Katara saß an dem Lagerfeuer, das Aang entfacht hatte, nachdem er mit Toph zurückgekommen war. Die übrigen Kinder waren noch irgendwo im Tempel unterwegs und En-Die und Leila taten es ihnen wohl gleich. Die Wasserbändigerin konnte sich sehr gut vorstellen, dass der Schatten im Moment niemanden um sich haben wollte, mal abgesehen von der Blutsaugerin. Sie blickte auf den Luftbändiger und die Erdbändigerin, die miteinander redeten und gelegentlich lachten, wenn sie sich an etwas lustiges aus dem Training erinnerten. "Aang…", begann Katara dann, nachdem sie sich ein Herz gefasst hatte, "…wann hast du En-Die kennengelernt?" Der Avatar sah sie erstaunt an, ehe er eine Gegenfrage stellte: "Warum fragst du?" "Ich…ich habe heute mal wieder bemerkt, dass ich fast nichts über ihn weiß", murmelte das Mädchen als Antwort. Toph grinste bei diesen Worten. "Ich glaube, dass wir alle fast nichts über ihn wissen", meinte sie. "Du solltest wohl lieber Leila fragen, wenn du etwas Genaueres über ihn wissen willst, aber wenn du möchtest kann ich dir trotzdem sagen, wie es damals war", bot Aang dann an und Katara nickte eifrig. Also begann Aang zu erzählen.
Es war ein kalter Wintermorgen, als der Schatten zum ersten Mal im südlichen Lufttempel auftauchte. Zumindest zum ersten Mal, seit Aang dort lebte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der junge Luftbändiger noch nicht mal seine Tattoos. Wie jeden Tag stand er früh auf und wusch sich mit eiskaltem Wasser, ehe er meditierte, so wie es seit jeher bei den Luftmönchen Sitte war. Und während er auf der Mauer saß und meditierte, hörte er plötzlich, dass irgendetwas am großen Hauptplatz des Tempels vor sich ging. Neugierig, wie er schon immer gewesen war, unterbrach er seine Mediation, um herauszufinden, was dort vor sich ging. Von einem der Dächer des Lufttempels beobachtete er, wie ein gewaltiger goldener Skorpion die lange Treppe zum Lufttempel heraufkam. Auf dem großen Platz hinter dem Eingangstor blieb das Tier dann stehen und eine wahrhaft seltsame Gestalt stieg herab. Es war ein großes, dunkles Wesen, mit scharfen Zähnen und Klauen, violett leuchtenden Augen und einem Mantel, der um ihn herum waberte, als wäre er lebendig. Einer der ältesten Mönche kam zu ihm und begrüßte es respektvoll, was das Wesen auch erwiderte, ehe die beiden im Inneren des Tempels verschwanden. "Na Aang, sind wir wieder neugieriger, als wir sollten?", ertönte da eine Stimme hinter ihm und Aang drehte sich um, um Gyatso zu erblicken. Der alte Mönch lächelte ihn gütig an. "Tut mir leid Gyatso, ich wollte nur wissen, was da unten los ist", entschuldigte der Junge sich und sein Vormund trat neben ihn und beobachtete mit ihm gemeinsam, wie der große goldene Skorpion in den Stall gebracht wurde, wo auch die Luftbisons der Mönche schlafen konnten. "Das ist Sanchandra", erklärte Gyatso dem jungen Luftbändiger. "Sie ist die Letzte der großen goldenen Skorpione, die von dem Volk der Schatten benutzt wurden, ehe es von dieser Welt verschwand." "Verschwand?", hakte Aang neugierig nach. "Sie lebten in einem Vulkan, ein feuerspuckender Berg. Und der Berg brach aus. Es gibt heute nur noch einen letzten Schatten. Das ist das Wesen, das auf Sanchandra geritten ist", antwortete der alte Mönch seinem Schützling. "Sein Name ist En-Die und er ist ein Freund aller Völker." "Und was macht er hier?" Gyatso kicherte. "Nun, das weiß ich nicht. Er hat immer einen Grund, wenn er kommt, soviel steht fest. Aber wenn es mir erlaubt ist, dann werde ich danach fragen", versprach er und Aang nickte fröhlich. "Jetzt aber zurück zu deiner Meditation, bevor dich noch jemand erwischt."
