Kapitel 15
Nachdem Ana am Vormittag ihre Arbeit im Diner erledigt hatte, holte sie Nala ab und ging mit ihr auf das Spielplatz. Sally würde um sechszehn Uhr kommen und auf Nala aufpassen. Dann würde Ana mit Dean sprechen. Sie legte seit gestern Nacht, ihre Worte zurecht, aber es klang jedes Mal erbärmlich. „Mummy, darf ich schaukeln gehen?“, holte Nala Ana aus ihren Gedanken. „Natürlich Spätzchen.“ Nala ließ Anas Hand los und rannte zu den Schaukeln. Sie legte sich mit dem Bauch auf die Schaukel und wippte hin und her. Heute Morgen hatte sie mit Teo gesprochen und er hatte ihr bestätigt, dass sie das Richtige tat. Sie hatte aber das Gefühl, dass er mehr wusste, als er sagte. Sie hörte ein Auto und schaute über ihre Schulter. Ein Audi R8. Sie sah auf die Uhr. Es war kurz vor sechszehn Uhr. In dem Moment blinkte ihr Display auf. Sally schrieb ihr, dass sie sich fünf Minuten verspäten würde. Dean trat zu ihr. „Da bin ich.“ „Danke, dass du gekommen bist. Sally ist noch nicht da.“ „Dann warten wir auf sie.“ Ana nickte und sah zu ihrer Tochter. Sie rutsche im Augenblick. „Geht es dir besser?“, fragte Dean. „Kann ich noch nicht sagen“, antwortete Ana. Das stimmte auch. Im Moment konnte sie ihre Gefühle nicht sortieren. Sie hatte Angst, war nervös, dennoch spürte sie Erleichterung. Alles war einfach ein Wirrwarr. „Du hast nicht gelogen“, murmelte Dean. Ana sah zu ihm hoch. „Woher weißt du eigentlich, wann ich immer lüge?“, wollte sie wissen. „Du…“ Nalas Schrei unterbrach ihn. Sofort wandte Ana ihr Blick zu ihrer Tochter. Sie kam auf sie zu gerannt und schrie aus vollem Hals: „BIENE!“ Sie wedelte wild mit den Armen. Dann passierte etwas unerwartetes. Nala rannte an Ana vorbei und direkt in Deans Arme. Nala vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und Dean drückte Nala automatisch an sich. Ana konnte nichts anderes tun, als beide anzustarren. „Alles gut, die Biene ist weg.“ Beruhigend strich Dean ihr über den Rücken, bis Nala nicht mehr am ganzen Körper zitterte. Noch nie hatte Nala bei einem anderen Mann Schutz gesucht. Nicht einmal bei Teo. Auf einmal tauchte Sally auf. Sie war völlig außer Atem. „Was ist denn passiert?“, fragte sie. „Nala hat eine Biene gesehen“, flüsterte Ana. Überrascht sah Sally Dean an. Ana löste sich aus ihrer Erstarrung und holte ein Taschentuch raus. „Spätzchen, schau mal her.“ Nala hob ihr Kopf und Ana trocknete ihre Tränen. Nala streckte die Arme nach ihrer Mutter aus. Ana nahm Nala Dean ab, dabei begegneten sich ihre Blicke für einen kurzen Moment. „Ich hatte Angst, Mummy“, flüsterte Nala. Ana drückte ein Kuss auf Nalas Schläfe. „Ich weiß Spätzchen, aber jetzt ist alles wieder gut. Schau mal, wer gekommen ist.“ Sally stellte sich neben Ana und lächelte Nala an. „Sally!“, rief Nala und strahlte. Jetzt war alles vergessen. „Spielst du wieder mit mir?“, fragte Nala und wollte wieder auf den Boden. Ana setzte sie ab. „Ja und heute machen wir etwas Besonderes.“ „Und was?“ „Das ist eine Überraschung für deine Mummy, ich verrate es dir nachher.“ „Okay.“ Nala wandte sich an ihre Mutter. „Du musst jetzt gehen, Mummy.“ „Okay, aber erst ein Kuss.“ Ana ging in die Hocke und Nala drückte ihr einen Kuss auf die Backe. „Viel Spaß euch.“ Sally nahm Nala an die Hand. „Werden wir haben.“ Ana wandte sich an Dean. „Komm wir gehen.“ Er nickte und folgte ihr. Sie blieb vor seinem Wagen stehen. „Wohin fahren wir?