Natürlich wollten wir Kinder haben. Paul liebte seine kleinen Nichten abgöttisch und konnte es kaum abwarten, dass wir selbst Nachwuchs bekommen würden. Wir wollten gerne drei oder vier, doch zunächst hatten andere Themen Priorität. Schon lange hatte Paul davon geträumt, sich selbständig zu machen. Sein Ehrgeiz gefiel mir. Und obwohl er dafür eine finanzielle Rücklage schaffen wollte, konnten wir uns zum ersten Hochzeitstag eine kleine Reise nach Italien leisten. Beide waren wir zum ersten Mal am Mittelmeer. Bisher kannten wir nur Holland und die Nordsee.
Mit einem Zelt im Gepäck fuhren wir die Küste entlang und genossen jede Sekunde. Als wir zurück nach Hause kamen wusste ich, dass ich schwanger war. Früher als geplant, aber Pauls Freude waren dennoch riesengroß. Meine erste Schwangerschaft verlief problemlos. Paul verschob seine Pläne mit dem eigenen Büro und am Nikolaustag kam Martin zur Welt. Ein strammer Bursche von 52 cm und 3780 gr. Was waren wir stolz! Und was hatten wir Glück.
Martin war ein so wundervolles, zufriedenes und pflegeleichtes Baby. Im Grunde nicht ganz fair, wenn das erstgeborene Kind so ein Traum ist. Nach drei Wochen hatte er einen festen Rhythmus. Wenn er weinte, ließ er sich immer schnell beruhigen. Nähe und Ruhe taten ihm gut, das hatten wir schnell durchschaut. Er war schnell der Mittelpunkt unserer Familien. Meine Mutter liebte ihr erstes Enkelkind heiß und innig. Und auch Pauls Eltern waren immer zur Stelle, wenn wir Hilfe brauchten. Mein Vater hat die Geburt unseres Stammhalters leider nicht mehr erlebt. Kurz nach unserer Hochzeit war Prostatakrebs diagnostiziert worden und er starb kurz nachdem wir wussten, dass wir Eltern werden würden. Es war komisch, einerseits um seinen Vater zu trauern und andererseits so voller Vorfeude auf das eigene Kind zu sein. Vielleicht kam ich daher damals so schnell darüber hinweg.
In meinen Sohn war ich unglaublich verliebt. Er hatte Pauls Augen und die Grübchen geerbt und daran konnte ich mich nicht satt sehen. Mir schmolz zudem das Herz, wenn Paul mit unserem Sohn auf dem Arm durch die Wohnung lief. Dieser große, sanfte Mann. Dieses kleine, niedliche Geschöpf. Ich glaube, wir haben damals Unsummen für die Fotoentwicklung ausgegeben. Martins erste Monate füllen zwei riesige Fotoalben. Sein erstes Lachen, sein erster Zahn, seine ersten Sprech- und Gehversuche. Alles akribisch notiert. Mittlerweile haben wir alles digitalisiert. Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, klicke ich mich durch die Bilder unserer ersten Ehejahre. Als wir immer noch dachten, wir wären unbesiegbar. Weil wir ja uns hatten.
Martin war ein halbes Jahr alt, als Jakob uns auf den Hof am Ende der Straße aufmerksam machte. Der Vorbesitzer war schon im vorangegangen Herbst verstorben und die Erben wollten nun verkaufen. Schon eine Weile hatten wir überlegt umzuziehen und etwas zu kaufen oder zu bauen, dass uns und Pauls Firma genug Platz bot. Wir verliebten uns auf Anhieb in das Anwesen. Obwohl sofort klar war, dass es viel zu tun gab. Das Haupthaus brauche komplett neue Leitungen und eine Dachsanierung. Die Einliegerwohnung wollten wir zum Büro umbauen. Die Werkstatt wollte Jakob nutzen, er führte immer noch seinen kleinen Schreinerbetrieb, was uns auch während der Umbauphase zugute kam. Einen alten Stall mussten wir abreißen, den anderen funktionierten wir zur Garage um. Im Vorfeld hatten wir hin und her gerechnet und viel überlegt. Schließlich stiegen Elli und Jakob in den Kaufvertrag ein, dafür zogen sie in den kleinen Kotten auf dem Grundstück. Das Wohnhaus war ab Herbst bewohnbar. Viel später folgte erst der Anbau und der Wintergarten. Für den Anfang reichte uns der Platz. Auch das Büro war ausreichend und Jakobs Firma siedelte noch vor Weihnachten um. Wir begingen den Heiligen Abend in unserer neuen Wohnstube. Mit Elli und Jakob, Margarete und Ursel. Der Star aber war Martin, der eben an jenem Abend zum ersten Mal ganz alleine auf wackeligen Beinchen seinen Großeltern entgegenlief.
