Luca ließ den schwarzen Hengst antraben und konzentrierte sich vollkommen auf das Pferd. Der junge Mann war ein Stück weit stolz darauf, welche Fortschritte Midnightdancer in den letzten vier, fünf Monaten gemacht hatte.
Als Luca ihn im Winter in den Beritt bekommen hatte, war das Tier ein absolutes Nervenbündel gewesen. Bei den Rennen war der Hengst zwar immer unter den ersten drei, aber bis er mal in der Startbox stand, hatten er und die Menschen um ihn herum einen halben Nervenzusammenbruch hinter sich. Der Rappe hatte im Führring jedes Mal so aufgedreht, dass er oft schon klatschnass geschwitzt an den Start gegangen war. Einmal hatte er es sogar geschafft, sich loszureißen und fast einen jungen Mann über den Haufen gerannt. Da war der Punkt erreicht gewesen, wo man Lady Bramlett geraten hatte, das Tier zu erschießen. Es wäre verrückt und zu nichts zu gebrauchen.
Luca hatte all seine Überredungskünste aufbringen müssen, damit die Adlige Midnight noch eine Chance gab. Seitdem arbeitete der Jugendliche täglich mit dem Pferd und war mehr als einmal fast so weit gewesen aufzugeben; hatte es aber nicht getan, weil er wusste, was dem eleganten Hengst dann blühen würde. Und Geduld zahlte sich ja bekanntlich aus. Midnightdancer war zwar immer noch leicht nervös auf der Rennbahn, aber er drehte nicht mehr durch und hier, im normalen Reitbetrieb, war er die Ruhe selbst. Auch das war anfangs noch ganz anders gewesen.
Der Hengst hatte Luca mehrfach in den Dreck befördert, obwohl der Junge eigentlich ein guter, sattelfester Reiter war. Früher hatte das Tier vor jeder Kleinigkeit gescheut, auch vor Sachen, die nur es hören und sehen konnte, war durchgegangen, war ein richtiges Pulverfass gewesen. Davon merkte man heute nichts mehr.
Der Rappe trabte am langen Zügel über den Hufschlag, die Ohren leicht nach hinten gerichtet und völlig auf seinen Reiter konzentriert, der ihn nur mit Gewichts- und Schenkelhilfen durch die einzelnen Bahnfiguren lenkte.
Auch als Luca ihn schließlich angaloppieren ließ, zeigte Midnight keine Anzeichen, dass er eigentlich ein Rennpferd war. Er lief gelassen unter dem Jungen durch die Bahn. Der konnte die Blicke von der Tribüne fast körperlich spüren und als er einmal kurz hinüberschaute, trafen seine Augen auch prompt die des Grafen. Luca merkte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg.
»Verdammt!«, fluchte er leise und konzentrierte sich wieder auf die Vorführung des Pferdes. Aber das Wissen, dass der Andere ihn beobachtete, machte den Jugendlichen mehr als nervös, was eigentlich albern war, denn es war ja klar gewesen, dass man ihm zuschauen würde.
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Viktor verfolgte die Vorstellung gespannt, während er in kleinen Schlucken die Limonade genoss, die Alan Summerson seinen Gästen serviert hatte. Lady Bramletts Hengst war in der Tat eine Augenweide und der Graf beobachtete das Spiel der Muskeln unter dem nachtschwarzen Fell des Tieres, wie ein Musiker einer perfekten Abfolge von Noten lauschte. Doch noch mehr, so musste er sich eingestehen, bewunderte er den Reiter. Viktor wusste genau, wie zart Luca war, doch er war stark genug, dieses Kraftbündel in der Spur zu halten, ganz ohne dabei laute Befehle oder eine Gerte zu verwenden, er hatte nicht einmal die Zügel kurz genommen. Nur seine schlanken und doch muskulösen Beine taten die Arbeit und der Adlige spürte ein wohliges, aber ihm in diesem Moment absolut unwillkommenes Gefühl der Erregung. Es wurde heißer, als sich ihre Blicke trafen und der Graf musste unwillkürlich leise auflachen, als er den Jungen, der etliche Meter von ihm entfernt war, fluchen hörte.
