Ich betrachtete meinen schlafenden Sohn.
Wie sehr ich ihn liebte. Liebe.
Wie viel ich Angst ich in diesen Tagen hatte.
Wie gerne ich ihm diese Last abgenommen hätte.
Wie gern ich ihm geholfen hätte.
Doch wir konnten kaum etwas tun. Da sein, ihm Mut machen, Kraft schenken und ihn spüren lassen, dass wir ihn auffangen wollten. Ihm die Sicherheit geben, dass er fallen durfte. Es waren furchtbar anstrengende Tage. Wenn ich mit ihr alleine war, ließ Isa ihre Maske fallen. Für Jan blieb sie stark, er sollte nicht sehen, wie sehr sie litt. Ich war so beeindruckt von der jungen Frau. Für Jan war sie ein Fels, gegen den er sich erschöpft lehnen durfte. Sie nahm ihn an die Hand, zog in behutsam immer wieder ins Leben. Sie kümmerte sich darum, dass er sich nicht im Bett versteckte oder sich isolierte. Sie riet ihm eindringlich, die Zeit mit David zu nutzen. Sich bewusst mit dem Kind zu beschäftigen. Es fühlte sich an, als müsste Jan wirklich vor jedem Schritt erst Luft holen. Alles kostete ihn unglaubliche Energie. Das Antibiotika schlug nur langsam an, die Entzündung im Körper schaffte ihn. Dazu die Antriebslosigkeit und Müdigkeit. Immer wieder Fieber und Schwindel.
Jans Gemütszustand schwankte. Besorgt hörten wir zu, wenn er laut darüber nachdachte, ob er wirklich in die Klinik gehen sollte. Ging es ihm ein wenig besser, war er sofort der Auffassung, dass er es auch mit einer ambulanten Therapie hinbekommen könnte. Paul und ich waren uns bald einig, dass es zu einer schnellen Lösung kommen musste, andernfalls würde Jan abspringen. Wir konnten ihn schließlich nicht zwingen. Er hatte Isabelle gesagt, dass er Angst vor der Trennung von ihr habe. Dass er glaubte, dass er es allein mit ihrer Hilfe angehen wollte. Verzweifelt hatte sie klar gestellt, dass sie dies nicht leisten konnte. Und wollte. Wir beobachteten besorgt, dass er sich wie ein Ertrinkender an sie klammerte. Und wir mussten miterleben, wie ausgerechnet David einen Panikanfall auslöste.
Der Kleine hatte am Abend zuvor ein Bild gemalt. Er hatte in der Küche gesessen, während ich das Abendessen vorbereitete. Still und konzentriert hatte er sich mit den Buntstiften beschäftigt. Isabelle hatte Jan zu einem Spaziergang überredet gehabt, die beiden kehrten gerade zurück. Ich wusste, dass Jans Freundin ihm nochmal hatte ins Gewissen reden wollen. Aus ihrer Sicht führte kein Weg an der Klinik vorbei und immerhin konnte jederzeit der erlösende Anruf kommen. Isa war schnuppernd in die Küche gekommen und probierte neugierig die Soße. Lachend unterhielten wir uns über das Rezept, draußen parkte Martin gerade vor der Werkstatt. Nele war wenige Minuten zuvor mit dem Rad aus der Praxis gekommen. Ich sah nach den Schnitzel, die ich im Ofen hatte. Mit einem Glas Wasser hatte sich Jan in Ellis Sessel gesetzt. Von dort aus sprach er David an. Ich hatte gerade Isabelle den Löffel aus der Hand genommen und ihr schmunzelnd erklärt, dass Pauls Soße am Sonntag ihr bestimmt auch schmecken würde, als ein Glas splitterte.
Erschrocken fuhren wir beide herum. Jan saß leichenblass im Sessel, die Scherben zu seinen Füßen. David starrte ihn verwirrt an.
"Jan?", fragte Isabelle und eilte auf ihn zu. Ich folgte ihr und versuchte zu verstehen, was passiert war. Jans Blick war starr und fest auf den Küchentisch gerichtet. Er zitterte.
