4.Kapitel
Verwandlung
Ein paar Wochen sind nun vergangen und ich habe erstaunlich schnell eine neue Arbeitsstelle gefunden. Ich bin hier ebenfalls als Zahnarztassistentin tätig und es gefällt mir sehr. Die Stadt in der ich nun lebe, nennt sich Blossom City. Eine hochmoderne, aufblühende Stadt, mit vielen Hochhäusern und Strassenschluchten. Ich lebe etwas ausserhalb, in einem kleinen, schmucken 1 ½ Zimmer Appartement. Es ist etwas Ruhe eingekehrt, seit ich mich nicht täglich vor diesem Mann zu fürchten brauche.
Dennoch, habe ich manchmal Zeiten, da frage ich mich, ob ich das Richtige getan habe. Dieser Mann, er wird niemals zu Rechenschaft gezogen werden. Er wird immer weitermachen und andere, junge Mädchen dazu bringen, ihm zu vertrauen, um sie dann für seine Zwecke zu missbrauchen.
Ich bin hier so alleine und die schrecklichen Erinnerungen brechen auf einmal wieder über mich herein, wie eine kalte, unbarmherzige Flutwelle. Ich erinnere mich daran, wie ich als junges Mädchen vom Krieg in meinem damaligen Heimatland fliehen musste. Ich erinnere mich an jenen schrecklichen Augenblick, da unser Häuserblock von der Miliz gestürmt wurde. Ich habe gesehen, wie sie Leute vor meinen Augen erschossen. Überall Blut, überall diese schrecklichen verzehrten Gesichter von Menschen, welche völlig unerwartet von einer tödlichen Kugel getroffen wurden und andere Gesichter von Menschen, deren Augen vor Schrecken und Entsetzen darüber geweitet waren, was man ihnen antat. Wir entkamen nur ganz knapp der Miliz und ich schaffte es schliesslich in dieses Land hier, wo zum Glück noch Frieden herrscht. Meine Eltern kehrten schlussendlich wieder in ihre alte Heimat zurück, ich aber blieb. Einer der hauptsächlichen Gründe dafür war, dass ich ihn kennenlernte und ich war wirklich sehr verliebt in ihn. Er war anfangs so freundlich, so einfühlsam. Gab mir ein Gefühl von Sicherheit, von Geborgenheit. Doch ziemlich bald, zeigte er sein wahres Gesicht…
Als ich daran zurück denke, habe ich den plötzlichen Impuls meine Messer wieder hervor zu holen und mir das Leid, dass ich gerade wieder empfinde, aus meinem Körper- meiner Seele, zu schneiden. Doch… dann kommt mir wieder die starke, geheimnisvolle Kriegerin in den Sinn, welche mir schon mal gegen meinen Ex geholfen hat. Ihre Augen tauchen vor mir auf und bohren sich in meine. Doch ich wage nicht, ihr diesmal nachzugeben. Das Messer lege ich jedoch vorerst wieder weg. Man weiss ja nie.
Mein Ex Freund versprach mir damals, als ich 14 Jahre alt war, mir dabei zu helfen in der neuen Heimat Fuss zu fassen. Ich vertraute ihm und er brachte mich zu einigen Leuten, von denen er behauptete, dass sie mir weiterhelfen würden. Schon damals hatte ich eigentlich kein gutes Gefühl, doch wie gesagt, ich vertraute ihm. Ich hätte es niemals tun sollen, denn damals bezahlte jemand das erste Mal dafür, mit mir Sex zu haben. Ich war zu jener Zeit noch Jungfrau und mein Freier, ein etwa 35 jähriger Mann, welcher viel dafür bezahlte mich entjungfern zu dürfen, machte sich über mich her. Es war so schrecklich, so furchtbar und mein damalige Freund Amir liess es einfach geschehen. Das war das erste Mal, dass er mich… dass er meinen Körper verkauft hatte und es sollte nicht das letzte Mal sein. Ich war damals so einsam und wurde immer mehr von Amir abhängig…
Mein Herz fühlt sich zentnerschwer an und ich werde erneut in den dunklen Strudel des Elends und des immer noch in mir lebenden Entsetzens, herabgerissen.
