"Herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger." Kaum noch hatte ich auf diese Worte gehofft. Und nun konnten Paul und ich es kaum fassen. Wir mussten meine Gynäkologin mit offenem Mund angestarrt haben, als sie mitteilte, dass ich bereits in der achten Woche war.
Ja, sicher, ich hatte es vermutet, aber nicht zu hoffen gewagt. Und nun war es real. In meiner Brust tobten die Gefühle. Eine diffuse Mischung aus Glück und Angst. Innerhalb von Sekunden konnte dies wechseln. Meine Ärztin versuchte, so gut es ging, mir meine Sorgen zu nehmen. Sie verordnete mir aber viel Ruhe. Liegen. Eine Risikoschwangerschaft.
Das trübte unsere Vorfreude natürlich. So lange hatten wir auf dieses Baby warten müssen und dann schwebte ein solches Damoklesschwert über uns. Zusammen mit Pauls Eltern entschieden wir, dass Elli die Aufgaben mit den Pensionspferden übernehmen und wir zudem eine Aushilfe einstellen würden. Nein, ich konnte diese Schwangerschaft nicht genießen. Was ein Gegensatz zu den Monaten als ich Martin erwartete. Schon da bekamen wir eine Ahnung davon, wie unterschiedlich unsere Söhne doch waren. Während Martin einen fast perfekten Start ins Leben hatte, trotz der langen Wehen und den Schmerzen, sollte Jans Geburt dramatisch verlaufen. Schon früh hatte ich Vorwehen. Zweimal wurde ich in die Klinik aufgenommen und wir hofften so sehr, dass es unser zweiter Sohn irgendwie bis in Woche 35 oder 36 schaffen würde.
Ich hatte furchtbare Angst. Angst davor, dass er die Geburt nicht überleben würde. Ein totes Kind zur Welt zu bringen, erschien mir noch grausamer als eine Fehlgeburt zu Beginn der Schwangerschaft. Zudem waren damals die Kliniken noch nicht auf so auf Frühchen vorbereitet wie heute. Medizinisch ist man heute so viel weiter. Wahrscheinlich waren es dann die Sorgen, die mir zum Verhängnis wurden.
Wir kamen an einem Nachmittag von einer Vorsorgeuntersuchung, bei der meine Ärztin nur nachdenklich den Kopf zur Seite gelegt hatte. Schonung. Nur noch liegen, so lautete ihre klare Anweisung. Gerade erst hatte ich die 32. Woche geschafft. Für die Überlebenschancen war das ein Meilenstein. Jeder Tag, so erklärte sie, den der Kleine noch in meinem Bauch verbringen würde, steigerte die Chance deutlich. Wie sehr ich mir wünschte, ihn zu beschützen. Ich weinte an diesem Nachmittag viel und Paul ging nicht mehr ins Büro. Er blieb bei mir, hielt mich in seinem Arm, während es draußen Bindfäden regnete. Es war ein Sommer, der uns nicht sonderlich mit Sonne verwöhnt hatte. Passend zu unserer Gefühlslage.
"Was, wenn er es nicht schafft?", fragte ich meinen Mann irgendwann. Paul küsste mich zärtlich auf die Stirn, legte seine große Hand auf meinen Bauch und sah mich lange an. Ich kannte diesen Blick. Er wollte mir Zuversicht und Kraft geben und wusste doch, dass nichts was er sagen würde, mir meine Angst nehmen konnte. Das Baby reagierte mit einem heftigen Tritt und auf Pauls Gesicht stahl sich ein Lächeln. "Siehst du, er hat dazu auch eine Meinung", flüsterte er. Nun musste auch ich leise lachen. "Wir schaffen das", erklärte mir mein Mann. Ein dumpfes Ziehen in meiner Magengegend signalisierte mir, dass mein Unterbewusstsein nicht daran glaubte. Doch tapfer nickte ich. Ich vergrub mein Gesicht an Pauls Schulter und schickte ein kleines Gebet zum Himmel.
Als ich zwei Tage später mit Wehen aufwachte war mir klar, dass es viel zu früh war. Und ich spürte, dass es dennoch so weit war, dass sich die Geburt nicht mehr aufhalten ließ. Ich weckte Paul, der die Lage sofort richtig einschätzte. Wie ruhig er dennoch blieb und zunächst die Organisation übernahm. Elli holte Martin ab und versprach, sich um die Pferde zu kümmern und wir fuhren in die Klinik. Versuchten nicht in Panik zu verfallen.
Meine Fruchtblase platzte noch im Auto und nun war es amtlich. Unser zweiter Sohn wollte auf die Welt kommen. Heute. Mir liefen die Tränen, als mein behandelnder Gynäkologe zwei Stunden später erklärte, dass es für uns beide besser wäre, wenn er den Kleinen per Kaiserschnitt holen würde. Wenigstens auf eine natürliche Geburt hatte ich gehofft. Und gebetet. Doch es sollte nicht sein.