"Was ist los?", fragte ich vorsichtig. Kritisch behielt ich ihn im Auge. Er öffnete kurz den Mund, schien aber keinen Ton herauszubekommen. Isa war zu David getreten und hielt sich eine Hand vor den Mund. Innerhalb weniger Sekunden hatte sie sich im wieder im Griff. Behutsam strich sie dem Kind über den Kopf und ging vor ihm in die Hocke.
"Was hast du denn da gemalt, Schatz?", fragte sie ihren Ziehsohn. Während ich Jan kurz aus den Augen ließ, trat ich neben Isabelle und registrierte, was David zu Papier gebracht hatte. Auch ich musste tief Luft holen. "Ach, herrje" entfuhr es mir.
David, der die Aufregung nicht zu verstehen schien, zuckte die Schultern.
Sein Bild zeigte ein Haus mit vielen Zimmern.
In einem Zimmer saß eine kleine Figur, die weinte.
Im Zimmer daneben konnte man eine Frau ausmachen, die lachte und auf den Mann zeigte, der ebenfalls weinte. In einem weiteren Zimmer im oberen Stockwerk entdeckte ich fassungslos zwei weitere Frauen. David hatte ihnen keine Münder gemalt. In meinem Kopf setzte sich ein Puzzle zusammen. Es war das erste Mal, dass der Junge so konkret mit den Geschehnissen um ging.
Isabelle hatte sich den Stuhl neben David herangezogen und setzte sich zu ihm. Der Kleine nutzte die Gelegenheit und klettere auf ihren Schoss. Ich hielt mich an der Stuhllehne fest. Auch ich musste mich zwingen, nicht andauernd auf die Kinderzeichnung zu starren.
"Magst du mir erklären, was du da gemalt hast?", fragte Isabelle den Jungen sanft. Jan zitterte jetzt so heftig, dass er sich leicht hin und her bewegte. Isa sah kurz zu ihm und strich David wieder über den Kopf. Der erklärte bereitwillig, musterte dabei seinen Vater aber fragend. Fast so, als würde er sich ein Einverständnis abholen wollen, dass er darüber reden durfte.
"Das bin ich." Der kleine Finger deutete auf die kleinste Person. "Da weine ich und mag zu Papa. Aber die Tür ist zu. Die alte Mama hat die fest zugemacht." Er legte den Kopf schief und kuschelte sich an Isabelles Brust. "Der Papa ruft, er kommt gleich. Aber er kommt nicht. Er weint aber und die alte Mama schimpft und lacht. Dann schreit sie. Papa auch. Ganz laut ist sie und dann weint der Papa dolle."
Mir wurde kalt ums Herz. Jan seufzte mehrfach tief auf, ich konnte sehen, dass er nur mit Mühe nicht in Tränen ausbrach. Seine Lippen zitterten, er rieb sich die Unterarme und seine Haut wirkte jetzt fast grau. David fuhr fort, dass es dann ganz still gewesen und auf sein Rufen keine Antwort mehr gekommen sei. Sein Blick dabei ging mir durch Mark und Bein. Ich fürchtete um zu fallen, würde ich die Stuhllehne loslassen. Jans Atmung nahm ich gleichzeitig überdeutlich war. Hyperventilierte er? Besorgt drehte ich mich um.
"Dann kommt Papa endlich. Die alte Mama schimpft laut und lacht böse. Das macht mir Angst und dem Papa auch. Ganz schnell gehen wir dann weg", erzählte David ruhig weiter. Isabelle betrachtete das Bild und ich wusste sofort, was sie als nächstes fragen würde. Nickend bestätigte David, dass sich Dianas Mutter und Schwester im Haus aufgehalten hatten. Er hatte nach seiner Großmutter gerufen, aber die war nicht gekommen. In mir stieg wieder Wut auf diese Frau hoch. Und ich empfand Abscheu für Sina, die mir ins Gesicht gelogen hatte. Sie war im Haus gewesen. Sie hatte es mitbekommen müssen. Jan stolperte in meinem Rücken über seine eigenen Atemzüge. Das Räuspern von Paul riss mich aus meiner Schockstarre.
"Anke", flüsterte er und deutete zu Jan. David war von Isabelles Schoss gerutscht und lief auf seinen Vater zu.
"Papi?", fragte er weinerlich und sah zwischen uns hin und her. In den Kinderaugen sammelten sich Tränen. "Mama!", rief er aus und klammerte sich an Isa, die ihm gefolgt war. Die hob ihn hoch und sah unschlüssig zu Jan, der immer noch zitterte. Nickend ging ich auf den Sessel zu.
