Quälgeist Nummer eins
Wieder hatte sich Patrick mit dieser widerspenstigen Gruppe auseinandersetzen dürfen. Jeden Tag das selbe. Diesen Winzlingen fiel einfach immer nur Mist ein! Besonders der Blondschopf vor ihm machte ihm das Leben besonders schwer. Der Kleine stand mitten im Sandkasten und hatte eine Hand erhoben. Bereit eine Ladung Sand auf den Kindergärtner zu werfen zuckte ab und an der Arm.
„Lucas, was soll das werden?“, fragte Patrick grummelig seinen übrig gebliebenen Schützling. All die anderen Winzlinge aus seiner Gruppe waren bereits abgeholt worden. Eigentlich war der Rotzlöffel vor ihm das letzte Kind heute im Kindergarten, das noch nicht abgeholt worden war – mal wieder.
Aus irgendeinem Grund wurde er immer als letztes abgeholt. Patrick konnte auch die ´Eltern` des Jungen immer wieder auf´s neue belehren den Jungen nicht erst so lange nach Kindergartenschluss abzuholen; diese wechselten nämlich regelmäßig. Er wusste, dass dieser spezielle Winzling eine Weise war und von Familie zu Familie gereicht wurde. Der Rotzlöffel mit dem Aussehen eines Cherubim hatte aber auch nichts als Schwachsinn im Kopf. So wie jetzt. Immer noch hatte der Kleine seine mit Sand gefüllt Faust erhoben und sah ihn mit funkelnden Augen herausfordernd an.
Oh ja, dieser Rotzlöffel wollte ihn doch tatsächlich mit Sand bewerfen. „Lucas, was soll das werden?“, frage Patrick noch einmal nach. Er sah genau wie sehr dieser Junge ihn mit dem Sand bewerfen wollte, aber er sah auch, das Zögern. Er war nicht gerade als der netteste Kindergärtner bekannt und das war dem Kleinen auch bewusst.
Langsam sah er dabei zu, wie sein Quälgeist Nummer eins seine Hand langsam sinken lies und die Faust öffnete. Peu á pau rieselte der feine Sand wieder dorthin zurück wo er hingehörte und zwar in den Sandkasten. Patrick streckte seine Hand aus und der Kleine kam in gebeugter Haltung sofort zu ihm. Sanft um dem Jungen nicht weh zu tun nahm er die winzige Hand in die seine und führte ihn wieder in das Haus rein. „Lass uns erst mal deine Hand waschen. „Okay“, nuschelte Lucas und trottete traurig neben ihm her.
Leise seufzend zog der Erwachsene am Arm des Jungen und nutze den Schwung um den Rötzlöffel auf den Arm zu nehmen. „Tut dir was weh?“ Grinsend drücke der Kleine seinen Kopf in die Halsbeuge seines Aufpassers. „Mm“, verneinte er und ließ sich gerne durch all die Räume bis ins Badezimmer tragen.
Im Bad stelle Patrick den Winzling auf den geschlossenen Toilettendeckel und schnappte sich eines der Handtücher. „Wir werden das Handtuch nass machen und erst einmal das Gröbste aus deinem Gesicht entfernen.“ Er spürte die Blicke des Blondschopfes genau auf sich. Er war mittlerweile an die Blicke gewöhnt. Dieser Kleine hier war anders als die anderen Kinder und das nicht nur, weil er der nervigste von allen war. Er war der einzige Winzling, der keine Angst vor ihm zeigte.
Patrick musste zugeben, dass er nicht gerade vertrauensvoll aussah mit seinen schwarzen Augen und Haaren. Auch seine Kleidung war eher dunkel gehalten. Viele Eltern hatten sich schon über ihn beschwert. Denn nicht nur die Kinder fürchteten sich vor ihm, sondern auch teilweise die Eltern. Anscheinend sorgte seine Gesamtausstrahlung dafür, dass sich die meisten von ihm fernhielten. Auch seine Gruppe von Schützlingen, die nur aus den größten Chaoten und schwer Erziehbaren bestand, wurden unter seiner Aufsicht zu braven Lämmern. Bis auf Lucas vor ihm.
„Glaubst du, dass meine neuen Eltern mich bereits ganz vergessen haben?“ Patrick drehte den Wasserhahn zu und begann vorsichtig die Wangen des Blondschopfes von Sand und Dreck zu befreien. „Ich weiß es nicht, Lucas. Aber es ist wirklich unverantwortlich von ihnen, dich einfach so lange hier zu lassen.“ Etwas schön zu reden gehörte nicht zu seinen Stärken.
„Patrick?“ Lucas Stimme war nur noch ein kleines Flüstern. „Was ist?“ „Kann ich nicht lieber hier bleiben? Als persönliches Maskotchen oder so? Ich werde auch mit den Streichen aufhören“, flehte der Winzling ihn an. „Lucas, so etwas geht nicht und das weißt du auch. Das sage ich dir doch jedes Mal auf´s neue.“ Lächelnd wischte er dem traurigen Quälgeist über die Nase und fing an ihn zu kitzeln.