»Amüsiert Sie etwas, Graf?«, fragte Lady Bramlett und wandte ihm überrascht ihr Gesicht zu. Ihre Wangen waren gerötet, trotz der angenehmen Kühle in der Halle.
»Aber nein. Ihr Tier ist wirklich ein Prachtstück und sehr gut trainiert.«
»Nun, das sollte es auch. Das ist seine letzte Chance, sonst kommt es zum Schlachter. Sie glauben gar nicht, was ich für Ärger mit diesem Pferd hatte. Die Versicherungsprämien sind astronomisch!«
Viktors Augen folgten noch immer der Vorführung, doch seine Aufmerksamkeit hatte sich längst von Midnightdancer vollkommen zu Luca verlagert. Es brodelte heiß in dem Adligen und er nahm einen großen Schluck aus dem Glas, das ihm auf sein Andeuten hin gleich von seinem Butler aufgefüllt wurde. Nur dieser schien zu bemerken, wie aufgewühlt der Graf war; sein feines wissendes Lächeln ließ Viktor kaum merklich etwas erröten.
»Nun, Mylady, das ist der Preis für ein so herrliches Hobby wie Pferdehaltung, nicht?«, entgegnete er auf Lady Bramletts Aussage und lächelte, was diese kichern ließ wie ein junges Mädchen. Viktor ignorierte es und betrachtete weiter den Reiter.
Nach einer Viertelstunde stand Willow auf und verschwand in Richtung Stall, um Silver Spirit fertigzumachen. Als sie schließlich mit dem Wallach zurückkehrte, hatte Luca gerade sein Programm mit dem Rappen beendet und die junge Frau brachte den Schimmel in die Hallenmitte.
Der blonde Jugendliche hielt neben ihr an, saß ab und knurrte: »Reite Midnight bitte noch trocken. Er ist klatschnass, obwohl ich ihn kaum gefordert habe. Hauptsache, diese Ziege lässt es sich mit kalten Getränken gut gehen.« Einen bösen Blick in Richtung Lady Bramlett werfend, die, halb vom Geschehen in der Halle abgewandt, mit Viktor redete und immer wieder albern kicherte, schwang Luca sich auf Silvers Rücken. Der Graf verfolgte jede seiner Bewegungen, was den jungen Mann erneut erröten und den eigenen Blick abwenden ließ. »Hör endlich auf, mich anzustarren«, brummte er und strich dem Schimmel über den Hals.
»Was murmelst du da vor dich hin? Wer starrt dich an?« Willow, die sich auf den Rücken des Rapphengstes geschwungen hatte, musterte ihren Freund amüsiert.
Doch der schüttelte bloß den Kopf. »Nicht jetzt.« Mit diesen Worten trieb Luca den Wallach von seiner Freundin und Midnight weg, um auch mit ihm das Pflichtprogramm der Lady durchzuziehen.
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»Eine wirklich gelungene Vorstellung, trotz dieser erbärmlichen Wärme. Danke, dass Sie sich extra für mich die Mühe gemacht haben.«
Sie standen mit den Pferden an der Seite der Reithalle, im Schatten einiger Laubbäume, durch deren Blätterdach das Sonnenlicht grünlich auf alle fiel, als sich Viktor an Alan und Luca richtete und beiden die Hand reichte. Niemand außer Sebastian, der bescheiden am Rand stand, bemerkte, dass der Graf den Blick und auch die Finger des Jungen eine Sekunde länger hielt als die des älteren Mannes.
»Aber das ist doch selbstverständlich, Graf Draganesti. Wann immer unsere geschätzten Einsteller das Bedürfnis haben, den Fortschritt ihrer Tiere zu sehen, sind wir gern bereit, diesen zu demonstrieren. Ich hoffe, auch Sie sind zufrieden, Lady Bramlett?« Alan Summerson knetete leicht seine Finger. Ein feiner Schweißtropfen rann seine Schläfe entlang, ob nur der Wärme oder auch der Nervosität geschuldet, war nicht zu erkennen.