"Kümmere dich um den Kleinen", sagte ich ihr und so schnell sie konnte, verließ Isabelle mit David die Küche.
Jan schlug um sich, als ich ihn anfassen wollte. Paul übernahm. Er ging vor Jan in die Hocke und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen und langsamer zu atmen. Bestimmt redete er auf unseren Sohn ein. Der verlangte pausenlos nach Isabelle. Ich eilte in die Stube, wo ich sie mit dem Jungen vermutete.
"Geh zu Jan", bat ich sie knapp. Bis hier her konnte man ihn hören und es war pure Panik, die aus seiner Stimme sprach. Seine Verzweiflung bannte sich ihren Weg und ich versuchte währenddessen seinen Sohn zu trösten. Der wollte natürlich wissen, was mit seinem Vater war. Mir gelang es, ihn zu beruhigen und abzulenken. Ich bat Martin und Nele, ihn zu sich zu nehmen. Besorgt stand Nele wenig später in der Stube und hörte mir zu. Martin hatte David schon mit Hilfe des Hundes nach draußen gelockt.
Gemeinsam gingen wir langsam zur Küche. Noch immer war es Paul, der mit fester Stimme beruhigend auf Jan einwirkte. Isabelle hatte sich auf die Lehne gesetzt und hielt Jans Hand. Immerhin atmete er wieder ruhiger.
"Paul macht das gut", lobte Nele leise. Sie fuhr mir über den Arm und die kleine Geste gab mir so viel Trost.
Es war eine furchtbare Nacht. Gut, dass David bei unserem Ältesten unter gekommen war. Jan war ausgelaugt gewesen und dennoch fand er keine Ruhe. Es quälten ihn furchtbare Albträume. Für derartige Notfälle hatte Dr. Funk Medikamente mitgegeben. Isabelle scheute sich zuerst, aber gegen zwei Uhr in der Nacht sah auch sie keine andere Lösung mehr. Die möglichen Nebenwirkungen besorgten sie, ich verstand das. Aber Jan musste zur Ruhe kommen. Auch ich hatte kurz bei ihm am Bett gesessen. Immer wieder hatte ich ihm gesagt, dass alles wieder gut werden würde.
Am nächsten Morgen waren wir alle erschöpft. Nele versicherte mir, dass David sich unauffällig verhalten und ganz fröhlich bei ihnen gefrühstückt hatte. Martin hatte ihm zudem versprochen, ihn am Nachmittag zum Fußballtraining zu nehmen und von mir wünschte er sich einen Besuch bei den Pferden. Der kleine Mann war so unglaublich tapfer. Isabelle hatte gleich in der Früh mit Heike gesprochen und für den Montag einen Termin ausgemacht. Das Bild hatte sie abfotografiert und es auch an Alex geschickt. Der überlegte, ob er Sina mit diesen Informationen konfrontieren sollte. Auch er war sauer auf Dianas Schwester. Sie musste aussagen, jetzt erst recht. Es war die Chance, dass es zu einer Verhandlung und Verurteilung kommen könnte.
Jan hatte dank der Beruhigungsmittel lange geschlafen. Er hatte anschließend und von sich aus ein ausführliches Telefonat mit Dr. Funk geführt und dann war unser Hausarzt kurz da gewesen. Jetzt schlief Jan wieder. Dr. Niehues hatte ihm etwas zur Beruhigung und zur Stabilisierung des Kreislaufs gespritzt. Auch ihm bereitete das Fieber Sorge.
Jan lag unter einer warmen Decke auf dem breiten Sofa in der Bibliothek. Trotz der heute sehr angenehmen Temperaturen hatte er gefroren. Ich saß im Sessel daneben. Mir hatten diese Tage gezeigt, dass wir Jan nicht helfen konnten. Wir konnten ihn nur begleiten. Nochmal hatte er uns vor Augen geführt, dass er ein schweres Trauma erlitten hatte. Im Flur hörte ich Isabelle sprechen, dann stand sie im Zimmer. Ich sah es sofort an ihrem Blick und am Liebsten hätte ich vor Erleichterung geweint.
