Kapitel 19
Ana bekam kalte Hände und Farbe wich aus ihrem Gesicht. „Was ist passiert?“ „Ein junger Mann, braune, lange Haare und etwa ein Meter neunzig wurde überfallen. Sie sollten lieber in das Krankenhaus kommen.“ „In welches? Hier in Hot Springs?“ „Ja.“ „Ich bin unterwegs.“ Ana hatte bereits ihre Tasche geschnappt und lief aus dem Büro. Sie legte noch während dem Gehen auf. „Ana, was ist los?“, hörte sie Ronny fragen. „Ich muss ins Krankenhaus.“ „Oh mein Gott, ist etwas mit Nala?“ Sie kam hinter dem Tresen zu ihr gerannt. „Nein, es geht um Reed.“ „Reed? Warum wirst du kontaktiert?“, fragte ihre Freundin verwirrt. „Er hat mich als Notfallperson angegeben. Halt hier bitte die Stellung und sag Teo Bescheid. Er soll Nala abholen, falls ich es nicht schaffe.“ „Mach ich. Halt mich bitte auf dem Laufenden.“ Ana nickte und verließ das Diner. Sie setzte sich in ihr Nisan Micra und fuhr los. Während der Fahrt klingelte ihr Handy. Sie nahm per Sprechanlage an. „Hallo?“ „Ana, was ist denn passiert? Ronny hat mir gerade gesagt, dass du ins Krankenhaus fährst. Was ist mit Reed passiert?“ „Teo, ich weiß es nicht. Ich fahre noch. Ich gebe euch allen Bescheid, sobald ich etwas weiß. Ich leg jetzt auf.“ Gesagt getan. Zu ihrem Glück fand sie gleich ein Parkplatz. Sie stieg aus und eilte in das Krankenhaus. Sie fragte an der Rezeption nach Reed. „Dritter Stock.“ „Und Zimmer?“ „Dort sind die Operationssäle.“ Ana wurde blass, murmelte ein Danke und lief zu den Aufzügen. Sie drückte an die gefühlt Hundert mal auf den Knopf. Endlich blinkte das Licht und die Türen gingen auf. Sie betätigte den Knopf, worauf eine große drei abgebildet war. Als sie oben ankam, sah sie zwei Polizisten. Sie ging auf den einen zu. „Entschuldigung, wer von Ihnen ist Officer Harper?“, fragte sie. Der andere Polizist, mit den braunen Haaren trat auf sie zu. „Ms. Davids?“ „Ja, die bin ich.“ Sie las auf seiner Uniform seinen Namen. „Officer, was ist denn passiert?“ „Als erstes müssen wir wissen, wie Sie zu dem jungen Mann stehen. Sind Sie verwandt?“ „Nein, ich bin seine Arbeitgeberin. Warum sagen Sie denn nicht seinen Namen?“, fragte sie nun verwirrt. „Weil wir es nicht wissen. Es war ein Raub, alles war weg.“ „Oh. Sein Name ist Reed Allen.“ „Allen? Ist er mit Jensen Allen verwandt?“, fragte der andere Officer. Dieser war etwas älter. Ana nickte. „Reed ist sein Sohn. Aber er ist ein guter Junge, wirklich. Er ist nicht wie sein Vater“, sagte Ana hektisch. „Das haben wir nicht behauptet. Heißt das dann, dass Sie die Verantwortung für ihn übernehmen? Ich nehme an, seinen Vater werden wir nicht erreichen können.“ „Ich übernehme die Verantwortung. Finden Sie bitte diejenigen, die ihn verletzt haben.“ „Das machen wir. Und Ms. Davids?“ „Ja?“ „Versuchen Sie, Jensen aus dem Weg zu gehen. Der Mann ist ein Problem an sich.“ „Ich bin vorsichtig. Danke, trotzdem.“ Die Polizisten verabschiedeten sich mit einem Kopfnicken und kurz darauf kam ein Arzt aus dem OP. Ana ging schnell auf ihn zu. „Wie geht es Reed?