2. Kapitel
Ängste
Erschöpft und innerlich völlig fertig, kehrte Lea schliesslich, nach vielen Stunden, nach Hause zurück. Die Nacht war bereits hereingebrochen. Ihr Wagen fuhr zum Glück noch, aber er war total demoliert. Sie würde bald einen neuen brauchen. Wie bei einem Unfall solcher Grössenordnung üblich, kam die Polizei und verhörte jeden einzelnen, der darin verwickelt gewesen war. Sie als Verursacherin, würde wohl noch ein Nachspiel erleben. Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Sie hatte noch immer keinen Job und Nathaniels Lohn war nicht so gross, dass sie viel auf die Seite brachten. Sie schmiss voller Zorn und Verzweiflung ihren Autoschlüssel, den sie vermutlich heute das letzte Mal benutzt hatte, in eine Ecke und liess sich auf das Sofa fallen. Tränen schossen ihr in die Augen und sie begann hemmungslos zu weinen. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Wie hatte sie sich nur so ablenken lassen können? Tiefste Verzweiflung und unbändiger Selbsthass, machte sich in ihre breit. Wie nur würden sie das alles bewältigen können? Zu allem Elend spürte sie nun auch noch ziemlich starke Schmerzen im Nackenbereich. Vermutlich ein Schleudertrauma. Die Polizei hatte ihr geraten, baldmöglichst einen Arzt aufzusuchen, weil Schleudertraumen bei solchen Unfällen oft vorkamen.
„Lea!“ hörte sie die vertraute Stimme von Nathaniel und sogleich ging es ihr ein wenig besser. „Ich bin eingeschlafen, tut mir Leid! Wie geht es dir?“ Er setze sich neben sie und sie warf sich heulend in seine Arme. „Das alles ist so schrecklich! Ich war die Verursacherin dieses Unfalles und es kann sein, dann sie ein Verfahren gegen mich einleiten. Vor allem, wenn irgendjemand gesundheitliche Nachfolgeschäden davon trägt. Zwar sah es so aus, als wäre alles noch glimpflich abgelaufen, aber ein hohes Bussgeld erwartet uns sicher und ich weiss wirklich nicht, wie wir das bezahlen sollen. Ausserdem ist das Auto Schrott. Ich weiss nicht, was wir ohne es machen sollen. Du musst doch damit zur Arbeit fahren! Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen!? Ich war irgendwie abgelenkt, denn seit ich auf dem Friedhof war… war ich völlig durch den Wind. Ich war… wieder in einer Zwischenwelt Nathaniel! Dort traf ich einen weiteren Dämon. Der Geist meines Vaters, hat mich zu dem Mausoleum gelockt und dann fiel ich auf einmal in ein tiefes Loch und fand mich wieder in der Welt der Pferdefrau. Als ich nach dem Erlebnis aufwachte, da war ich total durcheinander und auch irgendwie wütend auf meinen Vater. Das hat wohl dazu beigetragen, dass der Unfall passierte. Ach Nathaniel! Ich glaube ich werde langsam verrückt! Ich weiss nicht, was da noch auf uns zukommt. Ich bin so schrecklich dumm! Es kann sein, dass ich uns wegen diesem Blödsinn noch ruiniere und einen Job habe ich auch immer noch nicht. Niemand will mich! Ist ja auch kein Wunder! Ich hasse mich selbst!“ Lea schlug sich selbst mehrmals wütend ins Gesicht, dass ihre Wangen zu glühen begannen.
Ihr Mann schaute sie entsetzt an und hielt ihre Hände fest. „Lea! Du darfst dir selbst doch nicht so wehtun! Wir schaffen das schon!“
„Wie denn nur!“ schrie die Frau hysterisch. „Wir haben kein Geld, wir können uns auch keinen Anwalt leisten und der Rechtsschutz bringt uns auch nicht weiter, weil ich ja ganz klar die Unfallverursacherin bin. Und sollten wir das alles auch schaffen, fehlt uns immer noch ein Wagen, denn die Versicherung wird uns unseren nicht bezahlen. Wenn wir Pech haben, nicht mal den Wagen der vor mir war.“
„Doch, doch, das wird sie sicher und wegen dem Hyundai, mach dir keine Sorgen, ich komme schon irgendwie zur Arbeit. Ich habe ja noch den Roller, oder sonst gibt es auch noch Bus oder Zug. So weit ist es nun auch wieder nicht.“
„Doch leider zu weit und auch sonst, ist es ohne Auto sehr schwierig. Wir können nirgendwo mehr hin und dann eben das viele Geld, das wir vermutlich noch zahlen müssen. Dann sind da auch noch diese Nackenschmerzen, welche ich auf einmal habe. Wer weiss, vielleicht habe ich ein schlimmes Schleudertrauma und wenn ich dann noch lange ins Spital muss, was machen wir dann mit David? Oh Gott! Ich drehe noch durch!“
„Nehmen wir und jetzt einfach ein Problem nach dem andren vor, “ sprach Nathanael ruhig. Aber Lea merkte, dass er auch etwas verunsichert war. Sie kannte ihn zu gut, als dass er ihr hätte etwas vormachen können.