"Wo?", fragte ich nur. Sie seufzte und betrachtete Jan, der jetzt so ruhig schlief, dass man gar nicht glauben konnte, wie sehr er in der Nacht getobt hatte.
"Hier. Die Ludgeri hat was frei. Wir können uns morgen alles ansehen und ein Erstgespräch führen", antwortete sie. Die nächste Welle der Erleichterung packte mich. Jan kam in der Nähe unter. Sobald er wieder Besuch haben durfte, war es für uns machbar, ihn regelmäßig zu sehen. Ich schluckte schwer.
"Ab wann?", wollte ich leise wissen. Jans Finger zuckten kurz und er atmete etwas tiefer aus, dann war er wieder ruhig.
"Bis Mittwoch muss er den Platz annehmen, ansonsten wird er weitergegeben." Auch Isabelle musterte Jan. Ich stand aus dem Sessel auf. Sicherlich wollte es ihm Isa alleine sagen.
Jan reagierte mit gemischten Gefühlen. Paul fuhr die beiden am nächsten Tag die halbe Stunde zur Klinik. Isabelle erzählte mir später ausführlich davon. Der leitende Oberarzt war derjenige, von dem Nele schon berichtet hatte. Er hätte Jan am Liebsten direkt da behalten. Isabelle hätte Jan am Liebsten direkt dort gelassen.
Aber Jan hatte nach Hause gewollt. Die schlechte Laune unseres Jüngsten hin wie Smog im Haus. Bei aller schönstem Wetter hatte er sich wieder auf das Sofa verkrochen. In weniger als 24 Stunden würden Isa und David nach Hause fliegen. Anstatt dass er die Zeit mit ihnen nutzte, starrte er grübelnd in den Fernseher. David hatte am Vormittag begeistert mit mir gebacken und strahlte, als Isabelle ihn losschickte um sich ein Spiel auszusuchen. Nachdenklich sah ich sie an. Sie wirkte angespannt.
"Soll ich mit David spielen? Magst du lieber zu Jan?", fragte ich. Sie schüttelte den Kopf und sah kurz in Richtung Bibliothek.
"Den lass ich mal nachdenken, aber Danke", gab sie zurück. Besorgt sah ich ihr ins Gesicht.
"Ist was vorgefallen?", fragte ich behutsam. Kein Wunder lagen die Nerven blank.
"Es ist halt anstrengend. Er raubt mir gerade jede Energie. Daher lade ich meine Akkus jetzt mit David auf", erklärte sie. Kaum traute ich mich, weiter zu fragen.
"Und die Klinik?" Nur leise kam mir die Frage über die Lippen. Jan würde sich diese Chance doch nicht verspielen?
"In die wird er gehen. Dafür sorge ich. Weißt du, ich kenne das ja mittlerweile. Jan lässt sich gerade wieder in einen Strudel fallen und das endet selten gut. Das muss ein Ende haben, ehe er nicht mehr herausfindet." Entschlossen nickte sie mir zu. Wir wurden von David unterbrochen, der mit einem Kartenspiel auf Isabelle zugelaufen kam. Sofort lächelte sie ihn an und nahm ihn dann mit nach draußen.
Ich wandte mich der Bibliothek zu. Ich verstand Jan nicht und sein Verhalten machte mich traurig. Außerdem spielte er mit dem Feuer. Isa wirkte nicht, als würde sie sein Hin und Her dauerhaft mitmachen. Ich wollte mir gar nicht ausmalen was es auch für David bedeuten würde, wenn sie einen Schlussstrich ziehen würde.
Vorsichtig klopfte ich an den Türrahmen.
"Was?", brummte Jan. Aus ihm sprach Frust. Unzufriedenheit.
"Was vergräbst du dich hier drinnen?"
Jan zappte wild durch die Kanäle und vermied den Blickkontakt.
Ich kam herein und setzte mich auf die Lehne eines Sessels. So konnte er mir kaum noch ausweichen. Er war blass, müde. Das wunderte mich nicht. In dieser Nacht war er immer wieder durchs Haus gewandert. Davor die Nacht mit den Albträumen, die alles übertroffen hatten, was wir als Kind mit ihm erlebt hatten. Natürlich steckte ihm das in den Knochen, aber seine Passivität schockierte mich trotzdem.
