Die junge Frau starrte für einen Moment ungläubig in die dunklen Augen des Butlers, bevor sie sich einen Ruck gab und zur Räson rief. Wenn Willow weiter so glotzte, musste er irgendwann denken, sie war ein bisschen doof.
Mühsam sammelte sie etwas Selbstsicherheit zusammen und lächelte Sebastian an, der adrett wie schon beim Besuch auf dem Gestüt vor ihr stand, die Jacke seines Herrn über dem Arm.
»Das mit Ihrem Fuß tut mir schrecklich leid. Ich hoffe, ich hab Sie nicht verletzt?!«
Der Butler schenkte ihr ein feines Schmunzeln, das für einen Moment seine perfekten Zähne aufblitzen ließ.
»Nein, Miss Bennett. Bei Ihrer zarten Gestalt war es mir ein Vergnügen, im Weg gestanden zu haben.«
Willow machte einen Schritt zur Seite, um Sebastian durchzulassen, während sie seinen Rücken fixierte. Flirtete der Butler mit ihr? Die Äußerung hätte sie bei jedem anderen Mann als eine Anmache verstanden, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser so vornehm wirkende Diener solch plumpe Absichten verfolgte. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihr das Blut in die Wangen stieg. Sie glühten bestimmt mit ihren Haaren um die Wette.
»Ich bin überrascht, Sie hier zu treffen, Miss«, zwang der Butler sie, ihn erneut anzusehen. Willow lächelte und schob sich eine Strähne hinter das Ohr.
»Na ja, ich glaube, ich bin nicht so ganz legal hier. Eingeladen waren nur Mr. Summerson und Luca, doch der hat mich als seine Begleitung mitgebracht ... Lady Bramlett schien das nicht zu gefallen.« Die Rothaarige lachte leise auf.
»Machen Sie sich nichts daraus. Ich bin auch nur geduldet als der Schatten meines Herrn. Es würde«, Sebastian blickte sich um, es wirkte verschwörerisch, »mich nicht wundern, wenn Mylady nicht einmal wüsste, wie ich heiße, obwohl mein Herr mich permanent beim Vornamen nennt.« Er lächelte und deutete ihr an, den schmalen Flur wieder zu verlassen, nachdem die Garderobenfrau Graf Viktors Jackett verstaut und Sebastian dessen Handy eingesteckt hatte. Sein Herr hatte es natürlich in der Innentasche vergessen, er machte sich wenig aus diesem technischen Schnickschnack.
»Sebastian«, murmelte Willow leise vor sich hin, »schwer vorzustellen, dass jemand diesen Namen vergisst.« Sie lächelte.
»Nicht, wenn man bedenkt, wie viele Männer so heißen«, lachte der Butler und zuckte mit den Schultern.
In dem hübschen Eingangsbereich blieb Willow stehen und ließ den Blick schweifen. Es sollte eigentlich ein Leichtes sein, den hellblonden Schopf ihres Freundes zu finden, doch sie suchte vergeblich.
»Ich fürchte, ich bin gestrandet«, murmelte die junge Frau und seufzte.
»Offenbar hatte Ihr junger Freund den gleichen Einfall wie mein Herr, nämlich verschwinden und sich verstecken. Er hatte es sehr eilig, aus dem Haus zu kommen, als er ihn bemerkt hatte. Es ist fast ein Lustspiel, dabei zuzusehen. Wie eine Komödie von Shakespeare.«
»Hoffentlich mit einem besseren Ende für sie als für dessen Figuren.« Willow grinste den Butler leicht an, bevor sie tief Luft holte. »Kann ich ... Sie vielleicht zu einem Drink überreden? Als Entschädigung für den geprellten Zeh? Oder ist Ihnen das nicht erlaubt?«
»Ein Glas Limonade ist immer gestattet.«
Während die beiden sich unterhielten, hatten sie den Salon durchquert und waren an der Bar zum Stehen gekommen, an der Graf Viktor erst vor kurzer Zeit durstig zwei große Gläser geleert hatte. Der Butler ließ seinen Blick durch die offenen Türen in den Garten wandern und obwohl der Abend sich allmählich über das Anwesen legte, konnte Sebastian deutlich erkennen, dass sein Herr nicht mehr an dem Partypavillon wartete.
Der Butler seufzte. Viktor machte sich Gedanken darum, dass er, Sebastian, eine Weile verschollen sein könnte, wenn er das Jackett wegbrachte, doch machte sich selbst nicht die Mühe, an dem Ort zu warten, wo sein Diener ihn verlassen hatte. Manchmal kam der Butler sich vor wie ein Babysitter. Der Graf war natürlich erwachsen und konnte mehr als gut genug auf sich selbst aufpassen, doch das änderte nichts an Sebastians Gefühl. Er zog die Augenbrauen kraus und wandte sich wieder an die junge Frau neben sich.