“, fragte Dean. „Ich werde dir den Weg beschreiben.“ Dean schloss den Wagen auf und Ana stieg ein. Dean setzte sich hinter das Steuer und startete den Wagen. Nach fünfzehn Minuten parkte er und sah sich um. „Wo sind wir?“ „Auf dem Parkplatz von Garvan Woodland Garden. Den Rest werden wir laufen.“ Sie stieg aus. Er tat es ihr nach und gemeinsam liefen sie los. Auf der Full moon Bridge blieb Dean stehen und hielt Ana am Arm fest. „Ich finde, dass wir hier ungestört sind.“ Sie blieb stehen. Ana überlegte krampfhaft, wie sie das Thema anschneiden könnte. Doch dann fragte Dean: „Ist Nala meine Tochter?“ Ana hatte das Gefühl, das ihr Herz für einen Bruchteil ausgesetzt hatte. Sie stützte sich ab. Kreidebleich nickte sie. Sie hatte gewusst, dass Dean darauf kommen würde. „Gibt es hier irgendwo eine Sitzbank?“, fragte er. Ana nickte und lief voraus. Nachdem sie die Brücke hinter sich gelassen hatten, tauchte eine Bank auf. Sie ließ sich darauf fallen und Dean nahm neben ihr Platz. „Warum hast du es mir nicht gesagt?“, fragte er schließlich. „Du warst weg und ich wusste nicht wo du warst“, antwortete sie leise. Sie wollte ihm nichts vorwerfen. „Und was machst du hier? Ich meine in Hot Springs?“ Was soll’s, dachte Ana und fing an, ihm alles zu erzählen. „Nachdem ich von zuhause weg gegangen bin, habe ich ein Neuanfang gebraucht. Natürlich mit Nala.“ Sie sah ihre Hände an. „Und deine Eltern haben das einfach zugelassen?“ Ana lachte bitter auf. „Sie waren es, die mich rausgeschmissen haben.“ „Was?“ „Du hast sie doch kennengelernt. Nie würden sie zulassen, dass etwas ihrem Image schadet.“ „Du musstest das alles alleine bewältigen?“ „Ich war eigentlich nie alleine. Esmé, Teos Mutter hat mir sehr geholfen. Und Teo war ja auch immer an meiner Seite.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Deswegen hast du deinen Namen geändert“, murmelte Dean. Sie nickte. „Wann hast du erfahren, dass du schwanger warst?“ „Nachdem du ohne mich gegangen bist.“ „Warte, was?“ Jetzt runzelte er die Stirn. Sie sah auf. „Du wolltest, dass ich gehe“, sagte Dean. „Ich?“, rief Ana überrascht. „Ja.“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Du bist ohne mich gegangen! Du hast mich einfach alleine gelassen!“, rief sie mit Tränen in den Augen. „Nein, du wolltest, dass ich gehe! Du hast es selbst gesagt.“ „So etwas habe ich nie gesagt! Warum sollte ich das sagen, wenn ich dich so sehr geliebt habe?“ „Ana, ich habe es dich selbst sagen hören!“ „Wann denn?“, schrie sie. „Am Tag, bevor wir gehen wollten. Ich stand an der Tür. Deine Mum hat aufgemacht und dich gerufen. Ich sollte im Flur warten, dann habe ich dich rufen gehört, er soll verschwinden, ich will ihn nicht sehen und habe keine Lust mit ihm irgendwohin zu gehen.“ Ana dachte nach. „An dem Tag warst nicht du, sondern Kevin da. Das hat Mum gesagt. Sie hat gesagt, dass Kevin da ist und mit mir einen Kaffee trinken gehen will.“ „Das war nicht Kevin.“ Kevin war Brookes Bruder. Es war geplant gewesen, dass er und Claire nach ihrem Studium heiraten. „Mum hat mich angelogen. Sie war es“, sagte Ana eher zu sich selbst, als ihr bewusst wurde, dass ihre Mutter sie mit Absicht getrennt hatte. Aber das hieß dann, dass sie es gewusst hatte. Dean verstand es jetzt auch. „Ich fasse es nicht, dass ich da drauf reingefallen bin“, murmelte er. Ana sah ihn an. Sie hatte inzwischen ein Tränenfeuchtes Gesicht. Auch Dean sah sie an. Er war gerade mit der Situation völlig überfordert. Als Ana sah, dass Passanten kamen, trocknete sie schnell ihre Tränen. Dean stand auf und lief auf und ab. „Dean?