"Ich habe En-Die während seinem ersten Besuch noch einige Male gesehen. Wir haben geredet und er hat unser Training beobachtet. Er ist danach noch dreimal gekommen und wir haben sogar gemeinsam Übungen durchgeführt. Wir wurden sehr gute Freunde. Doch beim letzten Mal, da brach er überraschend auf. Er meinte, es wäre irgendetwas, was er in Azulon erledigen musste. Kurz darauf bin ich aus dem Tempel abgehauen, weil…naja, die Geschichte kennt ihr ja schon", beendete Aang seine Erzählung. "Und weißt du, warum er beim ersten Mal gekommen ist?", fragte Toph ihren Freund, doch dieser schüttelte den Kopf. "Man hat es mir nie erzählt", antwortete er und die Erdbändigerin richtete ihren blinden Augen etwas enttäuscht auf den Boden. "Ich kam, um den neuen Avatar zu finden", meinte da plötzlich jemand und alle fuhren herum. En-Die und Leila standen in der Nähe des Lagers. Offenbar waren sie während Aangs Geschichte zurückgekommen, ohne dass jemand etwas bemerkt hatte. Nun ja, mit einem Blick auf Tophs selbstgefälliges Grinsen erkannte der Avatar amüsiert, dass sie es sehr wohl bemerkt hatte. Dann richtete der Junge seine Aufmerksamkeit wieder auf den Schatten. "Du wolltest den Avatar finden?", fragte er seinen alten Freund, welcher nickte. "Das sagte ich gerade, ja. Ich habe, nachdem mich die Kunde von Rokus Tod erreicht hatte, die nächsten neun Jahre alle Lufttempel besucht, um den Avatar zu finden. Im südlichen Tempel habe ich ihn dann gefunden." "Und es den Mönchen mitgeteilt", schlussfolgerte Katara. Doch En-Die schüttelte den Kopf, woraufhin ihn alle, selbst Leila, etwas überrascht ansahen. Naja, Toph sah nicht aber…naja sie…ach ihr wisst schon. "Ich habe den Avatar gefunden und es verschwiegen."
En-Die stand am Rande des Übungsplatzes und beobachtete die jungen Luftbändiger bei ihrem Training, zwei Mönche aus dem Ältestenrat neben ihm. Sein Blick wanderte über die Luftbändiger und blieb dann an einem von ihnen hängen. Er beobachtete, wie er versuchte, einen Ball unter sich zu formen, um darauf zu schweben, dabei jedoch immer wieder auf die Nase fiel. "Habt Ihr schon eine Vermutung?", riss ihn einer der Mönche aus seinen Gedanken. Der Schatten drehte sich zu ihm und verneinte. "Nein. Doch mit Eurer Erlaubnis würde ich gerne etwas länger hierbleiben." Die beiden Mönche nickten. "Gebt uns einfach Bescheid, wenn Ihr etwas braucht oder findet", baten sie und En-Die nickte. Dann entfernten sich die beiden Ratsmitglieder. Das alte Wesen vergewisserte sich noch ein letztes Mal, dass sie tatsächlich weg waren, dann trat er auf den Übungsplatz und bewegte sich auf den Jungen zu, der den Luftball zu formen versuchte. Die übrigen Kinder sahen ihn neugierig an, als er an ihnen vorbeiging. En-Die seufzte. Es war ihm zwar immer etwas unangenehm, wenn so etwas passierte, aber er verstand auch, dass er für die meisten Menschen sehr seltsam aussah. So ließ er die Blicke über sich ergehen, die er trotz den Bemühungen der Kinder, sie unauffällig zu tätigen, dennoch auf sich spüren konnte. Dann war er endlich bei dem Jungen angekommen. Er war der einzige, der ihn nicht beachtet hatte und so war er sehr überrascht, als er aufsah und En-Dies große Gestalt vor ihm stehen sah. "Oh, äh…hallo…Herr letzter Schatten Sir!", begrüßte er ihn aufgeregt. Der Genannte betrachtete den Jungen kurz mit seinen violett leuchtenden Augen, dann kniete er sich zu ihm herunter, um nicht ganz so groß zu erscheinen. "Nenn mich En-Die. Wie lautet dein Name?", fragte er. "Aang", antwortete der Junge. ‚Aang. Die Schriftzeichen leiten sich von ‚Friedvoll‘ und ‚Hochfliegend‘ ab, wenn ich mich nicht irre‘, überlegte der Schatten. "Ich bin erfreut, dich kennenzulernen Aang. Was machst du hier?", fragte er dann freundlich weiter. "Ich versuche einen Luftball zu formen. So könnte man sich viel besser fortbewegen und es wäre auch toll zum Spielen", erklärte der Luftbändiger ihm. ‚Er hat einen Sinn fürs Praktische, gibt aber ehrlich zu, dass er auch Spaß haben möchte.