Willow schnaubte leise, als Luca und der Graf aus dem Stall kamen. Sie taten zwar so, als würden sie kein Wässerchen trüben können, doch die junge Frau konnte deutlich die etwas geröteten Wangen ihres Freundes sehen. Der hatte offenbar ein Schäferstündchen im Stroh genossen, während sie sich hier in vier Teile hätte zerhacken müssen, wenn der freundliche Butler des Adligen nicht gewesen wäre.
Während ihr Boss mit Graf Draganesti einige Worte wechselte, funkelte Willow Luca unverwandt an. Sie würde ihm seinen kleinen Hintern verbrutzeln. Und sie wusste, dass er wusste, was sie tun würde. Fast freute sie sich darauf.
Lady Bramletts verkniffenes Gesicht hatte sich wieder erhellt, als sie ihren Begleiter auf sich und die anderen zukommen sah. Besorgt blickte sie an sich herunter. Sie hatte im Haus das Malheur beseitigt, ihren Rock mithilfe eines geliehenen Föhns getrocknet und ihr Make-up aufgefrischt. Es wäre undenkbar gewesen, so vor Graf Viktor zu treten und ein Teil von ihr war froh darum, dass er diesen Unfall, den das tollpatschige Mädchen verursacht hatte, nicht mitangesehen hatte. Sie, Lady Amelia, wäre wohl sonst im Boden versunken bei so viel Inkompetenz, auch wenn sie selbst gar keine Schuld getroffen hatte.
Sie schürzte leicht die Lippen und legte Viktor eine Hand auf den Unterarm. »Es freut mich, dass Ihnen der Aufenthalt gefallen hat.« Bewusst oder unbewusst drängte sie Luca von der Seite des Adligen, der mit verkniffenem Mund einen Schritt zurück machte.
Viktor warf ihm über den Kopf der Dame einen schnellen Blick zu und richtete dann seine Aufmerksamkeit mit einem Lächeln auf sie.
»Ja, es war ... aufregend. Doch ich fürchte«, er warf einen Blick auf seine edle Armbanduhr, »dass ich mich allmählich verabschieden muss. Auf mich warten noch geschäftliche Verpflichtungen, die ich leider nicht aufschieben kann.«
Lady Bramlett nickte. »Ja, das ist eine gute Idee. Mr. Summerson.« Sie reichte Alan huldvoll die Hand. »Vergessen Sie nicht, sich zu notieren, was ich Ihnen drinnen gesagt habe. Es wäre ein Jammer, wenn Sie es nicht schaffen würden.«
»Aber nein, Mylady, ich werde es gleich erledigen.« Er deutete einen Kuss auf die Finger der Dame an, bevor er sich wieder aufrichtete.
»Ich möchte mich bedanken, dass Sie und Ihre Angestellten sich heute den Tag für uns Zeit genommen haben, Mr. Summerson«, ergänzte Viktor und schüttelte dem Mann ebenfalls die Hand, bevor er das Gleiche bei Willow und Luca tat. Mit einem feinen Schmunzeln setzte sich der Adlige in Bewegung, dicht gefolgt von seinem Butler, der sich freundlich umsah und sich leicht verneigte.
»Es war mir eine Freude«, sagte er mit einem letzten Blick auf Willow, bevor er zu seinem Herrn und Lady Bramlett aufschloss, die sich nach der Verabschiedung von Alan einfach abgewandt hatte. Es war schon immer unter ihrer Würde gewesen, sich länger mit Angestellten abzugeben, als es nötig war. Dass dieser junge Hitzkopf Luca Mr. Summersons gleichberechtigter Partner war, kümmerte sie dabei wenig. Der Bursche war noch ein halbes Kind, wie sollte sie so jemanden ernst nehmen können?
Sebastian öffnete erst der Dame die Autotür und anschließend seinem Herrn.
»Puh, es ist aber sehr warm hier drin«, mokierte sich Lady Bramlett, nahm ihren Hut ab und ließ ihren Fächer aufschnappen.
»Das werde ich augenblicklich beheben«, entgegnete der Butler mit ruhiger, fast tonloser Stimme. Viktors Lippen zuckten. Offenbar hatte Sebastian allmählich genug von der verwöhnten Dame. Er würde es sich niemals anmerken lassen, doch seine Höflichkeit, die er wie eine Maske zur Schau trug, hatte begonnen, Risse zu bekommen, wenn seine Stimme ihren Klang verlor.