»Ich denke, ich bin ebenso gestrandet, Miss Bennett. Mein Herr ist nicht mehr da, wo ich ihn habe warten lassen. Ich schätze, ich habe damit etwas freie Zeit gewonnen. Darf ich Ihnen einen Champagner bestellen?«
»Ähm«, verlegen sah sich die Angesprochene das Angebot an Getränken an. Sie hatte noch nie echten Schampus getrunken und Luca hatte ihr vor einiger Zeit einmal erzählt, dass das Zeug wie Urin schmecken würde, aber konnte sie das dem Butler sagen?
»Ich persönlich finde ja, es schmeckt wie Hundepisse, aber Geschmäcker sind ja verschieden«, hörte sie da Sebastian weitersprechen. Sie sah ihm entgeistert ins Gesicht und brach in Gelächter aus.
»Habe ich etwas Amüsantes gesagt?«, schmunzelte der Mann und Willow versuchte, sich von den Lachtränen ihr Augen-Make-up nicht ruinieren zu lassen. Mit den Händen fächelte sie sich Luft zu.
»Nein. Oder ja. Sie haben nur eine Aussage bestärkt. Nein, ich denke, ich möchte keinen Champagner.«
»Ich empfehle einen süßen Weiß- oder Rosé-Schaumwein«, mischte sich ein höflicher und adrett gekleideter Kellner in ihre Unterhaltung ein. Der junge Mann stand hinter dem Tresen der Bar und hatte das Gespräch schmunzelnd verfolgt.
Willow nickte schließlich.
»Und für Sie, Sir?«, wandte sich der Kellner an Sebastian.
»Pfirsich-Eistee mit etwas Eis, bitte.«
Mit den Getränken in der Hand sahen sie sich in dem Salon um. Die Feenlichter der Dekoration kamen nun, wo es endgültig dunkel draußen war, so richtig zur Geltung und der Raum hatte sich aufgeheizt. Willow wand sich etwas, weil es ihr zu warm wurde und sie nichts hatte, um sich Luft zuzufächeln.
»Sollen wir einen Moment hinaus gehen? Wir können einen Happen essen oder ...« Sebastian brach ab. Er hörte selbst, dass er klang wie jemand, der versuchte, eine junge Frau von der Gruppe abzusondern und er wollte unter keinen Umständen einen solchen Eindruck erwecken. Seine Absichten waren ehrenhaft.
»Vielleicht ... sollten wir eine Runde gehen«, murmelte die Rothaarige und stellte ihr leeres Glas auf dem Tresen ab. »Ich hätte vielleicht zuerst essen sollen, bevor ich etwas trinke. Mir ist ganz ... schwindelig. Verzeihen Sie.«
»Aber nein, dazu besteht kein Grund. Lassen Sie uns einen kleinen Spaziergang machen. Der Garten und die frische Luft werden Ihren Kopf schon wieder klären und dann essen Sie einen Happen. Das Buffet drüben sieht wirklich vielversprechend aus.« Sebastian leerte sein Eisteeglas und reichte es mit einem Dank an einen Kellner, bevor er Willow seinen Arm hinhielt, um sie zu stützen. Gemeinsam wanderten sie langsam über den feinen Kiesweg und die junge Frau, die leicht beschwipst war, reckte ihren Kopf so hoch sie konnte und juchzte dann leise.
»Wow, wie hell die Sterne hier sind. In London sieht man fast nie welche«, sie stolperte über den Saum ihres Kleides und Sebastian musste sie halten, damit sie nicht fiel. Sie kicherte.
»Verzeihung. Ich bin echt hoffnungslos und vertrage nichts, das hätte ich wissen müssen. Ich falle Ihnen zur Last.«
Der Butler lachte leise. »Da müssen Sie schon mehr aufwarten, ich habe bereits alles gesehen. Von edlen Damen, denen ich die Haare beim Erbrechen halten musste bis hin zu sexuellen Ausschweifungen.«
»Ihh«, kicherte Willow, beugte sich hinunter und zog ihre Schuhe aus. »Ich brech mir noch den Hals«, murmelte sie, löste sich vom Arm des Butlers und hopste beschwingt mit den nackten Füßen in das weiche Gras, das zwischen einigen wild wuchernden Blumenbeeten wuchs. Es duftete berauschend und Sebastian hockte sich mit einem Lächeln auf die oberste Stufe einer kleinen steinernen Treppe, die einen Höhenunterschied im Gelände ausgleichen sollte. Es gefiel ihm, diese junge Frau mit dem strassbesetzten Kleid im Schein der Sterne und der Gartendekoration zu einem Lied tanzen zu sehen, das nur sie hören konnte.