“, fragte sie besorgt. „Dem jungen Mann geht es gut. Die Operation verlief wie geplant, ohne Probleme. Er ist einer von der Sorte, der leben will. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Ana atmete erleichtert durch. „Was genau ist denn passiert?“ „Er wurde mit einem Taschenmesser niedergestochen. Zum Glück wurden keine wichtigen Organe getroffen.“ „Großer Gott“, rief sie erschrocken. „Wir bringen ihn nun auf ein Zimmer.“ „Kann ich ihn sehen?“ „Sind Sie eine Familienangehörige?“ Ana überlegte kurz. „Ich bin sozusagen seine ältere Schwester.“ „Verwandt sind Sie aber nicht“, stellte er fest. „Hören Sie, sein Vater wird hier sicher nicht auftauchen, dass wäre nicht Jensens Art. Daher bleibe nur ich übrig.“ „In Ordnung. Die Schwester wird Sie zu seinem Zimmer führen. Und er braucht Kleidung.“ „Okay. Ich kümmere mich darum.“ Kurz darauf kam die Schwester und führte sie in sein Zimmer. Sie wünschte noch eine gute Besserung und lief dann den Gang entlang. Bevor Ana rein ging, rief sie den einzigen Mann an, der von der Statur her, Reeds ähnelte. „Hallo Dean, bist du gerade beschäftigt?“, fragte sie, sobald er abgenommen hatte. „Nein, ich habe gerade Dienstschluss. Warum, fragst du?“ „Ich bin im Krankenhaus und…“ „Im Krankenhaus? Gott Ana, ist etwas passiert? Geht es dir gut? Geht es Nala gut?“, rief er besorgt. „Keine Sorge. Mir und Nala fehlt nichts. Es geht um Reed.“ Sie hörte ihn erleichtert durchatmen. „Was ist mit Reed?“, fragte er schließlich. „Er wurde niedergestochen und ist gerade aus dem OP gekommen. Er braucht frische Klamotten und du hast eine ähnliche Statur wie er. Daher wollte ich dich fragen, ob du ein paar Klamotten von dir vorbei bringen kannst?“ „Bin schon unterwegs.“ „Danke.“ Sie legten auf und Ana öffnete die Tür und trat ein. Reed schlief noch. Er sah so viel jünger aus. Sein Leben war kein Zuckerschlecken. Mit so einem Vater war er sicher nicht leicht. Er musste ja nicht nur mit dem Verhalten seines Vaters sondern auch mit den ganzen Vorurteilen kämpfen. Aber wenn Ana daran dachte, dass er sie als Notfallperson angegeben hatte, wurde ihr warm ums Herz. Er vertraute ihr immerhin. Sie zog den Sessel heran und setzte sich hin. Er war an einem Tropf verbunden. „Wer hat dir das bloß angetan?“, flüsterte sie. Sie musste noch die anderen anrufen und ihnen sagen, was passiert war. Also ging sie raus, um Reed nicht zu wecken. Im Flur rief sie Ronny an. „Ana! Was ist passiert?“, fragte sie, sobald sie abgenommen hatte. „Bleib erst einmal ruhig. Ihm geht es gut. Er wurde überfallen und dabei niedergestochen.“ „Reed wurde niedergestochen?“, wiederholte Ronny entsetzt. Von der anderen Leitung hörte Ana ein „Was?“ Es klang wie Sallys Stimme. „Ist jemand bei dir?“, fragte Ana. „Äh, ich bin draußen, vor dem Diner und Sally ist gerade an mir vorbeigelaufen. Und jetzt läuft sie wieder zurück. Ich nehme an, sie kommt ins Krankenhaus.“ Ana seufzte. „Behalte es für dich Ronny.“ „Mach ich, aber ihm geht es doch gut, oder?“ „Ja. Reed schläft im Moment. Ach, kannst du Teo nach Bescheid geben?