Chris
Zwei Stunden später saß ich auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer und aß Popcorn mit meiner Mutter und meiner Schwester.
In nur wenigen Minuten würde der District-Bericht anfangen und alle waren schon ganz aufgeregt, nur ich nicht.
Ich knabberte nervös an meinen Fingernägeln. Wie würden meine Mutter wohl reagieren, wenn sie erfuhr, dass ich mich nicht angemeldet hatte? Sie war so erfreut als sie von dem Brief erfahren hatte und hatte mich zu einer sofortigen Anmeldung ermutigt. Nun würde sie so enttäuscht sein.
Ich sah zu ihr hinüber. Sie war gut gelaunt und lacht gerade über einen Witz, den meine Schwester gemacht hatte.
Ich konnte sie nicht einfach so enttäuschen. Sie wollte immer nur das Beste für meine Schwester und mich und wenn sie jetzt erduhr, dass ich mich wegen ihr nicht angemeldet hatte, würde sie sich große Vorwürfe machen.
Plötzlich klingelte es an der Tür.
"Ich gehe," schrie meine Schwester und rannte zur Tür. Kurz darauf hörte ich wie die Tür auf ging und meine Schwester mit jemandem sprach.
"Chris, Hope ist da." sagte sie, während sie um die Ecke schaute.
"Okay, ich komme," antwortete ich ihr, während ich langsam aufstand. Was könnte Hope hier wollen?
Einerseits freute ich mich, da ich sie seit mehr als einer Woche nicht mehr gesehen hatte, doch andererseits war ich auch nervös. Wollte sie mir für meine Annahme gratulieren?
Mit langsamen Schritten ging ich zur Tür und versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
"Hi" begrüßte ich sie.
"Hallo Chris," antwortete sie und nahm mich in eine feste Umarmung. Ich erwiedeete sie und genoss ihren Duft nach frischen Blumen.
Nach ein paar Sekunden löste ich mich wieder von ihr und sah ihr ins Gesicht.
Hope war ein ganzes Stück kleiner als ich und ziemlich zierlich. Mit ihrem blonden Bob, den Rosa lackierten Fingernägeln und ihren leicht geröteten Wangen, sah sie wie eine zarte Blume aus, die jeden Moment vom Wind weggetragen werden könnte.
Heute trug sie ein leichtes weißes Kleid, welches eigentlich viel zu dünn für diese Jahreszeit war.
Es passte sich wunderbar an ihren Körper an und verpasste ihr eine Feen gleiche Gestalt.
"Warum bist du hier?", fragte ich sie betont gelassen.
"Ach Chris. Ich bin hier, damit wir uns zusammen den District-Bericht anschauen können. Ich bin schon so gespannt ,"sagte sie, während sie aufgeregt hin und her sprang. Ich musste lachen. Ihre aufgedrehte Art konnte meine Stimmung immer wieder aufheitern.
Schmunzelnd sah ich sie an.
"Okay, Okay. Lass uns ins Wohnzimmer gehen."
Gut gelaunt gingen wir zusammen ins Wohnzimmer, wo Hope meine Mutter mit einer Umarmung begrüßte. Wir waren schon seit dem Kindergarten beste Freundinnen und Hope kannte meine Eltern so gut wie ihre eigenen.
Wir setzten uns auf unser altes Ledersofa und warteten darauf, dass es los ging. Schon nach wenigen Sekunden
hörten wir die Eröffnungsmelodie des Berichtes.
„Guten Morgen, meine Damen und Herren," begrüßte uns ein Mann im mittleren Alter.
Er hatte einen gepflegten Bart, in welchem man schon die ersten grauen Strähnen sehen konnte.
„Mein Name ist Theodor Galius, ich bin der Berater unseres geliebten Leiters der FH-Group. Wie sie bestimmt schon alle wissen, werden im heutigen Bericht die Namen all jener bekannt gegeben, die dieses Jahr auserwählt wurden und eine Chance bekommen, OBEN zu leben.
Die Einzelheiten werden ihnen nun vom Leiter der FH-Group, Mr. Hunter bekannt geben.
Bitte begrüßen Sie Ihn mit einem tosenden Applaus."
Wir begannen zu klatschen und Hope jubelte dem gutaussehenden, jungen Mann zu.
Obwohl es keiner hören würde, war es eine Sache des Anstandes, den Leiter der FH-Group herzlich zu begrüßen.
