Kalt und leer
Angestrengt setzt er sich mit dem Kalenderblatt auseinander,
Mo, Di, Mi, Do, Fr, Sa, So liest er, doch welcher Tag ist heute der Richtige, war gestern Montag oder ist heute Montag? Er weiß es nicht.
Vor ihm liegt ein Stapel Zeitungen, er nimmt die oberste zur Hand und liest Samstag, 4.November. Hat er heute schon die Zeitung geholt, er ist sich nicht sicher und legt sie wieder auf den Stoß zurück. Suchend sieht er sich in der Wohnung um, wo ist seine Frau? Ist sie beim Einkauf? Und wo sind die Kinder, sie müssten doch von der Schule nach Hause kommen. Er ist verunsichert, es ist so leer. Diese Leere macht ihn verrückt.
Langsam erhebt er sich und geht zum Fenster. Draußen spielen Kinder, sie laufen um die Wette, sie lachen und sie sind fröhlich. Wieso ist er allein? Er spürt die Beklemmung, sie legt sich um seine Brust. Er greift sich auf den Hals, er bekommt keine Luft und in Panik reißt er das Fenster auf. Jetzt kann er die lärmenden Kinder hören und die Panik löst sich langsam. Er atmet tief ein, die frische Luft tut ihm gut, doch wieso ist er allein? Er begreift es nicht und schließt wieder das Fenster. Es ist totenstill im Raum.
Er setzt sich wieder hin und dreht den Fernseher auf, irgendetwas war da noch, er denkt angestrengt nach, es fällt ihm nicht ein, er ist verzweifelt.
Wenn diese Leere nicht wäre, es ist, als ob man eine Türe öffnet und plötzlich in der finsteren Nacht steht, ja so kommt er sich vor und er strengt sich an, in der schwarzen Nacht irgendetwas - und wenn es nur eine Kleinigkeit wäre, zu sehen. Doch es bleibt finster, leer und still. Seine Hände beginnen zu zittern und in seinen Augen tanzen wilde Blitze - und diese Leere, diese Stille. Er stützt seinen Kopf mit den Händen ab und grübelt - was spielt sich in der finsteren Nacht ab, er weiß es nicht, er kann das Rätsel nicht lösen.
Lange sitzt er so, dann öffnet sich die Türe und die Schwester des Roten Kreuzes betritt mit einem strahlenden Lächeln den Raum. Er ist irritiert, er sagt leise „wo ist meine Frau? Ich warte schon so lange.“
Später, viel später, konnte er in die Finsternis etwas Licht bringen, seine Frau war tot, doch im nächsten Augenblick breitete sich die Dunkelheit wieder wie ein Tuch über sein Leben. Er setzt sich langsam auf das Sofa, er ist verzweifelt, dieses Gefühl der Leere kriecht in jeden Knochen, er friert, er schließt die Augen, er wollte schreien, doch kein Laut kommt aus seiner Kehle, es ist still.
Die nahe Turmuhr schlägt zehn.
Es weiß nicht wie lange er regungslos auf seinem Sofa gesessen hatte, es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, wie lange er auf den Schrank im Vorraum gestarrt hatte, er hatte nicht einmal mit den Wippern gezuckt, die ganze Zeit nicht, doch die Leere, die hat er gespürt, die ganze Zeit.
Hastig springt er auf, so als wollte er der Leere entfliehen und eilt auf den Schrank im Vorraum zu, stellt sich auf die Zehenspitzen und nimmt vom obersten Fach den schwarzen Koffer herunter. Vorsichtig legt er ihn auf das Sofa und betrachtet ihn. Zärtlich streichelt er über das schwarze Leder. Da war sie wieder, diese Kälte, diese Leere, Tränen laufen ihm über die Wangen. Bedächtig öffnet er den Koffer, nimmt die Waffe in die Hände, die beängstigende Leere füllt sich mit Erinnerungen, seine Züge entspannen sich, glücklich und mit einem Lächeln auf den Lippen setzt er sich die Waffe an die Schläfe, denn ER wollte nicht mehr in dieser Finsternis weiterleben.