“, fragte Ana, nachdem die Passanten vorbei gelaufen waren. Er sah sie an. „Was ist jetzt mit Nala. Ich meine, sie liebt dich sehr und wenn du nichts damit zu tun haben willst, muss ich das wissen. Ich will meine…“ Dean kniete sich vor Ana und hielt ihre Hände. „Wovon zum Teufel redest du? Ich werde ihr doch nicht den Rücken zukehren. Dafür liebe ich sie zu sehr.“ Erneut stiegen Tränen in Anas Augen. „Du willst doch aber keine Kinder.“ „Wer hat dir das denn gesagt?“, fragte Dean überrascht. „Ich weiß es halt.“ „Matteo“, stellte Dean fest. Er strich mit seinem Daumen eine Träne von ihrem Gesicht. „Ich will keine Kinder von einer anderen Frau. Ana, nach dir ist jede Beziehung die ich hatte gescheitert. Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?“ „Ich schätze schon, denn mir ging es ähnlich“, gab sie leise zu und sah ihre Hände an. „Ana?“ Er legte seinen Zeigefinger unter ihr Kinn und hob ihr Kopf, sodass sie ihn ansehen musste. „Ja?“ „Darf ich dich umarmen?“ Bei dieser Frage musste sie lächeln und nickte schließlich. Dean schlang die Arme um sie und sie verschwand regelrecht in seinem Armen. Sie kam sich so vor, wie vor fünf Jahren. Sie atmete tief durch und zum ersten Mal seit langer Zeit, fühlte sie, dass sie überhaupt noch atmen konnte. Sie selbst schlang die Arme um Deans Schultern und vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge. Sie wusste nicht, wie lange sie so da saßen, aber als Ana jemanden ihren Namen rufen hörte, zuckte sie vor Schreck zusammen, woraufhin Dean sein Gleichgewicht verlor und auf sein Hintern fiel. Ana hätte unter anderen Umständen gelacht, wenn nicht Ronny kommen würde. Ana konnte schon das Funkeln in ihren Augen von großer Entfernung sehen. Sie trug in den Händen Tüten und kam mit großen Schritten auf sie zu. „Das zahl ich dir heim“, flüsterte Dean und richtete sich auf. Ana stand ebenfalls auf. „Hallo Ronny, was machst du hier?“, fragte sie mit fester Stimme. „Ich hatte Besorgungen zu erledigen und das hier ist eine Abkürzung“, antwortete sie. „Gehst du zurück zum Diner?“ Ronnys Blick wurde nun ernster. „Ana, da ist so ein Kerl aufgetaucht und er hat nach dir gefragt.“ Ana runzelte die Stirn. „Hat er einen Namen genannt?“ Ronny schüttelte den Kopf. „Hier, halt mal.“ Sie drückte die Einkaufstüten in Deans Hand und zog Ana mit sich zur Seite, sodass Dean nicht mithören konnte. „Was ist denn los?“ Ana wurde langsam unruhig. „Warum hast du nie erwähnt, dass du mal blond warst?“ Anas Augen wurden groß. „Was?“ „Er hat mir ein Foto von dir gezeigt. Du hattest Glück, dass er nicht Meg gefragt hat. Ich konnte ihn abwimmeln, indem ich gesagt habe, dass ich mich bei ihm melde. Daraufhin hat er mir seine Visitenkarte gegeben. Warte kurz.“ Ronny kramte in ihrer Hosentasche, dann reichte sie Ana eine weiße Visitenkarte. Kevin Hastings. „Verdammt! Nicht auch noch der.“ Sie sah zu Dean. Ihre komplette Vergangenheit holte sie ein. Fehlten nur noch ihre Eltern. Als er ihren Blick bemerkte, kam er auf sie zu. „Was ist los?“ Sie zeigte ihm die Visitenkarte. Dean knirschte mit den Zähnen. „Was will der Kerl hier?