Kapitel 13
„Nala, wir müssen jetzt los.“ Ana stand im Flur und packte ihr Geldbeutel in ihre Clutch. Sie trug eine dunkle Denim Jeans und darüber eine hellgrüne Bluse. Beigefarbene Pumps machten ihr Outfit komplett. Nun kam Nala aus ihrem Zimmer angerannt. „Ich musste noch mein Bild zu ende malen.“ Ana ging in die Hocke. „Was hast du denn gemalt?“ „Zeig ich nicht!“ Ana sah ihre Tochter überrascht an. „Wieso darf ich denn dein Bild nicht sehen?“ „Weil das für Dean ist.“ Ana schloss kurz die Augen. „Okay. Wenn du das so möchtest, ist es in Ordnung, aber wir müssen uns jetzt beeilen.“ Ana half Nala ihre Schuhe anzuziehen. Sie hatten in fünfzehn Minuten ein Arzttermin zur Nachkontrolle.
Ana parkte vor der Arztpraxis und schaltete den Motor aus. Sie atmete tief durch und stieg dann aus. Sie öffnete die Autotür und schnallte Nala ab. „Mummy, gehen wir danach zum Spielplatz?“ Ana lächelte ihrer Tochter zu. „Mal schauen. Komm her“, sagte sie sanft und half Nala aus dem Wagen. Sie nahm noch ihre Clutch und schloss dann ihr Auto ab. Sie nahm Nalas Hand in ihre und lief mit ihr zum Eingang. Die Praxis befand sich in einem alten Backsteingebäude, welches aus drei Stockwerken bestand. Die Kinderarztpraxis war im zweiten Stock. Im ersten Stock war ihr Hausarzt und im dritten Stock die Zahnarztpraxis. Ana öffnete die Tür und stieg mit Nala die Treppen hoch. Der Aufzug war schon seit Monaten beschädigt und nicht betriebsbereit. Ana bemerkte wie aufgeregt Nala war. Normalerweise mochte sie keine Arztbesuche. Aber diesmal war ihre Aufregung positiv. Was sollte sie bloß machen? Sie hatte Dean versprochen, mit ihm zu reden, aber er wollte doch keine Kinder und wenn er jetzt erfahren würde, dass Nala seine Tochter war… Er würde sich von Nala distanzieren und somit sie verletzen. Und davor hatte sie große Angst. Es machte sie aber auch wahnsinnig zu sehen, wie sehr Nala Dean mochte und auch Dean mochte Nala. Das stand außer Frage. Am liebsten würde sie weinen und alles um sie herum vergessen. Weglaufen. Aber das konnte sie nicht. Sie hatte Nala und ihr Diner. Diesmal musste sie es alleine schaffen. Damals hatte Esmé ihr geholfen. Sie hatte ihr ein neues Personalausweis und Pass besorgt. Sie hatte ihr geholfen, Ana Davids zu werden. Sie hatte ihr geholfen, die Schwangerschaft zu überstehen. Das Diner zu öffnen. Nie hatte Ana Esmés Schuld begleichen können und jetzt half ihr Sohn Matteo ihr. Die Familie Ericson war ein Geschenk vom Himmel. Ohne sie, wüsste Ana nicht, was sie jetzt machen würde. Dank ihnen hatte Nala ein schönes, warmes Zuhause und Leute um sich, die sie liebten. Das war das Wichtigste. Nala war Anas ein und alles. Sie öffnete die Tür von der Kinderarztpraxis und ging mit Nala rein. Vor ihnen war niemand, deshalb kamen sie auch gleich dran. „Hallo Frau Davids“, begrüßte die junge Frau am Empfang. „Hallo. Wir haben ein Termin um vierzehn Uhr bei Dr. Lewis.“ Die Frau tippte etwas in ihr PC und fragte nach der Versicherungskarte von Nala. Ana reichte sie ihr. Sie scannte die Karte und reichte es wieder an Ana. „Okay, nehmen Sie bitte noch im Wartezimmer Platz.