Sebastian wünschte sich beinahe, sein Herr würde sich noch eine Weile länger allein beschäftigen.
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Im hinteren Teil des Gartens zögerte Graf Viktor einen Moment und wartete ab, ob noch eine Reaktion des Jugendlichen kommen würde, aber der rührte sich nicht. Der starrte nur stur auf das Gewässer vor sich.
Leise seufzend drehte der Unsterbliche sich um und ging langsam über den Rasen davon. Als er auf der anderen Seite des Teiches angekommen war, blieb er stehen und warf zwischen den Bäumen einen Blick zurück. Vielleicht hätte er einfach dort sitzen bleiben sollen. Luca hätte sich auch wieder beruhigt, da war Viktor sich sicher. Was sollte er nun tun? Zurück in den überfüllten Partypavillon zu gehen und sich mit irgendwelchen nervigen Menschen über unwichtige Themen zu unterhalten, danach stand ihm jetzt noch weniger der Sinn als zuvor. Viktor ging weiter, überquerte die Brücke zu dem hübschen Teahouse auf der Teichinsel und setzte sich dort auf eine der beiden Bänke im Innern des Gebäudes. Von hier hatte er einen guten Blick auf Luca und konnte auch das Herrenhaus ein Stück weit im Auge behalten. Sich eine Zigarette anzündend, überlegte der Adlige, wie er sich Luca wieder nähern konnte, ohne dass der Junge erneut die Fassung verlor und komplett auf Abwehr ging.
Während der Unsterbliche sich den Kopf zerbrach, hatte Luca sein Glas geleert und stellte es neben sich auf die Bank. Er würde wohl oder übel noch einmal hinüber ins Haus gehen und sich etwas zu trinken besorgen müssen, denn nüchtern zu bleiben war jetzt keine Option mehr. Also stand er auf und machte sich auf den Weg über den Rasen zu der Terrasse, wo er auf einen der jungen Kellner traf, die die Gäste überall am und im Haus mit Getränken versorgten.
Aber anstatt sich ein neues Glas Wein zu nehmen, sprach Luca den Mann an: »Ich habe da eine vielleicht etwas ungewöhnliche Bitte, aber besteht die Möglichkeit, anstatt eines Glases eine Flasche Wein zu bekommen? Ich möchte mich ein wenig von dem Trubel distanzieren, etwas alleine sein und fände es lästig, immer wieder hier herüberlaufen zu müssen.«
Der Kellner zögerte einen Moment, nickte dann aber. »Natürlich. Das lässt sich machen. Bevorzugen Sie einen Rot- oder Weißwein? Vielleicht auch lieber einen Rosé?!«
»Oh, ein Rotwein wäre mir durchaus recht.«
»Sehr wohl! Einen Augenblick, bitte. Ich bin sofort zurück.« Mit diesen Worten verschwand er im Haus und als er ein paar Minuten später wieder auftauchte, reichte er Luca eine Flasche aus dunklem Glas. »Bitte sehr.«
»Danke, das ist wirklich sehr nett von Ihnen.«
»Gern geschehen. Myladys Gäste sollen sich ja rundherum wohlfühlen und dazu gehören auch solche Sonderwünsche.«
Schmunzelnd nickte Luca dem Kellner noch einmal zu, bevor der sich wieder den anderen Besuchern widmete.
Der Jugendliche schaute auf das Etikett der Flasche. »Chateau Saint-Pierre!«, las er murmelnd. »Bestimmt so ne überteuerte Plörre, die wie Hundepisse schmeckt. Na wie auch immer. Hauptsache, es tut seinen Dienst.«
Er drehte sich herum, um sich mit seiner Beute wieder zurück zu seiner Bank zu verziehen. Dort angekommen, ließ er sich auf dem weißen Holz nieder und entfernte zufrieden seufzend den Korken, den der Kellner schon so weit herausgedreht hatte, dass Luca ihn problemlos ohne entsprechendes Gerät entnehmen konnte.
»Der Abend ist gerettet.« Grinsend setzte der Jugendliche die Flasche an und nahm ein paar große Schlucke.
