Gestalten ein und aus gehen. Ich verfolge Amir nun schon eine ganze Weile. Er treibt sich oft an Orten herum, wo er junge Frauen, oder Mädchen antrifft. Mit beinahe tödlicher Sicherheit, kann er erkennen, ob eine dieser jungen Frauen sich in Schwierigkeiten befindet, vielleicht von irgendwoher eingewandert ist, so wie ich damals aus dem Balkan, als der schlimme Krieg dort wütete. Es gibt noch immer viel zu viele junge Frauen und Mädchen, die in Not sind. Viele kommen heutzutage aber aus den arabischen Ländern, oder aus Afrika. Amir versteht es sie abzufangen, wenn sie Hilfe brauchen. Er gewinnt ihr Vertrauen, indem er ihnen bei verschiedensten Angelegenheiten zur Seite steht. Wie er es damals bei mir getan hat, anfangs…
Wieder holen mich die düsteren Schatten der Vergangenheit ein und ich muss meine ganze Kraft aufwenden, um sie wieder zu verdrängen. Ich kann das jetzt nicht brauchen, ich darf jetzt nicht schwach sein. Ich muss stark sein, für mich, ja auch für meine liebste Claudia.
Ich habe mitbekommen, dass Amir sich mit einer jungen Frau aus Syrien hier, in diesem Haus verabredet hat. Vermutlich hat er sie unter irgendeinem Vorwand hergelockt und da diese nun schon abhängig von ihm ist, weil er ihr bei so vielem geholfen hat, lässt sie sich wohl darauf ein. Vermutlich in der falschen Annahme, dass sie Amir vertrauen kann, er sie vielleicht sogar liebt. Ekel ergreift mich und ich spuke auf den Boden. Dieser Mistkerl wird bald für alles büssen, was er getan hat! Dafür werde ich sorgen!
Ich habe nun einen weiteren dunklen Innenhof durchquert und stehe nun vor diesem alten, heruntergekommenen Haus. Aus einem Fenster dringen laute Stimmen, von irgendwelchen streitenden Leuten. Hip Hop Musik dringt ausserdem an mein Ohr. Ich ducke mich hinter einen Busch in der Nähe der Eingangstür und warte ab. Amir sollte bald hier sein.
Tatsächlich dauert es nicht lange und er kommt. Er hat das Mädchen bereits bei sich. Es ist kaum älter als ich damals, auf jeden Fall noch minderjährig. Sie ist hübsch, hat alabasterne Haut, schwarzes, dichtes Haar und dunkle Augen. Sie ist wie eine Lolita geschminkt und trägt ein kurzes, luftiges Kleid. Was hat dieser Kerl nur mit diesem armen Mädchen vor?
Wie immer, wenn ich Amir sehe, krampft sich mein Magen zusammen und mein Unterleib beginnt, aus unerfindlichen Gründen, grässlich zu schmerzen. Ich murmle in Gedanken ein Mantra, dass mir Kraft verleihen soll und tatsächlich kann ich mich erneut beruhigen. Ich darf auf keinen Fall schwach werden, auf gar keinen Fall! Amir hat keine Macht mehr über mich! Ich bin frei und ich rufe mir die Erinnerung an die Abreibung, die ich ihm vor einiger Zeit verpasst habe, ins Gedächtnis. Er ist doch eigentlich nicht mehr, als ein verdorbenes, feiges Schwein! Er kann mir gar nichts und dennoch übermannt mich bei seinem Anblick immer noch diese lähmende Furcht. Wie ein Damoklesschwert, aus purem lichterlosem Schatten, scheint Amirs Geist dann noch immer über mir zu schweben. Doch nun ist es genug! Ich muss mich zusammenreissen, schon wegen all der Mädchen, denen er noch dasselbe antun könnte, wie mir damals. Ihnen muss unbedingt geholfen werden.
Kurz nachdem mein Ex und das Mädchen in dem alten Haus verschwunden sind, fährt ein weisser Mercedes vor. Ein gut gekleideter Mann steigt aus. Er macht einen orientalischen Eindruck. Er wird begleitet von zwei weiteren Männern. Sie sind schon in den mittleren Jahren. Was tun sie bloss hier? Eine schlimme Ahnung wächst in mir und als sie das Haus betreten, folge ich ihnen unauffällig.