“, fragte sie, als sie Dean sah. Sobald er sie sah, beschleunigte er seine Schritte. „Ja mach ich. Ruf an, falls sich etwas ändert.“ „Geht klar.“ Ana legte auf und in dem Moment blieb Dean vor ihr stehen. „Wie geht es ihm?“ Er sah durch das Fenster. „Er schläft. Dean ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ „Komm her.“ Er zog sie in seine Arme. Sie verschwand regelrecht in seinen Armen. Sie war gerade Mal ein Meter sechzig und er um die ein Meter neunzig! „Hast du die Klamotten mitgebracht?“, fragte sie und befreite sich aus seiner Umarmung. „Ja“, er hob die Tasche auf. „Danke.“ „Woher wusstest du, dass er hier ist?“, fragte Dean. „Reed hat mich als Notfallperson angegeben.“ „Was ist mit seinen Eltern?“ Dean war neu in der Stadt, er wusste nicht viel. „Reeds Mutter ist gestorben und sein Vater ist Jensen. Dieser Mann verdient es nicht, Vater zu sein.“ „Peggy hat Jensen erwähnt. Er war im Gefängnis, oder?“, fragte er stirnrunzelnd. „Ja.“ „Und Reed ist sein Sohn?“, rief Dean überrascht. „Kaum zu glauben, oder?“ „Er ist ein sehr netter und anständiger Junge.“ „Du kennst ihn doch kaum“, sagte Ana. „Ich habe gesehen, wie er Sally beschützt hat.“ Ana sah ihn nun überrascht an. „Wirklich? Ich meine, Reed hält sich normalerweise von anderen fern.“ „Von ihr anscheinend nicht.“ Ana seufzte. „Dean, ihre Eltern sind wie meine.“ „Aber sie kann sich wohl auch von ihm nicht fernhalten“, erwiderte er. Er sah ihr über die Schulter. Ana drehte sich um und sah Sally. Wie konnte sie so schnell herkommen? „Ana, geht es Reed gut?“, fragte sie. „Ja, er schläft.“ Sally atmete erleichtert durch. „Willst du zuerst rein gehen?“, fragte Ana. „Äh, nein. Geh du“, stotterte Sally und wurde rot. Ana warf Dean einen Blick zu. „Wie wäre es, wenn du uns etwas zu trinken holst?“, fragte sie ihn. „Gute Idee. Hier die Tasche.“ Er reichte es ihr und lief zu den Aufzügen, da sie nun im vierten Stock waren. Ana ging rein. Als sie die Tasche ablegte, wachte Reed auf. „Ana?“, krächzte er. Sie fuhr zu ihm herum. „Reed!“ Sie ging schnell zu ihm hin. „Wie fühlst du dich?“ „Als hätte ich Monate durchgefeiert“, stöhnte er. „Ich rufe eine Krankenschwester.“ „Warte. Was machst du hier?“ Sie lächelte sanft. „Du wolltest, dass ich herkomme.“ „Ich?“ „Ich bin doch deine Notfallperson.“ Sie ging zur Tür und holte eine Krankenschwester. Während diese drinnen war, wartete Ana mit Sally draußen. „Und ihm geht es gut?“, fragte Sally zum dritten Mal. „Ja Sally. Wenn du mir nicht glauben willst, kannst du auch reingehen und dich selbst überzeugen.“ „Nein, geh du.“ „Bist du dir sicher?“ „Ja. Ich sollte sowieso gehen.“ Wie auf Kommando stand sie auf und lief schnell an Dean vorbei, der gerade mit drei Getränken kam. „Wo will sie hin.“ „Ich glaube, dass weiß sie selbst nicht so genau“, antwortete Ana. „Und was soll ich jetzt mit dem dritten Getränk machen?“ „Schenk es doch jemandem. Und meinen auch.“ Die Krankenschwester kam raus und Ana ging wieder rein. Er hatte sich umgezogen. Er trug nun das graue T-Shirt von Dean. „Ana, ich habe da mal eine Frage.