Kapitel 14
Zurück vor seiner neuen Arbeitsstelle ging er zu seinem Wagen und setzte sich hinter das Steuer. Er fuhr sich über das Gesicht. Ana heute so zu sehen, hatte ihn fertig gemacht. Er hatte gemerkt, wie sehr sie sich anstrengte, stark und unabhängig zu sein. Er schloss die Augen und sah noch einmal, wie kreidebleich sie geworden war, als sie Nalas selbstgemaltes Bild gesehen hatte. Oder als er aus dem Gebäude gekommen war und sie ihre Tochter fest in den Armen gehalten hatte. Als sie sich seit Jahren wieder gesehen hatten. Ihre Sorge um ihre Tochter. Jedes Mal, wenn sie Nala in seiner Nähe sah, sah er Panik in ihren Augen. Es fiel zwar niemanden auf aber ihm entging es nicht. Er öffnete die Augen. Er brauchte jetzt dringend ein Glas Whiskey. Er startete den Motor von seinem Audi R8 und fuhr aus der Parklücke. Er fuhr am Spielplatz vorbei und sah Nala auf der Schaukel. Neben ihr stand das Mädchen von neulich. Doch dann fiel Dean etwas auf. Einige Jugendliche saßen unter einem Baum und sahen zu Nala und ihrer Babysitterin hinüber. Dem Anschein nach bemerkte sie es nicht. Dean fuhr etwas langsamer und hielt schließlich hinter einem Busch an. Er beobachtete die Situation. Einer von den Jungs löste sich von der Gruppe und lief auf sie zu. Deans Hand wanderte sofort zum Türgriff aber als er aussteigen wollte kam der Junge von neulich Abend dazu. Der DJ vom Karaoke Abend. Als der Junge ihn sah, kehrte er sofort um. Nicht schlecht, dachte Dean. Er sah, dass das Mädchen sich mit dem Jungen unterhielt und keine Bedrohung in ihm sah. Als er sich sicher war, das kein Problem mehr entstehen konnte, fuhr er weiter.
„Was führt dich denn auf ein Spielplatz?“, fragte Sally und musterte Reed. „Ich hatte etwas zu erledigen und bin hier vorbei gekommen.“ „Durch den Spielplatz?“ Sally zog eine Augenbraue in die Höhe. „Du bist echt naiv, weißt du das?“ Er lehnte an dem Geländer von der gegenüberliegenden Schaukel. „Was meinst du jetzt damit?“ „Ach nichts.“ „SALLY! Schubs mich schneller an!“, rief Nala. „Okay, Süße.“ Sally trat hinter Nala und schubste sie an. „Du warst heute nicht in der Schule“, bemerkte sie. „Hatte keine Lust.“ „Lust oder Zeit?“, fragte Sally nach. „Wie meinst du das jetzt?“ „Ich glaube, dass du schon Lust hättest, aber aus irgendeinem Grund schaffst du es zeitlich nicht.“ Er kniff die Augen zusammen. Sie hatte ins Schwarze getroffen. Reed musterte sie. Heute trug sie ein khakifarbenes, kurzes Jumpsuit. Ihre rot-blonden Haare hatte sie zu einer Boxerfrisur geflochten. Wie sonst auch, war sie kaum geschminkt. Sally war sehr natürlich und nicht so aufgesetzt wie ihre Freundinnen. Er hingegen trug wie sonst auch eine zerschlissene Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Um seine Hüfte hatte er ein schwarz-rot kariertes Hemd gebunden. „Willst du nicht antworten?“, fragte sie und holte ihn aus seinen Gedanken. „Ich hatte etwas zu erledigen.“ „Das bedeutet wohl, nicht mehr nachfragen.“ „Erraten.“ „Sally, ich möchte klettern.“ Sally hielt die Schaukel an und half Nala raus. Sie rannte zum Klettergerüst und Sally folgte ihr. Reed sah über seine Schulter zurück. Die Jungs saßen immer noch auf der Bank, sahen aber sofort weg, als sie Reeds Blick bemerkten. Anschließend folgte er Sally. „Ach und ich habe noch deine Jacke. Wann soll ich sie dir vorbei bringen?“ „Gar nicht.“ Nun sah sie ihn überrascht an. „Willst du deine Jacke nicht zurück?“ „So habe ich es nicht gemeint. Bring es einfach ins Diner. Ich nehme es dann am Samstag mit.“ „Okay. Ach und Reed?“ „Ja?“ Er sah zu ihr runter. „Danke, dass du den Kerl verscheucht hast.“ Er starrte sie an. Sie hatte ihn also doch bemerkt. „Kein Ding.