„Wahh! Nicht!“ Lachend klammerte sich Lucas an ihn und wehrte sich kein bisschen.
Als der Kleine endlich sauber war setzten sich die beiden in die Kissenecke und starrten auf die mit Wolken bemalte Decke hinauf. „Die kommen bestimmt nicht mehr“, nörgelte Lucas rum und stupste Patrick mit seinem Finger an. Genervt starrte der junge Erwachsene ihn nur an, was der Blondschopf wie all die anderen Male auch als Zeichen nahm sich halb auf ihn zu legen und fest an ihn zu kuscheln.
Grinsend wuschelte der Schwaarzhaarige durch die struppigen Haare. „Bin ich etwa dein Kissen?“, grummelte er. „Ja!“, kicherte der Kleine fröhlich und drücke sich noch fester an ihn.
Anscheinend war Lucas doch erschöpfter gewesen, als es den Anschein gemacht hatte, denn kaum eine Minute später war er auch bereits eingeschlafen. So sah der klein Frechdachs schon viel niedlicher aus. Wie er hier mit dem Kleinen so in der Kuschelecke lag kam es ihm gar nicht so übel vor.
Die kleine Wärmequelle, die sich an ihn drücke, entspannte ihn eher und wenn er nicht aufpassen würde, wäre er wohl gleich selbst ebenfalls eingeschlafen. Das wär´s noch – die Kindergartenleiterin würde sich bestimmt super darüber freuen, wenn er hier mit einem seiner Problemkinder einschlafen würde.
Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte Patrick, dass die Abholzeit gut zwei Stunden her war. Es war mittlerweile sieben Uhr und ziemlich spät für ein Kleinkind. Lucas war gerade einmal fünf; es war also kein Wunder, dass er hier vor Müdigkeit einschlief. Im Grunde hieß es ja, dass er seine Arbeit richtig gemacht hatte, wenn der kleine Quälgeist auf ihm vom Tag ausgelaugt war. Doch die Tatsache, dass der kleine blonde Wirbelwind mit leerem Magen hier bei ihm einschlief, ließ ihn in seinen Augen Einsam wirken.
Ein so lebhaftes Kind sollte von ihm aus abends bei seinen Eltern am Esstisch einschlafen, wo es unter Familie war beziehungsweise unter Menschen, die ihn liebten, aber doch nicht bei seinem Kindergärtner, vor dem sich die anderen aus der Gruppe eher fürchteten. Noch einmal sah er zur Uhr und hoffte, dass die Pflegeeltern des Kleinen bald kommen würden.
Hinter dem Quälgeist
Wie immer war Patrick überpünktlich von zu Hause aus losgefahren um noch vor seiner Arbeitszeit am Kindergarten anzukommen. Viele Eltern nahmen es mittlerweile mit den Öffnungszeiten nicht mehr so genau und auch seine Pflegefälle gehörten zu denen, die als erstes ankamen. Manche Eltern wirkten schon fast, als würden sie froh sein, ihre Kleinen endlich für eine Weile los zu sein.
Gerade, als er an der nächsten Kreuzung abbiegen wollte, sah er einen kleinen Blondschopf ein paar Meter weiter.
Was zum? Wieso lief Lucas hier so früh morgens herum und wo waren seine Eltern? Von hier aus waren es noch fünf Minuten mit dem Auto und zu Fuß eine gute Viertelstunde! So ein kleiner Junge brauchte wahrscheinlich noch länger.
Ohne groß zu überlegen fuhr er langsamer und somit neben seinem Schützling her, bis dieser Aufblickte und die Augen aufriss, weil er ihn erkannt hatte. Er hielt den Wagen an und ließ die Fensterscheibe herunter.
„Lucas, steig ein.“ Ohne auf die Antwort zu warten öffnete er bereits die Beifahrertür von innen und sah nach hinten, ob er nicht für andere Autofahrer den Weg versperrte. Selbst wenn, er wäre garantiert nicht ohne den Jungen auch nur einen Millimeter weggefahren.
„Guten Morgen.“ Lucas setzte sich brav hin und zog die Türe wieder zu. Er schien zu spüren, dass sein Kindergärtner sauer war und hibbelte leicht, schien sich nicht recht wohl in seiner Haut zu fühlen. Mit leicht zittrigen Fingern versuchte der weitaus jüngere sich anzuschnallen und seufzte erleichtert, als Patrick ihm den Gurt abnahm, zurechtrückte und einklicken ließ. Vorsichtig fuhr Patrick los und schloss das Fenster wieder.
„Kannst du mir bitte einmal erklären, was du hier machst?“ Es viel ihm ehrlich schwer seine Wut im Zaum zu halten. Was hatte der Kleine angestellt und hatte er überhaupt etwas angestellt? Er war doch nicht weggelaufen von zu Hause oder wurde rausgeschmissen? Nein, eigentlich schätzte er Lucas nicht so ein. Er war zwar ein spezieller Fall aber nun wieder nicht so speziell, als dass man ihn einfach irgendwo zurücklassen würde.