Ich stelle mir vor, dass mein Ex Freund andern Mädchen dasselbe antun könnte. Denn er war, wie sich herausstellte, auch sonst schon als Zuhälter tätig gewesen.
Als ich an die armen, möglichen Opfer meines Ex- Freundes denke, ballen sich meine Hände immer mehr zu Fäusten und ich merke wie einmal mehr eine fremde, zornige Kraft von mir Besitz ergreift. Ich will mich dagegen wehren, denn ich habe schreckliche Angst davor, die Kontrolle wie letztes Mal zu verlieren und jemanden dadurch zu verletzten. Ich gehe zum Spiegel und betrachte mich. Auf einmal gefällt mir mein Aussehen immer weniger. Meine Haare sind halblang, strähnig und ohne Glanz und Farbe. Die Augenpartie mit den braunen Augen und den dichten, dunklen Wimpern, wäre ganz okay. Doch ich bin noch immer viel zu bleich und zu hager.
Einer unbestimmten Eingebung folgend, hole ich etwas Geld aus meiner Geldkassette im Schlafzimmer und mache mich auf die Suche nach einem Friseur in der Umgebung. Bald habe ich einen gefunden. Eine freundliche, schlanke Frau mit dunklem, ebenfalls halblangem, fransig geschnittenem Haar begrüsst mich und bittet mich Platz zu nehmen. „Es ist gerade wenig los, da habe ich etwas Zeit“, spricht sie. „Was wäre ihr Wunsch?“ Ich schaue mich im Spiegel noch einmal an und plötzlich sehe ich wieder diese schöne, kriegerische Frau vor meinem inneren Auge. Ich will aussehen wie sie! Ich schildere der Friseuse meine Vorstellungen und diese meint: „Sie wollen also langes, schwarzes Haar?“ „Ja.“ „Dann müssten wir uns vorerst mit Haarteilen behelfen. Ich kann mir aber vorstellen, dass ihnen das sehr gut stehen wird.“ Ich nicke zustimmend und sie beginnt ihr Werk.
So langsam beginnt meine Verwandlung von der einfachen, leidgeplagten Milena, zu etwas anderem, etwas gänzlich Neuem. Die Haare werden länger und länger, dunkler und dunkler und rahmen mein Gesicht ein, wie ein schimmernder Vorhang. Sogleich merke ich, während ich mich äusserlich verwandle, auch innerlich eine Verwandlung. Ich fühle mich auf einmal stark, frei und ungebunden und sogleich, habe ich durch die Freude und das Wohlfühlen in meinem Körper, auch eine viel gesündere, rosigere Gesichtsfarbe. Eigentlich bin ich ja doch ganz hübsch. Meine von Natur aus dunklen Brauen und Augen, passen gut zu der schwarzen Mähne, welche ich genauso frisieren liess, wie ich es bei der wundersamen Frau gesehen habe. Die Friseuse ist zufrieden, ich noch mehr. „Sagen sie mal?“ frage ich „Ich habe gelesen, dass sie auch Make-up anbieten? Würden sie das bei mir noch machen, passend zur neuen Frisur?“ Die Friseuse freut sich natürlich, bedeutet das doch etwas mehr Einnahmen. „Ja gerne, Zeit habe ich jedenfalls.“ Ich lächle sie dankbar und freudig an und sie holt ihre Schminkutensilien. Sie macht mir ein schönes Make –up, ähnlich wie bei der geheimnisvollen Frau, nicht zu aufdringlich und doch drückt es ein neues Selbstbewusstsein aus. Das Ergebnis ist sehr zufriedenstellend und durch das sanfte, orangebraune Rouge, habe ich jetzt auch noch eine etwas gesündere Ausstrahlung. Seltsamerweise konnte ich mich früher schminken soviel ich wollte und es hat mir immer noch den Eindruck gemacht, ich sähe ungesund aus. Doch jetzt… ist das irgendwie anders. Alles… ist irgendwie anders, seit ich dieser Kriegerin begegnet bin…
Nach dem Besucht bei der Friseuse, habe ich auf einmal Lust mir auch ein paar neue Kleider zu kaufen. Bisher war ich eher immer bieder angezogen gewesen, nur wenn… Amir mich jeweils zu den… verschiedenen Freiern gebracht hatte, wurde ich aufgetakelt. Beides war mir auf einmal vollkommen zuwider und so kaufte ich verschiedenste neue Klamotten ein. Klamotten die nur mir allein gefallen mussten. Darunter auch ein grünes, wunderschönes, leuchtendes Kleid, das den Eindruck erwecken würde, als wehe mit mir der Frühling durch die eintönig anmutenden Gassen der Stadt.