“ „Sally, ich komme nicht mehr runter“, rief Nala. Ihre Unterlippe zitterte. „Warte, ich komme zu dir hoch.“ Sally kletterte die Treppe hoch. Reed stellte sich hinter sie um ihr zu helfen. Sally trat auf eine Stufe, rutschte aus und verlor ihr Gleichgewicht. Sie flog nach hinten, aber Reed konnte sie noch rechtzeitig auffangen. Sie war gegen seine Brust gefallen und sah jetzt hoch zu ihm. Erst jetzt sah sie, dass Reed moosgrüne Augen hatte. „Danke“, murmelte sie. „Bleib du hier unten. Ich hole Nala runter. Er ging einmal um das Klettergerüst und stellte sich direkt unter Nala. „Okay Nala. Ich möchte, dass du dich jetzt hinsetzt.“ Nala nickte und tat, was man ihr gesagt hatte. Anschließend hob Reed beide Arme nach oben. „So und jetzt lass dich fallen. Ich werde dich auffangen.“ Nala schüttelte wild den Kopf. „Du hast doch gesehen, dass ich auch Sally aufgefangen habe, stimmt’s?“ Langsam nickte Nala. „Genau, also schaffe ich es auch, dich aufzufangen. Vertrau mir.“ Sally trat neben Reed. „Was tust du denn?“, flüsterte sie. „Sie herunter holen“, gab er zurück. „Ich zähle bis drei okay? Kannst du auch bis drei zählen?“ „JA!“, rief Nala entrüstet. „Gut, also eins, zwei und drei.“ Nala ließ sich fallen und wie versprochen fing Reed sie auf. Sie schlang ihre Arme um sein Nacken. „Alles gut. Du warst großartig.“ Reed ließ Nala wieder auf den Boden. Er bemerkte Sallys Blick auf sich. „Was denn?“ „Nichts.“ Ihr fiel auf, dass er ihren Namen zum allerersten Mal ausgesprochen hatte. „Nala, komm wir gehen jetzt zurück nachhause. Deine Mummy wartet bestimmt auf dich.“ „Begleitet Reed uns?“ Sally sah Reed fragend an. „Kann ich machen.“ Nala schob ihre Hand in Sallys und gemeinsam liefen sie zurück zum Diner. „Macht es dir eigentlich nichts aus, mit mir gesehen zu werden?“, fragte Reed nach einer Weile. „Warum sollte es das?“ „Du kennst meinen Ruf.“ „Alles nur Gerede. Du bist kein schlechter Mensch, Reed. Lass dir von niemanden so etwas einreden.“ „Mir ist es egal, was die Leute über mich sagen oder denken. Solange sie mich in Frieden lassen, habe ich kein Problem damit.“ Sie wollte ihm das nicht glauben. „Okay.“ Sie betraten gemeinsam das Diner. Sally sah Reed an, dass ihm das unangenehm war, aber er versuchte es nicht zu zeigen. Die Leute starrten ihn wie sonst auch an. „Mummy!“, rief Nala und rannte auf Ana zu. Sie fing sie auf und drückte sie an sich. „Wie war es auf dem Spielplatz?“, fragte Ana. „Mummy, ich bin so hoch geklettert und konnte dann nicht mehr runter kommen. Aber Reed hat mir geholfen“, erzählte Nala. „Ach wirklich?“ Ana trat zu Sally und Reed. „Dann danken wir mal Reed.“ „Gern.“ „Und Sally hat er auch aufgefangen. Sie wäre fast hingefallen“, erzählte Nala aufgeregt. Sally lief rot an und Reed wollte augenblicklich das Diner verlassen. „Dann war ja Reed heute ein Held. Setzt euch doch. Ich lasse euch etwas zu Essen bringen.“ „Danke Ana, aber ich muss nachhause.“ „Okay. Was ist mit dir Reed?“ „Ich bleibe auch nicht lange. Ich muss nur kurz mit Nick reden. Wo steckt er?“ „Er ist im Mitarbeiterraum. Er macht gerade Pause. Geh einfach dazu.“ Er nickte und lief los. Sally runzelte die Stirn. „Woher kennt Reed Nick?“, fragte sie Ana. „Die zwei sind befreundet. Nick hat mir Reed vorgestellt.“ Sally machte große Augen. Das hatte sie gar nicht gewusst. „Okay, ich gehe dann mal. Tschüss Nala.“ „Tschüs.“ Nala winkte ihr nach. „Spätzchen, hast du Hunger?“ „Ja und zwar einen groooßen“, rief Nala. „Wie groß denn?“ „So groß.“ Sie spreizte die Arme auseinander. „Dann muss Lilian dir aber viel zubereiten.“ Sie ging zu einem Tisch in der nähe des Büros. Ronny bemerkte Nala und gab Lilian Bescheid.
