Ein kleines Mädchen stand mitten in der Nacht auf der Straße. Ihr Kopf lag im Nacken und ihr Blick war auf die funkelnden Sterne am Himmelszelt gerichtet. Sie hatte nicht bemerkt, dass ein alter Bettler sie beobachtete. Ein Lächeln lag auf seinen dünnen Lippen, doch sein Lächeln erreichte nicht seine Augen. Er musste an seine eigene Kindheit zurückdenken, die unbeschwert war und voller wilder Abenteuer. Von seiner Lebensfreude von damals war nichts mehr übrig geblieben. Die Zeit hatte ihn zu einem alten Mann gemacht ohne Geld und Zuversicht. Die Leute am Tag sahen in ihm nur den Bettler, nicht auf das was er hinter seinem Äußeren versteckt hielt. Meistens saß er auf einer Holzbank neben seinem Freund, einem alten Baum, und beobachtet sie, die viel beschäftigten Menschen. Manche, die Mitleid mit ihm hatten, gaben ihm ein wenig Geld, doch er wollte es eigentlich gar nicht, er brauchte es, aber er wollte es nicht. Er wollte, dass die Menschen sich neben ihn auf die Holzbank setzten, sich Zeit nahmen, alle Oberflächlichkeit, alle Scheu vor Berührungen ablegten, nur ihn sahen, den alten Mann, wie er wirklich war und mit ihm redeten. Er wollte reden. Vielleicht über seine Vergangenheit, sein jetziges Leben, seine Hoffnung, seine Wünsche, über Politik, die Jugend von heute oder über das Wetter. Das Mädchen blickte immer noch staunend in den klaren Nachthimmel. Eine Frau mittleren Alters stellte sich neben das Mädchen. Es musste die Mutter sein. Der Alte konnte hören was sie zu der Kleinen sagte, »Was findest du nur an diesem Himmel, Kind? Komm, es ist spät! Lass uns gehen!« Die Frau nahm das Kind an der Hand und zog es hinter sich her. Die beiden kamen an der Holzbank des Bettlers vorbei. Das Kind blieb vor ihm stehen und starrte ihn mit großen Augen an, ebenso fasziniert wie über den Sternenhimmel, sprach aber kein Wort. Langsam kam die Kleine auf ihn zu, streckte ihr Händchen aus und legte ihm etwas in seine faltigen Hände. Die Augen des Mädchens leuchteten, sie lächelte. Der Bettler lächelte freundlich zurück und bedankte sich. Die Mutter hatte das Ganze mit strengem Blick überwacht, zog das Kind wieder an sich und ging ohne ein einziges Wort weiter. Das Kind drehte sich mehrmals zu ihm um und lächelte, doch sie erhielt kein Lächeln zurück, denn in den Augen des Mannes standen Tränen. Am nächsten Morgen stand eine Traube von Menschen um die Holzbank neben dem alten Baum versammelt. Keiner sagte ein Wort. Es herrschte bitteres Schweigen. Die Frau mit ihrem Kind kam die Promenade entlang und wunderte sich über die kleine Versammlung. Neugier packte sie und sie gesellte sich dazu. Entsetzen erfasste sie. Auf der Holzbank saß der Bettler von letzter Nacht, steif gefroren und eisblau. Sein Körper war starr, wie der alte Baum neben ihm, nur das aus seinem Körper jegliches Leben gewichen war. In ihren Augen sammelten sich Tränen. »Mama? Was ist mit dem Mann?«, fragte ihre Tochter. Sie gab ihr keine Antwort. Die Kleine machte sich von ihrer Mutter los und ging nach vorne zu dem Alten, setzte sich neben ihn und nahm seine Hand in ihre, dann sagte sie, »Er ist jetzt bei den Sternen.« Das Mädchen lächelte und hielt den kleinen Holzstern hoch, den sie dem Bettler geschenkt hatte. Ihre Mutter erkannte ihn, über ihre geröteten Wangen liefen Tränen. Ihre Stimme zitterte, »Ja, das ist er.«