Während ich vorbereitet wurde hielt Paul meine Hand. Ganz ruhig und mit einer beeindruckenden Stärke versicherte er mir, dass alles gut werden würde. Dabei sah es in ihm ganz anders aus. Erst später erzählte er mir, dass auch er unglaubliche Angst gehabt hatte. Er wusste ja, im Gegensatz zu mir, dass der Brutkasten nicht frei war und trotz aller Bemühungen hatte die Klinik so kurzfristig keinen zweiten organisiert bekommen.
Um mich nicht aufzuregen vor der Operation, weihte mich niemand ein. Die Ärzte hatten einen Notfallplan aktiviert und sich mit der Uniklinik in der nächsten Kreisstadt abgestimmt. Vor der Tür wartete schon ein Rettungswagen, der unser Kind sofort dorthin bringen würde. Dabei kam es auf jede Sekunde an. Im Nachhinein haben Paul und die Ärzte richtig gehandelt. Ich war so oder so furchtbar aufgeregt und mein Kreislauf war instabil. Und dennoch denke ich hier und da, vielleicht hätte ich es doch wissen wollen, dass mir mein Baby sofort genommen werden würde. Nur ein kurzer Blick. Ob das etwas geändert hätte.
Schon wenige Minuten später war Jan auf der Welt. Er schrie nicht, ich habe ihn nicht mal gehört. Es war eine gespenstische Stille im Kreißsaal und während ich wieder zugenäht wurde fürchtete ich, er hätte es nicht geschafft. Dahingehend beruhigte mich Paul, als er wieder an meiner Seite war. Und erst dann erfuhr ich, dass ein Team mit unserem kleinen Jan unterwegs in die Universitätsstadt war. Es zerriss mir das Herz. Darauf war ich nicht vorbereitet. Der Gedanke, dass mein Kind, das ja gerade noch ein Teil von mir gewesen war, mir so extrem entrissen worden war, fraß mich auf. Nicht zu wissen, wie es unserem Würmchen ging, machte mich traurig. Selten habe ich mich so hilflos gefühlt. Was, wenn er unterwegs sterben würde? Dann wäre er ganz allein. Ohne Mama und Papa. Ich weinte unaufhörlich und Paul machte sich große Sorgen. Immer wieder fragte er nach, wann wir etwas hören würden.
Ganz selten habe ich meinen Mann weinen sehen. Vor Rührung, als ich seinen Antrag annahm. Vor Glück, als wir Ja sagten und er seinen Erstgeborenen im Arm hielt. Vor Trauer Jahre später, als er kurz hintereinander seine Eltern verlor. Und eben vor Verzweiflung an diesem Tag. Immerhin hatte er unseren Jungen kurz gesehen. Ein Winzling, nicht mal 2000 Gramm brachte er auf die Waage. Und damals gab es noch keine Handys, man konnte nicht einfach schnell ein Foto machen und es verschicken.
Ich bin mir heute sicher, dass es nichts grausameres gibt. Heute würde man das vermutlich auch anders lösen. Hätte mich nach zwei Tagen zu meinem Kind verlegt. Hätten wir darauf bestehen sollen? Was hat das aus uns gemacht? Wie sehr hat das auch unser Kind schon psychisch beeinflusst? Ich sehnte mich nach ihm. Hatte gehofft, dass ich ihm beistehen konnte. Als klar geworden war, dass er früher kommen und es kritisch sein könnte, habe ich mich immer an seiner Seite gesehen. Und nun lag ich im Wochenbett und musste die einschießende Milch abpumpen und unser Baby lag 30 Kilometer entfernt im Brutkasten. Und es dauerte an diesem Nachmittag lange bis wir informiert wurden. Er war ohne Zwischenfälle angekommen und stabil, den Umständen entsprechend ginge es ihm gut. Die ersten Tage und Nächte wären entscheidend.
Und Paul war hin- und hergerissen. Er sorgte sich um mich, wollte in meiner Nähe bleiben. Und er fürchtete um das Leben seines Sohnes. Wie groß unsere Angst war, dass ein Anruf kommen könnte, dass es der Kleine nicht geschafft hatte. Wir klammerten uns regelrecht aneinander.
Nach einer schlaflosen Nacht schickte ich ihn weg. Bat ihn eindringlich, zu unserem Kind zu fahren. Direkt mit den Ärzten zu sprechen. Meine Mutter begleitete ihn schlussendlich. Am Anfang war es kritisch. Das kleine Würmchen hatte noch keine Lungenreife. Ich sah unseren Sohn erst ein paar Tage später zum ersten Mal auf einer verschwommenen Fotografie. Paul fuhr jeden Tag in die Uniklinik, oft begleitet von seinem Vater. Es waren Tage, an die ich mich nur in einem grauen Allerlei erinnere. Meine eigene Entlassung erlebte ich wie in Trance. Wir hofften und bangten. Und es war Paul, der mir immer wieder sagte, dass wir niemals die Hoffnung aufgeben durften. Was hätte ich nur ohne diesen starken Mann getan?