Ich sah wieder in Richtung Fernseher. Nicht viele Familien UNTEN konnten sich so etwas leisten. Deshalb war Hope auch heute zu mir gekommen. Und selbst wenn sie sich einen leisten könnten, hätten sie nicht genug Geld gehabt um die hohen Stromkosten zu bezahlen.
Mittlerweile war der Moderator weggetreten und Mr. Hunter war im Bild erschienen.
„Oh mein Gott," quiekte Hope.
„Sieht er nicht einfach umwerfend aus."
Aufgeregt zappelte sie hin und her. „Perfekte Haut, volle Lippen, lange Wimpern, grüne Augen und schokobraune Haare.
Er ist einfach perfekt."
Ich verdrehte die Augen, Hope hatte schon immer etwas für Mr. Hunter übrig gehabt.
Er war zum Leiter der FH-Group ernannt worden, als sein Vater vor zwei Jahren gestorben war.
Mit nur 23 Jahren war dies eine sehr große Last. Viele Menschenleben waren von seinen Entscheidungen abhängig.
Ich betrachtete seine Erscheinung genauer.
Er schien relativ groß zu sein. Bestimmt über 1,85 m und mit seiner gebräunten Haut und dem trainierten Körper, sah er echt nicht schlecht aus. Nur leider war er nicht mein Typ.
„Guten Morgen," begrüßte er.
„Wie mein netter Berater eben schon erwähnt hat, werden heute die Namen, der Auserwählten bekannt gegeben. Natürlich nur jene, welche sich im Nachhinein auch angemeldet haben." Er lächelte leicht.
„Sie sind bestimmt schon ganz gespannt, deshalb werde ich sie jetzt nicht länger auf die Folter spannen, doch noch eines bevor es losgeht."
Mit ernstem Blick sah er in die Kamera und ich bekam eine Gänsehaut.
So war er ganz schön angsteinflößend.
„Sie alle, haben eine einmalige Chance bekommen, Ihr Leben komplett zu verändern. Auch wenn Sie bereits OBEN leben, ist dies eine Chance für sie Ihren Platz zu sichern und durch das Preisgeld Ihre Familien zu unterstützen.
Ihre Verwandten haben große Erwartungen in Sie, dennoch möchte ich, dass Sie zu jedem Zeitpunkt auf Ihren eigenen Willen hören und diesen an erste Stelle rücken."
Ich musste schlucken, mein Wille war es nach OBEN zu gehen und ein besseres Leben zu leben, doch das konnte ich meiner Familie nicht antun.
Sie würden nicht ohne mich klar kommen.
Mr. Hunter sprach weiter.
„Nun werde ich die Namen jener nennen, die sich nach ihrer Erwählung angemeldet haben.
Pia Ross, Oliver Stein, Neo Murphy, Ed Ellois, Patric Stevens, Kirian Kabayashi, Hope Williams, Christina Jones,..."
Ich erstarrte. Wie konnte das sein? Ich hatte mich nicht angemeldet. Wie konnte mein Name auf der Liste stehen?
Langsam drehte ich mich zu den anderen um.
Anders als erwartet sahen sie nicht traurig oder fröhlich aus, nein, sie sahen mich nur mit ernster Miene an.
„Wir haben dich angemeldet," sagte meine Mutter mit einem kleinen Lächeln.
Ich sah ihr ins Gesicht.
„Ich wusste, dass du unser Wohl über deinen Herzenswunsch stellen würdest, ich konnte es nicht dabei belassen."
Ich war zu tiefst schockiert.
„Chris," seufzte Hope und riss mich aus meiner Starre.
"Herzlichen Glückwunsch", stammelte ich nur.
Sie musste meinen ungläubigen Blick bemerkt haben und lächelte freundlich.
„Danke, Chris. Dir auch." Sie klang ehrlich erfreut über meine Annahme.
"Weißt du, für mich war es auch keine leichte Entscheidung meine Eltern zurückzulassen. Aber sieh es mal positiv. Du wolltest schon immer nach OBEN und falls du es wirklich schaffen solltest, dann kannst du deine Familie später bestimmt mit nach OBEN nehmen."
Sie blickte mir ernst in die Augen und ich wusste, dass sie sich absolut sicher war.
„Na gut," sagte ich.
„Ich werde gehen."
"Aber du musst mich jeden Tag anrufen. Verstanden?", sagte ich an meine Mutter und meine Schwester gewandt.
„Versprochen," erwiderten sie gleichzeitig.
Ich konnte sehen, dass sie traurig waren, sich jedoch trotzdem für mich freuten.
„Los, lasst uns weiter schauen, es gibt bestimmt noch irgendwelche Regeln."