“ „Ja?“ „Wessen Kleidung trage ich?“ „Meins, Kumpel.“ Dean kam ebenfalls in das Zimmer. „Wie fühlst du dich?“ „Es ging mir mal besser.“ „Du hast uns allen einen Schrecken eingejagt“, sagte Ana. „Uns?“, wiederholte Reed überrascht. „Ja. Mir, Teo, Ronny, Dean und Sally.“ „Sally?“ „Sie war vorhin hier“, sagte Dean. „Dean, wie wäre es, wenn du draußen wartest. Oder auch gehst. Ich komme jetzt zurecht, da ich weiß, dass es Reed gut geht.“ „Also gut. Gute Besserung Reed.“ „Danke“, murmelte er. „Weiß sonst noch jemand, dass ich hier bin?“, fragte Reed, als Dean das Zimmer verlassen hatte. „Nein. Ich habe Ronny gebeten, stillschweigen zu bewahren.“ Reed nickte. „Danke.“ „Reed wer hat dir das angetan?“, fragte Ana. „Keine Ahnung.“ „Lüg mich bitte nicht an.“ „Das tue ich nicht. Ich weiß wirklich nicht, wer diese Typen waren.“ In dem Moment klopfte es an der Tür und Officer Harper kam rein. „Du bist aufgewacht. Dann kannst du uns sicher weiterhelfen.“ „Falls ich helfen kann.“ „Ms. Davids, könnten Sie bitte rausgehen?“ „Sie soll bleiben“, mischte sich Reed ein. „Also gut.“ In der nächsten halben Stunde wurde Reed befragt. Er konnte aber nichts brauchbares sagen. Da die drei Typen maskiert waren. Er selbst hatte auch kein Ärger mit den Bewohnern. Letztendlich kam der Arzt mit einer Schwester rein und bat den Officer zu gehen, da Reed ruhe brauchte. Draußen sprach Ana noch mit dem Arzt und er meinte, dass Reed in den nächsten zwei Tagen entlassen werden konnte. Er brauchte aber viel Ruhe, und seine Bandage musste regelmäßig erneuert werden. Fragte sich nur wo. Am nächsten Tag hatte Ana beschlossen, Reed als Gast bei sich aufzunehmen. Nachhause konnte sie ihn in diesem Zustand noch nicht. Nur war das Problem, dass Reed noch nichts davon wusste. In den zwei Tagen, war Anas Tag wie Routine. Sie brachte erst Nala in den Kindergarten, dann ging sie ins Diner um nach dem rechten zu sehen. Anschließend fuhr sie zum Krankenhaus. Sie sprach mit dem Arzt, leistete Reed etwas Gesellschaft, fuhr wieder zum Diner und holte Nala ab. Sie besuchte sogar Reed. Nun war es Freitag und Reed wurde entlassen. Dean hatte ihm ein paar Klamotten besorgt. Neue. Erst wollte Reed es nicht annehmen, aber Dean war sehr hartnäckig. Nun liefen sie langsam zum Aufzug. „Ich habe nicht zu weit geparkt“, sagte Ana und sah Reed an. „Schön für dich?“ Er wusste nicht, dass sie ihn mitnehmen würde. „Ich habe für dich in der Nähe geparkt. Damit du nicht zu weit laufen musst“, erklärte Ana. Reed blieb stehen. „Vergiss es Ana. Du wirst mich unter keinen Umständen nachhause fahren.“ „Werde ich auch nicht.“ „Gut.“ „Ich nehme dich mit zu mir. Nala freut sich schon.“ Reed blieb erneut stehen und starrte Ana an. Er glaubte sich verhört zu haben. „Was willst du tun?“ „Denkst du wirklich, ich würde dich in deiner jetzigen Verfassung nachhause schicken? Du kommst mit zu mir. Ich will kein Aber hören.“ „Ana, das musst du nicht tun. Du hast schon genug für mich getan.