Merkurys Wagen ist ein Monster von einem Jeep. Der Wagen ist pechschwarz, doch Merkury hat ihn liebevoll mit einem Feuermuster, lachenden Totenköpfen und springenden Tigern bemalt.
In Bewegung sieht das Gefährt aus, als würde es lichterloh in Flammen stehen, nicht nur, weil es sich häufig weit über der Geschwindigkeitsbegrenzung bewegt und das Muster lebendig zu werden scheint, sondern auch, weil aus gleich vier dicken Schloten, die hinter der Fahrerkabine aufragen und an Teufelshörner erinnern, dichter, schwarzer Qualm austritt.
Vorne besitzt der Wagen einen Schienenräumer aus Stahl, der einen Elefanten zerfetzen könnte, jedoch nur unzählige Straßenlaternen auf dem Gewissen hat. An den Seiten der offenen Ladefläche befinden sich vorspringende Metalldornen wie die Flügel eines sehr klobigen Papierfliegers.
Da Merkury sich weigert, irgendwelche Zugeständnisse an eingeschüchterte Verkehrsteilnehmer zu machen, sind die Dornen eingefärbt vom Lack der Fahrzeuge, die zu spät ausweichen konnten. Es grenzt an ein Wunder, dass das Monster nur vier Reifen braucht, um sich fortzubewegen.
Im Inneren gibt es Sitze aus rotem Leder. In der zweiten Reihe eine geräumige Sitzbank für bis zu vier Personen, vorne ist nur Platz für den Beifahrersitz und den luxuriösen Fahrersessel, der von unzähligen Schaltern, Hebeln und Knöpfen umringt ist. Es ist, als würde man im Cockpit eines Flugzeugs sitzen, zu Gregs Leidwesen fehlt allerdings eine Steuerung für den Copiloten. Er kann lediglich die siebzehn verschiedenen Hebel für die Musikanlage erreichen.
Der Wagen ist illegal getunt. Allerdings konnte dem bisher noch niemand Einhalt gebieten. Einerseits ist das Nummernschild – Cro:BLIS 713 – mittig zwischen den vier Turbodrüsen am Heck angebracht und damit vor Ruß nicht mehr lesbar, andererseits verfügt die Besitzerin über erstklassige Kontakte zur lokalen Polizei.[3]
Mit diesem Wagen sind viele Straßen Crossbricks unbefahrbar, denn mit den Dornen nimmt das Gefährt gut und gerne zwei Fahrbahnen ein. Straßen in Wohnvierteln werden oftmals zu temporären Einbahnstraßen, die unzähligen schmalen Gassen der chaotisch gewachsenen Viertel sind unpassierbar. Merkury gleicht diesen Nachteil aus, indem sie kurzerhand die Umwege über Bordsteine, Treppen, Parkplätze und Stadtgärten wählt.
Die Fahrt ist nichts für Beifahrer mit schwachem Magen, Herzproblemen oder bestehender Schwangerschaft.
Die Polizisten brauchen eine Viertelstunde, um Foxtown und den Lukas-Porridge-Platz zu erreichen, der sich inzwischen durch das Fehlen einer großen, klobigen Statue aus billigem Midasgold auszeichnet.
„Sieht besser aus als vorher“, meint Merkury und würgt den Motor ab.
Greg steigt mit weichen Knien aus dem Wagen. Sein Herz klopft noch von der Fahrt.
„Ich weiß nur nicht, was der Captain von uns will“, fährt Merkury im Freien fort und sieht sich um. „Die Statue ist weg. Everglade wird doch wohl kaum erwarten, dass Mr. Ghost uns seine Visitenkarte hinterlassen hat.“
„In gewisser Weise hat er das“, entgegnet Greg nachdenklich und tritt an den zerstörten Sockel der Statue heran. „Sein Vorgehen ist seine Visitenkarte. Der Dieb, oder die Gruppe von Dieben haben eine einzigartige Waffe oder Fähigkeit, mit der sie sämtliche Zeugen und Überwachungssysteme schlagartig ausschalten können.“
Er sieht sich auf dem großen Platz um, der wie leergefegt wirkt. Ein paar Blätter trudeln durch die Luft und der Wind heult zwischen den hohen, schmalen Gebäuden hindurch.