Der Butler ließ sich auf den Fahrersitz gleiten, drehte den Zündschlüssel und schaltete die Air Condition ein, die bereits zwei Minuten später für spürbare Erleichterung gesorgt hatte, gerade als die anthrazitfarbene Limousine wieder auf die Straße in Richtung London abbog.
Vor der Stadtvilla Lady Bramletts in Belgravia wandte sich diese zu Viktor, der die ganze Fahrt über erstaunlich still gewesen war. Statt sich zu unterhalten, hatte er aus dem Fenster gesehen und darüber nachgegrübelt, was er auf dem Gestüt getan hatte. Er hatte seine sich selbst gesetzte Regel bei der ersten Gelegenheit gebrochen!
»Drac!«, murmelte er und merkte nicht, dass er es laut gesagt hatte.
»Wie bitte?«
»Hm? Oh, verzeihen Sie mir, Mylady, ich war ein furchtbarer Gesellschafter.« Viktor lächelte milde und Lady Bramletts leiser Unmut darüber, dass er sie fast die ganze Zeit ignoriert hatte, verpuffte.
»Ah, nehmen Sie es nicht so schwer, mein lieber Graf. Uns allen geht manchmal viel im Kopf herum. Kann ich Sie noch für eine Erfrischung begeistern oder drängen Ihre Termine zu sehr?«
Der Adlige blickte erneut auf seine Armbanduhr. »Ich fürchte, das tun sie. Sie wissen ja, wenn man den Angestellten nicht manchmal auf die Finger schaut. Mein Geschäftsführer macht den Job erst einige Tage und ich möchte sichergehen, dass es ihn nicht zu sehr überfordert.«
»Ja, das verstehe ich. Kann ich Sie trotzdem bitten, noch einen Moment zu warten? Ich möchte Ihnen gern noch etwas geben.«
Nickend sah Viktor der Lady hinterher. Sebastian, der den Wagen am Straßenrand geparkt hatte, hatte diesen verlassen und ihr die Tür geöffnet. Der Graf nahm dies zum Anlass, sich selbst mit ein paar Schritten die Beine zu vertreten.
»Was sie wohl dieses Mal ausheckt?«, murmelte er Sebastian auf Rumänisch zu. Der Gärtner der Lady war hinter dem Eisenzaun mit der Blumenrabatte beschäftigt und Viktor wollte nicht, dass der Mann ihn verstand.
»Sicher etwas wegen ihrer Hunde«, schmunzelte Sebastian und grinste leicht, als sein Herr schnaubte.
»Verzeihen Sie, dass ich sie warten ließ«, ertönte da auch schon wieder die Stimme der Dame.
»Nicht der Rede wert, auf eine schöne Frau wartet man doch gern.« Viktor lächelte formvollendet, was Lady Bramlett kichern ließ.
»Sie sind vielleicht ein Lügner, Viktor. Aber ein charmanter.« Sie strahlte ihn an, bevor sie ihm einen Umschlag aus teurem Papier hinhielt.
»Eigentlich hatte ich vor, Ihnen das mit der Post zukommen zu lassen, aber da wir nun schon den Nachmittag zusammen verbracht haben, warum sollte ich es ihnen nicht direkt überreichen?«
Der Graf öffnete das Kuvert und zog eine elegante Einladung hervor, die ihn förmlich zu einer Sommerparty auf Lady Amelias Landsitz einlud.
