"Oma!"
Davids blonder Schopf erschien auf dem Bildschirm. Im Hintergrund hörte ich Jan, der den Jungen bat, sich zu setzen. Wir winkten und sahen zu, wie unser Enkel seinem Vater auf den Schoß kletterte. Während Paul und ich Happy Birthday anstimmten, strahlten Davids Augen. Sein vierter Geburtstag, nur wenige Tage nach Nikolaus und Martins Ehrentag. Der erste Teil der Konzertreise lag hinter Jan. Für ein paar Tage nur war er Zuhause.
Es war früher Nachmittag und der Kleine kam gerade aus dem Kindergarten. Schon vor ein paar Tagen hatten wir ein Päckchen auf die Reise geschickt, welches warme Anziehsachen und vor allem ein Playmobilset enthielt, das sich der Junge sehr gewünscht hatte. Jenes hielt David jetzt in die Kamera von Jans Laptop und lachte. Wir gratulierten ihm und versprachen, dass hier bei uns noch eine Überraschung auf ihn wartete. Keine 14 Tage mehr bis Heiligabend und wir freuten uns sehr auf den langen Besuch von Jan und David. Und von Isabelle. Etwas verlegen hatte Jan vor ein paar Tage gefragt, ob er sie mitbringen dürfte. Was für uns eine Selbstverständlichkeit war. Zumal wir es einzuordnen wussten, dass Jan sie überhaupt mitbringen wollte.
"Isi hat einen Kuchen gebacken." Davids Augen leuchteten bei diesen Worten. Schmunzelnd fuhr Jan ihm durch das Haar, der Kleine hüpfte auf Jans Knien.
"Einen Schokokuchen", erklärte unser Enkel weiter. "Den durfte ich zum Frühstück essen." Jans neue Freundin schien zu wissen, womit sie dem Kleinen eine Freude machen konnte. "Und Kerzen auspusten." Er sah so stolz und glücklich aus, wie gerne ich ihn jetzt einfach geknuddelt hätte.
"Was hast du denn da an der Stirn?", fragte ich.
Als Davids Kopf direkt vor der Kamera erschienen war, hatte ich ein kleines Pflaster entdeckt. Er berührte es mit einem Finger und erzählte mir aufgeregt, dass er beim Spielen gegen eine Tür gelaufen war. Offenbar war es am Abend am Theater auf der letzten Station der Tour passiert und der Sohn eines Kollegen von Jan hatte mit ihm zu wild getobt.
"Tut aber gar nicht weh", beteuerte er. "Nur das Nasenbluten war doof." Er schob sein Kinn vor und drehte dann den Kopf zu Jan und fragte etwas, was wir nicht verstehen konnten. Mit einem Satz stand er dann wieder direkt vor dem Laptop und warf mir ein Küsschen zu. Er wollte spielen gehen . Nach einer Verabschiedung, die von der Vorfreude auf Weihnachten geprägt war, griff sich David die Playmobilbox.
"Eine Überraschung?", fragte Jan, nachdem David mit dem Spielzeug aus unserem Blickwinkel verschwunden war. Paul neben mir brummte zufrieden. Schon lange hatte er mit einem neuen Hund geliebäugelt. Gestern hatten wir uns entschieden, dass wir einen der bildschönen Mischlingswelpen aus dem Wurf von Sanders zu uns nehmen würden. Mit knappen Worten erklärte Paul, während ich unseren Sohn aufmerksam musterte.
Ja, an die regelmäßigen Telefonate hatte er sich gehalten. Was mich innerlich sehr beruhigt hatte. Mal fielen sie aber wirklich nur kurz aus. Er hatte es auf anstrengende Tage geschoben. Die Therapie beschäftigte ihn sehr, so viel hatte er angedeutet. Zudem hatte Dr. Jäger ihm auch Medikamente verschrieben, die ihn müde machten. Dazu die Konzertreise. Nach den ersten Terminen würde es in den nächsten Tagen mit einem Mammutprogramm weitergehen. Dazwischen David, der nach einem Besuchswochenende bei Diana sehr anhänglich war. Davids Mutter bestand auf ihr Umgangsrecht und Jan hatte versucht, es seinem Sohn schmackhaft zu machen. Mit mäßigem Erfolg. Ich wusste zudem, dass Jan auch der anstehende Geburtstagsbesuch Dianas sowie deren Eltern schwer im Magen lag. Jule und ihr Mann, aber auch Isabelle wollten später dazukommen und ihn unterstützen.
