Kapitel 11
Es war bereits Abend und das Diner war voll. Wie letztes Mal stand Ana mit Lilian in der Küche und bereitete die Bestellungen zu. In einer halben Stunde würde das Karaoke beginnen. Sie hoffte, dass ihre Gäste Reed nicht allzu verunsicherten. Er war ein guter Junge. „Ich finde es gut, dass du dem Jungen diese Möglichkeit bietest“, hörte sie Lilian sagen. „Er verdient eine“, sagte Ana schlicht und nahm zwei Teller aus dem Schrank. Darauf kamen die zwei Burger, die bestellt wurden. Lilian brachte die Getränke. „Das sieht nicht jeder so, wie ich“, fuhr Lilian fort und stellte währenddessen die Gläser auf das Tablett. Anschließend brachte sie es zu dem Trennfenster. Celine nahm es entgegen. Ana seufzte. „Ich weiß. Das ist alles wegen den Vorurteilen.“ „Du hast recht.“ Lilian ging zur Fritteuse um nach den Pommes zu schauen. Ana nahm den Blechkuchen aus dem Ofen und stellte es ab, damit es abkühlen konnte. „Er wollte mein Angebot abschlagen, weil er sich Sorgen gemacht hat, dass wir dann keine Gäste mehr haben könnten“, murmelte Ana traurig. „Aber letztendlich hat er es nicht getan. Und dank dir, kann er sogar das machen, was er besonders mag.“ Ana nickte und ging zum Herd. Sie musste noch die Soße anrühren. Während Lilian die nächste Bestellung fertig zubereitete. In der Küche verging die Zeit viel schneller, als man es merkte. „Hey Ana, Reed ist da.“ Nick war an der Tür aufgetaucht. „Okay, ich komme.“ Ana zog ihre Schürze aus und ging aus der Küche. Sie entdeckte Reed an der Bürotür anlehnen. Er trug schwarze, zerschlissene Jeans, darüber ein schlichtes weißes Shirt, welches etwas größer war. Darüber trug er noch eine schwarze Lederjacke. Er ignorierte die neugierigen Blicke der anderen Gäste. Ana seufzte kurz, setzte ein Lächeln auf und ging zu ihm. „Ein Glück, dass du da bist. Wir haben volles Haus und ich zu wenig Angestellte. Komm ich zeig dir den Mischpult.“ „Okay.“ Sie führte ihn zur Bühne. Sie zeigte ihm kurz seinen Arbeitsplatz, dann trat sie selbst hinter das Mikrofon. „Einen schönen Abend Leute! Wie ihr wahrscheinlich bemerkt habt, ist Miguel heute nicht da. Aber dafür hat sich Reed bereit erklärt, für uns der DJ zu sein. Ich persönlich finde seine Musik super und ich bin mir sicher, am Ende dieses Abends werden es mehrere sein. So wer traut sich zuerst?“ Niemand sagte etwas. Stattdessen taten sie so, als würden sie Gespräche führen. Ana schloss kurz die Augen und drehte sich zu Reed um. Er sah stur das Mischpult an. Sie trat zu ihm. „Kennst du Fight Song?“ Er nickte. „Gut, dann mix mir das zusammen“, sie zwinkerte ihm zu und trat selbst hinter das Mikrofon. Sie hatte lange nicht mehr die Eröffnung gemacht und ihr war auch bewusst, dass Lilian ihre Hilfe benötigte, aber im Moment war Reed wichtiger. Sie sah nochmal über ihre Schulter. Er setzte die Kopfhörer auf und machte einen Daumen nach oben. Dann setzte die Musik ein. Ana legte die Hände um das Mikrofon und schloss die Augen. Als der Refrain ansetzte, öffnete sie die Augen und sah in die Gesichter ihrer Gäste. Reed packte in den Hintergrund Anas Stimme ein, mit dem Text, welches sie bereits gesungen hatte. Auch extra Drums kamen hinzu. Der Song blieb im