Sie gehen in den dritten Stock. Vor einer der Wohnungstüren bleiben sie stehen und ich höre wie der eine zu den anderen sagt: «Und sie ist wirklich noch Jungfrau, ist das sicher? «Ja,» erwidert ein anderer «Auf jeden Fall. Es wurde von einem Arzt meines Vertrauens überprüft.» «Das ist gut, das ist sehr gut,» sagt der erste und ein seltsamer, erregter Ton, schwingt in seiner Stimme mit. Die drei klopfen an und tatsächlich, öffnet Amir die Tür und bittet sie charmant herein. Auch diesmal folge ich ihnen, stets alle nötigen Deckungen ausnützend. Die Männer verschwinden in einem Zimmer und ich lausche bis zum Äussersten angespannt, auf das was sie sagen. Zum Glück ist auch mein Gehör nun ausserordentlich gut. Es ist mir mittlerweile möglich die Fähigkeiten, die ich durch die Rachegöttin erlangt habe, immer mehr zu kontrollieren, sie zu aktivieren oder zu deaktivieren. Was ich da vernehme, jagt mir kalte Schauder über den Rücken.
«Amir?» hörte ich die ängstliche Stimme des jungen Mädchens, «was soll das, was machen wir hier und was wollen die?» Amir erwiderte mit väterlicher Stimme: «Diese Gentlemen suchen eine Jungfrau für… besondere Stunden und du bist ja noch Jungfrau. Es wird Zeit, dass du mal etwas für mich tust, bisher hast du immer nur genommen. Das geht nicht so weiter Kleine, du musst auch mal etwas Geld verdienen. Du hast ja noch immer keine anhaltende Aufenthaltsbewilligung und kannst nicht arbeiten. Darum musst du hier jetzt etwas arbeiten.» «Aber Amir! Das… kannst du nicht ernst meinen, ich dachte du liebst mich?» «Das tu ich doch auch, meine Süsse, ja wirklich, doch wie ich bereits sagte, du musst auch mir mal einen Gefallen tun. Diese Gentlemen bezahlen gutes Geld für dich und du solltest dich nicht so zieren.» «Aber… ich habe doch noch nie… ich habe Angst, bitte Amir tu mir das nicht an!» «Nur keine Angst,» höre ich nun die Stimme des einen Freiers. «Wir werden ganz vorsichtig sein und du kannst dir danach viele schöne Kleider kaufen. Ist das nicht grossartig? Du wirst auch nie mehr Hunger leiden.» «Was heisst… wir?» Panik war nun in der Stimme des Mädchens zu vernehmen. «Ihr alle wollt…» «Nur keine Angst,» beruhigte sie Amir, «das sind alle drei sehr nette Männer, sie werden sanft sein, wie es sich bei einer Jungfrau gebührt, nicht wahr?» «Ja natürlich!» war die einstimmige Antwort der drei Freier. «Dann gehe ich nun und lasse euch etwas allein,» sprach Amir «Die erste Hälfte des Geldes wäre nun fällig, die zweite, wenn ihr fertig seid und denkt daran, ich nehme kein beschädigtes Eigentum zurück. Also tragt Sorge zu ihr!» «Wie gesagt, das ist ganz klar!» war die erneut einstimmige Antwort. Ich hörte das Rascheln einiger Geldscheine, die ausgetauscht wurden und dann wieder Amirs Stimme: «Also gut dann bis später. Eine Stunde, dann bin ich zurück.»
Ich hörte wie mein verabscheuungswürdiger Ex sich aus dem Zimmer bewegte. Ich huschte schnell zurück und positionierte mich hinter der Eingangstür. Unbeschreiblicher Ekel, machte sich in mir breit, es wurde mir ganz schlecht, wenn ich daran dachte, was diese Mistkerle mit diesem armen Mädchen tun wollten. Wieder brachen all die schrecklichen Erinnerungen über mich herein, die mir aus jener Zeit geblieben waren, als Amir begann mich an andere Männer für Geld zu verschachern. Dieses syrische Mädchen, war nun genau in derselben Lage, wie ich damals und ich musste ihr helfen. Ich versuchte einen klaren Kopf zu bewahren, denn bereits zogen sich wieder die roten Schleier der Wut vor meinem inneren Auge zusammen und die Rachegöttin in mir, drohte mit aller Kraft hervor zu brechen. Doch diesmal musste ich geschickter vorgehen, wenn ich Amir endlich hinter Gitter bringen wollte. Er hatte vor, ein minderjähriges Mädchen, zu einer schrecklichen Art der Prostitution zu zwingen. Das würde ihm bestimmt einige Jahre einbringen und wenn noch mehr seiner Schandtaten an den Tag kamen, dann hatte ich ihn endlich, endlich vollends los! Dieser Gedanke trieb mich an und half mir die Beherrschung nicht zu verlieren. Ich wusste nun genau was zu tun war und als Amir aus der Türe treten wollte, schlug ich ihm diese mit voller Wucht ins Gesicht!