Der quadratische Platz ist in einem geschmacklosen Schachbrettmuster aus dunkelgrauen und schmutzig-purpurnen Steinplatten ausgelegt, am Rand stehen trostlose Parkbänke, deren Kupferfarbe unter Unmengen von Tauben- und Gargoylekot verschwunden ist.
Ein paar verkümmerte Bäumchen und vorspringende Dachrinnen engen den Platz zusätzlich ein, sodass man sich fast wie in einem muffigen Zimmer mit einem großen Loch in der Decke fühlt. Sämtliche den Platz umgebende Straßenlaternen sind erloschen, bei vielen das Glas zersprungen.
Merkury entfaltet die Zeitung. „Gut, hier steht, dass es sowieso nur drei Zeugen gegeben hätte. Wir sollten vielleicht mal nachfragen, wer das war.“
Greg beugt sich über den Statuensockel. Etwas hat seine Aufmerksamkeit erregt – und zwar einige deutliche Kratzspuren auf dem Steinsockel.
„Die Statue wurde mit schwerem Gerät beseitigt, vielleicht ein Baustellenfahrzeug“, vermutet er. Die Spuren erinnern an die Zacken einer Baggerschaufel. „Das muss jemandem aufgefallen sein!“
Dann untersucht er den Sockel und den Boden des Platzes, während Merkury ihn nur abwartend mustert, die Zeitung noch in den Händen.
„Der Platz ist sehr offen“, erklärt Greg schließlich. „Jedenfalls für Foxtown-Verhältnisse. Aber die Straßen sind schmal und kurvig, bis auf die Hauptstraße. Ich denke, unsere Diebesbande muss von dort gekommen sein.“ Er zeigt auf die Straße, über die sie gekommen sind, denn auch Merkurys Wagen ist zu breit für die meisten Straßen in Foxtown.
„Alle Achtung. Wir haben ja tatsächlich eine Spur!“, spottet sie. „Du hast wohl dein ganzes Leben lang auf diese Chance gewartet, wie, Shade?“
„Ich hatte die Chance bereits und hab's vergeigt“, entgegnet Greg mit kühler Stimme, und Merkury verstummt.
Zwischen den beiden einzigen Detectives von Crossbrick herrscht das stillschweigende Einverständnis, dass man nicht nachfragt, wieso jemand hierher versetzt wurde. Keiner von beiden weiß, was den anderen in dieses Loch verschlagen hat, obwohl beide einen gewissen Verdacht über die Gründe des jeweils anderen hegen.
„Ich glaube, die Redaktion der Crossbrick Times ist nicht allzu weit“, bricht Greg das unbehagliche Schweigen. „Wenn ich mich recht entsinne, hast du fast eine Gruppe Reporter überfahren, die draußen ihre Raucherpause eingelegt haben. Lassen wir das Auto hier stehen und gehen vorbei, da können wir fragen, wer die Zeugen sind. Und dann müssen wir herausfinden, ob in letzter Zeit irgendwelche großen Baustellenfahrzeuge gestohlen wurden und welche Straßen breit genug für einen Bagger wären.“
Merkury nickt und faltet die Zeitung zusammen. Dann schlendern sie los.
„Ich habe niemanden überfahren!“, sagt sie.
„Aber fast“, beharrt Greg.
„Auch nicht! Ich fahre sehr gut, seit Jahren unfallfrei.“
„Das liegt daran, dass dieses Ungetüm auch noch fährt, nachdem es von einem Berg gestürzt ist!“, gibt Greg zurück, dem bei der Erinnerung immer noch manchmal die Finger zittern. „Wenn da mal ein Radfahrer zwischen die Räder kommt, kriegst du das überhaupt nicht mit.“
„Die Reporter jedenfalls hatten genug Zeit, um uns aus dem Weg zu gehen!“
„Ich hoffe trotzdem, dass keiner auf unsere Gesichter geachtet hat“, seufzt Greg.
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[3] Einige unverbesserliche Spießer haben dennoch versucht, der stadtbekannten „Straßenfurie“ das Handwerk zu legen. Für gewöhnlich ziehen diese Personen die Anzeige schon am nächsten Tag zurück, meistens aus persönlichen Gründen, da die Familienkutsche im Vorgarten spontan in Brand geraten ist.