„Ich geh in den Kindergarten. Was soll ich denn sonst hier machen?“
„Wie bitte?“, ungläubig schaute er kurz rüber und richtete anschließend seinen Blick wieder auf die Straße. Um sich zu vergewissern sich nicht verhört zu haben fragte er noch einmal nach: „Du bist also von zu Hause aus losgegangen um in den Kindergarten zu laufen?“
„Ja.“ Der Kleine nickte und schaute dabei so ernst drein, dass man ihm einfach nicht nicht glauben konnte.
Patrick ließ das Thema erst einmal auf sich beruhen. Er würde das später mit der Leiterin des Kindergartens ausdiskutieren müssen. Es konnte nicht angehen, dass eines seiner Schützlinge den ganzen Weg von zu Hause aus bis zum Kindergarten laufen musste und vor allem nicht alleine. Wer wusste schon, was mit den Kleinen passieren konnte oder auf was für einen Schwachsinn sie kommen konnten? Seine ganze Gruppe bestand schließlich aus Rotzlöffeln die immer wieder neue Ideen an den Tag brachten, die ihn faszinierten und auch ab und an mal fassungslos machten.
Kinder konnten so kreativ sein und das nicht immer auf die gute Art. Wie zum Beispiel als seine Gruppe ausprobiert hatte, wie viele Klopapierrollen es brauchte, um sämtliche Toiletten damit zu befüllen und wie man das ganze schön bunt aussehen lassen konnte. Letztendlich hatte es dazu geführt, dass sämtliche Wasserfarbe in seiner Gruppe verboten wurde und die Kleinen nur zu zweit aufs Klo gehen durften.
Der Kindergärtner bog auf den Parkplatz ein und stellte den Motor aus. Er schnallte sich vorerst nicht ab und wollte erst einmal abwarten, ob Lucas ihm noch etwas sagen wollte. Und wie er sich es gedacht hatte drehte sich der kleine Quälgeist auch schon zu ihm um, starrte ihn an als wollte er wirklich etwas sagen, wusste aber nicht wie.
„Lass dir Zeit, Lucas.“ Verwundert sah der Blondschopf ihn an und nickte anschließend.
„Meine momentane Mom hat nie Zeit und ihr Mann ist nie da. Sie hat gesagt, wenn sie mich schon füttert und einen trockenen Schlafplatz gibt wäre es wohl das mindeste, wenn ich alleine zum Kindergarten gehe. Für so etwas hätte sie schließlich nicht auch noch Zeit. Ich verstehe das nicht! Ist es denn so viel Arbeit zu kochen und mich schlafen zu lassen? Du machst das doch auch alles immer für uns! Heißt das, wir sind nur Arbeit? Für dich und auch für andere Erwachsene?“
Seufzend streckte Patrick seine Hand aus und strubbelte dem bockig dreinblickenden Lucas durch die Haare. Er hatte sich schon gedacht, dass der Kleine ziemlich vernachlässigt wurden war, doch wie hätte er ahnen können, dass anscheinend alle seine Pflegefamilien so waren? Er verstand das nicht. Natürlich hatte dieser Blondschopf hier besonders viel Schwachsinn im Kopf, aber mal ehrlich, das hatte so gut wie jedes Kind. Und wenn man keine Kinder wollte, sollte man sich seiner Meinung nach auch nicht als Pflegeeltern eintragen lassen.
„Ich schätze du hast einfach nur viel Pech, Lucas. Es gibt viele Erwachsene, die sich Kinder wünschen und über alles lieben.“
„Also will mich keiner?“ Mit großen Augen die ihn anflehten ihm zu sagen, dass er geliebt wurde sah Lucas ihn an. Ein Blick, der ihm sehr ans Herz ging, was er so natürlich niemals zugeben würde.
„Nur weil deine Pflegeeltern dich nicht wollen, heißt es nicht, dass dich keiner will.“
Mit offenem Mund starrte der kleine Blondschopf zu ihm auf. Kurz darauf machte Patrick einen ähnlichen Gesichtsausdruck – hatte er doch gerade dem Kleinen vor ihm doch gerade ernsthaft gesagt, dass seine Eltern ihn nicht lieb hatten.
„Danke“, flüsterte Naruto und kratze sich verlegen an der Nase. Mit roten Wangen strahlte er ihn an. „Sie sind der erste, der mir glauben – der nicht immer sagt, dass ich mich nur mehr anstrengen muss und sie mich dann lieb haben werden.“
Obwohl er beim Anschnallen solche Probleme hatte, waren Lucas Finger nun sehr flink dabei sich wieder abzuschnallen. Die Rotznase krabbelte doch tatsächlich über die Mittelkonsole zu ihm rüber und drückte sich wie am Abend zuvor an ihn.
Verdammt, wenn der kleine Quälgeist so weiter machte, würde er ihn noch mitnehmen wollen. Wie konnte so ein kleines Kind nur so rational denken, wenn es um Beziehungen ging? Es schien fast so, als ob Lucas nie richtig geliebt wurde und alles in Patrick schrie ihn förmlich an das zu ändern.