“ „Ich möchte aber“, sagte sie mit sanfter Stimme und legte eine Hand auf sein Unterarm. „Warum willst du keine Hilfe annehmen?“ „Weil ich keine benötige“, antwortete er mit fester Stimme. Daraufhin zog Ana eine Augenbraue in die Höhe. „Ach ja? Und wer wird sich bei dir zuhause um deine Wunde kümmern?“ „Ich.“ „Ach komm schon. Reed, wir werden dir schon nichts antun. Es gäbe aber noch eine andere Möglichkeit.“ „Ich ahne nichts Gutes.“ „Du könntest auch zu Dean gehen. Aber er ist gesprächiger als ich.“ „Du und Dean, ihr verbringt sehr viel Zeit zusammen.“ „Versuch nicht das Thema zu wechseln. Darauf falle ich nicht herein und jetzt Abmarsch.“ Er seufzte auf und folgte ihr. Beide wussten, dass Ana gewonnen hatte. Sie fuhren zu ihr.
Sie half ihm die Treppen hoch und schloss auf. Sie hatte Sally gebeten auf Nala aufzupassen. Nala kam angerannt, mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Hallo Reed!“, rief sie. „Hallo Kleine.“ „Sally, hast du alles vorbereitet?“, rief Ana neben ihm. Sein Blick zuckte zu ihr. Sally war hier? „Ja, hab ich, obwohl Nala…“ Sie kam um die Ecke und hielt mitten in ihrem Satz inne. „Äh, keine große Hilfe war“, fügte sie rasch hinzu. „Gar nicht war“, sagte Nala und ging voraus. „Reed, ich habe leider kein Gästezimmer, daher musst du dich mit dem Sofa anfreunden.“ Ana legte die Tasche an die Wand. Er setzte sich hin. „Kein Problem.“ „Unser Sofa ist sehr gemütlich“, sagte Nala und setzte sich neben ihn. Normalerweise machten Kinder einen großen Bogen um ihn. Nala war anders. Genau wie ihre Mutter. Er wusste nicht, was er getan hatte, um so viel Freundlichkeit zu bekommen. Ana wollte ihm wirklich helfen. Dieses Gefühl hatte Reed seit langem nicht mehr gespürt. „Also, Sally ich überlasse dir hier alles. Ich muss ins Diner. Viel Spaß euch drei und Nala, vergiss nicht, Reed ist verletzt.“ „Ja Mummy.“ Daraufhin gab sie ihrer Tochter einen Kuss und verschwand aus der Wohnung. „Ich geh in mein Zimmer“, sagte Nala und verschwand dann auch. Zögernd setzte sich Sally auf den Sessel. „Wie geht es dir?“, fragte sie. „Gut soweit.“ „Das freut mich.“ Eine Stille trat ein, bis Sally sagte: „Reed, wie ist das passiert?“ „Ich wurde überfallen“, antwortete er. „Haben sie dir etwas gestohlen?“ Reed zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er log: „Bis auf meine Brieftasche, in dem nur Kleingeld war? Nein.“ „Warum haben sie dich dann niedergestochen?“, fragte sie leise. „Weil ich mich gewehrt habe.“ „Konnte die Polizei jemanden verhaften?“ „Nein, und Sally ich will nicht darüber reden.“ Reed lehnte sich an und schloss die Augen. „Okay.“ Erneut trat Stille ein. Sally glaubte schon, dass er eingeschlafen war, bis er „Du warst da, warum bist du nicht ins Zimmer gekommen und warum warst du überhaupt im Krankenhaus?“, sagte. Sally wusste nicht, was sie antworten sollte, denn sie wusste selbst nicht, warum sie ins Krankenhaus geeilt war. Reeds Augen waren immer noch geschlossen. Sally fasste ihren ganzen Mut zusammen und sagte schließlich: „Ich habe mir Sorgen gemacht, deswegen bin ich gekommen.