“ Ana nickte und ging mit Nala in das kleine Wartezimmer. Außer ihnen war ein Ehepaar mit ihren Zwillingen da. Außerdem saß eine Mutter auf einem Stuhl und auf ihrem Schoß lag ihr kleiner Sohn. Er sah richtig krank aus. „Gute Besserung“, sagte Ana in die Runde und setzte sich auf den Stuhl neben dem Fenster. Nala ging zu der Magnettafel und buchstabierte ihren Namen. Normalerweise ließ Ana die Finger von Magazinen aber da sie nichts zu tun hatte, nahm sie eines und blätterte es durch. Auf der Titelseite waren zwei Personen abgebildet, die Ana in ihre Vergangenheit schleuderten. Susan und Michael Daniels bei einer Benefizgala. Ihre Mutter sah immer noch gleich aus. Ihr Vater aber sah älter aus. Ana schluckte schwer. Sie hatte ihre Eltern vor knapp fünf Jahren gesehen. Sie klappte die Zeitschrift zu und legte sie schnell beiseite. Sie schluckte den Kloß runter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte und blinzelte ein paar Mal. „Frau Davids?“ Eine ältere Arzthelferin stand an der Tür. Ana erhob sich. „Komm Nala, wir sind dran.“ Nala stand auf und folgte ihrer Mutter. Ihre Tochter war auf einmal sehr still. „Zimmer zwei.“ „In Ordnung, danke.“ Ana ging mit Nala in das Zimmer. Kurz darauf kam Dean rein. „Hallo.“ Er reichte Ana die Hand. Sie schlug ein. „Hallo“, brachte sie mühsam hervor. Er musterte sie kurz, ging aber dann in die Hocke um Nala zu begrüßen. „Hallo Nala. Wie geht es dir?“ „Gut!“, rief sie strahlend. Dean bemerkte das Blatt in Nalas Hand. „Was ist denn das?“ Er deutete mit dem Finger darauf. „Das ist für dich.“ Sie reichte es ihm. „Dankeschön.“ Er rollte es auf und starrte für einen Moment auf das Bild. Dann zuckte sein Blick zu Ana hoch. „Darf ich jetzt sehen, was du gemalt hast, Süße?“ Nala nickte und Ana ging ebenfalls in die Hocke. Als sie sah was Nala gemalt hatte, blieb ihr die Luft weg. Sie klammerte sich mit einer Hand an der Tischkante fest. Auf dem Bild war Nala zu sehen. Neben ihr Ana und auf der anderen Seite Dean. Das Männchen trug zumindest einen Kittel. Hinter Dean war ein braunes Gebäude. Das musste die Praxis sein und oben auf dem Bild hatte Nala eine Biene gemalt. „Das ist ein schönes Bild. Danke“, sagte Dean. Nala lächelte breit. „Bitte.“ Ana fiel das Atmen immer noch schwer. Sie versuchte gleichmäßig zu Atmen. „Ich…ich wusste nicht, was sie gemalt hatte“, murmelte sie und sah Dean an. „Es ist ein schönes Bild. Aber jetzt müssen wir mal schauen, wie es dir geht.“ Dean richtete sich wieder auf. Auch Ana richtete sich auf und setzte sich gleich darauf auf den Stuhl. Dean untersuchte Nala, aber Ana bekam das nur neben bei mit. Ihr Telefon holte sie aus ihrer Erstarrung. „Tut mir leid.“ Sie sah auf das Display. Teo. Normalerweise rief Teo nie an. Er schrieb ihr eine Nachricht und sie rief zurück. Irgendetwas war passiert. „Ich muss da kurz ran gehen. Könnte wichtig sein.“ „Die Tür hinter meinem Schreibtisch führt zu einem Balkon“, antwortete Dean. „Danke.“ „Was gibt’s Teo?“, fragte sie bevor sie noch auf dem Balkon war. „Hier ist so eine Frau aufgetaucht, die nach Claire gefragt hat.“ Ana wurde blass. „Was?“, es war kaum ein Flüstern. „Ich habe ihr klargemacht, dass hier keine Claire wohnt. Aber sie wollte mir schier nicht glauben. Daraufhin hat sie mir ein Bild von dir gezeigt. Naja von früher, wo du noch blond warst“, sagte er leise. „Was?