An Neujahr bemerkte ich meine zweite Schwangerschaft. Wir waren beide überglücklich, hatten wir uns doch einen geringen Altersunterschied gewünscht. Von Beginn an stand diese Schwangerschaft aber unter keinem guten Stern. Mir ging es sehr miserabel und ich hatte häufige Zwischenblutungen. All das kannte ich aus den Monaten mit Martin unterm Herzen nicht. Ich war furchtbar müde und antriebslos, konnte kaum den Haushalt bewältigen. Hier sprang Elli ein und auch Martin versorgte sie in dieser Zeit. Als ich das Kind im Februar verlor, war ich untröstlich. Es gab keine medizinische Erklärung. Wir trauerten, Paul eher still. Vielleicht war es zu früh nach der ersten Geburt. Vielleicht wollte das Schicksal, dass Martin schon aus dem Gröbsten draußen war. Mein Mann konzentrierte sich auf den Ausbau der Firma. Er stellte erste Mitarbeiter ein und schrieb erstmals schwarze Zahlen.
Auf dem Hof war viel Leben. Lange hatte ich überlegt, ob wir auch Pferde anschaffen sollten. Stattdessen boten wir vier Pensionspferden ein Zuhause an. Martin tollte den ganzen Tag zwischen den Tieren umher, oft waren auch die Kinder von Pauls Bruder bei uns. Wir waren in der glücklichen Lage, dass ich nicht wieder arbeiten musste. Stattdessen konzentrierte ich mich auf den Garten und die Pferde und natürlich Martin.
Unser Sonnenschein war ein fröhlicher Draufgänger und hatte viele Spielkameraden. Wir liebten es, dass immer Leute ein und aus gingen. Dass sich Elli und Jakob wohl fühlten und auch Pauls Mitarbeiter gerne zur Arbeit kamen. Die Einsteller wurden zu Freunden und in der Küche oder dem Garten saß immer jemand, der nur schnell auf einen Kaffee vorbeischauen wollte. Wir sangen im Kirchenchor und jeden Freitag lud mich Paul zu Luigi ein. Wie früher. Seine Eltern liebten diesen Abend ebenso, weil sie ihr Enkelkind dann völlig für sich hatten.
Mittlerweile war Martin vier Jahre alt und ein sehr goldiger, wenn auch frecher Bub. Manchmal dachte ich schon damals, der Junge hat Selbstbewusstsein für zwei. Der einzige Wermutstropfen blieb, dass sich kein weiterer Nachwuchs einstellen wollte, obwohl wir fleißig übten. Ich liebte Paul wie am ersten Tag. Mindestens. Und ich war unglaublich stolz auf ihn. Trotz all dem Trubel um uns herum, nahmen wir uns sehr bewusst Zeit für uns. Nicht nur im Schlafzimmer oder an den Abenden bei Luigi. Es gab nichts, was wir uns nicht erzählten. Pauls Motto, dass man alles schaffen kann, ist unser roter Faden bis heute. Er blieb die ganze Zeit optimistisch und glaubte fest daran, dass es mit weiteren Kindern klappen würde. Früher oder später. Seine Zuversicht, sein Glaube an das Gute und dabei ohne große Worte. Anpacken, das ist Paul. Nicht hadern, nicht in Grübeleien versinken. Oft sah er mich an, mit seinen tiefen, blauen Augen und strich mir schweigend übers Gesicht, wenn ich wieder enttäuscht war. Und ich glaubte ihm.