Sanchandra kam nur wenige Meter vor der Frau zum Stehen. Sie trug weiße Schminke und hatte rot umrandete Augen. Zwei Fächer hingen von ihrem Gürtel. Selbst als sich der goldene Skorpion leicht vor ihr aufbäumte bewegte sie sich keinen Millimeter von der Stelle. "Schön, dass ihr endlich da seid", begrüßte Kyoshi die beiden. "Ich freue mich auch, dich zu sehen", antwortete En-Die ihr und sprang von Sanchandra. "Also was ist los?" Kyoshi zeigte auf den großen Vulkan, der sich hinter ihnen befand. "Es gab in letzter Zeit viele Erdbeben in der Gegend und die Leute haben Angst, dass der Vulkan ausbrechen könnte", erklärte sie den beiden. "Eine berechtigte Sorge", meinte Leila. "Die Menschen hier sprechen von einem seltsamen Licht im Krater und von Schreien, also sollten wir dort anfangen", schlug der Avatar vor und die beiden stimmten zu. Bald waren sie am Kraterrand angekommen. "Gut, bis jetzt sehe ich absolut nichts seltsames", meinte Leila und wischte sich über die Stirn. Die Hitze war enorm und für sie war es noch hundertmal schlimmer. "Tja, wir werden nicht schlauer, wenn wir hier nur herumstehen", meinte En-Die, sprang über den Rand und schlitterte die Kraterwand hinunter. Seine Freunde folgten dicht hinter ihm. En-Dies Augen flammten violett auf. "Ich erkenne eine große Menge an Energie, die aus dieser Ecke des Kraters kommt", meinte er. "En-Die ein Krater ist rund, er hat keine Ecken", sagte Leila kichernd. "Ja, aber ich meine damit – sag mal versuchst du gerade mit mir zu streiten?", fragte er ungläubig und sie grinste ihn an. "Wenn ihr mit eurem Geschnatter fertig seid, richtet eure Augen mal hierauf", unterbrach Kyoshi sie und deutete auf einen kleinen Eingang, der offenbar in eine Höhle führte. "Interessant", meinte En-Die und ließ einen Plasmaball in seiner Hand erscheinen, welcher in die Höhle leuchtete. Langsam ging er voran, immer tiefer und tiefer in die Höhle hinein. Sie gingen schon einige Minuten, da blieb En-Die plötzlich stehen. "Okay, genug davon. Kommt raus", rief er in die Dunkelheit. "En-Die mit wem redest du?", fragte Kyoshi verwirrt. "Wir werden beobachtet, schon seit wir hier hineinkamen", antwortete der Schatten ihr. Leila schnupperte in die Luft. "Du hast recht, wir sind nicht alleine hier", flüsterte sie. "Wer ist hier?", fragte der Avatar die beiden. En-Dies Plasmaball wurde größer und leuchtete die gesamte Höhle aus. Um sie herum standen zirka zwanzig Menschen, die sie misstrauisch ansahen. "Sie sind hier", antwortete er mit ruhiger Stimme. "Es sind Blutsauger", hauchte Leila. Einer der Gruppe trat vor. "Ihr scheint zu wissen, was wir sind, doch wer seid ihr?", fragte er. Kyoshi zog ihre Fächer, doch En-Dies Mantel schlug sie ihr aus der Hand. "Wir sind nicht hier, um zu kämpfen, wenn es sich vermeiden lässt", sagte er bestimmt. In weniger als einem Wimpernschlag stand der Blutsauger plötzlich vor En-Die, der sich keinen Millimeter vom Fleck rührte. "Das trifft sich gut. Wir nämlich auch nicht. Bitte verzeiht, dass wir euch so aufgelauert haben. Wir haben euch für jemand anderen gehalten", entschuldigte sich der Blutsauger. "Und für wen?", fragte Kyoshi ihn. "Für den Mann, der uns hier einsperrte. Ein Mann namens Ra. Er sollte eigentlich tot sein, doch wir dachten, er hätte vielleicht irgendwie überlebt", antwortete er ihr. "Nun, ich bin En-Die, Gesandter und Krieger der Schatten, dies hier ist Leila, eine Blutlose und das ist Avatar Kyoshi", stellte En-Die sich und seine Freunde vor. "Mein Name ist Noctur und ich bin der Anführer dieser Gruppe hier. Wir haben uns zusammengetan, um gemeinsam überleben zu können. Wir nennen uns die Kinder der Nacht", antwortete der Blutsauger. "Überleben?", fragte Leila verwirrt. „Ja. Wir trinken kein Blut von Menschen, nur von Tieren und wollen deshalb nichts weiter, als in Frieden leben. Doch dieser Mann. Ra. Er sperrte uns hier ein, weil er uns fürchtete", erklärte Noctur. "Er sperrte euch ein? Aber die Höhle ist offen und unbewacht", meinte Kyoshi. "Nur für Menschen. Ra brachte einen flammenden Stein, die ewige Feuerquelle am