Meine Schwester wandte sich wieder dem Fernseher zu und wir taten es ihr gleich.
Clayton Hunter hatte gerade seine Glückwünsche an alle Erwählten beendet.
„So, meine Damen und Herren, nun werde ich noch ein paar Einzelheiten der Abläufe der nächsten Stunden und Tage klären."
Ich setzte mich aufrechter hin.
„Wie sie alle hoffentlich schon wissen, stand auf ihrer Karte, welche sie erhalten haben, eine Zahl.
Diese Zahl spielt eine große Rolle. Sie werden in den nächsten Tagen in 5 Teams eingeteilt.
Die Zahl auf ihrer Karte ordnet sie in ihr jeweiliges Team ein. Bitte vergessen Sie diese nicht. In den nächsten Wochen werden Sie intensives Training in verschiedenen Kategorien erhalten. Alles Weitere werden wir später klären."
Hope und ich sahen uns gleichzeitig an. Was für Training sollten wir erhalten? Verwirrt hörte ich weiter zu.
„In den nächsten Stunden wird jeder von ihnen von einem unserer Firmenwagen abgeholt.
Bitte packen Sie bis dahin ihre Sachen. Praktische Klamotten sind erwünscht. Jedes Gepäckstück, welches größer als ein mittelgroßer Koffer ist, muss leider daheim gelassen werden.
Ich bitte um ihr Verständnis.
Nun, sollte alles geregelt sein. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an ihren Chauffeur."
Clayton trat zurück und der Moderator ergriff wieder das Wort, doch ich passte gar nicht mehr auf.
In rasender Geschwindigkeit rannte ich die Treppe zu meinem Zimmer hinauf, während Hope nach Hause sprintete.
„Wie soll ich denn bitte in einer Stunde mein ganzes Zeug einpacken?"
Ich öffnete meinen Kleiderschrank und überlegte, was ich mitnehmen sollte.
In meinem Schrank waren leider nicht sehr viele Sachen, also gab es auch keine große Auswahl.
Ich nahm mir meinen Koffer und packte meine zwei Lieblingsjeans, eine graue Stoffhose, zwei Pullover und mein Mickey Mouse Shirt ein.
Ich wusste nicht genau wer oder was Mickey Mouse war, aber anscheinend gab es früher eine Art Cartoon darüber und dieser war sehr beliebt gewesen.
Eine dreiviertel Stunde später stand ich unten an unserer Treppe, der Koffer mit meinen Sachen links neben mir.
Ich war nervös und lief auf der Stelle hin und her.
Nach kurzer Zeit klingelte es an der Tür und eine Mutter öffnete sie. Ein großer, breit gebauter Mann blickte uns entgegen.
Er trug einen schwarzen Anzug und hielt eine Liste in der Hand.
„Frau Cristina Jones?", frage er mit einem kritischen Blick auf das Blatt in seinen Händen und sah sich im Eingangsbereich um.
„Hier," sagte ich schüchtern, nahm meinen Koffer und ging zur Tür.
„Bitte folgen Sie mir."
Er nahm mir meinen Koffer ab und ging in Richtung Auto.
Draußen stand ein großer schwarzer SUV.
Ich folgte ihm und er hielt mir die Tür zum Wagen auf.
Ich zögerte. Was würde mich erwarten, wenn ich jetzt in dieses Auto stieg?
Wer würde ich sein, wenn das alles hier vorbei war?
Ich seufzte und stieg letztendlich ins Auto.
Drinnen saßen bereits Hope und ein Asiate. Ich setzte mich auf den Platz ihnen gegenüber.
„Hey, noch jemand neues, ich bin Kirian."
Kirian lächelte mich an und ich wusste sofort, dass wir gut miteinander klar kommen würden. Er hatte eine sehr nette Aura um sich und verströmte eine positive Stimmung.
„Hey Chris, welche Nummer stand auf deiner Karte?", fragte mich Hope.
„Vier, warum fragst du?" Kirian und Hope schauten sich wissend an.
„Ähm, Leute?", fragte ich und schaute die beiden verwirrt an.
„Wir beide hatten auch eine vier auf unserer Karte stehen. Also sind wir wahrscheinlich alle in Team 4."
Kirian sah mich an. Ich lächelte.
„Ich bin echt froh, dass ihr so nett seit."
Eine halbe Stunde zuvor hatte ich noch Zweifel gehabt. Ich hatte Angst, dass mein Team mich nicht mögen würde und dass ich am Ende allein dastehen würde. Irgendwann während ich noch in meinen Gedanken versunken war, schlief ich jedoch ein.