“ Er öffnete die Augen und sah sie an. „Das beantwortet den zweiten Teil meiner Frage. Warum bist du nicht ins Zimmer gekommen?“ „Naja, Ana war bei dir und…“ „Ich weiß, dass sie rausgegangen wäre. Ana ist taktvoll genug“, unterbrach er ihre Ausrede. Sally wich seinem Blick aus. „Ich weiß es nicht.“ Er nickte langsam. „Du weißt es nicht“, wiederholte er. „Weißt du, wenn du dich immer wieder zurückziehen wirst, wenn wir miteinander gesprochen haben, brauchst du mich nicht anzusprechen. Das verwirrt dich und mich.“ Reed war sehr direkt. „Ich bin es gewohnt, dass Menschen distanziert mir gegenüber sind. Also ist das kein Problem, keine Sorge.“ Er schloss wieder die Augen und lehnte sein Kopf an. „Das stimmt doch nicht“, warf Sally ein. „Tut es sehr wohl.“ „Ich…“ Das läuten der Türklingel ließ sie unterbrechen. „Ich bin gleich wieder da.“ Sie stand auf und öffnete die Tür. „Nick, hi. Was machst du hier?“ „Ana meinte, dass Reed hier ist“, antwortete er und lief an ihr vorbei. „Hey Mann. Wie geht’s dir?“ „Lässt du dich auch mal blicken?“, antwortete Reed mit einer Gegenfrage. Er war es inzwischen leid, immer wieder gefragt zu werden, wie es ihm geht. Sally kam nun auch ins Wohnzimmer. „Wollt ihr etwas zum Trinken?“ „Nein“, antwortete Nick, sah Sally dabei nicht an. Er setzte sich auf den Sessel, wo sie vorhin gesessen hatte. „Und du Reed?“ Er sah sie an. „Ein Glas Wasser wäre gut, danke.“ Sie nickte und lief in die Küche. Sie holte ein Glas aus dem Schrank. Sie schenkte aus dem Krug Wasser ein und ging wieder zurück ins Wohnzimmer. Nala war ebenfalls im Wohnzimmer. Sie hatte ihre Stifte mitgenommen und malte nun ein Bild. „Hier, bitte sehr.“ Er nahm es entgegen. „Danke.“ Sally setzte sich neben Nala und sah ihr zu, während der Junge, in den sie seit drei Jahren verliebt war und der Junge, um den sie sich solche Sorgen gemacht hatte, sich unterhielten. Nick erzählte, was in der Schule passiert war, aber das interessierte Reed eher weniger. Sally wusste gar nicht, wie die zwei befreundet sein konnten, obwohl sie so verschieden waren. „Sally schau mal, ein Regenbogen“, rief Nala. „Das ist sehr hübsch.“ „Weißt du, ich habe auch mal ein Regenbogen gesehen. Und ich bin mir sicher, dass am anderen Ende ein Topf mit einem Schatz war.“ Nick lachte kurz auf. Erst dachte Sally, dass er über etwas gelacht hatte, was Reed gesagt hatte, aber als dieser in wütend ansah, wusste sie, dass er über Nala gelacht hatte. Sie sah ihn fragend an. „Sie glaubt an den Schatz am anderen Ende des Regenbogens?“, fragte er mit einem Lächeln auf den Lippen. Nala sah auf. „Sally, gibt es denn keinen Schatz?“ „Es gibt bestimmt einen, aber Nick hat es noch nie gesehen.“ „Stimmt, ich habe auch noch nie den Weihnachtsmann gesehen“, rutschte es ihm raus. Daraufhin schlug Reed ihm auf den Oberarm. „Au, Mann das hat wehgetan.“ Nalas Augen wurden ganz feucht, als sie zu Sally sah. „Gibt es Santa nicht?“ Für sie brach eine Welt zusammen. Sally wusste nicht was sie sagen sollte. „Hey Kleine.