Als die Sonne bereits tief am Horizont steht und den Himmel mit rotgoldenem Abendlicht durchflutet, komme ich nochmals zu einem kleinen Geschäft, welches mich sogleich in seinen Bann zieht. Es ist orientalisch eingerichtet, mit bunten Wandbehängen, welche in leuchtenden Farben Szenen aus der hinduistischen Mythologie zeigen. Ein Wandbehang zieht sogleich meine Aufmerksamkeit auf sich. Er zeigt eine wunderschöne, schwarzhaarige Frau, mit einem roten Sari bekleidet, welche sechs Arme hat und verschiedenste Waffen über ihrem Kopf schwingt. Sie reitet auf einem wundervollen Tiger, mit wildem Blick. Eine Stimme, welche gebrochen meine Sprache spricht, erklingt hinter mir. „Gefällt ihnen die Darstellung der grossen Göttin Durga? Sie wird auch oft die Rachegöttin genannt.“ Rachegöttin… ich wende mich um und mein Herz klopft auf einmal heftig…
Mit bebender Stimme erwidere ich: „Ja, dieser Wandbehang gefällt mir wirklich sehr.“ Ich werfe einen Blick auf das Preisschild und entschliesse mich ihn zu kaufen. Die Verkäuferin, eine anmutige Inderin mit einem roten Tupfen auf der Stirn, langen glänzenden Haaren, die wie schwarzes Pech aussehen und wunderschönen Hennatätowierungen auf Händen und Armen, strahlt voller Freude. Sie nimmt der Wandbehang liebevoll und voller Ehrfurcht herunter und Ihre goldenen Armreifen klingeln dabei leise. Ihr herrlicher, orangegrüner Sari raschelt. Sie rollt den Wandbehang sorgfältig zusammen und legt ihn auf den kleinen Ladentisch, wo einige Räucherstäbchen einen lieblichen Duft verströmen. Meine Sinne sind seltsam betäubt. Es ist mir, als wäre ich in eine ganz andere Welt eingetaucht. Mein Blick schweift über einige Fotos an der Wand, welche Hennatätowierungen auf verschiedensten Körperteilen zeigen. Daneben steht: Henna Tätowierungen aller Art, wir beraten sie gerne. „Kann man sich hier bei ihnen eine solche Tätowierung machen lassen?“ Die Verkäuferin nickt eifrig und erfreut: „Ja, selbstverständlich! Ich kenne mich damit sehr gut aus. Die Tätowierungen auf den Fotos, habe alle ich gemacht. Ich verkaufe auch nur Henna von allerbester Qualität.“ Ich blicke auf die Uhr. „Es ist bald Ladenschluss, aber ich würde gerne wiederkommen, um mir sowas machen zu lassen“, spreche ich und bin selbst davon überrascht. Wir machen einen Termin ab. Dann bezahle ich und schicke mich an, den Laden zu verlassen. Die Frau hält mich nochmals auf und meint geheimnisvoll: „In ihnen lebte ebenfalls der Geist der Durga, das habe ich sogleich gespürt.“ Ich blicke sie erstaunt und etwas perplex an. Wie kommt sie nur auf sowas?“ So nicke ich nur und lächle sie mit leicht hilfloser Dankbarkeit an. „Wenn sie wüsste, wie wenig ich mit Durga wirklich gemein habe…“ denke ich bei mir, als ich mit seltsam klopfendem Herzen den Laden wieder verlasse…