“, wiederholte sie wie benommen. „Ich habe sie abwimmeln können, aber sie hat mir ihre Nummer gegeben. Was soll ich tun?“ „Wie heißt sie?“ „Sie hat irgendwas mit Brooke gesagt.“ „Himmel steh mir bei. Verdammt. Okay danke Teo. Ich kümmere mich darum. Pass nur auf, dass sie nicht mit anderen spricht.“ „Wie zum Teufel soll ich das machen?“ „Lass dir was einfallen. Benutz dein Charme. Ich muss jetzt auflegen. Ich bin gerade mit Nala beim Arzt. Hier habe ich auch eine Hürde zu bewältigen.“ „Okay. Soll ich kommen?“ „Nein“, sagte sie mit fester Stimme. „Diesmal komme ich alleine klar.“ Bevor Teo etwas erwidern konnte, legte sie auf und ging wieder rein. „Alles in Ordnung?“, fragte Dean. „Ja. Hatte etwas mit dem Diner zu tun.“ Dean merkte, dass sie log. Schwieg aber, da Nala dabei war. „Okay, das wars dann. Du bist gesund. Aber die Salbe muss sie trotzdem noch nehmen“, sagte er an Ana gewandt. „In Ordnung.“ Sie reichte ihm die Hand. Als er ihre Hand berührte, runzelte er die Stirn. „Du hast eiskalte Hände.“ „ Mir geht es gut.“ Er trat näher und senkte seine Stimme. „Tut es nicht. Bist du mit dem Auto da?“ Sie nickte. „In diesem Zustand wirst du auf keinen Fall fahren.“ „Mir geht es gut“, wiederholte sie. „Mir kannst du nichts vormachen. Ich habe jetzt Feierabend. Die andere Ärztin übernimmt jetzt die nächste Schicht. Wartet, dann fahre ich euch.“ „Das ist nicht nötig. Ich rufe einfach ein Taxi.“ „Wann habe ich dich jemals mit einem Taxi fahren lassen?“ Sie sah ihn eine Weile an, dann nickte sie. „Wir warten unten. Komm Nala.“ Sie nahm die Hand ihrer Tochter und verließ so schnell wie möglich die Praxis. „Mummy, geht es dir gut?“ Ana setzte ein Lächeln auf und ging vor ihrer Tochter in die Hocke. „Ja Spätzchen, ich habe heute wohl nicht genügend getrunken und jetzt ist mir ein bisschen schwindelig geworden.“ Sie umarmte ihre Tochter. Es fing an. Alles ging in die Brüche. Sie würde Brooke einfach sagen, dass sie sich irrte und einfach so tun, als würde sie sie nicht kennen. „Dean, hast du Wasser dabei? Mummy ist schwindelig“, hörte sie Nala sagen. Sofort richtete sie sich auf. „Mir geht es schon besser. Ich muss nur schnell zum Diner.“ „Wo ist dein Auto?“, fragte Dean. „Da vorne.“ Sie lief mit Nala los. Sie gab Dean die Autoschlüssel. Auf dem Weg zum Diner rief sie Sally an. Sie brauchte jetzt dringend jemanden der auf Nala aufpasste. Sally sagte, dass sie schon im Diner wäre. Als sie dann in die Einfahrt fuhren, blinkte Anas Display auf. Sie ist wieder da. Komm nicht. Die SMS kam leider zu spät. Ana sah Brooke neben Teo stehen. Sie hielt etwas in ihrer Hand und versuchte Teo zu überzeugen. „Ist das nicht…“, fing Dean an. „Ich kenne sie nicht“, fiel Ana ihm ins Wort. „Bleib bitte im Wagen und warte bis sie weg ist“, sagte sie zu Dean. „In Ordnung.“ Sie stieg aus und half Nala. Sally kam im selben Augenblick auf sie zu. „Nala, wie wäre es, wenn du mit Sally zum Spielplatz gehst?“ „Ja!“, rief Nala begeistert. „Danke Sally.“ „Gerne.“ Ana atmete tief durch und lief los. „Teo, was ist denn hier los?“, fragte Ana beiläufig. Brooke sah zu ihr. Ihre Augen weiteten sich, dann rannte sie los und umarmte sie. „Claire! Ich wusste, dass du es bist“, rief sie. „Entschuldigen Sie, aber Sie müssen mich mit Jemanden verwechseln.