"Du siehst erschöpft aus", merkte ich an. "Und blass", schob ich nach, als Jan abwehrend die Hände hob.
"Ich habe mir wahrscheinlich den Magen verdorben. Hatte die ganzen Tage auf Tour damit zu tun. Das wird schon wieder", versuchte er mich halbherzig zu beruhigen. Die Augenringe verrieten mir, dass er viel zu wenig Schlaf bekam.
"Wann kommen Meisters?", fragte Paul. Jan rollte die Augen und warf einen Blick über seine Schulter. Vermutlich wollte er sich vergewissern, dass der Kleine nicht zuhörte.
"Zum Kaffee. Isa schaffte es leider nicht rechtzeitig. Denkt an mich. Aber David freut sich tatsächlich, das möchte ihm ihm nicht verderben. Zumal er Diana dann eine ganze Weile nicht sehen kann." Zuerst würde der Junge ihn auf die restlichen Konzerte begleiten und noch ehe sie dann zu uns kommen würden, flogen Diana und ihr Partner bis nach Neujahr in die Staaten. Danach blieben nur etwa vier Wochen, dann musste Jan nach München. Mittlerweile war der Vertrag in trockenen Tüchern, eine passende Wohnung über das Theater gefunden worden und auch die Betreuung vor Ort war organisiert. Das Theater stellte sowohl für die Proben-, als auch für die Abendspielzeiten eine kostenpflichtige Betreuung im Haus zur Verfügung. Jan wollte ausprobieren, ob er und David damit zurecht kamen. Im Notfall hatten wir angeboten, sollte der Junge solange bei uns bleiben.
Auf acht Monate war das Engagement in München angelegt. Das Stück würde weiter nach Hamburg, Berlin und Stuttgart ziehen. Bis dato hatte Jan kein Angebot, an einen der anderen Standorte mitzukommen. Nach den Vorkommnissen am Theaterhaus in Stuttgart wollten sich die Verantwortlichen vermutlich erst überzeugen, ob und wie Jan wieder in den Spielbetrieb fand. Allerdings zog es ihn nicht zwingend in die Ferne. Er wollte für seinen Sohn einen möglichst geregelten Alltag und das am Liebsten in dessen vertrauter Umgebung.
"Wie geht es Jule?", fragte ich, um das Gespräch in eine angenehmere Richtung zu wechseln. Nun entspannten sich auch Jans Züge.
"Gut, sehr gut. Ich soll euch nochmal grüßen", antwortete er. Einen Moment wirkte er nachdenklich, doch dann räusperte er sich.
"Ich freu mich wirklich für sie. Und Tom."
Aufgeregt hatte mich Jule vor ein paar Tagen angerufen und auch mir erzählt, dass das Paar endlich ihr erstes Kind erwartete. Wir hatten lange telefoniert und sie hatte mir versichert, dass sie gerade auch unterwegs einen Blick auf das Vater-Sohn-Gespann hatte. Daher hatte ich schon gehört, dass sich Jan schwer getan hatte, obwohl er viel Unterstützung von den Kollegen erhielt. Lampenfieber vor allem und mit David war es nicht nur einfach gewesen unterwegs. Und natürlich war seinen Mitstreitern nicht verborgen geblieben, dass Jan sehr für sich blieb. Immerhin kannten sie die Künstler untereinander seit Jahren.
Wir sprachen noch ein bisschen über Belanglosigkeiten, dann sah Jan zur Uhr.
"Lass dich nicht ärgern, Junge", empfahl Paul. "Bleib höflich und achte auf den Kleinen. Es sind nur ein paar Stunden." Jan schenkte uns ein gequältes Lächeln. Er versprach, sich am nächsten Tag kurz zu melden, sobald er in Hamburg gelandet war. Dann wurde der Bildschirm schwarz.