Wir verlobten uns an unserem ersten Jahrestag. Inzwischen verbrachten wir jede freie Minute miteinander, wohnten aber noch immer bei unseren jeweiligen Familien. Auch waren wir irgendwie, ohne groß darüber zu reden übereingekommen, dass wir bis zur Hochzeit mit Sex warten wollten. Natürlich wusste ich, dass er mit seiner Exfreundin geschlafen hatte. Und so wusste auch er, dass ich als Jungfrau in die Ehe gehen würde. Manches Mal war die Verlockung wirklich groß.
Schon damals war Paul ein unglaublich attraktiver Mann. Nicht umsonst hatte Ursel zuerst ein Auge auf ihn geworfen gehabt. Als er mich beim Abendessen bei Luigi frage, ob ich seine Frau werden wollte, war ich überglücklich. Und ich zögerte keine Sekunde. Wir hatten einen kleinen Alltag. Paul holte mich Mittwochs am Reitstall ab und wir gingen oft danach ins Kino. Jeden Freitag saßen wir bei Luigi und jeden Sonntag gingen wir zusammen zur Kirche. Mal bei ihm, mal bei mir. Unsere Familien hatten sich längst kennen gelernt und wir freuten uns auf die Hochzeit im kommenden Frühjahr. Davor hatte ich noch meine Abschlussprüfung und Paul besorgte mir eine Anstellung in der Firma, in der er schon während seines Studiums gejobbt hatte. Wir waren unfassbar glücklich miteinander und ich dachte, dass nichts auf der Welt uns etwas anhaben könnte.
Unser Hochzeitstag war geprägt von Glück und Liebe. Ich war eine so stolze Braut.
Mein Brautkleid hatte meine Mutter selbst genäht. Ein weißer Traum aus Spitzen. Eine kleine Schleppe, ich verzichtete auf einen Schleier und Pauls Nichten waren unsere Blumenkinder. An diesem Tag sah ich Paul erstmals weinen. Während mein Vater mich zum Altar führte, stand er unter Tränen da und wartete auf mich. Sah mir entgegen und nahm mich dann an seine Hand. Wir feierten ein großes Fest, wie auf dem Dorf nun mal üblich. Pauls Familie war groß und manchmal bedauere ich es sehr, dass sich seine Geschwister so sehr verteilt haben. Elli und Jakob hießen mich in ihrer Familie auf herzlichste willkommen. Pauls Eltern waren unglaublich liebe Menschen. Obwohl gerade Jakobs Kindheit sehr von den Nachkriegsjahren und den Entbehrungen jener Zeit geprägt gewesen war. Woher Paul seine Sanftmut hat? Er ist der Sohn seiner Mutter. Woher seine Beherrschung, insbesondere in emotional schwierigen Situationen? Er ist der Sohn seines Vaters.
Ich sehe Elli und Jakob in unseren eigenen Kindern. Von Anfang an. Manchmal denke ich, dass sie furchtbar wenig von meiner Seite geerbt haben. Paul lacht dann immer und führt Wesenszüge meiner Mutter und meines Vaters an, die wiederum er in mir und den Kindern erkennt. Fakt ist aber auch, dass seine Eltern uns sehr viel enger begleitet haben. Viel näher bei uns waren. Nicht nur, weil wir später auf einem Grundstück lebten. Mein Vater, Leopold, war ein Einsiedler. Er ging nun mal nicht gern unter Menschen, mit Kindern tat er sich schwer. Es blieb immer eine Distanz zwischen ihm und seinen Töchtern. Und Margarethe? Sie blieb eine ewige Vermittlerin. Suchte nach der Harmonie, auch zwischen unserem Vater und uns. Als Mutter war sie liebevoll, als Großmutter ebenso. Doch oft war ihnen schon der Weg zu weit. Heute glaube ich, dass beide eifersüchtig waren, auf die Nähe zwischen Elli, Jakob und mir.
In den Wochen vor der Hochzeit hatten wir unsere erste gemeinsame Wohnung eingerichtet. Doch wir beide hatten entschieden, dass wir erst in unserer Hochzeitsnacht dort erstmals zusammen sein wollten. In jener Nacht verliebte ich mich nochmal in diesen Mann. Am Morgen, als ich ihm beim Schlafen zusah, konnte ich mein Glück kaum fassen. Seine Sanftmut hatte mich völlig überwältigt und meine Gefühle für ihn waren so tief, dass ich mich ab und an den Unterarm kniff. Paul schlug irgendwann seine Augen auf und sah mich ganz ruhig an. Diese blauen Augen, voller Tiefe.
"Egal, was kommt", flüsterte er. Strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Du und ich. Ein Leben lang."
Jetzt, über 40 Jahre später, denke ich oft, dass wir unglaublich naiv waren. Beinahe noch Kinder. Ich knapp 20, er kaum älter. Voller Träume und Pläne. Unsere Zukunft war voller Ideen und Fantasien. Ein Leben lang. Wir. Ja, das war der Plan und unser Credo. Gott sei Dank.