"Warum nutzt du nicht die Zeit mit deinem Sohn und deiner Freundin? Wenn sie morgen nach Stuttgart fahren, dann weißt du nicht, wann du sie wiedersehen kannst." Mein Ton war unbeabsichtigt schärfer geraten als beabsichtigt.
"Meine Sache", antwortete er trotzig.
Kopfschüttelnd sah ich ihm zu, wie er wieder an der Fernbedienung spielte.
"Du solltest aufpassen, dass du nicht irgendwann zu oft helfende Hände ausschlägst, mein Sohn. Bei allem Verständnis. Morgen bereust du es unter Umständen. Wir essen in einer Stunde, vielleicht magst du mal bis dahin darüber nachdenken", schlug ich ihm ruhig vor.
"Danke, Ich bin keine 12 mehr", knurrte er.
Offenbar kam ich nicht durch. Dass er sich mal wieder selbst im Weg stand, war mir kein Trost.
"Dann verhalte dich so", riet ich ihm und ließ ihn samt seiner Laune zurück.
Kurz vor dem Mittagessen stand er im Garten und entschuldigte sich bei mir für sein Verhalten. Er bat sowohl mich als auch Paul und Isabelle um Verständnis, dass er für die endgültige Entscheidung noch Zeit brauchte. Dafür wollte er über etwas anderes mit uns reden.
Im Grunde wunderte es uns nicht. Später meinte Paul, dass er sich sowieso schon gefragt hatte, warum das Thema erst jetzt auf den Tisch kam. Wir waren auf einem langen Spaziergang. Wir hatten Fred dabei und hielten uns an den Händen. Jan wollte die Wohnung in Stuttgart aufgeben. Er ging noch weiter, er wollte diese nach Möglichkeit nicht mehr betreten. Eindringlich hatte er Isa darum gebeten, dass sie mit Alex´ Hilfe etwas Neues suchen sollte. Im Grunde war es überfällig. Fast vier Jahre hatte er mit Diana dort gelebt und nach all dem, was sie ihm angetan hatte, musste er dort raus. Isabelle hatte versprochen, sich zu kümmern.
"Wird er es schaffen?", fragte ich Paul auf dem Rückweg. Er blieb stehen und zog mich zu sich. Mit einem Finger hob er mein Kinn an.
"Schatz, wir dürfen nicht zweifeln. Wir müssen an unser Kind glauben, ihm damit die Kraft geben, die er braucht", mahnte er mich. Dann sah er mir in die Augen. "Habe keine Angst, Anke. Wir bringen ihn da durch. Er geht diesen Weg. Ich garantiere dir, dass er ihn gehen wird."
Als wir nach Hause kamen, erwarteten uns Jan und Isabelle. Sie saßen in der Stube und aufmunternd nickte sie ihm zu. Jan räusperte sich.
"Wir haben vorhin mit Alex telefoniert. Es müssen noch ein paar Dinge geregelt werden. Er kommt Dienstag her und ich werde dann Mittwoch in diese Klinik gehen. Gleich morgen früh werde ich den Platz annehmen." Seine Stimme brach und er blinzelte.
"Es ist nicht schön sich eingestehen zu müssen, dass man sein Leben nicht mehr im Griff hat. Wenn ich leben will, dann habe ich aber gar kein andere Wahl. Dennoch habe ich Angst. Es zerreißt mir das Herz, dass ich wochenlang nicht wissen werde, wie es euch geht. Wie es David geht."
Ich eilte zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann setzte ich mich neben ihn. Und endlich ließ er sich von mir in den Arm nehmen. Erleichtert streichelte ich ihm über den Rücken. Über seine Schulter sah ich Isabelle an. Lautlos formte ich ein Danke und genoss die ungewohnte Nähe zu meinem Sohn.
Es war entschieden. Der Platz war frei. Diese knapp drei Tage würden wir jetzt auch noch schaffen. Da war er, der Hoffnungsschimmer. Jan würde die Chance bekommen, gesund zu werden. Physisch und psychisch. Paul lehnte am Türrahmen, als ich mich von Jan löste. Er sah aus, als wollte er sagen, er hätte es mir ja gesagt. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Gleichzeitig ahnte ich, dass die anstehenden Abschiede nicht leicht werden würden. Ganz und gar nicht