“ Nala sah Reed an. „Komm mal kurz her.“ Zögernd lief sie zu Reed hinüber. „Wie sieht denn Santa aus?“ „Er hat einen langen, weißen Bart und er trägt einen roten Mantel. Und er hat Rudolf.“ „Siehst du? Irgendjemand muss ja dann Santa gesehen haben, sonst wüssten wir doch gar nicht, wie er aussieht.“ „Stimmt.“ Nala lächelte nun wieder. „Ich mag dich“, sagte sie noch und setzte sich wieder auf den Boden um weiter zu malen. Aber Reeds Gesichtsausdruck war urkomisch. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Sie sah ihn dankbar an. Er flüsterte Nick etwas zu. „Ist gut“, murmelte dieser. „Ich gehe dann wieder. Ich treffe mich noch mit Miranda.“ Sallys zwang sich, nicht aufzuschauen. „Die aus der Schule?“, fragte Reed. Bitte sag nein, dachte Sally, sah aber immer noch nicht auf. „Ja, sie hat mich auf ein Kaffee eingeladen. Also bis dann. Man sieht sich Sally.“ „Ciao.“ Er verschwand aus dem Wohnzimmer und kurz darauf fiel die Haustür zu. „Du solltest es ihm sagen“, sagte Reed auf einmal. Sie sah ihn fragend an. „Was meinst du?“ Reed zog eine Augenbraue in die Höhe. „Was wohl? Was du empfindest.“ Ihre Wangen wurden ganz heiß. Woher zum Teufel wusste er das? „Keine Ahnung, was du meinst“, sagte sie schließlich. „Ich sehe doch, wie du Nick anschaust. Also solltest du es ihm sagen.“ Schließlich seufzte sie. „Woher wusstest du es?“ „Ich habe Augen im Kopf. Deine ganze Körperhaltung ändert sich, wenn du ihn siehst und du kannst ihm nicht lange genug in die Augen schauen.“ „Glaubst du wirklich, ich hätte keine Signale gegeben? Was ich nicht verstehe ist, du kennst mich gerade einmal ein paar Wochen und dir ist es aufgefallen. Nick kennt mich bereits seit drei Jahren.“ „Ich bin ein guter Menschenkenner. Was Nick betrifft, er ist bei diesem Thema nicht der hellste.“ „Du wirst ihm doch nichts sagen“, sagte sie mit Panik in der Stimme. „Warum sollte ich? Es geht mich nichts an. Aber ist Miranda nicht deine Freundin?“ Sally war etwas beruhigt. „Doch ist sie.“ „Weiß sie das mit Nick?“, fragte er. Sally nickte. „Sally, ich gehe in mein Zimmer und spiele mit meinen Puppen.“ Nala stand auf. „Räume erst deine Stifte auf.“ „Okay.“ Nala nahm alles mit. „Ja sie weiß es“, beantwortete Sally Reeds Frage. Daraufhin schnaubte er. „Was ist?“, fragte Sally. „Und so jemanden nennst du Freundin?“, fragte Reed schließlich. „Miranda und ich sind seit dem Kindergarten befreundet.“ „Vielleicht solltest du dir andere Freunde suchen“, schlug er vor. „Was würdest du an meiner Stelle tun?“, fragte Sally und setzte sich in den Sessel neben dem Sofa, worauf er lag. Reed trug eine schwarze Jogginghose und ein schwarzes T-Shirt mit kleinen Löchern an den Armen. Es sah sehr stylisch aus. „Keine Ahnung. Ich schätze, ich würde es gar nicht soweit kommen lassen“, überlegte er laut. „Wie meinst du das?“ „Naja, wenn ein Kumpel von mir, sich an das Mädchen ranmachen würde, die ich liebe, ich würde mich nicht zurückhalten. Das schlimmste was passieren kann, ist eine Abfuhr.