Eingang an. Sie pulverisiert alle Blutsauger, die sich ihr nähern. Wir können diese Höhle nicht verlassen, ohne zu sterben. Offenbar wirkt es jedoch nicht anders herum, sonst wärst du hier nicht reingekommen Jungspund", meinte er und sah dabei Leila an. "Das war also die Energie, die ich gespürt habe", meinte En-Die leise. Er war bis jetzt ruhig gewesen, doch nun trat er wieder vor. "Und wenn wir euch helfen würden? Was wenn wir euch befreien würden?", fragte er und Noctur sah ihn überrascht an. "Kein Lebewesen kann diesen Stein berühren. Ra selbst starb, als er ihn dort anbrachte. Doch wenn, dann würden wir weiterziehen. Hoch in die Berge, wo uns niemand findet und wir in Frieden leben könnten." Er schwieg kurz, dann fragte er: "Weshalb wollt Ihr uns helfen?" En-Die sah sich um. "Ihr seid Unschuldige. Und es ist mein Schicksal, Unschuldigen zu helfen", antwortete er dann. Noctur sah ihn dankbar an. "Allein für Euren Versuch uns zu helfen, werden wir Euch auf ewig dankbar sein."“ En-Die trat an den Höhlenausgang, wo er erneut die Energiequelle wahrnahm. Und nun sah er sie auch. Es war ein Stein, der über dem Eingang eingearbeitet war. En-Die streckte vorsichtig die Hand aus und berührte den Stein. Ein brennender Schmerz durchfuhr ihn. Die Welt um ihn herum verschwamm und er konnte kaum klar denken, so stark wurde er von Schmerzen überrollt. Doch dann blickte er hinter sich. Er sah Leila, die ihn entsetzt ansah. Dann blickte er wieder auf den Stein, der nun in gleißendem orangenen Licht leuchtete. Er kniff die Augen zu. "Nein!", flüsterte er. Sein ganzer Körper begann violett zu leuchten. "Ich werde heute nicht sterben!"
Leila sah entgeistert auf den Schatten, dessen Mantel begonnen hatte, wie Nebel um ihn herum zu wabern. Plötzlich bemerkte sie, dass von überallher violette Funken zu En-Die flogen, welche er sofort absorbierte, wenn sie ihn berührten. Um den Schatten herum begann Wind zu wehen, welcher bald durch die ganze Höhle donnerte. Kyoshi hielt sich schützend die Hand vor. "Was tut er?", rief sie gegen den Wind an. "Er...er holt sich Plasma. Er holt sich Plasma von seiner Umgebung!", erkannte Leila. Das orangene Licht des Steines war inzwischen verschwunden, stattdessen war die ganze Höhle nur mehr von violettem Licht erfüllt. En-Die umschloss den Stein vollständig mit seiner Hand und es wurde still. Als alle wieder etwas erkennen konnten stand En-Die vor ihnen, den Stein in einer Plasmakugel eingeschlossen in seiner Hand haltend. "Das Schicksal war euch heute wohlgesinnt Noctur. Ihr seid frei", flüsterte er keuchend, dann brach er zusammen.
Als En-Die die Augen wieder öffnete beugte sich Leila gerade über ihn. Ihre Hände leuchteten rot und sie bewegte sie gleichmäßig über ihm auf und ab. Mühsam rappelte er sich auf. "Ganz ruhig, du warst mehrere Stunden bewusstlos", sagte sie ruhig. "Uh. Der Stein", begann er stöhnend. "Ich habe ihn", antwortete Leila und gab ihm die Plasmakugel. En-Die richtete sich zu seiner vollen Größe auf, als Noctur zu ihm trat. "Wir werden Euch das niemals vergessen", meinte er dankbar. En-Die streckte die Hand aus und übergab Noctur ein Stück Papier. "Diese Karte wird euch zu einem Ort führen, wo euer Dorf vor Blicken geschützt sein wird. Ihr werdet in Frieden leben können", erklärte er dem Blutsauger. Noctur sah ihn fassungslos an. "Ich danke Euch“, antwortete er. "Was ist mit der Feuerquelle?", fragte er dann. En-Die blickte auf den Plasmaball. "Die Feuerquelle ist einer der vier Elementarsteine die mein Volk vor hunderttausend Jahren den Elementals genommen haben, um die Menschen zu retten. Sie gehört den Löwenschildkröten, wo sie auch sein mögen. Ich bringe sie an einen Ort, wo sie niemals gefunden werden soll." Noctur nickte und verbeugte sich vor En-Die, der Schatten tat es ihm gleich. Dann machten sich die Kinder der Nacht auf den Weg, um in die Berge zu gelangen, so wie sie es geplant hatten. "Vielleicht gibt es ja doch Hoffnung für Frieden zwischen uns und den Menschen", flüsterte Leila, als sie ihnen nachsah, bis sie am Horizont verschwunden waren.