„Du machst dir ja selbst Sorgen!“ sprach sie „Ich sehe es dir an!“
„Wir dürfen jetzt nicht in Panik verfallen!“ erwiderte ihr Mann mit eindringlicher Stimme. „Zuerst gehen wir Morgen zum Arzt. Dann sehen wir weiter. Mit David finden wir schon eine Lösung, wir haben ja auch noch meine Eltern und deine Tante wird uns sicher auch beistehen, wenn es sein muss. Aber wir versuchen natürlich es alleine zu schaffen. Vielleicht kommt alles gar nicht so schlimm, wie du es befürchtest. Wenn niemand ernsthaft durch den Unfall verletzt ist, wird uns möglicherweise nur eine Geldstrafe aufgebrummt und die bringen wir dann schon irgendwie zusammen. Ausserdem haben wir ja auch die Privathaftpflicht. Komm schon Lea, das kriegen wir hin! Du darfst jetzt nur nicht wieder verzweifeln und vor allem, darfst du dich selbst nicht so hassen! Du hast die letzte Zeit viel durchgemacht und die Sache mit diesen Zwischenwelten, zehrt halt manchmal doch etwas an dir. Du musst sich immerhin vielen deiner Schatten stellen. Aber das wird sich schlussendlich alles auszahlen. Hab Vertrauen! Denk daran: wir haben unser Leben selbst in der Hand und wir haben ja schon Schlimmeres durchgestanden!“
Lea nickte, die Worte ihres Mannes beruhigten sie doch etwas. Sie umarmte ihn und sprach: „Ich liebe dich! Du bist so ein toller Mann!“
„Und du eine tolle Frau! Komm, ich koche uns noch was Feines und wir nehmen noch ein Gläschen Wein dazu, dann wird alles wieder besser werden und Morgen, komme ich mit dir zum Arzt. Ich habe ja noch frei.“
3. Kapitel
Die Welt der Löwenfrau
Tatsächlich stellte sich heraus, das Lea doch ein schwereres Schleudertrauma hatte, als gedacht. Immerhin waren zwei Autos von hinten in sie hinein gekracht. Sie musste deswegen noch länger im Spital bleiben, denn die Ärzte wollten noch mehr Tests mit dem Computertomographen durchführen, da auf der Röntgenaufnahme der Befund noch nicht ganz klar gewesen war. Das trug natürlich überhaupt nicht zu Leas Wohlbefinden bei. Die Ärzte meinten zwar, es spreche das meiste dafür, das nichts weiter passiert sei, aber sie wollten dennoch sicher gehen.
So begab es sich, dass Lea am Abend allein und einsam in ihrem Spitalbett lag und den leisen Geräuschen, draussen auf den Gängen lauschte, die mit jeder Stunde weniger wurden. Sie war allein im Zimmer und so konnte sie sich ganz frei bewegen und tun und lassen was sie wollte. Es konnte jedoch auch ein Nachteil sein, wenn man so allein war.
Nathaniel und David waren noch so lange als möglich bei ihr geblieben, doch gerade waren sie wieder gegangen, denn ihr Sohn musste ins Bett und so breitete sich nun die Leere in Leas Zimmer aus, ebenso wie in ihrem Herzen. Die Sonne war untergegangen und nur noch ein kleines Nachtlicht erhellte die Finsternis des Zimmers. Dennoch fand Lea einfach keine Ruhe. Sie wälzte sich auf der doch ziemlich harten Matratze des Spitalbettes hin und her und zermarterte sich das Hirn darüber, was alles geschehen war und was noch auf sie zukommen würde. Das was noch auf sie zukommen würde, machte ihr am allermeisten Angst: All die Kosten, vielleicht sogar noch eine Gerichtsverhandlung und dann auch noch das mit ihrer Verletzung. Wenn nun ihre Halswirbelsäule ernsten Schaden genommen hatte?
Das alles ging ihr durch den Kopf, schwirrte darin herum, wie eine unliebsame Schar von Wespen, deren Gesumme einfach kein Ende nehmen wollte. Kaum war Lea beinahe eingeschlafen, summte eine weitere Wespe, ein weiterer angstvoller Gedanke, daher und liess sie wieder hochfahren. Es war unerträglich und sie betätigte schliesslich die Klingel, um die Schwester nun doch um ein Beruhigungsmittel zu bitten. Man hatte ihr das angeboten, doch sie hatte zuerst abgelehnt. Nachdem nun schon so viele Stunden verstrichen waren, glaubte sie doch etwas zu brauchen. Nach einiger Zeit kam eine recht junge Schwester, mit dunklen, kurzgeschnittenen Haaren und einer weissen Schürze herein und fragte freundlich, was sie für Lea tun könne. Diese schilderte ihr Problem und schaute dabei verstohlen auf das Namenstäfelchen der Schwester. Diese schien eine gelernte Krankenschwester zu sein und hiess Elisabeth Graf. „Alles klar!" sprach diese nun „also bringe ich ihnen eine halbe Beruhigungstablette, dann können sie sich etwas entspannen.“
Lea nickte erleichtert und sprach: „Vielen Dank!“
Kurz darauf reichte ihr die Schwester einen kleinen Becher mit einer halben, weissen Tablette darin. Leas Glieder wurden, kurz nachdem sie die Tabletten eingenommen hatte, ganz schwer und eine wohlige Wärme und Entspannung, machte sich in ihr breit. Ziemlich bald glitt sie hinüber in einen tiefen, anfangs völlig traumlosen Schlaf…
In der zweiten Hälfte der Nacht jedoch, begann sie plötzlich zu träumen. Sie fühlte noch immer die wohlige Wärme in sich und auf einmal befand sie sich auf einer weiten, kahlen Hochebene mit nur wenigen, verkrüppelten Büschen darauf. Erstaunt sah sie sich um. Wo war sie hier nun wieder gelandet…?