Am Stammtisch
Ich gehe sonst niemals an einem Sonntagvormittag ins Gasthaus, doch heute treffe ich mich mit einer alten Schulfreundin.
Ich gehe schon etwas früher hin und suche mir einen stillen Platz, um ungestört quatschen zu können.
Langweilig wurde mir beim Warten allerdings nicht, denn am Stammtisch war die Hölle los, Bauern und Rentner diskutierten eifrig.
Ein großer korpulenter Kerl, mit widerspenstigem braunem Haar - sie stehen und liegen wie ein Wald nach einem Sturm - und er hat einen Schnurrbart, der sich wie beim alten Kaiser um die eigene Achse dreht, dieser Mann regt sich gerade fürchterlich auf.
„Das Wetter ist eine Katastrophe, die Obstbäume in voller Blüte und dann der Frost, wie sollen wir da einen guten Most bekommen?“
Der hagere Herr, der ihm gegenüber sitzt, mit einer Frisur wie früher die Mönche gerne abgebildet wurden und einer tiefen Stimme meint dazu „und die Versicherungen drücken sich immer, wenn es um Schäden geht, doch bei der Zahlung der Prämie kennen sie keinen Pardon“.
Ein kleiner Mann, mit roten Pausbacken, buschigen Augenbrauen, abstehende Ohren und mit Händen, mit denen man ohne Schläger locker Tennis spielen konnte, der neben dem korpulenten Herrn mit dem widerspenstigen braunen Haar sitzt, springt auf und ruft „1200 Euro habe ich letztes Jahr für meine Ernteschäden erhalten, das war ein Witz, wenn es mich heuer wieder erwischt, muss ich den Hof verkaufen, so schaut es aus“.
„Das ist traurig, wenn man sich bei jedem Bier überlegen muss, ob man es sich noch leisten kann“ findet ein grauhaariger Herr mit Brille, wulstigen Lippen und einer Hakennase, er hebt sein Glas und ruft „Prost“.
Alle heben die Gläser, da fällt mir eine Hand auf, zart, lange rote Fingernägel, Ringe auf jedem Finger, sogar auf dem Daumen - natürlich eine Dame - die nun ihre Stimme erhebt „Liebe Leute, wir müssen etwas unternehmen, damit die Bauern nicht aussterben.“ Doch bei diesen Worten springt ein junger fescher Kerl, mit dunklem, vollem Haar, einem gutgebauten Körper, das Gesicht kann ich leider nicht sehen, da er mit dem Rücken zu mir sitzt, auf und sagt ganz ruhig „Ja du hast gut reden, auf deinem Hof arbeiten nur die Angestellten, du machst auf feine Dame“ und alle lachen.
Der kleine Mann mit den Pausbacken mischt sich ein, schaut die Dame feindselig an und schreit „wenn ich verkaufen muss, wer wird meinen Hof kaufen wollen, doch nur DU, du wartest doch schon darauf“.
Der junge Kerl, mit dem gutgebauten Körper schreit dazwischen „ja, wie du es schon mit so einigen Höfen gemacht hast, aber nun ist Schluss, das sage ich dir, keinen einzigen bekommst du mehr“. Doch die Frau, klein, zart, mit langem brünetten Haar, das sie zu einem Knoten aufgesteckt hat, erhebt sich langsam und meint dazu „reg dich nicht auf Nachbar, die nächste Runde geht auf mich“, Herr Wirt - sie wedelt mit der Hand, die Ringe glänzen im Neonlicht und die Nägel leuchten blutrot.
Endlich ist meine alte Schulfreundin da und ich lasse den Stammtisch, Stammtisch sein.