selben Rhythmus, aber es war energischer. Und das riss die Leute mit. Sie nahm das Mikro aus dem Ständer und lief auf und ab. Sie ließ ihr Blick über die Gesichter der Gäste gleiten. Bei einem blieb sie hängen. Dean. Sie verhaspelte sich, aber Reed machte etwas mit dem Pult, sodass man es nicht merkte. Sie sah dankbar zu ihm. Er nickte bloß. Dann ging sie zurück und steckte das Mikro wieder in den Ständer und sang die letzte Note. Als sie fertig war, setzte Reed eine neutrale Musik ein, aber so, dass die Leute sich in normaler Lautstärke unterhalten konnten. Ana bekam lauten Applaus. „Danke. So wer traut sich jetzt?“ Als niemand Anstalten machte aufzustehen, fuhr sie fort: „Also Leute, ich kann nicht den ganzen Abend singen. Außerdem will ich mehr von Reeds Musik hören.“ „Ich würde gern“, hörte Ana schließlich eine junge und bekannte Stimme sagen. Es war Sally. Sie trug helle Jeans und eine weiße Tunika. Ihre rötlich-blonden Haare hatte sie zur Hälfte zu einem Dutt gebunden. Die untere Hälfte ihrer Haare fielen ihr knapp über die Schultern. Sie trug weiße Vans und viele Armbänder um ihr rechtes Handgelenk. Sie sagte noch etwas zu ihren Freundinnen und ging dann zu Ana. Sally lächelte ihr zu. „Meine Stimme ist nicht besonders toll, aber es wird vermutlich gehen.“ „Vertrau dem DJ, Sally“, sagte Ana lächelnd und ging von der Bühne runter. Gleich darauf tauchte Nick neben ihr auf. „Danke, dass du gesungen hast.“ „Dank nicht mir, sondern Sally.“ Sally war die Tochter von sehr angesehenen Eltern in Hot Springs. Sie sagte etwas zu Reed und daraufhin ertönte eine bekannte Musik. Es war ein langsamer Song von Christina Perri. „Ich bin dann mal wieder in der Küche. Falls was ist, ruf mich einfach.“ „Geht klar.“ Nick sah zu Sally. Sie hatte eine angenehme Stimme. Zwar war sie nicht so kraftvoll wie die von Ana, aber trotzdem sehr schön. Er lächelte ihr zu und ging dann um die nächste Bestellung anzunehmen. Als er von einem Tisch die Bestellung entgegen nahm, hörte er von einem anderen Tisch eine Frau sagen: „Der Junge scheint ganz in Ordnung zu sein.“ Daraufhin erwiderte eine andere: „Ja, ansonsten hätte Ana ihn nicht eingestellt.“ Zufrieden ging Nick zur Theke und reichte Ana die Bestellung. Sallys Song ging zu Ende und sie bedankte sich. Sie ging von der Bühne runter und zu ihren Freundinnen. „Hey Sally, Brie hat geschrieben, dass bei ihr eine Hausparty steigt. Wir gehen jetzt dorthin. Kommst du?“ Nathalie war bereits aufgestanden. „Ich dachte, wir machen uns hier einen schönen Abend.“ „Tja, leider haben wir nicht soviel Spaß wie du. Außerdem ist der Kerl auch hier und darauf haben wir keine Lust.“ „Sie hat Recht“, gab Miranda zu und stand ebenfalls auf. „Also, kommst du mit?“ Sally musste nicht lang überlegen. „Nein, ich bleibe hier.“ Nathalie zog eine Augenbraue hoch. „Bist du dir sicher?“ Sally nickte und setzte sich auf ihren Platz. „Na gut.“ Nathalie und Miranda verließen das Diner und ließen Sally zurück. Seufzend sah sie zur Bühne. Jackson stand nun auf der Bühne und trällerte etwas vor sich hin. Reed versuchte einigermaßen, etwas aus dem Song zu machen und das schaffte er. Der Sound klang tausendmal besser, als Jacksons Stimme.
