"Ich bin äußerst beeindruckt von Euren Plänen", meinte En-Die, der die Baupläne genau betrachtete. "Aber ein Bauwerk von dieser Größe würde tausende Erdbändiger erfordern." Der Mann vor ihm nickte. "Die habe ich. Wir werden NaSingSe zu einer uneinnehmbaren Stadt machen. Die Mauern werden größer als alles, was je gebaut wurde!", pries er seinen Plan an. "Dann solltet ihr vielleicht den Namen der Stadt überdenken", meinte Leila, die sich gegen die Wand hinter ihnen lehnte. Der Bürgermeister der inzwischen beträchtlich gewachsenen Stadt nickte. "Wir habe bereits einen ausgesucht. Was haltet Ihr von BaSingSe?", fragte er den Schatten. En-Die lachte. "Ich finde es immer noch ziemlich fantasielos, aber ich denke, dass der Name passt."
En-Die und Leila gingen zurück zu Sanchandra, die auf dem großen Hauptplatz der Stadt stand. "Es ist inzwischen so viel Zeit vergangen", meinte Leila. "Erinnerst du dich noch daran, als wir zum ersten Mal hierherkamen?" En-Die nickte. "Das ist auch schon wieder einige Jahrzehnte her", meinte er. Sie wollten gerade auf Sanchandra steigen, als ein berittener Bote auf dem Platz ankam. Hastig sah er sich um. Als er den Schatten erblickte stürzte er zu ihm. "En-Die, Gesandter und Krieger der Schatten, ich bringe eine Botschaft von Avatar Kuruk!" En-Die nahm das Pergament entgegen. "Um was geht es?", fragte er. "Das weiß ich nicht, ich habe es nicht gewagt den Umschlag zu öffnen", antwortete der Bote. "Habt Dank", meinte En-Die und der Bote verbeugte sich kurz, bevor er sich entfernte. En-Die öffnete den Umschlag und überflog die Zeilen des Wasserbändigers. "Dieser Narr!", rief er laut aus und sprang auf Sanchandra. Mit einem einzigen Ruck hatte er Leila in den Sattel gehievt und gab dem Skorpion die Sporen. Sanchandra preschte los. "Was ist los? Was steht in dem Brief?", fragte Leila verwirrt. "Kuruk hat ein Problem mit einem Geist. Ein großes Problem", antwortete der Schatten. "Was? Was für ein Problem? Was für ein Geist?", fragte Leila aufgeregt. "Der Name des Geistes ist Koh und er ist ein Gesichtsstehler!"
"Ich sage dir, es ist töricht und unverantwortlich!", rief En-Die. "Ich muss es tun! Es ist das einzige, das ich tun kann!", meinte Kuruk sauer. "Das einzige? Oh nein mein Freund! Deine Plichten liegen nicht darin, Rache zu nehmen! Sie liegen darin, diese Welt zu schützen." "Wovon? Es gibt nichts, was Schutz benötigen würde!", rief der Wasserbändiger. "Die Welt braucht den Avatar immer! Du kannst sie nicht im Stich lassen indem du dich auf diese Selbstmordmission begibst!" "Ich muss es tun! Ich muss beweisen, dass ich keine Angst habe!" En-Die baute sich vor Kuruk auf und sah plötzlich noch größer aus, als er sowieso schon war. "Du denkst, du musst ihn töten, um dich zu beweisen?", fragte er und seine Stimme donnerte über die eisige Landschaft des Südpols. "Avatar Kuruk, Sohn von Lanira und Jarro! Wahrer Mut bedeutet nicht ein Leben zu nehmen, sondern es zu bewahren!" "Dieser Geist verdient es nicht zu leben!" "Ich weiß, was er dir angetan hat. Er hat sie dir genommen. Doch du musst nun an diejenigen denken, denen du Treue schuldest. Die Menschen!" Kuruk senkte den Kopf. "Ich hatte gehofft, dass du mit mir kommen würdest, doch ich sehe nun, dass du genauso wenig verstehst, wie die anderen." En-Dies violett leuchtende Augen blickten den Wasserbändiger durchdringend an. "Ich werde sie nicht im Stich lassen", flüsterte Kuruk. En-Die schwieg und für einige Zeit war nur der eisige Wind zu hören, der über das Ödland pfiff. Schließlich unterbrach der Schatten die Stille. "Dann wirst du sterben", meinte er leise und drehte sich um. "Ich habe dich gewarnt." Damit schritt er davon und ließ den Wasserbändiger alleine zurück.
"Jahr zweihunderteinunddreißig meines Lebens. Der Avatar Kuruk ist bei einer Reise in die Geisterwelt gestorben. Koh hat ihn getötet, als er versuchte seine Liebste zurückzuholen", sagte En-Die in die Kugel und ließ sie in eine Nische in der Wand schweben. Die Sache lag inzwischen schon zwanzig Jahre zurück, doch nun wo er sie einsprach kam alter Schmerz über den Verlust seines Freundes wieder zurück zu ihm gekrochen. "Ich habe dich gewarnt", flüsterte er. Leila sah sich die unzähligen Plasmakugeln an, die in den Wänden der Grotte leuchteten. "Jede von ihnen enthält eine Geschichte?", fragte sie staunend. En-Die nickte. "Ich habe diese Grotte hier angelegt, als BaSingSes Mauern fertig waren. Ich dachte mir, dass ich einen Ort brauche, an dem ich mein Wissen lagern kann." Die Blutsaugerin blickte in eine der Kugeln. "Jahr einhundertdrei meines Lebens. Ich habe heute ein interessantes Mädchen getroffen. Sie ist anders als alles, was ich je gesehen habe. Sie ist etwas ganz Besonderes", kam eine flüsternd Stimme aus der Kugel. "Du...du redest von mir", stellte sie überrascht fest. En-Die nickte. "Sei so gut und mach Sanchandra fertig. Ich möchte, dass wir noch heute zum Fuego-Vulkan aufbrechen." Leila nickte und rannte los. En-Die sah auf die Kugel in seiner Hand. "Jahr zweihunderteinundfünfzig meines Lebens. Ich hatte gestern einen schrecklichen Albtraum. Es war, als würde alles, was geschehen wird, auf mich wirken. Ich sah eine Insel, die von Asche überrollt wurde, ich sah einen Krieg, ich sah Menschen, die vernichtet wurden. Doch ich sah auch Hoffnung. Ich sah einen Jungen, der heller strahlte als alles, was ich jemals gesehen habe. Ich bete zu allen Geistern, dass es nur ein Traum gewesen ist, denn sollte es wahr sein, so muss die Welt großes Leid ertragen, bevor Hoffnung kommt." Die Kugel schwebte zu den anderen in der Wand. En-Die formte eine neue und begann erneut zu sprechen. "Jahr zweihunderteinundfünfzig meines Lebens. Ich werde heute aufbrechen, um den Avatar in der Feuernation zu treffen. Es gab in der Gegend um den Fuego-Vulkan in letzter Zeit einige Vorkommnisse und wir hoffen, dem Rätsel auf die Spur kommen zu können." Endie sandte die Kugeln in eine Nische, dann verließ er mit flatterndem Umhang die Grotte. Hinter ihm erloschen die Lichter der Plasmakugeln und hinterließen Dunkelheit.