Paul habe ich bei einem Tanzabend kennen gelernt. Damals gab es diese fahrenden Diskotheken, die am Wochenende auf dem Land unterwegs waren. Sie gastierten in den Mehrzweckhallen oder im Sommer auch auf einem Rasenplatz etwas abseits der Dörfer. Natürlich ist er mir sofort aufgefallen. Nicht nur durch seine Größe, auch aufgrund seiner Augen. Er stand mit Freunden an einer Bar. Sie tranken Bier, unterhielten sich und beobachteten die Tanzfläche. Ich war mit meiner Schwester da und wir wollten ihren Liebeskummen wegfeiern. Eigentlich hatte sie Paul zuerst gesehen. Doch er sprang nicht auf ihre Flirtversuche an. Stattdessen kam er nach einer Weile auf mich zu und forderte mich auf.
Nach dem dritten Tanz, und Paul konnte wirklich gut tanzen, lud er mich auf ein Getränk ein. Er selbst bestellte auch sich eine Cola, da er in jener Nacht die Aufgabe hatte, seine Freunde nach Hause zu fahren. Wir saßen anschließend eine Weile vor der Halle und unterhielten uns. Das Gespräch endete mit einer Einladung zum Essen am darauffolgenden Freitag. Und ich war tatsächlich die ganze Woche nervös. Ob er wirklich kommen würde? Wir hatten keine Telefonnummern ausgetauscht. Verschmitzt hatte er dies damit begründet, damit ich ihm ja nicht absagen konnte.
Als Treffpunkt hatten wir den Dorfplatz in meinem Heimatort ausgemacht. Punkt 19 Uhr. Damals wohnte ich noch bei meinen Eltern, war noch in der Ausbildung zur Bürokauffrau. Meine Schwester zog mich mit der Verabredung auf. Später gab sie zu, dass sie eifersüchtig war. Dazu muss man wissen, dass sie die deutlich Hübschere von uns war und ich im Vergleich nur wenig Erfahrung mit Männern hatte. Ein paar Rendez-vous, ja, die hatte es gegeben, aber im Gegensatz zu ihr war ich selten auf Party anzutreffen.
In meiner Freizeit ritt ich und schon damals liebte ich es, mich stundenlang im Garten zu beschäftigen oder zu malen. Die Wochenenden verbrachte ich gerne vor dem Kamin mit einem Buch oder vor dem Radio bei einem Hörspiel. Ganz selten ging es mal ins Theater, weil die nächste Kreisstadt so weit weg war und ich damals noch keinen Führerschein hatte. Und so ganz wagte ich es noch nicht zu hoffen, dass sich dieser gutaussehende Mann wirklich für mich interessierte. Dabei träumte ich von seinen intensiven blauen Augen und den geschwungenen Lippen. Und ich ertappte mich dabei, dass ich von diesen Lippen gerne geküsst werden würde. Noch immer spürte ich den sanften Druck seiner Hände, als er mich über die Tanzfläche geführt hatte. Kurzum, ich hatte mich ein bisschen verschossen. Genug, um mich auf ein Wiedersehen zu freuen - nein, es herbeizusehnen und nicht so sehr, als dass mich ein Versetzen verletzt hätte. Ich überlegte also lange, was ich anziehen sollte. Es war Sommer, wir würden essen gehen. Ich hatte keine Ahnung, wohin. Da es an jenem Tag wirklich heiß war, entschied ich mich für ein damals recht gewagtes Sommerkleid.
Natürlich war ich zu früh am Treffpunkt und er noch nicht da. Ich betrachtete die Auslagen eines Modegeschäfts und sah immer wieder zur Kirchturmuhr. Nur mit Mühe hatte ich Ursel davon überzeugen können, mich nicht zu begleiten. Jetzt bereute ich es fast. Immer, wenn mich später jemand gefragt hat, wann ich wusste, dass ich Paul heiraten würde, habe ich dann den Moment genannt, an dem er mit seinem Käfer auf den Dorfplatz rollte. Ich wusste es einfach.
Er war gekommen. Stieg aus und kam strahlend auf mich zu. Erst Jahre später hat er zugegeben, dass er gefürchtet hatte, ich würde nicht kommen. Für den Fall hatte er übrigens den Plan gefasst, dass ganze Dorf nach mir abzusuchen. Manchmal muss ich darüber heute noch lachen. Nach einer aufgeregten und etwas förmlichen Begrüßung führte er mich zu seinem Auto. Er war ganz Gentlemen, ist er ja bis heute. Kaum dass wir dann auf dem Weg übers Land waren, stellte sich die Vertrautheit des ersten Abends wieder ein.
Was für ein Zufall, dass wir uns dort kennen gelernt hatten. Eigentlich hatten Paul und seine Freunde auf eine Feier gewollt und normalerweise wären Ursel und ich ebenfalls anderweitig unterwegs gewesen. Schicksal? Vermutlich ja. Paul führte mich zu einem Italiener aus, der auf halber Strecke unserer beider Heimatorte lag. Er wurde schnell zu unserem Treffpunkt für Freitagabend. Luigi dürfte der beste Zeuge sein, wenn es darum geht, wie sich unsere Beziehung in der Folge entwickelte. Schade, dass er schon vor vielen Jahren gestorben ist.
An diesem Abend teilten wir uns Tomate-Mozzarella und eine große Pizza mit Pilzen. Als Luigi uns den eisgekühlten Limoncello brachte, wusste ich alles über Paul und er alles über mich. Es war, als würden wir uns schon Jahre kennen. Wir spazierten noch durch den kleinen Ort, er spendierte noch ein Eis und dann brachte er mich nach Hause. Meinen ersten, schüchternen Kuss bekam ich noch im Käfer, als wir etwas zwei Stunden vor meinem Elternhaus standen. Im Radio lief Marianne Rosenbergs "Fremder Mann" und "Che Sera". Paul fragte, ob ich am Sonntag Lust auf einen Ausflug hätte.
Wir waren lange spazieren und schließlich brachte er mich zu sich nach Hause. Und niemals werde ich vergessen, wie er mich seinen Eltern und Geschwister vorstellte, die sich zum Kaffee im Garten versammelt hatten. "Das ist Anke. Die Frau, die ich eines Tages heiraten werde."