Dean saß in einer Nische, um ungestört der Musik zuzuhören und zu essen. Aber vor allem versteckte er sich vor Meg. Die Frau konnte wirklich aufdringlich sein. Gestern hatte er Glück gehabt. Wäre Ana nicht aufgetaucht und das Diner für geschlossen erklärt, hätte sie ihn noch Stunden lang voll gequatscht. Das Schlimme war, sie lobte ununterbrochen sich selbst. Irgendwann hatte er auf Durchzug geschaltet und mit Ja oder Nicken geantwortet. Stattdessen hatte er Ana beobachtet. Sie hatte einem Jungen, den sie kaum kannte und dessen Vater ein Verbrecher war, ein Job angeboten. Sie wusste nur zu gut, dass man niemanden wegen seiner Familie beurteilen sollte. „Du bist ja auch hier!“ Ertönte plötzlich eine schrille Stimme. Er sah auf und erblickte Meg. „Ja. Ich wollte den Karaoke Abend nicht verpassen.“ Sie setzte sich ihm gegenüber. „Ja nicht wahr. Kaum zu glauben, dass Ana diesem Jungen ein Job gibt“, sagte sie missbilligend. „Ich finde das sehr nett von ihr. Immerhin sollte man keine Vorurteile haben.“ Sofort änderte sie ihre Taktik. „Ja, ich meinte es natürlich so. Du hast mich falsch verstanden.“ Sie strahlte ihn an. „Sicher“, murmelte er. „Hallo Meg, was darf ich dir bringen?“ „Hi, Celine. Bring mir einfach Menü 2 mit Wasser.“ „Kommt sofort.“ „Also, gefällt dir Hot Springs?“, fragte sie ihn. „Ja, es ist sehr schön hier.“ Bitte verschwinde, dachte er. „Ja, ich wohne mein ganzes Leben lang hier. Aber ich will auch andere Städte sehen. Vor allem LA.“ „Wieso ausgerechnet LA?“ „Na da sind die ganzen Hollywood Stars!“ Sehr oberflächlich. Ana war ganz anders. Mit ihr hatte er sich stundenlang unterhalten können. Aber Meg redete nur über Oberflächliche Sachen. Als er bemerkte, dass die Bühne leer war stand er auf. Das könnte seine Rettung sein. „Wo gehst du denn hin?“, fragte sie ihn perplex. „Auf die Bühne.“ Sie quietschte: „Wirklich?“ „Ja.“ „Das ist eine tolle Idee, singen wir ein Duett.“ Oder auch nicht. Sie stand auf, richtete ihr schwarzes, kurzes Kleid und hakte sich bei ihm unter. „Kannst du denn singen?“, fragte er vorsichtig. „Aber klar doch.“ Sie zog ihn regelrecht zur Bühne. Genau als beide auf die Bühne traten, kam Ana aus der Küche. Sie sah ihn kurz an und sah dann gleich wieder weg. Sie lief auf das Mädchen zu, die nach ihr gesungen hatte. „Du, kannst du ein Duett spielen?“, fragte Meg. „Welcher Song?“, fragte Reed. Er klang genervt. Anscheinend mochte er sie nicht. „Mach auf Zufallsgenerator“, antwortete Meg und trat hinter das Mikrofon. Auf dem Bildschirm blinkte schließlich der Titel von dem Song auf. Nein, das durfte nicht war sein. Als dann die Melodie einsetzte, sah Dean, wie Ana sich langsam umdrehte. Er konnte keinerlei Emotion in ihrem Gesicht sehen. Sie starrte ihn bloß an. Meg stieß ihr Ellenbogen gegen seinen Arm. „Du musst singen“, flüsterte sie. Er sah erneut zum Bildschirm. Nein diesen Song würde er niemals mit einer anderen Frau singen. Dafür war es zu besonders. Just a dream gehörte nur Ana und ihm. „Tut mir leid, aber diesen Song kann ich nicht singen.“ Auch wenn das sehr arschig von ihm war, ließ er Meg auf der Bühne stehen und lief an Ana vorbei, zu seinem Tisch. Er bezahlte bei Celine, die gerade Megs Essen brachte. Anschließend verschwand er aus dem Diner. Er brauchte dringend frische Luft.