‘ "Nun, ich bin mir sicher, wenn du weiter übst, dann wirst du es auf jeden Fall schaffen", ermutigte En-Die ihn und Aang grinste fröhlich. Dann richtete der Schatten sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Seine Augen leuchteten schwach auf, als er die Aura des Jungen überprüfte. Er erwartete eine kräftige Aura, möglicherweise sogar eine Grüne, wie sie bei willensstarken Menschen üblich war. Was ihn dann jedoch erwartete, warf ihn fast um. Es war eine blaue Aura, die seltenste Farbe von allen und sie leuchtete so hell und kräftig, wie En-Die noch nie zuvor eine Aura leuchten gesehen hatte. Nun ja, noch nie zuvor außer beim... ‚Avatar‘, schoss es ihm durch den Kopf. Kein Zweifel, dieser Junge war der Luftbändiger, den er gesucht hatte. Das Kind, in das Raava nach Rokus Ableben weitergewandert war. En-Die verabschiedete sich von Aang und verließ den Trainingsplatz. Auf dem Weg zu den Ställen traf er den Ältestenrat, der nun vollständig versammelt war. "Habt ihr irgendeinen Hinweis gefunden?", fragte Gyatso ihn und der Schatten betrachtete die alten Mönche nachdenklich. "Nein. Nichts", antwortete er dann und ging weiter. "Heißt das, dass Ihr uns nicht mehr bei der Suche helfen wollt?", fragte einer der Mönche ihn noch und er drehte sich halb zu ihnen um. "Vielleicht solltet ihr selbst nach Hinweisen suchen. Hinweise, die ihr vielleicht schon lange habt."
"Meine Spielsachen", erinnerte sich Aang. "Ich habe dieselben Spielsachen ausgewählt, wie Roku." En-Die nickte zustimmend. "Aber warum hast du es ihnen nicht erzählt? Warum hast du geschwiegen?", fragte Toph den Schatten dann. "Nun…ich wollte nicht, dass Aang seine Kindheit weggenommen wird", antwortete er ihr und die blinden Augen der Erdbändigerin verloren ihre Strenge. "Ich kam wieder und wieder, um mich zu vergewissern, dass es dir gut ging Aang", erzählte En-Die weiter. "Doch dann bei meinem letzten Besuch erhielt ich die Kunde, dass Sozin seine Armee mobilisiert hat. Ich ritt los, um ihn aufzuhalten, kam aber erst in Azulon an, als er bereits zurück war." Sein Blick richtete sich auf den Luftbändiger, der vor ihm saß. "Ich bitte dich nicht um Vergebung Aang, denn ich weiß, dass es unverzeihlich ist. Ich war dumm und in meiner Dummheit habe ich die falsche Entscheidung getroffen. Wäre ich nur geblieben, ich hätte den Angriff auf deinen Tempel abwehren können, oder die Mönche überreden können, dich in Ruhe zu lassen, oder…", Aang hob seine Hand und brachte ihn so zum Schweigen. "En-Die, was geschehen ist, ist geschehen", meinte er. "Es ist nicht deine Schuld." En-Die lächelte schwach. "Ich danke dir, Aang", murmelte er. Sie schwiegen eine Weile, bis Katara es wagte zu fragen: "Da wir gerade über die Vergangenheit reden…was ist damals beim großen Erdkrieg passiert, En-Die?" Der Schatten sah sie kurz an, dann schüttelte er bloß den Kopf. "Diese Geschichte werde ich euch heute nicht erzählen", meinte er und stapfte davon. Leila sah ihrem Freund nach, dann setzte sie sich zu den anderen, wobei sie penibel darauf achtete, nicht zu nahe ans Feuer zu geraten. "Ich werde es euch erzählen", meinte sie dann und die drei Bändiger nickten, denn sie alle waren neugierig darauf. "Ich war nicht selbst dabei. Unsere Wege waren damals schon getrennt", warnte die Blutsaugerin die Kinder vor. "Aber ich werde euch erzählen, was er mir berichtet hat."