Lisa und der kleine Frosch
Bei einem Schulausflug sahen der Lehrer und seine Schüler über einem Feld einen Regenbogen stehen. Der Lehrer erklärte ein wenig wie so ein Regenbogen entsteht und gab den Kindern zur Hausaufgabe einen Aufsatz zu diesem Erlebnis zu schreiben.
Die kleine, zwölfjährige Lisa, ging nach dem Mittagessen sofort in ihr Zimmer und schrieb, noch immer verzaubert von dem gesehenen Bild drauf los:
Ein kleiner Frosch, er war noch sehr jung, ein Froschkind also, saß auf einem Seerosenblatt. Er sah ganz begeistert zu einem Regenbogen hin. Nun wusste er natürlich nicht, dass das ein Regenbogen ist. Er sah eben nur dieses herrliche Gebilde dort am Himmel. Er hatte so etwas noch nie gesehen. Diese wunderbaren Farben, und wie hoch der über seinem Tümpel steht.
Da kam eine Libelle vorbei geflogen, der Kleine sprach sie an: „Grüß Gott Frau Libelle, können Sie mir sagen, was das dort ist?“
Die Libelle stoppte in der Luft, ganz verwundert über die Frage aber auch, dass sie so höflich angesprochen wurde.
„Nun, mein Kleiner, das ist ein Regenbogen“, ließ sie wissen, „ich fliege jetzt zu ihm, denn am Ende, da wo er die Erde berührt, soll ein Topf voller Gold stehen, erzählt man. Tschüß, kleiner Frosch, mach´s gut.“ Und sie flog ihres Weges.
Der kleine Frosch dachte sich so: Was will die Libelle mit einem Topf voll Gold? Und während er so grübelte, dabei jedoch weiterhin seinen Regenbogen bestaunte, kam ein stolzer Schwan vorbei. Der Kleine war mutig und sprach den Schwan an: „Guten Tag Herr Schwan, bitte, können Sie mir sagen, wie ich zu dem Regenbogen komme und ob an seinem Ende wirklich ein Goldtopf steht?“
„Fliegen, Du Dummerchen, fliegen“, sagte der Schwan und sah den Frosch dabei mitleidig an, „denn mit deinen kleinen Schenkelchen brauchst Du eine Ewigkeit bis Du dort bist. Ich sage Dir, der wartet nicht auf Dich. Ich fliege jetzt hin, Ade.“ Und so hob er an, das Wasser zu verlassen, stieg immer höher und war fast schon nicht mehr zu sehen. Der kleine Frosch blieb sehr enttäuscht auf seinem Seerosenblatt zurück.
„Ach, könnte ich doch auch zu dem Regenbogen fliegen und ihn anfassen, und vielleicht auch den Topf finden. Das Gold brauche ich nicht, aber sehen möchte ich es schon“, dachte er.
Er verließ sein großes Blatt und schwamm langsam und nachdenklich nach hause.
Vater Frosch sah ihn an und fragte: „Na, mein Kleiner, was ist denn los? Du siehst so traurig aus. Erzähl mal.“
„Papa, ich habe einen sehr großen und schönen bunten Regenbogen gesehen. Ich möchte gerne zu ihm. Alle haben gesagt, daß man da nur hin fliegen kann und daß an seinem Ende ein Goldtopf steht und daß er ganz weit weg ist.“
„Ach, mein Kleiner“, sagte Papa Frosch, „laß sie nur fliegen. Sie werden nie zu ihm kommen. Der Regenbogen ist eine großartige Erscheinung. Man kann ihn zwar sehen, aber nie erreichen oder gar anfassen. Er würde vor jedem zurückweichen, der ihn berühren will. Und das mit dem Goldtopf, hm, das ist ein Märchen, ein sehr schönes
Märchen zwar, aber es wird ewig eines bleiben.
Der Goldtopf, den die Törichten suchen, den sehen sie zwar, aber erkennen ihn nicht. Denn der Regenbogen selbst, ihn zu sehen, ihn in seiner ganzen Schönheit in sich aufnehmen zu können, ihn nie zu vergessen, mein Kleiner, das ist der wahre Goldtopf!
Diese wunderbare Erscheinung zu sehen und sich daran zu ergötzen, ist mehr wert als ein Topf mit Gold. Es trennt dich von den Suchenden, daß du erkennst und zu schätzen weißt was du siehst. Der Goldtopf ist in dir, mein Sohn, wenn du das erkannt hast.“
Der kleine Frosch schwamm zu seinem Blatt zurück, dachte an die Worte seines Vaters und sah den Regenbogen nun mit ganz anderen Augen. Er erschien ihm jetzt noch größer und die Farben noch viel schöner.
Lisa las ihre kleine Geschichte noch einmal durch. Ihr schien, sie stünde erneut auf dem Feld und sähe dieses Schauspiel noch einmal.
Vor Beginn der nächsten Deutschstunde legte Lisa ihren Aufsatz unter die anderen auf des Lehrers Pult.
Zwei Tage später nahm der Lehrer in der ersten Stunde die Arbeiten der Kinder auf den Arm. Er ging durch die Reihen und gibt sie zurück. An Lisa´s Platz zögerte er ein wenig und reichte ihr dann ihren Aufsatz mit den Worten: „Lisa, Deine Geschichte ist fast so schön wie der Regenbogen selbst.“ Er drehte sich um und verteilte weiter.
Lisa meinte jedoch, während er sich abwendete, ein kleines, leises ´Danke` gehört zu haben.