Viktor hatte das ganze Spiel von seiner Bank im Teehaus aus beobachtet, sich aber nicht von der Stelle gerührt. Was hatte Luca vor? Sich ins Koma saufen? Obwohl der Adlige bezweifelte, dass das dem jungen Mann mit einer Flasche Wein gelingen würde. Der Vampir knurrte leise. Es sah aber ganz danach aus, dass Luca es zumindest versuchen wollte.
Mittlerweile war es so dunkel, dass man unmöglich von der hellerleuchteten Terrasse aus noch etwas in diesem Teil des Gartens erkennen konnte, zumindest nicht als Normalsterblicher. Der kleine Pavillon auf der Teichinsel, den Viktor sich zwangsweise als Rückzugsort auserkoren hatte, war mit ein paar dezenten Lichterketten geschmückt, die aber lediglich den Innenbereich des Häuschens schwach ausleuchteten. Irgendwie hatte das Ganze einen romantischen Touch. Der Vampir schnaubte. »Wie überaus passend.«
Noch einen kurzen Blick zum Herrenhaus werfend, erhob der Adlige sich von der Bank und machte sich langsam wieder auf den Weg zu Luca. Viktor hatte kein gutes Gefühl, diesen dort noch länger alleine sitzen zu lassen. Vor allem nicht in Gesellschaft der Flasche Wein. Er konnte das nicht ignorieren und riskieren, dass der Jugendliche unter dem Alkoholeinfluss irgendeinen Blödsinn machte, auch wenn er, Viktor, nicht dafür verantwortlich war.
Luca hatte fast die ganze Flasche auf Ex getrunken und merkte das schon deutlich in seinem Kopf, als er nun aufstand. »Fuck, ich hätte vielleicht doch etwas essen sollen«, kicherte er. Einen Moment blieb er schwankend stehen und hielt sich an dem Stamm des Baumes fest, der unmittelbar neben der Bank stand. Dass der Wein so schnell Wirkung zeigen würde, damit hatte der Jugendliche nicht gerechnet. Wann trank er auch schon mal was? Okay, in den letzten Wochen war es schon das eine oder andere Mal vorgekommen, aber das lag nur an diesem verdammten Viktor. Warum war der nur in seinem Leben aufgetaucht? Luca setzte die Flasche ein letztes Mal an und leerte sie mit einem großen Schluck, bevor er sie auf die Bank stellte. Dann warf er einen Blick zum Herrenhaus, von wo heiteres Lachen herüberschallte.
»Ja, ihr habt Spaß«, lallte er leicht und mit einer schnellen Drehung, wobei er fast über die Bank gefallen wäre, ging er hinüber zu der halbhohen Mauer, die das Gelände einfriedete, deren oberer Teil mit einem Eisengitter abschloss. An dieses waren Spitzen angeschmiedet, die wohl verhindern sollten, dass irgendjemand ohne Weiteres auf das Gelände klettern konnte.
»Oder dass einfach einer abhaut«, nuschelte der Blonde kichernd und strich mit den Fingern leicht über die Spitzen, bevor er die Arme auf die Mauer legte und den Blick über das freie Gelände hinter dem Anwesen schweifen ließ, zumindest soweit er in der Dunkelheit etwas erkennen konnte. Ein leises Knacken hinter sich ließ ihn zusammenzucken. Doch bevor er sich herumdrehen konnte, stieg ein bekannter Duft, holzig-vanillig, in seine Nase.
»Was willst du schon wieder hier?«
»Ich passe ein wenig auf dich auf. Da du ja meinst, dich besaufen zu müssen.«
Viktors Stimme an seinem Ohr ließ den Jugendlichen erschaudern.
»Und? Was geht es dich an? Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe, verdammt noch mal?«
»Das … kann ich nicht«, knurrte der Adlige, packte den Jungen an den Hüften und drehte ihn zu sich herum.
»Doch, das kannst du und das wirst du!« Luca hob den Blick schaute Viktor in die Augen. »Es geht dich verdammt noch mal nichts an, was ich mache. Und wenn ich mich hier besaufe, ist das nicht dein Problem«, fauchte der Blonde sein Gegenüber an, hielt sich aber an dessen Hemd fest, weil sich plötzlich alles drehte.
»Siehst du.« Viktor schmunzelte und strich dem Jugendlichen über die Wange. »Du brauchst mich.«
»Ich brauche dich? Wohl kaum«, hysterisch lachte Luca auf. »Und lass die Finger von mir.«
Doch der Adlige ignorierte diese Ansage und legte stattdessen die Hand in den Nacken des Jungen. Dieser starrte den Unsterblichen einen Moment lang an, bevor er ausholte und Viktor eine schallende Ohrfeige verpasste.