“, zischte er. „Anscheinend sucht er nach mir.“ „Du kennst ihn auch?“, fragte Ronny überrascht und sah zwischen Dean und Ana hin und her. Ana wollte etwas erwidern, aber da klingelte ihr Telefon. „Schlechtes Timing Teo.“ „Diese Frau ist wieder aufgekreuzt. Ana, ich habe keine Ahnung was ich tun soll.“ „Bitte nicht auch das noch“, stöhnte sie. Sie massierte sich den Nasenflügel. „Okay, ich fahr gleich los. Teo, halt sie von allen anderen fern!“ Ana setzte sich in Bewegung. Dean und Ronny folgten ihr. „Shit!“, rief Teo und legte auf. Ana blieb stehen und starrte ihr Handy an. Dann rannte sie los. „Ana!“, schrie Ronny. Am Wagen angekommen, drehte sie sich zu Dean um. „Fahr mich sofort zum Diner. Nicht nur Kevin ist hier.“ Dean nickte, packte die Einkaufstüten in den Kofferraum und stieg ein. Ana setzte sich auf den Beifahrersitz und Ronny nahm hinten Platz. „Ana, willst du mir endlich sagen was los ist?“ „Nicht jetzt Ronny.“ Ana versuchte wieder Teo anzurufen. Er ging nicht ran. „Verdammt!“ Sie war völlig am Verzweifeln. Was war bloß passiert? „Fahr bitte schneller“, bat sie Dean. Eigentlich hasste sie es schnell zu fahren. Sie hielt sich immer an die Geschwindigkeitsbegrenzung und beleidigte für gewöhnlich die Menschen, die zu schnell fuhren. „Okay. Ana, irgendwas stimmt mit dir nicht. Was kann denn so schlimm sein und woher kennt der Doc diese Personen?“ Im Moment war ihr nur wichtig, dass Meg nichts erfuhr. Aber Ronny konnte sie vertrauen. Sie war ihre engste Freundin. „Der Typ der gekommen ist, heißt Kevin und er darf nicht erzählen, wer ich bin und die Frau von gestern ist seine Schwester und meine frühere beste Freundin. Durch sie habe ich Dean kennengelernt.“ Ronny starrte sie an. „Was?!“ Dean bog in den Viertel ab. Ronny musterte Dean. „Und wie gut kennst du ihn?“, sie deutete auf Dean. „Er ist Nalas Vater.“ Ronny verschluckte sich und fing zu husten an. Sie bekam einen roten Kopf. „Vielleicht hättest du das nicht so raushauen sollen“, sagte Dean und sah in den Rückspiegel. „Oh Gott, Ronny geht es dir gut?“, fragte Ana besorgt. „V…Vv…Vater?!“, brachte sie mühsam hervor. „Ja, Dean ist mein Exfreund.“ „Ex?“ Ana sah ihn an. „Willst du im Moment wirklich darüber diskutieren?“, fragte sie entgeistert. „Vielleicht lieber später.“ Dean parkte ein und bevor er den Motor abschalten konnte, war Ana bereits ausgestiegen. Sie hielt nach Kevin, Brooke und Meg Ausschau. Aber die Einzigen die vor dem Diner waren, waren Nick und Reed. „Habt ihr Meg gesehen?“, fragte sie die zwei Jungs. Nick sah kurz zu Reed. „Reed hat etwas gesagt und daraufhin ist sie beleidigt weggedüst. Sorry?“, sagte Nick, aber das letzte klang wie eine Frage. Ana atmete erleichtert auf und umarmte Reed. „Ich danke dir Reed!“ Sie ließ ihn los und ging in das Diner. Reed sah ihr entgeistert nach. „Mach dir kein Kopf, sie hat einen stressigen Tag“, sagte Ronny und klopfte ihm auf die Schulter. „Mir hat noch nie jemand gedankt, weil ich einen Menschen beleidigt habe“, murmelte er. „Diesmal hast du es gut gemacht“, sagte Dean und lief mit den Tüten in das Diner. „Und warum schleppt der Arzt unsere Einkäufe?“, fragte Nick. „Irgendwas geht hier vor sich.“ Nick nickte zustimmend. „Und was auch immer es ist, anscheinend darf es Meg nicht erfahren“, fügte Reed hinzu. Nick nickte. „Denn wenn sie es erfährt, erfährt es ganz Hot Springs.“