Er las sie und lächelte schließlich. »Das ist sehr freundlich, Mylady. Selbstverständlich werde ich kommen.«
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Indessen war in Reading ein Donnerwetter vom Feinsten auf Luca und Willow niedergegangen. Alan hatte genau so lange gewartet, bis das Auto des Grafen außer Sichtweite gewesen war, dann polterte der Gestütsbesitzer los. »Was in Gottes Namen habt ihr euch dabei gedacht, mich so zu blamieren? Hm?«
Die Rothaarige zog instinktiv den Kopf ein und schaute auf ihre Stiefelspitzen, während der Jugendliche nur da stand und in die Richtung sah, wo der schwere BMW verschwunden war. Luca versuchte, die Ohren auf Durchzug zu stellen, aber Alans Stimme, die sich fast überschlug, war so penetrant, dass es ihm nicht gelang, das Gekeife völlig auszublenden. So wandte er sich nach einem kurzen Moment zu seinem Onkel um und musterte diesen abschätzend. »Was willst du eigentlich von uns? Wo haben wir dich bitte blamiert? Willow hat sich hier um alles gekümmert, was das leibliche Wohl der Gäste angeht und ich habe die Pferde vorgeritten, wie es diese aufgeblasene Kuh wollte. Ich habe mir sogar ihre Seitenhiebe gefallen lassen, während du nur vor ihr im Dreck herumgekrochen bist – wie ein Hund. Hast du keinen Stolz im Leib? Dich dermaßen selbst zu erniedrigen.«
Alans Gesicht nahm die Farbe überreifer Tomaten an, als er einen Schritt auf seinen Neffen zumachte und seine Stimme klang immer noch unnatürlich schrill, als er antwortete: »Willow … hat Lady Bramlett Wasser über ihr Kleid geschüttet und du … warst Ewigkeiten mit Graf Draganesti verschwunden.«
Leise auflachend zwinkerte Luca seiner Freundin zu. »Gut gemacht. Diese Frau verdient nichts anders. Schade, dass es nur Wasser war.« Er wandte sich wieder Alan zu, dem vor Entrüstung der Mund offen stand. »Und was den Grafen angeht: Ich habe ihm etwas von unserer Anlage gezeigt, während du dich mit Lady Amelia im Haus herumgetrieben und ach so wichtige Sachen geklärt hast. Hätte ich ihn hier in der Hitze sitzenlassen sollen? Allein? Wäre dir das lieber gewesen? Du solltest vielleicht zuerst nachdenken, bevor du uns hier blöd anmachst. Das nächste Mal rechne lieber nicht mit mir. Ich hab die Schnauze voll. Wir sind nicht deine Fußabtreter. Wir haben nichts falsch gemacht und diese Show, die du hier gerade abziehst, haben wir nicht verdient. Vor allem Willow nicht.«
Alan schnaubte und wollte etwas erwidern, aber Luca schüttelte den Kopf und hob nur abwehrend die Hand. »Spar es dir. Ich habe alles dazu gesagt und du denk mal darüber nach.« Der Jugendliche drehte sich um. »Und jetzt hole ich Wotan und hau ab zum See. Macht, was ihr wollt. Mir reicht es für heute.« Mit diesen Worten und einem letzten Blick auf Alan stapfte der Blonde über den Hof und verschwand im Stall, um das Zaumzeug seines Friesen zu holen.
Die anderen beiden schauten ihm schweigend hinterher und Willow seufzte leise. Ihre erste Wut auf Luca war verpufft, trotzdem würde sie ihn später auf die Sache mit dem Grafen ansprechen, denn es interessierte die junge Frau brennend, was zwischen dem Adligen und ihrem Freund wirklich lief. Der sollte sich aber auch erst mal beruhigen. Etwas Abkühlung im See würde da bestimmt nicht schaden. Willow überlegte kurz, bevor sie sich an Alan wandte: »Hast du noch etwas zu tun für mich?«
»Nein! Ihr zwei habt genug getan«, murmelte der Gestütsbesitzer, »es … tut mir leid. Ich habe nur Angst, dass Lady Bramlett ihre Pferde hier wegholen und woanders einstellen könnte. Das und schlechte Mundpropaganda würde uns das Genick brechen. Ich habe nur das Geschäftliche gesehen und total überreagiert.«
»Na ja, das ist doch auch irgendwie normal. Aber du brauchst dir bestimmt keinen Kopf zu machen. Mylady weiß genau, dass ihre Tiere hier bei uns hervorragend versorgt werden. Sie würde sich ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie ginge.« Sachte legte die junge Frau die Hand auf Alans Arm und lächelte ihm aufmunternd zu.