“ „Das heißt, wenn Nick sich an ein Mädchen ranmachen würde, die du liebst, würdest du ihn nicht mehr als Freund sehen?“ Reed überlegte kurz. „Also Freundschaft ist mir wichtig. Daher kommt es drauf an.“ „Worauf?“, fragte Sally verwirrt. „Ob er weiß, dass ich das Mädchen liebe. Wenn er mit Absicht so handeln würde, wäre er nicht länger mein Freund. Freunde tun sich so etwas nicht an.“ „Auch wenn er dein einziger Freund ist?“, rutschte es Sally heraus. Gleich darauf weiteten sich ihre Augen. „Oh Gott, sorry, das war nicht so gemeint. Es tut mir wirklich leid. Ich…“ Reed lachte kurz auf. „Beruhige dich. Es ist ja immerhin keine Lüge. Aber ja, auch wenn er mein einziger Freund ist. Aber das spielt keine Rolle, da ich keine Beziehungen haben will.“ Sally runzelte die Stirn. „Aber, gerade eben hast du…“ „Ich habe dir gesagt, was ich denke.“ Sie sah ihn verwirrt an. „Heißt das, dass du überhaupt keine Beziehung willst?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Reed du verwirrst mich. Kannst du dich nicht deutlicher ausdrücken?“ „Hör zu, ich will meine Zeit nicht mit der Falschen verbringen, wenn ich weiß, dass ich die Richtige noch nicht gefunden habe. Wenn ich also in einer Beziehung mit irgendeinem Mädchen wäre, könnte es sein, dass ich die Richtige verpasse. Nenn mich altmodisch, aber so sehe ich die Dinge nun einmal.“ Er schloss erneut die Augen. Sie hingegen konnte ihn nur anstarren. Er hatte gerade das gesagt, was jedes Mädchen hören wollte. Und das ohne mit der Wimper zu zucken. „Also, wenn du dir sicher bist, dass Nick für dich der Richtige ist, solltest du keine Zeit hier neben mir verschwenden“, fügte er nach einer Weile hinzu. „Ich muss Babysitten.“ „Miranda ist aber von der Sorte, die nicht lange zögert.“ Er hatte recht. Aber warum tat Miranda ihr das an? „Trotzdem kann ich nicht gehen. Ich habe Ana versprochen, auf Nala aufzupassen.“ Seine Augen waren immer noch geschlossen. Einen Arm hatte er hinter seinem Kopf. Der andere ruhte auf seinem Bauch. „Wie du meinst.“ „Ich sehe mal nach Nala.“ Sally stand auf und ging zu Nala. Das was Reed gesagt hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf ich will meine Zeit nicht mit der Falschen verbringen, wenn ich weiß, dass ich die Richtige noch nicht gefunden habe.
Nach einem anstrengenden Tag im Diner, ging Ana fix und fertig hoch in ihre Wohnung. Sie bezahlte Sally und trat ins Wohnzimmer. Reed war noch wach und sah sich eine Sendung an. Nala schlief bereits. „Ich leiste dir gleich Gesellschaft“, sagte sie zu Reed. Dieser nickte und zappte weiter die Kanale durch. Ana zog sich in ihrem Zimmer um, band sich einen hohen Zopf und ging zurück ins Wohnzimmer. „Komm, wir wechseln dein Verband.“ Er stöhnte, richtete sich aber auf. „Ana, du weißt schon, dass du nur vier Jahre älter bist, als ich?“ „Dann sieh mich doch eben als deine ältere Schwester“, gab sie zurück und half ihm, sein T-Shirt auszuziehen. Nachdem sie ihn verarztet hatte, setzte sie sich ihm gegenüber. „So. Nala schläft und deine Wunde ist versorgt. Jetzt kannst du mir sagen, was man dir gestohlen hat.“