»Ja, doch. Ich bin nicht halb so enttäuscht wie ich gedacht hatte, dass ich es sein würde, angesichts Midnightdancers Vorgeschichte. Er hat sich gut entwickelt. Vielleicht kann er dann irgendwann auch mehr Rennen gewinnen und macht nicht mehr ein solches Theater vor jedem Start.« Die Dame schürzte die Lippen und wedelte sich mit einem eleganten weißen Handfächer Luft zu.
Luca und Willow verzogen genervt das Gesicht, schwiegen aber beide. Auch Viktor zog leicht die Augenbraue hoch, was aber wegen seiner Sonnenbrille kaum auffiel.
»Na, seien Sie nicht zu streng mit dem Hengst, Lady Amelia. Er ist ausgezeichnet und traumhaft schön. Mein eigener, der in Norfolk steht, könnte sich eine Scheibe davon abschneiden«, entschärfte der Adlige die gereizte Situation mit sanfter Stimme.
»Das ist er, Viktor«, lächelte sie ihn strahlend an, »doch leider gewinnt Schönheit auf der Rennbahn keine Preise. Und ich nehme nicht an Countryshows teil, um mit einem Hengst, der mich viel Geld gekostet hat, bunte Schleifchen zu gewinnen.«
»Das würde vermutlich niemand«, antwortete Alan mit einem etwas gestellten Lachen. Viktor erhaschte in derselben Sekunde einen Blick auf Lucas Gesicht, der seinen Onkel kurz von der Seite ansah. Es zeigte deutlich eine Mischung aus totaler Entnervung und Angewidertheit. Es amüsierte den Grafen, dass man die Gefühle und Gedanken des Jungen so leicht von dessen Gesicht ablesen konnte.
»Ah, Mr. Summerson, da fällt mir noch etwas ein. Könnte ich Sie einen Moment unter vier Augen sprechen? In Ihrem Büro vielleicht?« Lady Bramlett ließ ihren Fächer vernehmlich zuschnappen und sah den Gestütsbesitzer fordernd an, der eilig nickte.
»Aber natürlich, folgen Sie mir bitte.«
»Werden Sie einen Augenblick allein zurechtkommen, Graf Viktor?«, lächelte die Dame den Transsylvanier an, der es freundlich erwiderte.
»Ich denke, hier wird mir kein Leid geschehen.«
»Mein Neffe hat sicher etwas Zeit, Ihnen solange Gesellschaft zu leisten«, Alan sah zu Luca, »er könnte Ihnen die Anlage zeigen, wenn Sie Interesse daran haben. Oder die anderen Tiere ...«
Der Jugendliche nickte seinem Onkel zu. »Ich kümmere mich schon. Lass dich nicht aufhalten. Ich werde unserem Gast einfach alles zeigen, was er möchte.« In demselben Moment, wo er die Worte aussprach, wurde ihm bewusst, wie diese klangen und biss sich auf die Lippe.
Viktor richtete seine Aufmerksamkeit erneut auf den Jungen, der aussah, als würde er am liebsten laut losschreien. Wenn er nicht aufhören würde, so liebreizend auf den Adligen zu wirken, würde der noch seine Vorsätze und guten Manieren verlieren!
»Ich würde mich sehr freuen«, schnurrte Viktor.
»Das kann ich mir denken«, murmelte Luca unwirsch und gerade so laut, dass die, die in seiner unmittelbaren Nähe standen, es hören konnten. Alan, der sich mit Lady Bramlett bereits ein paar Schritte entfernt hatte, bekam davon nichts mit.
Der Jugendliche strich dem Grauschimmel über den Hals, bevor ein Ruck durch seinen Körper ging und er Viktor in die Augen sah. »Also gut … Was hätten Sie denn gerne, Graf? Eine kleine Führung durch die Ställe?«
Willow, die den sarkastischen Unterton in der Stimme ihres Freundes heraushörte, knuffte ihm in die Seite.
»Was? Kümmer du dich darum, dass die Pferde wieder auf die Wiese kommen«, schnaubte der junge Mann und rieb sich die Stelle, wo seine Freundin ihn unsanft getroffen hatte. Die Augen verdrehend, nahm die Rothaarige Luca den Führstrick des grauen Wallachs aus der Hand.
Viktor, der den Blick seines Butlers gesehen hatte, mit dem dieser die junge Frau verstohlen musterte, sagte schmunzelnd: »Du könntest Miss Bennett helfen, Sebastian.«
»Wenn Ihr es wünscht, Herr«, erwiderte dieser und fuhr dann zu Willow gewandt mit einem Lächeln fort, »es wäre mir eine Freude, Ihnen behilflich zu sein.«
Willow errötete bis unter die Haarspitzen. »Aber ja. Dann kann ich Ihnen ein wenig von unserem Anwesen zeigen. Hinten raus in Richtung der Pferdekoppeln ist es noch mal so schön.«
Nickend nahm Sebastian der jungen Frau eins der Pferde ab.
»Mooooment«, unterbrach Luca die Szene. »Ihr wartet, bis ich wieder zurück bin. Ich muss im Stall noch ein paar Sachen … wegräumen, bevor ich die kleine Führung starten kann. Und da ich den Grafen nicht alleine lassen möchte … Also gebt mir bitte einen Augenblick.«
Bevor einer der Drei etwas erwidern konnte, hatte der Jugendliche sich herumgedreht und war davongeeilt.
Die anderen sahen ihm nach und Willow schüttelte leicht den Kopf. »Was zum Teufel ist denn heute los mit ihm? Ihr müsst ihn entschuldigen, Graf, er ist eigentlich nicht so schroff und unnahbar. Er ist eigentlich … ganz anders.«
»Kein Problem, Miss Bennett. Jeder hat doch einmal einen schlechten Tag. Man kann nicht immer gutgelaunt durch die Gegend springen«, erwiderte Viktor. »Ich denke, Sie sollten sich trotzdem auf den Weg machen und die Tiere jetzt auf die Koppel bringen. Ich kann gut einen Moment hier alleine bleiben. Das macht mir nichts.«
»Aber ...«, warf Willow ein, doch der Unsterbliche brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Kein Aber, Miss Bennett. Ich bin kein Kind, das einen Aufpasser braucht. Und Luca wird bestimmt gleich zurück sein.«
Seufzend fügte die junge Frau sich. »Nun gut, Graf. Ganz wie Ihr wünscht.« Sie nickte Sebastian zu und die beiden machten sich langsam mit den Pferden auf den Weg.
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Im Stall hatte Luca sich unterdessen an die kühle Wand gelehnt und atmete tief durch. Was zum Teufel war das bitte für ein Scheißtag? Der junge Mann wollte alles, aber nicht mit Arian … Viktor alleine sein. Fieberhaft überlegte Luca, wie er aus dieser vertrackten Situation wieder herauskommen konnte, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Obwohl Willow wohl kaum noch misstrauischer werden konnte. Ihr hatte der Jugendliche ansehen können, dass bei ihr sämtliche Alarmglocken schrillten. Sie kannte ihn halt viel zu gut, was in dieser Situation ein Nachteil war. Seiner Freundin konnte der Jugendliche nichts vormachen. Und er wusste jetzt schon, dass sie ihn später löchern würde, bis er ihr sagen würde, was los war.
»Denk nach, Luca«, murmelte er vor sich hin, während er in der breiten Stallgasse auf und ab lief, aber sein Hirn war wie von einem zähen dunklen Nebel umgeben und der Jugendliche konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Als sich die schwere hölzerne Stalltüre mit einem Knarren öffnete, zuckte der junge Mann heftig zusammen.