„Ana, ist alles in Ordnung?“, fragte Sally und wedelte mit ihrer Hand vor ihrem Gesicht. Ohne ihr zu antworten lief sie aus dem Diner. Sie sah ihn an der Mauer neben der Einfahrt stehen. Er fuhr sich durch die Haare und sah auf, als er Schritte hörte. „Was sollte das?“, fuhr sie ihn an. „Was meinst du?“ „Warum hast du Meg auf der Bühne allein gelassen?“ „Warum?“, wiederholte er überrascht. „Ja, warum?“ Daraufhin lachte er auf. „Sollte ich etwa mit ihr diesen Song singen?“, rief er. „Wieso nicht?“ Die Frage verließ ihre Lippen, bevor sie es verhindern konnte. Sie hatte zu viel Angst vor seiner Antwort. „Weil das unser Song ist! Ich könnte es niemals mit jemand anderem singen. Und ich weiß ganz genau wie beschissen es von mir war, Meg auf der Bühne stehen zu lassen, aber ich hatte keine Wahl.“ Unser Song. „Warum bist du dann auf die Bühne gegangen?“, fragte sie gereizt. Er trat ein Schritt auf sie zu. „Weil ich nicht mit ihr reden wollte. Ich hatte keine Ahnung, dass sie auch singen kann.“ „Ach wirklich? Normalerweise erzählt Meg das immer.“ „Da hab ich wohl nicht zugehört.“ „Hast du wirklich meinetwegen den Song nicht gesungen?“ „Ja. Wie könnte ich den Song mit einer anderen Frau singen, zu dem wir uns getroffen haben?“ Ein Knoten schnürte Ana die Kehle zu. „Claire…“ „Ich heiße Ana!“, unterbrach sie ihn und sah sich sofort um. „Warum hast du deinen Namen geändert?“ Ana schwieg. Sie konnte nie besonders gut lügen und bei Dean hatte es nie geklappt. „Es ist eine lange Geschichte“, antwortete sie schließlich. „Ich habe Zeit“, gab er zurück und lehnte sich gegen die Wand. „Ich aber nicht. Ich muss zurück zum Diner und das gerade biegen, was du angestellt hast.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu und wollte schon loslaufen, da hielt er sie an ihrem Handgelenk fest. „Könntest du es mit einem anderem Mann singen?“ „Was?“ „Den Song meine ich. Könntest du es mit einem anderen Mann singen?“ Ana sah ihm direkt in die Augen. „Nein.“ „Okay.“ Er ließ sie wieder los. Zwar ungern aber er tat es. „Was fällt dir ein, mir das anzutun?“, hörten sie Megs Stimme. Sie stampfte auf Dean zu. „Hast du eine Ahnung, wie demütigend das war?“ Dean wandte den Blick von Ana ab und sah Meg an. „Es tut mir wirklich leid. Aber…“ „Nichts aber! Ich habe keine Ahnung, was mit dir nicht stimmt aber du wirst das bereuen!“ Sie sah Ana nicht einmal an. Meg ließ beide stehen und stieg in ihr Wagen. „Meinst du ich bin sie los?“ „Du solltest Meg nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wie auch immer, ich geh wieder ins Diner.“ „Warte kurz.“ „Was denn?“ „Wir müssen trotzdem irgendwann reden.“ „Ich weiß, aber nicht heute.“ Sie ließ ihn stehen und lief zurück ins Diner. Er erinnerte sich noch an ihren gemeinsamen Song und er hatte sich geweigert, es mit jemand anderem zu singen. Diese bescheuerten Schmetterlinge machten sich wieder bemerkbar und das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut.