Sebastian stützte seinen Kopf auf die Hände und beobachtete Willow, der ihr eines Glas Sekt ein bisschen zu Kopf gestiegen war. Mit den Schuhen in der Hand und einem Summen auf den Lippen bewegte sie sich zwischen den blühenden Büschen hindurch, nur erleuchtet vom Mondlicht und dem feinen Schein, der vom Haus zu ihnen hin reichte.
Es hatte etwas Mystisches für den Butler und war etwas, was er lange nicht mehr gesehen hatte - eine Frau, die einen Zauber ausstrahlte.
Sebastian räusperte sich leise, als ihm bewusst wurde, dass er sie anstarrte. Auch das war ihm lange nicht mehr passiert. Da er normalerweise nur mit den Damen der feinen Gesellschaft zusammen kam, die ihn entweder wie ein besseres Möbelstück oder ein Stück Fleisch, mit dem man spielen konnte, betrachteten, hatte er sich abgewöhnt, allzu viel Interesse an Frauen zu haben.
Dass er alleinstehend war, lag nicht an seinem Job oder seinem Leben mit Graf Viktor. Es war Sebastians eigene bewusste Entscheidung gewesen.
Er sah auf, als er Willow leise juchzen hörte. Sie hätte offenbar beinahe das Gleichgewicht verloren und kicherte nun wie ein junges Mädchen.
»Womöglich wäre es besser, Sie würden etwas essen, meinen Sie nicht, Miss Bennett?« Der Butler schmunzelte leicht und die Rothaarige nickte.
»Ja, ich denke auch. Würden Sie ... oh Mann, ist mir schwindelig.« Sie hob den Kopf gen Himmel und atmete tief ein. Ihr Taumel schien sie nicht zu belasten, sondern ihr eher das Gefühl eines erweiterten Bewusstseins zu geben, als würde etwas sie der Welt entrücken, was sie ungeheuer genoss.
»Ja, reichen Sie mir Ihren Arm, ich passe schon auf, dass Sie nicht fallen«, lächelte Sebastian und ging auf sie zu.
»Der letzte Gentleman. Ich kenne da ganz andere, die meinen Zustand schamlos ausnutzen würden.«
»Ich kenne auch sogenannte Ehrenmänner, die das tun würden, Miss. Doch ich gehöre nicht dazu. Ich bin weder das noch ein Edelmann. Ich komme aus einem einfachen Stall. Trotzdem weiß ich, was sich einer Dame gegenüber gehört.«
»Wirklich? Ich hätte gedacht, Sie stammen aus einer dieser stolzen Familien, in denen alle Nachkommen über Generationen hinweg Butler gewesen waren und die darauf ungeheuer stolz sind.«
Sebastian lachte leise, als er an seine eigenen Eltern und Geschwister dachte. »Nein, Miss. Nicht im Mindesten. Ich bin der erste und einzige Leibdiener aus einer langen Reihe einfacher Bauern.«
Willow hielt sich an dem dargebotenen Arm fest, um ihre Schuhe wieder anzuziehen. Es kam ihr nicht angemessen vor, ohne sie zu den feinen Gästen zurückzugehen. Sie wollte nicht das Gerede dieser Leute anfeuern und schon gar nicht deswegen im Mittelpunkt stehen.
»Wie wird man Butler? Ich meine, wie entscheidet man sich dafür, sein eigenes Leben dem eines anderen Menschen zu widmen?«
Sebastian lachte. »Das sollten Sie jeden fragen, der Kinder bekommt.«
»Aber das ist doch etwas ganz anderes. Sie sind doch nicht mit Graf Viktor verwandt, oder?«
»Nein. Wir könnten von der Herkunft nicht weiter voneinander entfernt sein, immerhin reicht seine Linie in Rumänien bis ins zehnte Jahrhundert zurück, während meine ... na ja«, der Butler schmunzelte, »über einfaches Landvolk wurden keine Aufzeichnungen geführt, deswegen weiß das keiner.«
Die junge Frau machte ein leises Geräusch. »Na gut, aber wie haben Sie sich, in der heutigen Zeit, denn nun dafür entschieden, ausgerechnet diesen Beruf auszuüben?« Sie spürte selbst, wie bohrend neugierig sie sich anhörte, doch sie wollte so gern mehr über diesen Mann erfahren und ihr beschwipster Kopf ließ sie reden, ehe sie es verhindern konnte.
»Er fand eher mich als ich ihn. Ich stehe in den Diensten der Familie Draganesti, seit ich sechzehn war. Und nachdem mein Herr jünger ist als ich, bin ich da irgendwie hineingewachsen.«
Willow sah zu ihm auf. »Und wie alt sind Sie? Wenn ich fragen darf?«
»Alt genug«, entgegnete Sebastian nur und ein zartes Lächeln umspielte seine Lippen.
Mit einem leichten Schmollmund akzeptierte die junge Frau die Antwort - vorerst! Doch der Butler würde es schon noch verraten, das hatte sich Willow vorgenommen.
Sie gingen langsam über den Weg zurück, während sie sein Gesicht musterte. Warum wollte er ihr sein Alter nicht verraten? Er konnte unmöglich viel älter als dreißig sein. Was immer noch erheblich mehr war als sie selbst, aber was spielte das schon für eine Rolle.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, schmunzelte der Mann und Willow wandte das Gesicht ab. Sie spürte, dass sie rot wurde. Es war so klar, dass er bemerkt hatte, wie sie ihn anstarrte. Mann, sie war so blöd!
»N-nein. Ich hab nur ... versucht, Ihr Alter zu schätzen.«
»Da kommen Sie nie drauf«, grinste er geheimnisvoll und sie erreichten den beleuchteten Teil der Auffahrt.
»Wollen wir einen Happen essen gehen? Ich fürchte«, Sebastian sah sich um, »dass mein Herr noch immer verschollen ist.«
Willow grinste leicht. Sie konnte sich denken, was - oder wer - den Grafen aufhielt. Sie hoffte nur, ihr bester Freund würde sich benehmen und nicht irgendetwas tun, was ihm hinterher peinlich sein könnte.
»Sehr gern. Aber ... aber seien Sie nicht überrascht ...«
»Wovon?«
»Ich ... also, ich kann schon ziemlich viel essen, wenn ich Hunger habe.«
»Das ist gut. Das ist ein Kompliment für den Koch. Zumindest empfinde ich das immer so, wenn meine Gerichte guten Anklang finden.« Der Butler lächelte.
»Oh je, das können Sie also auch noch?«
»Aber ja. Das gehört zu meinen Pflichten, mein Herr beschäftigt keine weiteren Haushaltsangestellten. Es ist aber auch zu einem Teil einfach ein Hobby von mir. Ich erschaffe gern und da eben am liebsten Dinge, die gut aussehen und gut schmecken. Ob es Gerichte oder Backwerk ist.«
»Sexy«, murmelte Willow, machte große Augen und kicherte. »Also ... ein ... ein Mann, der kochen kann. Wir sollten wirklich etwas essen, bevor mein Mundwerk mich noch in Schwierigkeiten bringt.«
Sebastian lachte und geleitete die Rothaarige an einen der kleinen Tische, wo diese sich mit einem Seufzen niederließ und ihr Kleid im Schoß zusammen raffte, damit niemand versehentlich auf den Stoff treten konnte.
»Ist es Ihnen recht, wenn ich Ihnen einen Teller zusammenstelle?«
Willow spürte, wie ihr erneut die Wärme in die Wangen stieg. Sie war es nicht gewohnt, von einem Mann hofiert zu werden. Doch sie nickte.
»Vegetarisch?«
»Nein, Fleisch, bitte. Von allem etwas.«
Sebastian hängte sein Jackett über den Stuhl ihr gegenüber und verschwand zwischen den anderen Gästen, während die junge Frau ihm nachsah. Himmel, so mit seiner schwarzen Hose, dem weißen Hemd und der Weste sah er sogar noch besser als vorher. Zwar noch immer wie ein Butler, aber einer von der echt heißen Sorte. Wenn sie mit solch einem Mann zusammenarbeiten müsste, würde sie sich keine fünf Minuten auf ihre Aufgaben konzentrieren können. Sie kicherte leise vor sich hin. Was war nur los, sie fühlte sich wie vierzehn, auf einem Date mit einem Schulschwarm. Oder besser, einem von den älteren Jungs.
Die Stirn krausziehend, schüttelte sie leicht den Kopf. Warum dachte sie nur solche Sachen? Sie hatten keine Verabredung! Der Butler hielt sich nur mit ihr auf, weil sein Herr irgendwo auf dem Gelände sein eigenes Ding machte. Vermutlich war Sebastian einfach nur höflich, weil er gemerkt hatte, dass Willow von ihren beiden Begleitern auch stehengelassen worden war.
Als sie den Kopf wieder hob, konnte sie den hochgewachsenen Diener gerade durch die Gäste zurückkehren sehen. Auf seinen Armen balancierte er ohne jede Mühe gleich drei Teller und stellte diese elegant vor ihr ab.
»Die Auswahl war groß, doch ich denke, das wird uns beide schon satt machen, meinen Sie nicht?« Er reichte ihr einen sauberen Extrateller und Besteck, das aus seiner Hosentasche ragte.
Willow lachte perplex. »Oh ja, vielen Dank.«
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Zur gleichen Zeit zog Graf Viktor am anderen Ende des Anwesens zischend die Luft ein, als Lucas Hand mit voller Wucht auf seiner Wange landete.
»Was zum Teufel …?«, schnaubte der Unsterbliche und funkelte sein Gegenüber an.
Doch anstatt einer Antwort, holte Luca erneut aus, diesmal jedoch fing der Adlige den Schlag ab.
Viktor umfasste das Handgelenk des Jungen und knurrte leise. »Was soll das? Ich verstehe zwar deinen Unmut, aber glaubst du, du hast deswegen das Recht, mich zu verprügeln?«
Der Jugendliche lachte spöttisch auf. »Verprügeln? Das, mein Lieber, würde anders aussehen. Ich sagte dir doch, du sollst mich in Ruhe lassen. Wer gibt dir das Recht, dich darüber hinwegzusetzen und mich trotzdem anzufassen? Hm?«
Er riss sich aus dem Griff des Anderen los und schwankte ein, zwei Schritte rückwärts, bis er gegen die Mauer in seinem Rücken stieß. Viktor hingegen war stehengeblieben und musterte Luca einen Augenblick schweigend, bevor er leicht den Kopf schüttelte.
»Angefasst … Du tust gerade so, als hätte ich dich unsittlich berührt oder zu irgendetwas genötigt. Aber gut, wenn du glaubst, dass es dir besser geht, wenn du dich so verhältst, dann habe ich hier wohl nichts mehr zu suchen.«
Mit einem Ruck drehte der Adlige sich um und ging langsam in Richtung des Teehauses davon. So etwas musste er sich nicht geben. Lucas Unmut auf ihn war irgendwo verständlich, aber darum musste er nicht handgreiflich werden. Viktor brummte unwillig. Er war sauer, auf Luca und vor allem auf sich selbst und sein Blut kochte. Er musste sich erst einmal wieder beruhigen, bevor er auch nur annähernd darüber nachdenken konnte, wieder zu Sebastian zurückzukehren.
Selten hatte ihn jemand so aus dem Konzept gebracht wie dieser blonde Bengel – in jeder Hinsicht. Das musste aufhören. Dieser Abend sollte ihm, Viktor, eine Lehre gewesen sein. In Zukunft würde er sich von Luca fernhalten, falls sie sich noch einmal irgendwo zufällig treffen würden. Ja, das würde wohl für alle das Beste sein.
Viktor überquerte gerade die schmale Holzbrücke, die zu dem Pavillon führte, als er Lucas Stimme hinter sich hörte.
»Na, toll«, knurrte der Unsterbliche und verdrehte innerlich die Augen.
Der Jugendliche hatte dem Adligen fassungslos hinterhergeschaut, als dieser sich herumgedreht und einfach davonstolziert war. Ließ der ihn tatsächlich einfach hier stehen! Sein Plus raste vor Aufregung. Was hatte er denn schlimmes getan? Sein benebeltes Hirn wollte nicht so richtig mitspielen. Regte der Andere sich wirklich so auf wegen einer Ohrfeige? Luca schnaubte. Das war doch Viktors eigene Schuld gewesen. Und deswegen rannte er jetzt weg? Der Blonde stieß sich von der Mauer ab, immer noch schwankend, und folgte dem Adligen. Als dieser das Teehaus auf der Teichinsel fast erreicht hatte, hatte ihn der Jugendliche eingeholt.
»Viktor, warte. Verdammt noch mal, bleib stehen«, schnaufte er und stolperte die Brücke entlang, sich am Geländer festhaltend, damit er am Ende nicht noch im Wasser landen würde. Dadurch, dass er die letzten Meter gelaufen war, war ihm jetzt richtig schwindelig.
Der Adlige hatte das leises Rufen des Anderen ignoriert und stand nun unter dem kleinen Pavillon, mit dem Rücken zu dem Jugendlichen, sich eine Zigarette anzündend. Als Luca hinter ihm zum Stehen kam, drehte Viktor sich langsam um und schaute ihn an.
»Was willst du noch?« Die Stimme des Unsterblichen klang kalt und sein Gesicht zeigte nicht die kleinste Regung.
»Es … es tut mir leid«, stammelte Luca und hielt sich an der Wand des Gebäudes fest, dessen Boden unter seinen Füßen zu schwanken schien. Der junge Mann fühlte sich wie auf einem Schiff bei stürmischer See. Trotzdem riss er sich zusammen und setzte seine Entschuldigungsrede fort: »Wirklich, glaub mir bitte. Ich wollte das nicht. Das mit der Ohrfeige. Ich … Oh Gott, ist mir schlecht. Ich glaub, ich muss kotzen.«
Der Jugendliche konnte förmlich spüren, wie sich sein Magen umdrehte und schaffte es gerade noch, sich über das Geländer zu beugen, welches das Teehaus von dem Gewässer trennte, bevor er sich geräuschvoll in den Teich erbrach.
Für einen kurzen Moment schloss Viktor die Augen und trat dann seufzend seine Zigarette aus. Er ging, in seiner Hosentasche kramend, die zwei Schritte hinüber zu dem Jungen, der immer noch würgend über der Umzäunung hing und die Fische mit seinem Mageninhalt fütterte.
Neben Luca blieb der Adlige stehen und strich ihm über den Rücken. Langsam richtete sich der Blonde wieder auf und drehte sich zu dem Unsterblichen um, der ihm ein Stofftaschentuch hinhielt, welches der Jugendliche mit einem schiefen Grinsen annahm.
»Geht es dir jetzt besser?«
Sich zuerst die Tränen aus den Augen und schließlich den Mund abwischend, nickte Luca. »Ein wenig, ja.«
»Gut, dann komm mit da rüber und setz dich einen Moment. Soll ich dir etwas Wasser holen?«
»Nein, danke«, lehnte der Blonde ab.
Er folgte Viktor in das Innere des Teehauses und ließ sich von ihm widerspruchslos auf eine der beiden Bänke setzen. Schweigend nahm der Adlige neben Luca Platz und musterte ihn. Dieser ließ sich einfach zur Seite sinken und lehnte sich leise stöhnend an die Schulter des Unsterblichen.
»Fuck, was für eine Scheiße. Danke, dass du meine Kotzarie ertragen hast.«
»Na ja, du hast mir keine Wahl gelassen. So schnell konnte ich nicht verschwinden.« Viktor lachte leise. Er sah herunter auf das blonde Häufchen Elend an seiner Seite, streichelte ihm sanft über die Wange und sein letzter Rest Wut war mit einem Mal verpufft.