Ana hatte Nala ins Bett gebracht und zog sich in ihr Zimmer zurück. Sie holte wieder die Schachtel aus ihrem Schrank und setzte sich auf ihr Bett. Sie nahm das Foto von sich und Dean daraus. „Warum bist du wieder aufgetaucht?“, murmelte sie. „Ich hatte ein friedliches Leben.“ Sie legte das Foto zurück. Und warum war Brooke hier aufgetaucht? Was wollte sie von ihr? Langsam wurde es Zeit, mit Dean zu reden. Obwohl ihr bei diesem Gedanken der Magen drehte, musste er es erfahren. Sie sah auf die Uhr. Es war noch nicht spät, deshalb holte sie ihr Handy und wählte Deans Nummer, die auf seiner Visitenkarte stand. Sie räusperte sich. „Dean Lewis?“, meldete er sich. Kein Wunder, da ihre Nummer ihm nicht bekannt war. „Hallo Dean, hier ist Ana.“ Eine Pause entstand und sie glaubte, dass er aufgelegt hatte. „Ana?“, fragte er dann nach einer Weile. „Ja, ich…ich muss dir etwas Wichtiges sagen.“ „Um was geht es? Ist etwas mit Nala? Soll ich vorbei kommen?“ Eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel. Sie presste kurz die Lippen aufeinander. „Ihr geht es gut. Es geht um etwas anderes.“ „Um was denn dann?“ „Am Telefon ist es nicht richtig. Ich werde morgen mit Nala zum Spielplatz gehen. Später holt Sally sie ab. Wenn du Zeit hast, kannst du dann vorbei kommen?“ „Um wieviel Uhr?“ „Sechszehn Uhr.“ „Okay, ich werde da sein.“ „Okay. Gute Nacht.“ „Gute Nacht, Ana.“ Sie legte auf und sah auf das Display, bis es dunkel wurde. Dann tropfte eine Träne darauf. Sie hoffte, dass sie das Richtige tat. Sie räumte die Schachtel wieder auf und ging in die Küche. Sie holte ein Glas aus ihrem Schrank und schenkte sich Wasser ein. Sie trank alles auf einmal, da sie eine trockene Kehle bekommen hatte. Sie setzte sich an den Küchentisch und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sie dachte an den Moment zurück, an dem sie Dean erneut begegnet war. Damals am See. Dann im Diner. Und heute. Nala liebte Dean. Auch er mochte sie, dass konnte man deutlich sehen. Aber mochte er sie so sehr, dass er sie akzeptieren würde? Seit Wochen konnte Ana nicht mehr frei Atmen. Alles an was sie denken konnte, war Nala und Dean. Natürlich auch ihre Sorge um ihre geheim Identität. Nur Teo wusste die Wahrheit. Ana stand auf, räumte ihr Glas in die Spülmaschine und ging schlafen. Sie wusste, dass sie kein Auge zu bekommen würde, aber sie war zu erschöpft. Der Tag hatte ihre ganze Kraft geraubt.
Dean lief im Wohnzimmer auf und ab. Was konnte bloß so wichtig sein, dass Ana ihn dringend sprechen musste? Klar, sie wollte ihm erzählen, wieso sie in Hot Springs lebte, aber er kannte sie zu gut. Es gab da noch mehr. In den letzten fünf Jahren war etwas passiert, aber er konnte nicht sagen was. Peggy hatte ihm ein Paar Dinge über Ana erzählt, aber diese Frau hatte nichts mit Claire zu tun. Peggy kannte Ana nicht besonders gut, da sie neu hergezogen war, aber nichts entging Peggy. Sie hatte ihm erzählt, dass keiner wusste, wer Nalas Vater war. Ana war vor fünf Jahren nach Hot Springs gezogen. Niemand kannte ihre Familie. Matteos Mutter hatte sie aufgenommen und ihr geholfen. Als sie hergekommen war, war sie schwanger gewesen. Dean blieb abrupt stehen. Vor fünf Jahren. Und Nala war vier. „Zieh keine voreilige Schlüsse“, murmelte er. Sie hätte ihn damals nicht fort geschickt, wenn sie von ihm schwanger gewesen wäre. Das würde nicht zu ihr passen. Er überlegte, ob dieser reiche, arrogante Typ der Vater sein konnte, aber Nala sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Er hatte aschblonde Haare und blaue Augen. Nala war brünett und hatte die Augen ihrer Mutter. Außerdem hatte Claire ihn nie leiden können. Er war der Bruder von Brooke, seinen Namen hatte er vergessen. Nur nicht, dass er ihm eine reingehauen hatte. Dean fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Hier jetzt zu grübeln, brachte ihm auch nichts. Morgen würde er die Wahrheit erfahren. Er legte sich auf das Sofa und starrte die Decke an. Irgendwann fielen ihm die Augen zu.