Der nickte zögerlich. »Vermutlich hast du recht. Ich werde dann mal ins Haus verschwinden. Räumst du später noch mit Luca die Sachen aus der Halle weg?« Alan wandte sich langsam um, hielt aber noch einen Moment in der Bewegung inne und sah Willow an. »Lady Bramlett hat mich, uns, also Luca und mich, eingeladen. Auf einen Sommerball, auf ihrem Landsitz, Anfang August.«
Die junge Frau musterte ihr Gegenüber einen Augenblick, bevor sie grinsend erwiderte: »Und ich soll es Luca jetzt schonend beibringen beziehungsweise ihn überreden, damit er dich nicht hängen lässt! Deute ich das richtig?«
»Nun ja, ich glaube nicht, dass er nach dem ganzen Theater heute, Lust auf eine Veranstaltung dieser Art in Myladys Haus hat. Und wenn ihn jemand davon überzeugen kann, dass er mit muss, dann du.« Alan grinste schief.
»Okay, ich werd's versuchen. Ich kann dir aber nichts versprechen.«
»Danke. Ich … werd dann mal ...« Er deutete zum Herrenhaus hinüber.
»Ja, ja, geh du nur. Ich kümmer mich hier schon«, erwiderte Willow seufzend.
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Zur selben Zeit hatte Luca die Koppel erreicht, wo sein Friesenwallach unter einem Baum vor sich hin döste. Der Jugendliche kletterte durch den Zaun und lief durch das Gras hinüber zu seinem Pferd, das ihn mit leisem Schnauben begrüßte.
»Na, mein Dicker. Lust auf einen kleinen Ausritt? Ich hatte einen Scheißtag. Na ja, nicht total, aber ...«, redete er mit sanfter Stimme auf den Rappen ein, während er ihm das Zaumzeug überzog und ihn anschließend von der Koppel führte. Von der Umzäunung aus kletterte er auf den Rücken des Wallachs und im Schritt zuckelten sie in Richtung des kleinen Waldes, am anderen Ende des weitläufigen Geländes, davon. Dort befand sich auch der gestütseigene See, der Lucas eigentliches Ziel war. An dem Gewässer würde er seine Ruhe haben und noch einmal den Tag Revue passieren lassen können. Analysieren, was sich eigentlich abgespielt hatte. Irgendwie hatte der Jugendliche das Gefühl, als ob er in einem Traum feststeckte, aus dem er einfach nicht aufwachen wollte. Leise seufzend trieb er Wotan in einen leichten Trab.
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Willow sah Alan hinterher, als er die Treppe hinauf stieg und in dem Gebäude verschwand.
Was für ein chaotischer Tag war das bitte gewesen? Auf so was konnte die junge Frau gut und gerne verzichten. Langsam ging sie über den Hof, hinüber zur Reithalle und blieb dort einen Moment in der Türe stehen, bevor sie sich abwandte und weiter zum Stall lief. Die Gläser und die anderen Sachen konnten ruhig noch etwas da stehenbleiben. Die konnte sie später wegräumen.
In der Sattelkammer tauschte sie die Reitstiefel gegen ein Paar Turnschuhe, nahm sich das Zaumzeug von Alans Connemara-Wallach Avatar und machte sich auf den Weg zu den Koppeln.
Dort angekommen pfiff Willow leise durch die Zähne und fast augenblicklich löste sich ein schneeweißes, mittelgroßes Pony von der Herde. Es trabte fröhlich zu der jungen Frau hinüber und blieb vor ihr stehen. Auf diesem Pferdchen hatte Luca als Kind reiten gelernt. Der Wallach war mittlerweile Mitte zwanzig und eigentlich war es nur noch Willow, die das Pony von Zeit zu Zeit ritt, ansonsten führte es sein wohlverdientes Rentnerleben.
»Hallo, Avatar«, begrüßte die Rothaarige den Schimmel, der sie mit seiner samtweichen Nase anstupste. Lachend gab Willow ihm ein Stück Möhre, bevor sie ihn aufzäumte und aus der Koppel führte.
»Nun, mein Kleiner, hast du Lust auf einen Ausritt?«, fragte sie den Wallach leise, der, wie zur Bestätigung, mit dem Kopf nickte. Schmunzelnd griff Willow mit einer Hand in die lange Mähne des Ponys, schwang sich auf seinen Rücken und trieb es dann den Hauptweg hinunter, der unter anderem zur gestütsinternen Galoppbahn und dem See im Wald führte.
Am liebsten wäre die junge Frau herunter zu dem Gewässer geritten, aber irgendetwas sagte ihr, dass Luca jetzt lieber alleine dort sein wollte.