“ Ana drückte Brooke von sich. „Claire, hör auf mit dem Mist“, rief Brooke. „Mein Name ist Luana Davids. Ich kenne keine Claire.“ „Wie ich Ihnen sagte, hier lebt keine Claire Daniels“, sagte Teo und unterstützte sie. „Verarscht mich doch nicht. Hier, das bist du.“ Sie hielt ein Foto vor Anas Nase. Ana runzelte die Stirn. „Okay, ich gebe zu, dass da eine Ähnlichkeit ist, aber ich bin nicht die Frau auf diesem Foto. Ich kann es Ihnen beweisen.“ Ana nahm aus ihrer Clutch ihr Ausweis und zeigte es Brooke. Sie las laut: „Luana Davids.“ Dann sah sie wieder Ana an. „Das kann unmöglich sein. Du…ich meine Sie sehen aus wie Claire.“ „Ist diese Claire eine Verwandte von Ihnen?“, fragte Ana. Es war schon seltsam in der dritten Person über sich zu reden. „Meine beste Freundin“, antwortete Brooke. Das ich nicht lache, dachte Ana und unterdrückte ein Schauben. Genauso wie ihre Eltern, hatte Brooke sie damals hängen lassen. „Dann hoffe ich für Sie, dass Sie sie finden.“ „Dann bin ich wohl den ganzen Weg umsonst gekommen“, murmelte sie und steckte das Foto wieder ein. „Besuchen Sie doch das Diner.“ Ana deutete auf ihr Diner. „Schmeckt das Essen dort?“, fragte Brooke. „Da es mein Diner ist, kann ich es nur bejahen.“ „Oh, das wusste ich nicht. Dann werde ich dort essen und wieder heimfahren.“ „Ich begleite Sie.“ Ana ging mit Brooke in das Diner und als sie nicht mehr zu sehen waren, stieg Dean aus. Schloss den Wagen ab und trat zu Teo. „Die Autoschlüssel. Sie können es Ana geben.“ Teo starrte Dean entgeistert an, nahm aber die Schlüssel entgegen. „Ihr geht es nicht gut. Auch wenn sie das behauptet.“ Nach diesem Satz, drehte er sich um und verließ die Parkplätze. Er verschwand um die Ecke. Teo sah die Schlüssel in seiner Hand an. Er hatte sich geirrt. Ana musste Dean die Wahrheit sagen. Er steckte die Schlüssel in seine Hosentasche und betrat das Diner. Brooke saß an einem Zweiertisch und unterhielt sich am Telefon. „Nein Kev, sie war es nicht.“ Sie schwieg kurz. „Ich weiß, sie sieht ihr echt ähnlich aber sie hat mir ihr Ausweis gezeigt.“ Teo setzte sich unauffällig an den Tisch hinter ihr. „Meinst du wirklich, dass sie sich eine neue Identität besorgt hat?“ Sie schwieg wieder. „Nein Kev, sie kann unmöglich Claire sein. Diese Frau ist viel zu selbstbewusst. Außerdem könnte Claire unmöglich so schauspielern.“ Ronny stellte eine Tasse vor ihr ab. Sie bedankte sich und fuhr fort. „Was ich vorhatte? Unser Mist wieder geradebiegen und um Verzeihung bitten“, zischte sie in den Hörer. Teo runzelte die Stirn. „Was meinst du mit, ich weiß nicht wovon du sprichst? Wegen uns haben Claire und Dean sich getrennt!“ Teos Augen weiteten sich. Kaum zu glauben, dass eine Freundin dazu in der Lage war. „Sie war schwanger du Idiot!“, zischte sie erneut. „Ich fliege heute nachhause. Wissen Mum und Dad etwas darüber?“ Sie massierte sich den Nasenflügel. „Okay, gut. Wir sehen uns dann morgen früh.“ Sie legte auf. Dean hatte nie vorgehabt Ana zu verlassen. Diese Information änderte einfach alles. Bevor Ana mit Dean sprechen konnte, musste die Frau erst verschwinden. Ana verdiente es, endlich glücklich zu werden. Er stand auf und brachte Ana die Schlüssel. Anschließend ging er aus dem Diner.